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Elftes Capitel.

Zu derselben Stunde, als der General beim Könige war, hatte in dem Cabinet des Herrn von Sonnenstein eine Conferenz zwischen diesem, seinem Neffen Henri und dem Advocaten Hellfeld stattgefunden. Es war in dieser Conferenz zu lebhaften Auseinandersetzungen gekommen, man hatte einander harte Dinge gesagt, schließlich aber war doch, vorzüglich durch des Bankiers Bemühungen, etwas, das als Verständigung gelten konnte, herbeigeführt worden. Herr Hellfeld hatte mit lächelnder Miene dem Onkel und Neffen die Hand gereicht und die Beiden allein gelassen.

Er kann lachen, sagte Henri grollend, als sich die Thür kaum hinter Herrn Hellfeld geschlossen hatte. Und dabei hat sich der Hallunke stets so zu stellen gewußt, daß ihm mit einem Proceß gar nicht beizukommen ist.

Ja, bei Gott, Henri, das ist es ja eben! erwiederte der Bankier; glaubst Du, ich sehe nicht eben so klar wie Du, daß er Deinen Vater zu seinen verrückten Speculationen verlockt hat, um ihn fester und fester in der Hand zu haben? Und übrigens kommt es noch sehr darauf an, ob er seine letzten Fünfundzwanzigtausend trotz seiner Wechsel wiederkriegt; soweit ich jetzt sehen kann, bleibt ein Deficit von mindestens Fünfzigtausend.

Der Bankier zündete sich eine Cigarre an; Henri schien durch die letzten Worte des Bankiers keineswegs milder gestimmt.

Du kannst auch lachen, sagte er; Du hast Deine sichere erste Hypothek und kommst im schlimmsten Falle mit einem blauen Auge davon; Tante Charlotte hat ihr Vermögen, das sie bei Heller und Pfennig Amélie vermachen wird, die – dann nichts Eiligeres zu thun hat, als den Burschen, den Walter, zu heirathen.

Der junge Mann knirschte mit den Zähnen. Ich könnte mir die Haare ausraufen, wenn –

Wenn es was hülfe, unterbrach ihn der Bankier; sei vernünftig, Henri! Du weißt, daß ich, trotzdem mir wahrhaftig die Verbindung mit Deiner Familie nicht viel Segen gebracht hat, noch jeden Augenblick bereit bin, für Dich zu thun, was ich kann.

Du kannst aber nichts thun! rief Henri; was habe ich von Deinem guten Willen? Uebrigens, Onkel, muß ich Dir sagen, daß in diesem Augenblicke die Segenlosigkeit Deiner Verbindung mit unserer Familie hervorzuheben zum mindesten wenig schonungsvoll ist; ganz abgesehen davon, daß der Name einer Familie, wie die meine, denn doch ein Kapital repräsentirt, das Dir, soviel ich weiß, ganz anständige Zinsen abgeworfen hat.

Der Bankier legte die kaum angezündete Cigarre weg und sagte: Aber mein Gott, Henri, Du bist auch seit einiger Zeit von einer erschrecklichen Reizbarkeit. Ich dächte, Du wüßtest, wie viel ich auf Dich halte; ich kann Dir doch wahrhaftig keine bessere Sicherheit dafür bieten, als wenn ich Dir wiederhole, daß ich es als eine Ehre und einen Gewinn betrachte, einem Manne mit Deinem Namen und Deinen Aussichten, auch wenn er keinen Pfennig im Vermögen hat, meine Tochter zur Frau zu geben.

So mache auch, daß Emma mich will, entgegnete Henri kurz.

Sie wird wollen, sagte der Bankier, aber Du mußt Geduld mit dem Mädchen haben. Der Mensch, der Doctor, hat ihr doch mehr im Sinn gelegen, als wir Beide dachten. Seit gestern Morgen ist sie wie toll, aber so etwas geht vorüber. Die Hauptsache ist, daß des Menschen Angelegenheiten, eine Zeitlang wenigstens, noch möglichst schlecht bleiben. Jammer und Schade, daß wir ihn nicht fassen konnten; ein Wechselarrest ist sicherer als so eine politische Gefangenschaft, aus der Ihr ihn doch wohl werdet herauslassen müssen, besonders, wenn sich, wie Du sagst, nichts Gravirendes unter seinen Papieren vorgefunden hat.

Er soll so bald nicht loskommen, sagte Henri; dafür laß mich nur sorgen.

Se. Excellenz der Herr General-Lieutenant von Tuchheim, meldete der Bediente.

Der Bankier blickte seinen Neffen fragend an.

Meinetwegen, sagte Henri.

Der Bankier nickte dem Bedienten zu.

Was kann er wollen?

Henri zuckte mit den Schultern.

Der General trat herein. Sein immer blasses und ernstes Gesicht war noch blasser und ernster als gewöhnlich. Er begrüßte die Beiden mit einer gewissen Zurückhaltung.

Ich bin sehr erfreut, die Herren beisammen zu treffen, sagte er; meine Zeit ist sehr kurz gemessen, verzeihen Sie daher, wenn ich mich in dem, was ich Ihnen mitzutheilen habe, ebenfalls sehr kurz fasse. Ich komme soeben von Sr. Majestät, der mich heute früh zu sich befohlen und mir eine längere Unterredung zu gewähren die Gnade hatte. Se. Majestät drückte mir in den huldreichsten Worten sein Beileid bei dem schweren Verluste, der uns betroffen hat, aus und befahl mir, von dieser seiner gnädigen Gesinnung den übrigen Gliedern der Familie Mittheilung zu machen.

Der General verneigte sich gegen den Bankier und sagte dann, sich zu Henri wendend: Für Dich, mein lieber Neffe, hat mich Se. Majestät noch mit einem speciellen Auftrag beehrt, dessen privater Character indessen eine Mittheilung unter vier Augen erfordert. Ich hatte die Absicht, mich von hier direct zu Dir zu begeben, und fürchtete schon, Dich zu verfehlen, da ich vermuthete, daß Du möglicherweise den Mittagszug benutzen würdest, um noch heute in Tuchheim zu sein, wenn die Bestattung meines unglücklichen Bruders, Deines Vaters, auch erst morgen früh, wie man mir schreibt, stattfinden soll.

Ich habe mich auf den Abendzug eingerichtet, fuhr der General, als Henri schwieg, fort, wenn ein heftiges Unwohlsein, unter dem ich leide, mir nicht die Erfüllung einer so theuren und zugleich so schmerzlichen Pflicht unmöglich macht. Ich würde deshalb unter allen Umständen vorziehen, mich des Auftrages Sr. Majestät möglichst bald zu entledigen, und möchte Dich daher ersuchen –

Aber meine Herren, sagte der Bankier, wollen Sie mir nicht die Ehre erweisen, sich meines Zimmers zu bedienen? Ich würde um die Erlaubniß bitten, mich in mein Comptoir zurückziehen zu dürfen, wo meine Gegenwart überdies erforderlich ist.

Der Bankier verließ das Zimmer; der General wendete sich zu Henri.

Wird Herr von Sonnenstein nach Tuchheim gehen?

Nein, erwiederte Henri, und ich glaube, wie die Sachen einmal liegen, wird ihm dies Niemand verdenken können.

Ich habe nichts derartiges behauptet, sagte der General, und Du selbst, lieber Neffe?

Ich reise auf keinen Fall, sagte Henri. Die Angelegenheiten des Vaters sind in einer ungeheuren Verwirrung, und wir haben es mit so gewiegten Gegnern zu thun, daß ich keinen Augenblick abkommen kann. Ueberdies kennt Jedermann in Tuchheim das schlechte Verhältnis, in welchem der Vater und ich in den letzten Jahren zu einander gestanden haben; ich habe keine Lust, von meinen guten Freunden im Forsthause den Tuchheimer Pöbel auf mich hetzen zu lassen.

Der General hatte diese Antwort erwartet; er hüstelte in die Hand und sagte:

Wie wenig erfreulich auch die Gründe sein mögen, die Dich verhindern, die sterblichen Reste Deines theuren Vaters, meines Bruders, der Erde übergeben zu helfen, so glaube ich andererseits, daß Dein Fernbleiben von einer Scene, in welcher sich allerdings leicht die öffentliche Trauer stürmisch in den stillen privaten Schmerz mischen könnte, den Intentionen Sr. Majestät, Alles in Allem, am meisten entsprechen wird. Majestät wünscht nämlich – und dies ist der allerhöchste Auftrag, dessen ich mich hiermit entledigt haben will – daß Alles vermieden werde, was dazu beitragen möchte, dem Tod meines armen Bruders, Deines theuren Vaters, eine Tragweite über die Bedeutung eines schmerzlichen Familienereignisses hinaus zu geben. Daß Du selbst, lieber Neffe, zu diesem Behufe allen Gefühlen der Rachsucht, die sich etwa in Deinem Busen regen könnten, entsagen mußt, brauche ich wohl nur anzudeuten.

Um Henri's Lippen schwebte ein böses Lächeln: Ich komme dabei freilich in die Lage, den Ruf der Poltronerie, in welchem ich, wie ich höre, bei den Freunden meines Vaters stehe, um ein Bedeutendes zu vermehren; indessen, ich werde dies Unglück mit dem übrigen zu tragen wissen.

Das wäre es, was ich Dir von Seiten Sr. Majestät zu insinuiren beauftragt war, fuhr der General, als ob er von Henri's letzten Worten keine Silbe verstanden hätte, fort; und jetzt möchte ich mir erlauben, Dir meinerseits eine Mittheilung zu machen, die ich Dir aus verwandtschaftlichen Rücksichten, ich möchte sagen, in Anbetracht der Solidarität verwandtschaftlicher Interessen, schuldig zu sein glaube. Du interessirst Dich sehr für das Schicksal Deines alten Schulfreundes, des Doctor Leo Gutmann – nicht wahr?

Henri's Miene, die bis zu diesem Augenblicke einen gleichgiltig-mürrischen Ausdruck zur Schau getragen hatte, veränderte sich mit einem Schlage. Er warf einen erwartungsvollen, fast ängstlichen Blick auf den General, den dieser sehr wohl bemerkte und mit einem feinen Lächeln der Ueberlegenheit erwiederte.

Du brauchst nicht erstaunt zu sein, lieber Neffe! Jemand, der wie ich durch die Gnade Sr. Majestät sich in einer Stellung befindet, die nach allen Seiten zu blicken erlaubt, sieht natürlich sehr Vieles, was Anderen, weniger günstig Situirten, nothwendig entgeht. Vielleicht daß die Andeutung, die ich Dir zu machen im Begriff bin, in schicklicher Weise vorgebracht, auch für Se. königliche Hoheit nicht ohne alles Interesse ist. Der König, der erst jetzt erfahren hat, daß Doctor Gutmann und der interessante Knabe, den er damals in Tuchheim kennen lernte, identisch sind, hat den lebhaften Wunsch geäußert, die Sache desselben möglichst schnell beendigt zu sehen; ja –

Der General blickte sich vorsichtig um und fuhr mit noch leiserer Stimme fort:

Ja, ich kann Dir noch mehr sagen. Eine hochgestellte Person, die mir innig befreundet ist, hat vom Könige den speciellen Auftrag erhalten, sich des Doctor Gutmann, dessen außerordentliche politische und anderweitige Begabung ihm kein Geheimniß geblieben ist, in jeder Beziehung anzunehmen. Dieselbe Person hat mir unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit anvertraut, daß Majestät befohlen hat, ihm an einem der nächsten Tage den Doctor vorzustellen. Sapienti sat, mein lieber Neffe! Die perfecte Discretion, mit welcher Du meine vertrauliche Mittheilung benutzen wirst, soll mir sagen, ob ich auch in Zukunft Deine ersten Schritte auf der glatten Bahn des Staatsmannes mit dem warnenden Rath des Alters und der Erfahrung begleiten darf. Ich bitte, mich noch einmal dem Herrn von Sonnenstein und seiner liebenswürdigen Tochter, die aufzusuchen es mir leider an Zeit gebricht, zu empfehlen.

Der General reichte seinem Neffen die Spitzen seiner Finger, weidete sich noch einen Augenblick an der Bestürzung; die Henri, so viel Mühe er sich auch gab, nicht ganz verbergen konnte, und ging – sehr zufrieden mit seinem Erfolge und mit der Weise, wie er diese Unterredung geführt hatte. Ich muß nur erst wieder in Gang kommen, dachte er bei sich, während ihm der Jäger auf dem Flur vor dem großen Spiegel den Paletot anhalf; so etwas verlernt sich nicht, wie es sich auch eigentlich nicht lernt; ich fürchte, mein guter Neffe wird es trotz der Protection seines gnädigsten Herrn niemals sehr weit bringen.


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