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Sechsundvierzigstes Capitel.

Der König hatte heute Morgen, gleich nachdem der Prinz ihn verlassen, an Leo geschrieben und ihn gebeten, binnen einer Stunde zu ihm zu kommen, da er ihn noch vor dem um zwei Uhr anberaumten Ministerconseil nothwendig sprechen müsse. Zugleich hatte er Leo den Inhalt der eingetroffenen Depeschen mitgetheilt.

Das Billet hatte einen unangenehmen Eindruck auf Leo gemacht. Fassungslosigkeit und Verwirrung hatten aus jeder Wendung, ja selbst aus jedem Zuge der fast unleserlichen Handschrift hervorgeblickt. Das war nicht die Schreibweise eines Mannes, der zu einer großen That gerüstet ist!

Indessen hatte er nicht Zeit gehabt, über das Alles reiflicher nachzudenken. Seine persönlichen Angelegenheiten, die so eng mit den allgemeinen verknüpft waren, forderten gebieterisch seine Aufmerksamkeit. Das Geld für die Tuchheimer Fabrik mußte schleunigst herbeigeschafft werden. Er fuhr zu dem Advocaten Hellfeld, demselben, mit dem er auch schon früher Geldgeschäfte gemacht hatte und der, als ein reicher und in seinen Geldmanipulationen wenig scrupulöser Mann, der Geeignetste schien, ein größeres Geschäft schnell abzuschließen, wenn auch mit einigen Mehrkosten für den Geschäftsfreund.

Gegen sein Erwarten machte Herr Hellfeld Schwierigkeiten. Nichts würde ihm ja größere Freude machen, als einem so lieben Freunde einen Dienst zu leisten, aber die Zeiten seien schlecht, das Geld knapp, er selbst nach anderen Seiten in Anspruch genommen. Natürlich sei er gern erbötig, Leo das Geschäft zu vermitteln, doch werde es schwer halten, in kurzer Zeit eine so bedeutende Summe herbeizuschaffen. Man werde jetzt vor dem wahrscheinlichen Ausbruch eines großen Krieges wenig geneigt sein, sein Geld in Hypotheken anzulegen; ob denn auch Leo's Rechtstitel unanfechtbar seien? Leo glaubte in dieser letzten Frage den Schlüssel zu Herrn Hellfeld's Benehmen zu finden. Herr Hellfeld traute der Sicherheit seines Verhältnisses zum Könige nicht: es schien sogar, als ob dem Manne der Umstand, daß Leo sich in diesem Augenblick so viel baares Geld auf einmal zu verschaffen suchte, verdächtig war. Leo mußte seinen Zorn hinunterschlucken. Es falle ihm eben ein anderer Ausweg ein, auf dem er schnell und sicher zu seinem Ziele zu gelangen hoffen dürfe; er bedauere, Herrn Hellfeld vergeblich bemüht zu haben.

Es war Leo kein anderer Ausweg eingefallen; er wollte nur noch in aller Eile über den Stand des Geldmarktes Erkundigungen einziehen und fuhr deshalb bei Sonnenstein vor. Von dem Kammerdiener, der in der Thüre stand, erfuhr er, daß die Familie zurück sei, und nun erst kam ihm der Gedanke, sich direkt an den Bankier zu wenden, auf dessen Dankbarkeit er durch seine Bemühungen um Alfred die entschiedensten Ansprüche zu haben glaubte.

Aber auch hier war es durch die Weigerung des Bankiers, ihn zu empfangen, und durch Emma's Dazwischenkunft bei dem Versuch geblieben; er hatte keine Minute zu verlieren, wenn er zur festgesetzten Zeit bei dem Könige sein wollte.

Es war das erstemal, daß der König seinen Günstling zu dieser Geschäfts- und Arbeitsstunde in seinem Cabinete empfing, und ein sonderbares Gefühl überkam Leo, als er die Flucht der hohen und schönen Vorzimmer durchschritt. Hier und da in den Fensternischen, an den Kaminen, auch mitten in den Zimmern standen kleine Gruppen von Herren, welche bei seinem Eintritt die leise geführte Unterhaltung abbrachen und neugierig fragende Blicke auf ihn richteten. Nur wenige erwiederten die Verbeugung, mit welcher Leo an ihnen vorüberschritt, in höflicher Weise; die meisten begnügten sich mit einer abgemessenen Neigung des Hauptes, noch andere schienen ihn nicht zu sehen. Leo konnte sich sagen und sagte sich, daß diese Männer sich nur in das Unvermeidliche fügen, jede Gelegenheit, ihm zu schaden, mit Freuden ergreifen und den Gefallenen mitleidslos in den Staub treten würden. Der glatte Boden der Zimmer, in welchem sich die vergoldeten Prunkmöbel spiegelten, war ein Sinnbild des Bodens, auf dem er sich hier bewegte. Aber ich werde nicht fallen, sagte er bei sich, und ihr sollt noch lernen, eure trotzigen Nacken vor mir zu beugen.

Der König saß in einem großen Armstuhl und streckte dem Eintretenden mit mattem Lächeln die Hand entgegen. Ich habe den Staatsmann rufen lassen, sagte er, nun ist es gut, daß der Doctor gekommen ist. Fühlen Sie meinen Puls, Doctor! Bin ich nicht ein Mann, den man um Gottes willen in Ruhe lassen sollte? Und dabei krächzen sie mir schon seit drei Stunden unaufhörlich die Ohren voll, und ich glaube, im Vorzimmer ist noch eine ganze Menagerie. Könige müssen von Guttapercha, Schmiedeeisen und Eichenholz construirt sein; Menschen von Fleisch und Blut und Nerven taugen nicht zu diesem Metier.

Leo hielt noch die Hand des Königs umfaßt; der Puls war hart und langsam; nichtsdestoweniger waren die Adern an seiner hohen Stirn geschwollen; in seinen blauen Augen brannte ein unstetes Feuer, das jetzt zu verlöschen schien, um im nächsten Moment unheimlich hell aufzuflackern.

Leo ließ die fieberheiße Hand aus der seinen gleiten. Majestät können heute Morgen außer mir Niemanden mehr empfangen, und es fragt sich, ob Sie nicht besser thun, auch mich fortzuschicken.

Die Anderen kann ich also auf jeden Fall fortschicken? fragte der König, sich mit halbgeschlossenen Augen in seinen Stuhl zurücklehnend.

Ich bitte dringend darum, sagte Leo.

Dann haben Sie die Güte, die Glocke zu ziehen.

Der Oberkämmerer trat ein; der König rief ihm entgegen: Ich soll heute Morgen Niemanden mehr sehen. Sagen Sie es dem Kammerherrn von Birkach, daß er sie fortschickt. Ich will Niemanden sehen, Niemand! verstanden?

Um Leo's Lippen zuckte ein blitzschnelles Lächeln. Er sah die erstaunten, ärgerlich-zornigen Gesichter; er sah sie sich zur Thür hinausbewegen, in stummem Ingrimm, oder mit Verwünschungen, die sie doch nur dem Nachbar leise in's Ohr flüstern durften.

Nun zu Ihnen, mein Lieber, sagte der König. Wissen Sie, daß ich mit Ihnen recht unzufrieden bin? Sie hätten mir nicht zu der Reise rathen sollen! Was habe ich über diese unglückliche Reise schon Alles hören müssen, seit ich zurück bin! Noch heute wieder vom Prinzen; mich wundert nur, daß sie mir nicht ganz einfach den Kopf vor die Füße legen. Jetzt bringen Sie mir die Schreier wieder zur Ruhe!

Was wagt man Ihnen vorzuwerfen, Majestät?

Mein Gott, ich bin eben das Karnickel, das an Allem Schuld ist. Ich hätte es nie so weit kommen lassen dürfen; oder, nachdem es einmal zum Kriege gekommen war, mich sofort einmischen sollen. Jetzt, nachdem unsere lieben Freunde Schläge bekommen haben, ist nun vollends der Kukuk los. Nun bin ich ein Verräther an Allem, was heilig ist, wenn ich nicht binnen vierundzwanzig Stunden den Ritter spiele, der zum blutigen Kampf hinauszieht.

Und was haben Majestät beschlossen?

Sie fragen auch, als ob über dergleichen zu beschließen Butterbrodessen wäre. Beschließen! Ich wollte nur, Sie hätten auch die Verantwortung zu tragen, mein lieber Herr von Gutmann, da würde Ihnen doch ein wenig anders zu Muthe sein. Aber so freilich ist weit davon ungeheuer gut vor dem Schuß.

Der König suchte sich bei diesen Worten die Miene überlegener Weisheit zu geben, doch vermied er es, Leo anzublicken, und als er jetzt in ärgerlichem Tone sagte: Ja, mein Gott, nun stehen Sie da, wie die Stumme von Portici! Sprechen Sie, reden Sie! was soll ich thun?

Gar nichts, Majestät, oder – Alles.

Nur keine Orakelsprüche, mein Lieber, und keine geistreichen Zweideutigkeiten; dazu ist heute keine Zeit.

Ich wollte nur kurz sein, Majestät, nicht dunkel. In der That giebt es außer den Beiden kein Drittes; denn das Dritte wäre eben der Krieg, wie ihn der Prinz und seine Partei will, und ich finde es sehr begreiflich, daß Majestät davon nichts wissen wollen.

Gewiß will ich nichts davon wissen, rief der König, das fehlte mir noch! Ich habe schon genug von dem Säbelgerassel gehabt; wenn nun gar die Plempe erst gezogen ist, wird es nicht mehr zum Aushalten sein. Den Prinzen an der Spitze des Heeres, damit ich hernach mein Lebenlang hören werde, wie er auslag und seine Klinge führte! Nein, nein! So ein Krieg zum Besten meines Herrn Vetters und seiner Cavallerieofficiere – dafür danke ich.

Die Stirn des Königs hatte sich bei den letzten Worten mit einer lebhaften Röthe bedeckt; seine helle Stimme hatte einen kreischenden Ton angenommen; nie hatte er Leo den Haß, mit welchem er den Prinzen haßte, so deutlich gezeigt. Leo glaubte schon seines Erfolges sicher zu sein. Er sagte schnell:

Ich kann Eurer Majestät nicht widersprechen; im Gegentheil, ich sehe in einem solchen Krieg die allerernstesten Gefahren für Eure Majestät. Der zurückkehrende Sieger würde den Platz neben dem Throne, der ihm jetzt kaum noch genügt, viel zu niedrig finden; der Uebermuth der Officiere würde keine Grenzen mehr kennen; ich wüßte nichts, was von diesem Uebermuthe nicht zu befürchten wäre.

Sie meinen, man würde mich zwingen wollen, abzudanken? Was?

In der Miene des Königs lag jetzt so viel Angst als Haß. Leo zuckte die Achseln. Ich weiß nur, sagte er, und ich weiß es nicht allein, daß in der Armee seit längerer Zeit hochverrätherische Reden geführt werden, die straflos bleiben, weil sich kein Kläger und kein Richter findet. Aber bedenken Majestät doch nur den anderen Fall, der mir sehr viel wahrscheinlicher däucht, den Fall, daß die Armee nicht siegreich ist, daß die Zeitungen von verlorenen Gefechten, von übergebenen Festungen, von übereilten Rückzügen, von Niederlagen zu melden haben.

Ja wohl, rief der König, das ist sehr viel wahrscheinlicher. Ich glaube nicht an das kriegerische Genie meines Vetters; er wird in der Branche gerade so wenig leisten, wie in jeder anderen. O, ich wollte ihm die Schläge von Herzen gönnen, ihm und seinen Rittern! Dann könnte die Reitkunst, mit der die Herren so viel prahlen, doch einmal zu Ehren kommen.

Der König lachte, aber das Lachen klang sehr hohl; auch nahm sein Gesicht alsbald wieder den ernsthaft ängstlichen Ausdruck an; er stützte die Stirn in die Hand und murmelte: Ja, und dabei könnte man leicht aus dem Regen in die Traufe kommen. Die Nachricht von einer Niederlage würde mir Krethi und Plethi auf den Hals ziehen. Sie würden hier wieder um das Schloß herum stehen in unabsehbaren schwarzen Massen, gerade wie –

Der König stöhnte und warf sich wie ein Fieberkranker in seinem Stuhl herum.

Und her kriegt man sie wohl, aber wieder von hier weg! das ist es. Das würde viel Mühe und Kopfzerbrechen kosten, und am Ende gingen sie nicht einmal gutwillig.

Ich glaube schwerlich, Majestät.

Sie glauben, Sie gingen nicht? Ich müßte sie mit blutigen Köpfen wegschicken? Wollen Sie das sagen?

Ich bin davon überzeugt, wie von meinem Leben. Die Völker sind jetzt so gesinnt, daß sie ein großes Unglück ihrem Herrscher nimmer vergeben würden. Der Herrscher, der jetzt das Schwert zieht, setzt Alles auf das Spiel; er ist dem Salut public noch ganz anders verantwortlich, als in früheren Zeiten, und ein Wohlfahrts-Ausschuß würde sich sehr leicht constituiren.

Und das wagen Sie mir zu sagen, mir? rief der König mit bleichen Lippen; Herr, vergessen Sie nicht, daß Sie zu Ihrem Könige sprechen, vergessen Sie das nicht!

Warum hätten Majestät mich aus dem Kerker befreit und mich mit mächtiger Hand weggehoben über so viele hohle Köpfe, wenn Majestät doch von mir nichts Anderes hören wollten, als was Sie aus dem Munde jedes beliebigen Schmeichlers so viel einfacher hören könnten?

So sind Sie also für den Frieden? sagte der König, indem er sich sichtlich Mühe gab, Leo in seiner sicheren, leidenschaftslosen Sprache zu copiren; aber der Friede ist kaum noch zu erhalten, und hernach machen sie mir dann wieder meine Friedensliebe zum Vorwurf; ich kann's ihnen ja nun einmal beim besten Willen nicht recht machen. Der poetische König! natürlich! Man theilt die Erde; er hat keine Zeit, dabei zu sein!

Und das wäre noch das Geringste, Majestät; aber es ist meine feste Ueberzeugung, daß Sie dem Kriege doch nicht entgehen würden. Der im Stiche gelassene Bundesgenosse würde mit seinem Gegner Frieden machen, aber nur, um seine gerüsteten Heere augenblicklich über unsere Grenzen zu ergießen, um sich in Deutschland wieder zu erobern, was er an anderen Orten verloren.

Nun, wenn es also doch einmal geschlagen sein soll, weshalb denn nicht mit dem Bundesfreund gegen den Erbfeind? Dann müssen wir eben die vorhin besprochenen Chancen auf uns nehmen.

Keineswegs, Majestät, muß geschlagen sein! Es giebt eine Möglichkeit, den Frieden zu erhalten.

Welche? rief der König eifrig.

Die, daß Sie selbst Frieden machen mit Ihrem Volke.

Leo's Blick ruhte mit unverrückbarer Festigkeit auf dem Gesichte des Königs; der König fühlte den Blick, obgleich er den ihm Gegenübersitzenden nicht ansah; er warf sich noch unruhiger und ungeduldiger in seinem Stuhle hin und her, schüttelte heftig mit dem Kopfe und rief: Ja, aber wie kann man unmittelbar vor dem Ausbruch eines Krieges reformiren! und dann, das würde uns gar nichts helfen: anstatt mit Einem Feinde, würden wir es mit beiden zu thun bekommen, ja, was sage ich: mit ganz Europa!

Leo's Augen glühten, seine Brust hob und senkte sich; mit aller Macht rang er nach Ruhe und Gelassenheit, dem Schwimmer gleich, der sieht und fühlt, daß ihn die Strömung fortreißen muß, wenn seine Kraft oder seine Besonnenheit ihn auch nur für einen Moment verlassen. Er sagte so einfach, als handelte es sich um einen mathematischen Lehrsatz:

Und wäre es mit ganz Europa, Majestät! Ein Volk, das für seine höchsten Güter kämpft, braucht ganz Europa, braucht eine Welt in Waffen nicht zu fürchten. Die Reformen, die man nach einem Kriege zu machen gedenkt, sind wie die guten Vorsätze, mit denen der Weg zur Hölle gepflastert ist; es ist derselbe Weg, auf dem Ihre Vorfahren, Majestät, Sie bis hierher gebracht haben, wo Sie mit fieberheißer Stirn, mit einer Sorge, die Sie verzehren wird, auf Rettung sinnen und keine finden, keine, als nur die Eine: Aufhebung der Sclaverei, das heißt: Vernichtung des Proletariats in dem freien Staate der Zukunft, die durch Ihr schöpferisches Wort sich im Nu zur Gegenwart verwandeln wird. Majestät, ich will Sie nicht mit der Wiederholung von Plänen ermüden, die Sie mit mir bis in die kleinste Einzelheit durchzusprechen schon oft die Gnade hatten. Nur noch dies Eine möchte ich zu bedenken geben: Sie werden es keineswegs mit ganz Europa verderben, keineswegs ganz Europa gegen sich haben. Wenn die Interessen der Dynastien solidarisch sind, die Interessen der Völker sind es nicht minder. Mit dem Hammer, mit dem Luther seine Thesen an die Schloßkirche von Wittenberg schlug, sprengte er die Thüren sämmtlicher protestantischer Kirchen auf dem Erdenrund. Sprechen Sie das Wort, auf das die Menschheit harrt, das Wort der Erlösung – und Sie haben nicht blos Deutschland, Sie haben die Welt befreit; Evoë Bacche! wird Ihren Wagen umschallen, wohin Sie lenken; Sie würden göttlicher Ehren genießen, und mit ganz anderem Rechte, als Jupiter's Sohn.

Ich fürchte, der weinlaubumkränzte Thyrsusstab würde sich sehr bald in einen Freiheitsbaum mit der Jacobinermütze verwandeln, sagte der König, um dessen Lippen ein ödes Lächeln irrte.

Man darf den Tag nicht in der Nacht vom Thurme rufen. Wir haben seitdem eine Morgendämmerung von siebzig Jahren gehabt. In der Welt ist es heller geworden, Majestät.

Es ist noch nicht Zeit.

Jetzt oder nie.

Dann ist es nie Zeit.

Die großen Menschen sind die Zeit, Majestät! Peter und Paul lebten zur Zeit Karl's des Großen, nicht Karl der Große zu den Zeiten des Peter oder des Paul.

Karl der Große hatte seine Paladine; soll ich mit Hey und Messenbach die Sachsen und die Mohren schlagen?

Vielleicht, daß sich noch ein Roland findet.

Der Sie sein möchten?

Der ich zu sein versuchen würde.

Sie haben nichts zu verlieren.

Außer dem Ruhm bei Mit- und Nachwelt, den der Dichter das höchste aller Erdengüter nennt.

Den Kopf vornübergeneigt, die Arme über die Brust gekreuzt, schien der König in tiefes Nachdenken versunken. Durch Leo's Körper flog von Zeit zu Zeit ein Zittern; sein Athem ging kurz und hart, seine Nasenflügel zuckten.

Es wäre etwas Ungeheures, unaussprechlich Erhabenes, sagte der König leise.

Wagen Sie es! rief Leo, wagen Sie es. Ein Schritt und Sie sind über den Rubikon!

Wenn ich gesund wäre! Ein kranker Mensch ist nur ein halber Mensch.

Sie sind nicht krank, Majestät, und was krank an Ihnen ist, wird der eine große Entschluß heilen. Von dem Augenblick an wird Ihr Leben ein gefeites sein. Ich verbürge mich dafür.

Um diese Stunde muß der Ministerconseil schon zusammengetreten sein.

Schicken Sie sie nach Hause.

Es ist zu spät.

So sagen Sie ihnen, wenn sie kommen: Das ist Eure Weisheit; ich habe Anderes im Sinne.

Der König sprang auf und rief: Nun gut, Sie sollen von mir hören. Aber, aber: wehe Ihnen, wenn ich Sie nun doch schwach finde, wenn Sie mich verlassen in der Stunde der Gefahr!

So komme mein Blut über mich!

Und Sie glauben, ein Ministerium bilden zu können?

Ich harre Ihres Befehles.

Verlassen Sie mich jetzt. Ich muß allein sein – allein mit mir – und meinem Gott.

Leo verbeugte sich: der König reichte ihm die Hand und erhob sich zu gleicher Zeit aus seinem Fauteuil.

Es wird eine schwere Zeit für uns kommen, mein Freund. Sie werden wohl noch manchmal Geduld mit mir haben müssen; aber vertrauen Sie mir. Sie hatten mir versprochen, eine schriftliche Elaboration über unsere Lage zu machen.

Hier ist sie, Majestät.

Haben Sie besten Dank!

Er hielt das Papier in die Höhe: Das soll mir Freund und Hilfe sein in der Einsamkeit, wenn ich mit meinem Gott ringe. Drei Tage soll meine Prüfungszeit dauern; drei Tage – eine heilige Zahl.

Des Königs Auge blickte schwärmerisch nach oben; Leo wagte nicht zu widersprechen; er hatte von Anfang an mit dem romantischen Mysticismus des Königs rechnen müssen.

Ich werde Niemand sehen. Niemand, sagte der König; ich werde also auch morgen nicht zu Ihrem Schwiegervater kommen. Sagen Sie ihm das. Und wenn ich eine Stimme hören könnte, so müßte es eines Engels Stimme sein. Sie wissen, wen ich meine – leben Sie wohl!

Der König drückte Leo die Hand und schaute ihn mit thränenden Augen an. Plötzlich schlang er die Arme um seinen Hals, warf sich an seine Brust und schluchzte laut: Gehen Sie, gehen Sie!

Leo suchte noch einmal in die Augen des Königs zu blicken, aber der König schaute an ihm vorüber in die Höhe; so verbeugte er sich denn noch einmal und verließ das Gemach.

Der König hörte alsbald auf zu weinen. Seine Augen hefteten sich auf die Thür, durch die Leo hinausgegangen war. Du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas! murmelte er mit dem öden Lächeln, das schon ein paarmal während der Unterredung um seine bleichen Lippen gespielt hatte.

Er warf sich wieder in seinen Sessel. Ich müßte dann freilich auch das schöne Mädchen aufgeben; sie war gestern schöner als je, obgleich sie so blaß war. Sie ist unglücklich, unglücklich durch ihn. Wer sie wieder glücklich machen könnte!

Des Königs Stirn bedeckte sich mit einer fliegenden Röthe. Er blickte so starr vor sich nieder, daß seine Augen weit aus den Höhlen traten; seine Züge verzerrten sich schmerzlich. Dann fuhr er plötzlich zusammen, schlug, außer sich, mit beiden Fäusten auf die Lehne des Stuhles und sprang auf:

Dorothea will sie sehen, sie will wissen, was daran ist. Sie denkt noch immer, daß es einer anderen wegen ist, daß ich sie vernachlässige. Und nun noch dies! Es ist unmöglich, unmöglich.

Er drückte heftig auf die Glocke.

Wenn der Minister von Hey kommt, führen Sie ihn, sogleich herein. Sogleich! Hören Sie!


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