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Dreizehntes Capitel.

Der General war erst spät am Nachmittage nach Hause gekommen, gänzlich erschöpft von all' den Anstrengungen, die er seinem geschwächten Körper hatte zumuthen müssen, aber sehr befriedigt von dem Resultat, das schon erreicht war, und voller Erwartung und Unruhe wegen dessen, was noch bevorstand. Er vernahm sehr ungern, daß das gnädige Fräulein in der Meinung, daß Excellenz nun doch nicht mehr zum Mittag zurückkehren würden, eine Einladung der Gräfin Schlieffenbach angenommen habe. Er mußte nothwendig Josephe sprechen und schickte sofort den Jäger, der heimlich über den verwetterten Dienst in den Bart brummte, mit einem Billet, in welchem er seine Tochter bat, ihren Besuch abzukürzen, da er ihr die wichtigsten Mittheilungen zu machen habe, nach dem Hotel der Gräfin.

Bei dem Diner, welches ihm in aller Eile servirt wurde, stocherte er nur eben in den Speisen, schenkte sich aber mit zitternder Hand ein paar Gläser alten schweren Rheinweins ein, um seine Nerven wieder etwas zu beleben; befahl, ihm sofort zu melden, wenn das gnädige Fräulein eingetroffen sein würde, und begab sich in sein Zimmer, um einige Augenblicke auf dem Sopha auszuruhen.

Aber die Ruhe wollte nicht kommen. Er hatte gar zu viel zu überdenken, zu überlegen. Da war er, ehe er's sich versehen hatte, mitten in einer Intrigue, deren Tragweite freilich noch gar nicht abzusehen war, die aber in Anbetracht der darin verwickelten Personen und der höchst complicirten Verhältnisse in jeder Beziehung sehr bedeutungsvoll zu werden versprach. Was Sara in die Hand nahm, pflegte selten zu mißlingen; aber der wunderbare Scharfsinn, den sie in dieser ganzen Angelegenheit entwickelt hatte, übertraf doch alle ihre früheren Leistungen. War die merkwürdige Unterredung mit dem Könige nicht so verlaufen, als wenn sie dieselbe Wort für Wort soufflirt hätte? Nur in einem Punkte war eine Differenz. Sara hatte ihm ausdrücklich aufgetragen, sobald er etwas erreicht habe, sie sofort zu benachrichtigen; der König hatte sich ebenso ausdrücklich vorbehalten, Tante Sara, oder die junge Dame – es war nicht recht ersichtlich gewesen, ob eine, oder die andere, oder beide – zu überraschen. Der General hatte noch unterwegs diesen schwierigen Punkt reiflich erwogen, war aber zu keinem, Resultate gelangt. Erst jetzt – in der Ecke seines Sophas – sagte er sich, daß es doch wohl gerathener sei, dem Befehle Sara's, als dem Wunsche des Königs Folge zu leisten, und so mußte denn der unglückliche Jäger, der eben erst von seiner Commission zurück war, sogleich wieder zu Fräulein Gutmann auf das Schloß mit einem Billet.

Jetzt weiß sie, woran sie ist, sagte der General, als er das Billet expedirt hatte und sich wieder in sein Sopha setzte, um zu überlegen, was er Josephen, die jede Minute eintreten konnte, mittheilen dürfe. Es hält so schwer, ihr eine politische Situation klar zu machen; sie hat durchaus nur für das rein Persönliche Interesse; würde sie begreifen, daß die Pflicht der Klugheit jetzt erfordert, diesen Doctor auf jede nur mögliche Weise zu gewinnen, an uns zu fesseln? Sie hat mir neulich die schwersten Vorwürfe gemacht, wie ich es habe wagen können, ihr diesen Menschen so ohne weiteres auf ihr Zimmer zu bringen – aber dies, dies muß sie doch einsehen; dies ist ja mit Händen zu greifen. Sie möchte immer so gern oben hinaus, und doch hat sie damals so wenig verstanden, den König zu fesseln, als er noch nicht so blasirt wie heute, im Gegentheil von einer Schönheit, wie Josephe, so leicht zu fasciniren war. Nun, die Gelegenheit ist für immer vorüber, aber hier kommt eine zweite, vielleicht noch bessere Gelegenheit, eine große Rolle zu spielen – dieser Doctor Gutmann ist binnen zweien Stunden vielleicht eine Macht im Staate. Er hat mir heute wahrlich noch mehr gefallen als neulich; ich möchte nur wissen, wo ich neulich meine Augen gehabt habe. Aber man muß eben so viel Capital herauszuschlagen suchen, als irgend möglich – und Josephe muß mir helfen.

Der General drückte sich die Hände gegen seine Schläfen. Ich lüge wahrhaftig nicht, wenn ich nach Tuchheim telegraphire, daß ich krankheitshalber nicht kommen kann; ich fürchte, ich werde ernstlich krank werden; aber heute freilich muß ich auf dem Posten sein. Gott sei Dank, da ist Josephe!

Josephe kam in sehr ungnädiger Laune. Die Gräfin Schlieffenbach, Gemahlin des erst kürzlich am diesseitigen Hofe accreditirten Gesandten, war ein paar Jahre jünger als sie, aus einer notorisch gänzlich verarmten süddeutschen Adelsfamilie, dabei nicht einmal auffallend hübsch, auch nicht eben geistreich, höchstens anmuthig – nichtsdestoweniger hatte sie eine der glänzendsten Partieen gemacht, die sich denken ließen. Die kostbar gediegene Einrichtung ihrer nur wenige Schritte von der Wohnung des Generals gelegenen Villa, die Leichtigkeit, mit der sich diese junge Dame in diesen Glanz hineingefunden hatte, die Ungezwungenheit, mit der sie von ihren und ihres Gemahls Beziehungen zu dem und jenem souveränen Hause sprach – das Alles hatte Josephe mit tiefstem Neid gegen die neue Freundin erfüllt. Und während eben der Graf in's Zimmer zu den Damen getreten war, um seine Gemahlin zu fragen, ob sie vor der Soirée bei dem englischen Botschafter noch eine Stunde in die Oper zu fahren wünsche, mußte sie nach Hause auf Befehl eines alten anspruchsvollen Vaters, der vermuthlich mürrisch und angegriffen von seinen langen Visiten zurückgekommen war, und dessen Laune aufzuheitern das Vergnügen ihres Abends sein würde. Oder sollte sich gar der Vater in der zwölften Stunde nun doch noch entschlossen haben, nach Tuchheim zu gehen?

Ueber den letzten Punkt durfte sich Josephe sehr bald beruhigen. Die ersten Worte des Vaters sagten ihr, daß er nichts weniger als eine nächtliche Eisenbahnfahrt beabsichtigte.

Wie lange Zeit brauchst Du, um eine recht hübsche Haustoilette zu machen?

Weshalb?

Wir werden in einer Stunde den Besuch des Doctor Gutmann haben, und eine halbe Stunde später etwa wird der König kommen.

Josephe blickte ihren Vater mit großen forschenden Augen an. Sein Aussehen war so sonderbar, so verstört; hatte er zu viel Wein getrunken, oder sprach er irre? Was hatte Doctor Gutmann, der im Gefängnisse saß, mit dem Könige zu thun?

Ja, aber so antworte doch, fuhr der General, als seine Tochter noch immer schwieg, in gereiztem Tone fort, wir haben keinen Augenblick zu verlieren; ich habe Dir vorher noch viel zu sagen. Wie lange brauchst Du?

Eine Viertelstunde, erwiederte Josephe, die Augen starr auf den Vater gerichtet, dessen Betragen ihr mit jedem Momente räthselhafter erschien.

So setze Dich und höre mir aufmerksam zu.

Josephe überlegte, ob sie nicht lieber gleich nach Hilfe klingeln solle, bedachte dann aber, daß dazu auch später Zeit sei, und nahm in einiger Entfernung von dem Sopha Platz, jede Miene, jede Bewegung des Vaters scharf beobachtend.

Der General fühlte sich sehr unbehaglich unter diesem forschenden Blick, dessen Meinung er allerdings zu ahnen weit entfernt war. Er wußte nicht recht, wie er seiner Tochter das Nothwendige mittheilen sollte, ohne die Intimität seines Verhältnisses zu Sara und die Rolle, welche er bereits Silvia in der ganzen Affaire zugedacht hatte, allzu deutlich durchblicken zu lassen, und diese Unsicherheit machte seinen Bericht im Anfang so verworren, daß Josephe in ihrem Verdacht nur noch bestärkt wurde. Je weiter indessen der General in seiner Erzählung kam, umsomehr erkannte Josephe, daß sie sich geirrt hatte, und daß die Aufregung des Vaters in der That durch das Außerordentliche des Falles hinreichend motivirt war.

Und ich kann Dich versichern, Josephe, fuhr der General fort, der Polizeipräsident, Herr von Sturmfeld – der Bruder, weißt Du, von dem andern, der Deiner Cousine Emma so den Hof macht – hatte in den paar Tagen schon herausgefunden, daß es mit dem Manne etwas Besonderes sei. Ich hatte keine besonderen Instructionen, sagte er, aber es war mir nicht möglich, den Herrn wie das übrige Literatengesindel zu behandeln, das von Zeit zu Zeit meiner Obhut anvertraut wird. Ich habe ihm für seine Freistunden meinen Garten zur Promenade angeboten. Er hat es freilich nicht angenommen, ebenso wenig wie die andere Offerte, etwaige Besuche hier in meinem Zimmer zu empfangen, aber ich bin nun doppelt froh, Beides gethan zu haben. Ich hatte Mühe, Sturmfeld's neugierige Frage abzuschneiden. Eine Minute später trat der Doctor, von Sturmfeld, der sich sogleich wieder entfernte, geführt, in das Directorialzimmer. Was soll ich Dir noch lange schildern, wie mir der Mann entgegentrat, so ruhig, so sicher, so selbstbewußt, als ob er bereits ahnte, weswegen ich gekommen war. Ja, er sagte geradezu, daß ihn meine Botschaft keineswegs überrasche. Aber Sie werden noch heute Abend Sr. Majestät vorgestellt werden! Warum nicht, erwiederte er, ich habe diesem Augenblick lange entgegengesehen, ich bedarf dazu keiner Vorbereitung.

Du kannst Dir denken, Josephe, daß meine Versicherung, die Verantwortung auf mich zu nehmen, jede Formalität überflüssig machte. Nachdem ich Sturmfeld noch einmal bis auf weiteres die strengste Discretion befohlen hatte, stieg ich mit dem Doctor in meinen Wagen, der während der ganzen Zeit vor Sturmfeld's Dienstwohnung gehalten hatte, und brachte ihn in Schreiber's Hotel, wo ich zwei Stunden in der merkwürdigsten Unterhaltung mit ihm zugebracht habe, bis seine Koffer – durch Sturmfeld's Vermittelung – ankamen. Zuletzt – und zur glücklichen Stunde – fiel mir ein, ihn zu fragen, ob er, im Falle er nicht hinreichend mit Geld versehen sei, mir die Ehre erweisen wollte, ihm bei meinem Bankier einen Credit eröffnen zu dürfen. Er acceptirte das lächelnd; ich verabschiedete mich, fuhr zu Nathanson und besorgte die Sache. Jetzt ist vorläufig Alles von mir gethan, was in meinen Kräften stand; nun kommt die Reihe an Dich, meine liebe Josephe. In einer halben Stunde wird der Doctor eintreffen. Du wirst ihn unterhalten, bis der König kommt. Ich empfange den König im Salon, während der Doctor bei Dir bleibt. Wenn dann der König ihn zu sehen wünscht, hole ich ihn von Dir. Das Andere wird der Augenblick lehren. Nun aber geh', mein Kind, und zieh' Dich einfach, aber recht geschmackvoll an; die Leute dürfen nicht ahnen, daß hier eine Verabredung zu Grunde liegt; es muß sich eben Alles von selbst zu machen scheinen. Ich kann also auf Dich als auf eine gute, kluge Tochter rechnen?

Josephe versprach den Wünschen des Vaters möglichst nachkommen zu wollen und ging, einige nothwendig gewordene Befehle zu ertheilen und Toilette zu machen. Die fieberhafte Aufregung des Vaters hatte selbst sie aus ihrer kühlen Ruhe gebracht. Sie hatte ihn noch nie, auch nur annähernd, mit solchem Respect von irgend einem Menschen sprechen hören; und gesetzt auch, es verhielt sich Alles nicht genau so, wie er sagte, etwas mußte doch daran sein! Die einfache Thatsache, daß der König sich zu einem so ungewöhnlichen Schritte verstehen konnte, bewies es ja. Das war allerdings ein entschiedener Erfolg! Die Bewunderung, die der Mann in dem Sonnenstein'schen Kreise erregt hatte, war am Ende sehr gleichgiltig gewesen. Wen und was bewunderten solche Menschen nicht? Auf die Anerkennung, die ihm von Seiten des Freiherrn zu Theil geworden, hatte man auch nichts geben können, man hatte das für eine der beklagenswerthen Extravaganzen halten müssen, ohne die man sich ja den Onkel nicht denken konnte; aber jetzt erschien freilich das Alles in einem anderen Licht. Es mußte doch eine Macht in diesem Menschen sein, obgleich es allerdings räthselhaft war, worin denn nun die Macht so recht eigentlich bestand.

Josephe sann über dieses Räthsel nach, während sie nach Beendigung ihrer Toilette vor dem Spiegel ihr schönes Gesicht nachdenklich betrachtete. Wie oft hatte sie so gesessen, nachdem sie für diesen oder jenen Zweck Toilette gemacht hatte: Gesellschafts-Toilette, Ball-Toilette, Theater-, Concert-Toilette. Sie war immer sehr schön gewesen, und man hatte sie immer sehr schön gefunden; hundertmal hatte sie geglaubt, am Ziele ihrer Wünsche angekommen zu sein, und – es war immer noch dasselbe. Diese blonde, insipide Person, die weiter nichts hatte, als ihre weiche Stimme und ihre sanften, blauen Augen, mit denen sie alle Welt anlächelte, war aus einem obscuren Land-Edelfräulein Gräfin Schlieffenbach geworden und hatte das fürstliche Vermögen eines Gemahls, der sie anbetete, zu ihrer Verfügung; und sie, die tausendmal schöner war, der tausendmal gesagt war, daß keine der glänzendsten Partien für sie zu glänzend sei, die, als sie vor acht Jahren zum erstenmale auf dem Hofballe erschien, ein so beispielloses Furore machte, in deren Leben seitdem Triumph sich an Triumph gereiht hatte – sie war noch immer, was sie gewesen war.

Und nicht einmal das mehr. Sie hatte es während des verflossenen Winters empfunden. Es waren zum erstenmale Lücken auf ihren Ballkarten gewesen, die häufig nicht ohne Mühe, und manchmal gar nicht ausgefüllt worden waren. Als ihr eifrigster Bewunderer in der letzten Saison hatte sich der junge Graf von der Hasseburg gezeigt. Sie hatte sehr unter dieser jugendlichen Bewunderung gelitten. Hatte doch die alte bissige Baronesse Barton die Frechheit gehabt, ihr noch in der letzten Soirée bei dem spanischen Gesandten zuzuflüstern: Alles sehr schön, meine Liebe; aber einen Fähnrich kann man doch nicht heirathen, auch wenn er Majoratsherr ist. Warten Sie doch wenigstens, bis er seine Epauletten hat!

Josephe strich sich eine kleine Falte weg, die sich während dieser peinlichen Reminiscenzen über ihrer linken Augenbraue gebildet hatte.

Und weshalb saß sie nun heute hier? Für wen war sie heute schön? Für einen Mann, der doch, Alles in Allem, nichts Besseres als ein Abenteurer war, eines verkommenen Häuslers Sohn, so viel sie wußte, der sich durch Gott weiß welche Mittel dem Könige interessant zu machen verstanden hatte. Wenn sich der Vater nun doch in der seltsamsten Verblendung befände? Wenn doch Alles nur auf einen augenblicklichen Einfall, auf eine wunderliche Laune des Königs hinauslief? Wenn er den Menschen so schnell fallen ließ, als er ihn aufgenommen? Und die Rolle, die der Vater, die sie selbst in dieser seltsamen Geschichte spielte, ausgeplaudert würde? Und sie den Schaden und den Spott zu tragen hätte und sich compromittirte, wie ihre alberne Cousine Amélie sich durch ihre Neigung für den Walter, der ja noch überdies ein Vetter dieses Menschen war, bereits in den Augen aller Verständigen compromittirt hatte!

Josephe zog die Augenbrauen in die Höhe. Ich muß für den Vater mit vorsichtig sein, dachte sie, er kann von mir nicht verlangen, daß ich mich für eine Laune des Königs compromittire.

Excellenz läßt das gnädige Fräulein bitten, in den kleinen Salon zu kommen, sagte das Kammermädchen, den Kopf zur Thür hineinsteckend.

Ist Jemand da? fragte Josephe. Du siehst, ich habe mich schon umgekleidet.

Ach, es ist nur ein Doctor, gnädiges Fräulein; ich weiß nicht, wie er heißt. Er war neulich schon einmal bei Excellenz.

Es ist gut, ich werde kommen.

Es ist nur ein Doctor, sagte Josephe, während sie langsam die Treppe hinabschritt.


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