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Einundfünfzigstes Capitel.

Silvia hatte den sonnigen Morgen dieses Tages mit trübem Lächeln begrüßt. Als sie die Vorhänge an ihrem Fenster zurückschlug und die Friese und Säulen der Prachtgebäude, die den Schloßplatz umgaben, im Frührothlicht gebadet sah, hatte sie gedacht, wie dieses Licht so sanft und schön auf den alten Buchen und Eichen von Tuchheim ruhen müsse, und ob ihr alter Vater jetzt wohl vor der Thür stehe und nach den rosigen Bäumen schaue und nach dem lichtblauen Himmel, in dessen unendlichen Tiefen sich sein Blick so gern verlor.

Sie hatte sich rasch angekleidet und – seit langer Zeit zum erstenmale wieder – die Zinne des Schlosses erstiegen. Der Morgenwind spielte mit ihrem Haar und in ihren Gewändern, als sie nun an der Balustrade zwischen den sceptertragenden Riesenbildern stand. Unter ihr lag die gewaltige Stadt, in der das Leben sich erst zu regen begann. Wie hatte ihr Herz so hoch geschlagen, welch stolze Träume waren durch ihre Seele gezogen, als sie zum erstenmale mit klopfendem Herzen hier herausgetreten war und ihr trunkenes Auge sich dieses prachtvollen Anblickes erlabte. Das Dichterwort von dem Könige, der auf seines Palastes Zinnen stand, war ihr eingefallen, aber auch zugleich die uralte Warnung vor den Göttern, die so furchtbar den Uebermuth der Menschen strafen und denen man das Eine opfern muß, damit sie uns gnädig das Andere gestatten. Sie hatte nicht mit den Göttern gefeilscht; sie hatte von vornherein ihr Höchstes: ihre Liebe geopfert, auf daß der Geliebte immerhin seine stolze Bahn durchmessen könne. Und die falschen Götter hatten das Opfer angenommen, aber ihr Gebet hatten sie nicht erhört. Die stolze Bahn hatte in ein Labyrinth geführt, aus dessen dunklen Tiefen kein Ausweg möglich schien; und sie selbst, sie war nun so arm, so grenzenlos arm und elend, daß sie nichts mehr hoffen, nichts mehr wünschen, daß sie nichts konnte, als arm und elend sein und ihr Elend beweinen.

Nein, nicht weinen, weinen wie ein unbesonnenes Mädchen, das die Fata morgana ihrer kindischen Phantasie in den Wellen des Lebens versinken sieht. Sie hatte ihren Willen haben wollen, sie hatte ihren Willen gehabt. Was sie verloren, hatte sie sich verloren; was sie gefehlt, hatte sie sich gefehlt. Stolz hatte sie sich weggehoben über die andern Menschen, die mit kleinen Schritten nach kleinen Zielen streben; sie konnte nun nicht umkehren und sich vor Jenen demüthigen. Nur Einen gab es, vor dem sie niederknieen und sprechen durfte: Ich habe gesündigt vor dir! Nur Einen! Und wenn sie seine Hand auf ihrem Haupte gefühlt und ihr Ohr die leise Versicherung seiner unendlichen Liebe getrunken – dann – dann konnte sie immer noch nicht werden wie die Andern; aber sie konnte sich still vor der Welt verbergen, oder lieber noch, unendlich lieber, aus der Welt scheiden, in der ihre Rolle ausgespielt war.

Gestern hatte sich auch noch das letzte Band, das sie hier gehalten hatte, glücklich gelöst. Es war ein kleiner Liebesdienst gewesen, von dem sie nicht einmal wußte, ob der, welchem er galt, dankbar dafür sein würde; aber den alten guten Vater würde es vielleicht doch freuen, wenn sie ihm sagen konnte: Walter sitzt nicht mehr hinter Mauern und Riegeln. Es war ihr nicht leicht geworden, seine Befreiung zu bewirken. Der König hatte ihr, als sie ihm deswegen schrieb, ausweichend geantwortet, und erst nach seiner Rückkehr hatte er – und auch jetzt nicht ohne Zögern, ohne sichtbares Widerstreben – ihre Bitte gewährt. Sie hatte dabei einen tieferen Blick in die Seele des Königs geworfen; sie hatte gesehen, wie schwer es ihm wurde, da zu verzeihen, wo er sich wirklich beleidigt glaubte. Ihr Bruder, hatte er gesagt, ist einer von jenen Unverbesserlichen, die sich die Ehrfurcht vor ihrem Gott und ihrem König für immer wegraisonnirt haben. – Wie hätte sie sich zu jeder andern Zeit geschämt, zu bitten, wo man nicht gern gewährte; aber sie bat ja nicht für sich, sie bat ja auch nicht für ihren Bruder, nur für den alten Vater, für den Einen, um dessentwillen sie sich gern demüthigen wollte. – Und nun für immer Ade, du stolze Stadt, mein weites Reich, auf das ich einst wie eine Königin schaute und in dem ich jetzt zur Bettlerin geworden bin!

Silvia weinte nicht mehr; starren, thränenlosen Auges blickte sie hinüber zu den Tempeln, die jetzt im hellen Sonnenschein erglänzten, hinab auf die weiten Plätze, die breiten Straßen – zum letztenmal! Dann wendete sie sich still von der Stelle; sie hatte abgeschlossen mit dieser Welt.

Sie stieg die Treppe hinab. Als sie über den Corridor nach Tante Sara's Zimmer schritt, begegnete ihr Leo's Diener, den sie von früherher noch wohl kannte. Er brachte den Brief, den er heute Morgen auf seines Herrn Tisch gefunden hatte. Silvia zögerte, den Brief zu nehmen. Was hatte ihr, was konnte ihr Leo noch zu schreiben haben? Mein Herr war diese Tage recht krank, sagte Philipp, und als ich heute Morgen in sein Zimmer kam, lag er angekleidet auf dem Sopha mit geschlossenen Augen und so bleich; er ist die ganze Nacht nicht im Bett gewesen.

Wann gab er Ihnen den Brief? fragte Silvia mit leiser Stimme.

Ich fand ihn auf dem Tisch mit einem Zettel für mich.

Geben Sie! sagte Silvia.

Bekomme ich vielleicht eine Antwort mit?

Ich will Antwort senden, wenn es nöthig sein sollte.

Philipp stand noch immer. Soll ich dem Herrn gar nichts von Ihnen ausrichten? sagte er, verlegen seinen Hut in den Händen drehend.

Ich will Antwort senden, wiederholte Silvia.

Sie hatte es nur mit Mühe herausgebracht und war dann mit wankenden Knieen und klopfendem Herzen in die Wohnung getreten, die sie heute für sich allein hatte. Tante Sara war mit ihrer Migräne erwacht und hatte schon in aller Frühe nach dem Geheimrath Weber geschickt. Silvia wußte, daß die Tante an solchen Tagen ihr Bett nicht verließ.

Sollte sie den Brief öffnen? Sie hatte ihn zu diesem Zwecke genommen, so mußte es auch geschehen.

Mit zitternden Händen erbrach sie das Siegel und las – las, um das Blatt schreckensbleich fallen zu lassen und vor sich hin zu starren, wie Jemand, der ein Entsetzliches erblickt, das entweder schon eine Ausgeburt des Wahnsinns ist oder ihn wahnsinnig machen muß. War das Leo? Leo der Schreiber dieses Briefes? Unmöglich. Das waren nicht seine Gedanken, das war nicht einmal seine Hand. Die Züge seiner Schrift waren sonst so kühn und stark gewesen – jeder Buchstabe wie eines Adlers Flügelschlag, und diese Schrift war verworren, ja verzerrt, als hätte des Schreibers Hand im Fieber gezittert. Aber, großer Gott, er war ja krank! Der treue Mensch hatte es gesagt, und die Thränen hatten ihm dabei in den Augen gestanden. Krank? ja wohl! Aber nicht an einem Fieber, dem er mit seiner Kunst hätte begegnen können und das erst jetzt ihn ergriffen hätte.

Dies Fieber brannte schon längst in seinen Adern, vielleicht schon von den Tagen seiner Jugend her, und es hatte sein Gehirn zerrüttet, sein Herz verdorben, seine Kraft gebrochen; es hatte ihn ausgehöhlt zu einer starren Larve, und jetzt war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Er sie lieben! Wie durfte er wagen, dies Wort zu wiederholen, das ein Hohn für sie und eine Schmach für ihn war? Wie durfte er von Liebe sprechen zu ihr, die elend war durch ihn? Und, wenn er wirklich etwas wie Liebe in seinem Herzen spürte, er hätte dennoch schweigen müssen. Fühlte er denn nicht, daß er den letzten Rest von Achtung, die sie ihm gern gezollt hätte, vollends zerstörte, wenn er nicht einmal der Mann seines Wortes war, wenn er vor seiner eigenen That erschrak, gleich einem wankelmüthigen Knaben? O, dies war das Bitterste!

So saß Silvia lange, lange Zeit. Plötzlich kam ihr ein Gedanke, der sie aus ihrer Starrheit auffahren machte. War etwas geschehen, wodurch sein Verhältniß zum Könige ein anderes geworden war? Die Zeiten hatten in den letzten Tagen eine Entscheidung der unhaltbaren politischen Lage angekündigt. War diese Entscheidung eingetreten? und hatte Leo sein großes Spiel verloren?

Sie sprang auf und eilte nach dem Tisch, auf welchem die Zeitungen noch unberührt lagen. Die erste, die ihr in die Hände fiel, war die, welche den Schmähartikel gegen Leo enthielt. Sie las den Aufsatz mit dem vollen Verständniß der Lage der Dinge. Sie sah mit einem Blicke, daß die Entscheidung noch nicht eingetreten und daß dieser Artikel geschrieben war, um sie eintreten zu machen. Leo war noch nicht gefallen, aber er sollte fallen, und er mußte fallen, wenn der König dem Druck, den man hier auf ihn zu üben suchte, nachgab. Das also hieß es: komme was da will. Es hieß: Der König schwankt, ich verzweifle daran, ihn halten zu können, und verzweifle vollends, wenn auch du deine Hand von mir ziehst. Meine Hand! großer Gott, er weiß nicht, wie schwach diese Hand geworden ist! Er weiß nicht, der große Meister, daß er sein armes Werkzeug selbst zertrümmert hat; aber, gebrochen wie ich bin, und hilflos und elend, er soll sich nicht vergeblich an mich gewendet haben, ich will ihm helfen, wenn ich kann.

Der König war vorgestern dagewesen, er hatte gesagt, daß er heute Abend wiederkommen und sich den Dank für Walter's Entlassung aus dem Gefängnisse holen werde. Silvia war fest entschlossen gewesen, diesen Besuch nicht abzuwarten und heute Mittag das Schloß und die Stadt zu verlassen; jetzt mußte sie bleiben.

Und Silvia blieb und harrte die langen, bangen Stunden hindurch, still und ernst, wie ein Krieger, den man auf verlorenem Posten abzulösen vergessen hat.

Der Strom des Lebens, der unter ihrem Fenster vorbeirauschte, stieg mit der Sonne, um zu ebben, als diese ihren Höhepunkt erreicht hatte, und nach kurzer Zeit wieder anzuschwellen, bis die Sonne sank und ihre letzten Strahlen rothe Lichter über das Dächermeer streute. Die lichten Wölkchen, die hoch im glanzerfüllten Aether schwammen, verloren ihre goldenen Ränder; tiefer wurde das Blau des Himmels, in Abendgrau hüllte sich die Stadt.

Silvia erhob sich von ihrem Platze am Fenster und begann langsam im Zimmer auf und ab zu schreiten. Es war die Stunde, in welcher der König zu kommen pflegte. Sie dachte nicht daran, die gewohnten Vorkehrungen zu seinem Empfange zu treffen; sie dachte nur, was sie dem Könige sagen wollte, es sollte ja ihr letztes Wort sein.

Auf einmal, wie sie sich umwendete, stand der König vor ihr. Sie hatte, in tiefes Sinnen verloren, seinen Schritt auf den dicken Teppichen nicht gehört, und jetzt blickte sie ihn an, als ob er nur ein Bild ihrer Phantasie gewesen wäre, und so sprach sie zu ihm:

Majestät, ich habe eine Bitte an Sie.

Wie? erwiederte der König, abermals eine Bitte? hoffentlich betrifft sie nicht wieder Ihren Bruder, der heute Mittag, so viel ich weiß, entlassen ist.

Nein, Majestät, erwiederte Silvia, nicht meinen Bruder, für dessen Befreiung ich Ihnen in seines alten Vaters Namen von Herzen dankbar bin. Die Bitte, die ich habe, ist nur die, daß Sie mich in einer wichtigen Sache recht geduldig anhören.

Geduld und immer Geduld rief! der König, indem er sich in einen Lehnsessel warf; es ist unglaublich, was unser Einer den Tag über an Geduld consumiren muß. Nun, meinetwegen; so reden Sie!

Der König hatte noch nie in einem so unfreundlichen Tone zu Silvia gesprochen, aber ihr bleiches Gesicht röthete sich nicht, und sie fuhr in demselben ruhigen und milden Tone fort: Ich würde gern schweigen, da Majestät heute nicht zum Hören aufgelegt scheinen; indessen es ist das letztemal, daß ich zu Ihnen spreche, und so mögen Sie denn auch zum letztenmale Geduld mit mir haben.

Der König richtete sich in seinem Stuhle auf und blickte Silvia mit einem Ausdruck halb des Schreckens und halb des Zornes an.

So! rief er, das letztemal! also doch! wie wagen Sie, wie können Sie wagen, mir das zu sagen? Ich wüßte doch nicht, daß ich Ihnen die Erlaubniß gegeben hätte, zu gehen!

Nein, Majestät, aber ich weiß, daß Sie mir erlauben werden, zu gehen, wenn ich Ihnen sage, daß ich nicht bleiben kann.

Ich werde es Ihnen nicht erlauben! rief der König, und seine helle Stimme kreischte dabei; den Teufel auch! Sie sollen bleiben, ich will es, ich will es!

Dann freilich wäre ich gezwungen, gegen den Willen des Königs zu handeln, erwiederte Silvia.

Gut! schrie der König, heftig vom Stuhle auffahrend, gehen Sie, mein Fräulein, gehen Sie, aber denken Sie nicht, daß Sie es ungestraft thun. O, ich kann mich rächen, wenn man mich beleidigt, und furchtbar rächen, wenn die Beleidigung von Jemandem kommt, von dem ich, wie von Ihnen, nur Dankbarkeit und Liebe verdient habe. Sie meinen, ich könne nicht an Sie kommen! hüten Sie sich, Könige haben lange Arme, und wenn Sie nicht mehr da sind, so bleibt mir doch der Leo, und er soll es mir büßen, er soll es mir büßen!

Silvia zuckte zusammen; doch bezwang sie sich und sagte, immer in demselben stillen Ton: das wäre es gerade, worüber ich mit Eurer Majestät sprechen wollte. Ich weiß, daß Majestät mich einer Gnade würdigen, die weit, weit über mein Verdienst geht. Könige sind nicht so reich an ehrlichen Menschen, daß sie den Verlust eines dieser Wenigen nicht mit einem gewissen Schmerz empfinden sollten. Und da wollte ich Sie nun gerade bitten, daß Sie, wenn ich fortgehe, es Niemanden entgelten lassen, Niemanden Majestät.

Und ich sage Ihnen, schrie der König, daß ich es thun werde, und am meisten den, der Sie von hier wegtreibt. Glauben Sie, ich sei blind? Denken Sie, ich sehe nicht, daß Sie nur deshalb fort wollen, weil Leo Josephe von Tuchheim heirathet? Es ist mein Befehl gewesen, Fräulein, mein Befehl! Und sehen Sie nicht, die Sie so klug sind, daß ich den Leo nur um Ihrethalben groß gemacht habe? was soll mich hindern, ihn wieder fallen zu lassen, wenn der Grund nicht mehr vorhanden ist, um dessentwillen ich ihn aus dem Staube hob?

Was Sie hindern wird, Majestät? erwiederte Silvia, die Achtung, die ein König seinem Volke schuldet und die ihm nicht erlaubt, wie andere Menschen seinen privaten Empfindungen zu folgen, wenn er dadurch das Wohl des Staates gefährdet.

Wer sagt, daß ich das in diesem Falle thue? erwiederte der König im höhnischen Tone.

Sie selbst, Majestät, der Sie mehr als einmal wiederholt haben, daß Ihnen der Verlust dieses Mannes sein würde, was einem Feldherrn eine verlorene Schlacht.

Der König warf einen zornigen Blick auf Silvia, aber senkte alsbald die Augen wieder. Das war früher, sagte er grollend, man kann seine Ansichten ändern. Sie können mir nicht verdenken, wenn ich den Mann, dem ich mein allerhöchstes Vertrauen schenken will, dreimal prüfe und wäge.

Was der König jetzt sagte, hatte fast mit denselben Worten in dem Zeitungsartikel gestanden; um Silvia's bleiche Lippen zuckte es; sie machte unwillkürlich eine Bewegung mit der Hand nach dem Blatte, das noch auf dem Tische lag, neben welchem der König saß; dann aber ließ sie den Arm wieder sinken und sagte, indem sie leise das schöne Haupt schüttelte: Majestät thun nicht wohl daran, den Feinden eines Mannes, den Sie einst schätzten und liebten, ein so williges Ohr zu leihen. Ich weiß nicht, was mein Vetter Ihnen in dieser, schwierigen Lage gerathen hat und ob das, was er gerathen hat, ausführbar ist; ja, ich gestehe, daß ich wünschte, er hätte in mancher Beziehung anders gehandelt; aber wo Licht ist, ist auch Schatten; wo Korn gedeiht, wächst auch Unkraut. An Ihnen ist es, Majestät, das Unkraut von den Garben zu sondern. Wollen Sie so reiche Aecker brach liegen lassen – auf dem dürren Sande der Selbstsucht und Unwissenheit seiner Feinde reift Ihnen keine Frucht.

Pah, rief der König, Sie glauben ja selbst nicht an das, was Sie da sagen. Ich habe es Ihnen schon längst angemerkt, daß Sie mit dem politischen Verhalten Ihres Vetters unzufrieden sind. Sie wären sonst eine beredtere Fürsprecherin.

Silvia erbebte; der König, dem ihr Schweigen Muth machte, rief in triumphirendem Tone: Man hintergeht mich nicht so leicht! Ich wiederhole: Sie sind mit ihm unzufrieden. Sie können es ihm nicht vergeben, daß er in seinem Uebermuthe alle Schranken überspringt. Er hat mich mit meinen Ministern, mit meinem Adel, mit aller Welt verhetzt. Nun mag er sehen, wie er fertig wird.

Der König hat ihn zu der Würde erhoben, die den Neid der anderen Würdenträger gegen ihn erregt hat; der König hat ihm den Adel verliehen, der den Adel des Landes gegen ihn in die Schranken gerufen hat; der König hat ihm befohlen, eine Heirath zu schließen, die, weil die Absicht zu klar zu Tage liegt, alle Welt stutzig machen muß: der König kann nicht tadeln, was von dem Könige selbst ausgegangen ist.

Ist es möglich? rief der König, Sie reden ihm das Wort? Sie, die er verrathen hat? Die durch ihn, und nur durch ihn, unglücklich ist? Silvia, haben Sie denn gegen ihn keinen Stolz, die Sie doch sonst so stolz sind? Können sie diesen Mann nicht vergessen? ihn nicht dem Schicksale überlassen, das er sich selbst bereitet hat? Was geht er Sie an, was geht er mich noch an? Und wenn er die ganze Welt erobern könnte, und ich müßte Sie darüber verlieren, so mag er seine Welt für sich behalten. Aber er kann das Große, dessen er sich vermessen, nicht ausführen; er ist ein Betrüger, ein Charlatan; ich hasse ihn, ich hasse alle Welt; nur Sie nicht, Silvia, einzigste, schönste Silvia! Ich will ja nichts von Ihnen, nur Sie sehen, Sie anbeten, mich an Ihrer Holdseligkeit berauschen, in Wonnethränen zerfließen, ist es mir nur gegönnt, den Saum Ihres Kleides zu berühren.

Der König glitt von dem Stuhle auf beide Kniee und streckte die Hände nach Silvia aus. Seine Augen schwammen in Thränen, sein vorher bleiches Gesicht war mit glühender Röthe bedeckt. Silvia wich entsetzt zurück.

Um Gottes willen, Majestät, rief sie, stehen Sie auf! Um Ihretwillen stehen Sie auf! Sie würden sich diesen Augenblick nie vergeben können.

Meinst Du? sagte der König, sich rasch erhebend; es mag sein, aber das kümmert mich nicht. Weißt Du noch, wie wir unter der großen Buche standen und ich Dich küssen wollte? Du sträubtest Dich und flohst von mir, daß Deine Locken zurückflatterten. Damals trat er dazwischen, der schwarze Teufel; heute steht Niemand zwischen Dir und mir, und heute will ich Deine Lippen auf meinen Lippen fühlen.

Silvia stand hoch aufgerichtet da. Das schöne Haupt ein wenig hintenüber geneigt, während ein Zug stolzer Verachtung ihre Lippen schürzte, blickte sie den König mit Augen an, deren Macht durch die halbgeschlossenen Lider nur noch erhöht wurde.

Der König stutzte: die Arme sanken ihm schlaff am Leibe herab; die krankhafte Röthe wich einer nicht minder krankhaften Blässe, ein Zittern flog durch seinen ganzen Körper. Silvia glaubte, er werde umsinken. Sie trat einen Schritt näher und sagte: Sie sehen selbst, Majestät, daß meines Bleibens hier nicht länger sein kann. Sie selbst werden es mir Dank wissen, daß ich gehe und Ihnen eine Erinnerung erleichtere, die auch so noch peinlich genug für Sie bleiben wird. Ich sage nicht: Vergessen Sie diese Stunde; ich vergesse nichts und verlange es auch von Anderen nicht; ich sage nur, denken Sie an diese Stunde wie an einen verworrenen Traum, der nichts zu thun hat mit Ihrem wachen Leben. Ich verschwinde für Sie aus dem Leben, und war ich Ihnen wirklich theuer, so wird Ihnen die letzte Bitte der Dahingeschiedenen heilig sein: machen Sie an Leo gut, was Sie etwa an mir gefehlt haben mögen; handeln Sie königlich an Leo! Und nun muß ich Ihnen Lebewohl sagen, Majestät!

Sie neigte ihr Haupt und wendete sich zu gehen. Hinter ihr erscholl ein gelles Lachen, wie eines Wahnsinnigen, und als sie sich voller Schrecken umwendete, sah sie den König, einem Wahnsinnigen gleich, zum Gemach hinausstürzen.


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