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Siebentes Capitel.

Sie hatten Tante Sara in das prachtvolle Himmelbett gelegt. Lisette hatte sich entfernt, der Herrin einen Thee zu bereiten, der ihr in diesen Zuständen immer besonders gut that. Silvia saß an dem Bette und lauschte den unregelmäßigen Athemzügen und dem gelegentlichen Stöhnen der Kranken.

Silvia!

Liebe Tante!

Verlaß mich noch nicht, ich habe Dir Manches zu sagen; der König – o, mein Gott!

Quäle Dich nicht, liebe Tante, ich bleibe bei Dir – auf jeden Fall!

Man wird Dich vermissen.

Ich werde ein paar Zeilen schreiben.

Thu' das, mein Kind! Es wird mich so beruhigen – Du findest dort Papier und Tinte – o!

Silvia schrieb an Miß Jones, die um diese Zeit schon in dem Hause des Freiherrn angelangt sein mußte, daß sie sich bei Tante Sara auf dem Schlosse befinde, und, da die Tante plötzlich heftig erkrankt sei, nicht wisse, wann sie zurückkehren könne.

Lisette brachte den Thee. Silvia fühlte eine seltsame Beklommenheit, als sie Lisetten das Briefchen gab, damit dieselbe es von einem Schloßdiener besorgen lasse. Wie sollte Miß Jones in diesen wenigen, ungeschickt gefaßten Zeilen sich zurechtfinden? Was sollte sie, die das Verhältniß zu Tante Sara sehr gut kannte, von dem Allen denken! Aber zu einem andern, ausführlicheren Briefe war keine Zeit, und Silvia mußte sich sagen, daß auch ein solcher Brief in der Sache nichts ändern könne. So setzte sie sich denn wieder an das Bett der Tante.

Es war mittlerweile dunkel geworden. Die Kranke bewegte sich unruhig.

Silvia.

Liebe Tante!

Sind wir allein?

Ja.

Die Sorge um Leo läßt mich nicht in Schlaf kommen, und doch ist Schlaf das einzige Mittel, mich von den furchtbaren Schmerzen zu befreien.

Die Tante sprach so leise, Silvia hatte Mühe, sie zu verstehen.

Wir müssen das Beste hoffen, sagte sie.

Hoffen und harren, mein Kind – Du kennst das Wort. Könige haben ein sehr kurzes Gedächtniß, wenn ihnen die Erinnerung irgendwie unbequem ist, und in diesem Falle thut Eile noth. Ist die Untersuchung gegen Leo schon zu weit vorgeschritten, so kann auch der König nichts mehr thun.

Du wirst morgen wieder wohl sein.

Vielleicht, ich weiß nicht, es kommt mir sehr ungelegen. Wenn der König – heute Abend –

Um Gottes willen, Tante; erwartest Du ihn?

Erwarten? Nein, das heißt, er kann jeden Augenblick kommen; seit fünf Jahren ist kein Tag gewesen, wo ich nicht um diese Stunde bereit war, ihn zu empfangen. Er läßt sich oft wochen-, monatelang nicht sehen, und kommt dann wieder mehrere Abende hintereinander. Er weiß nicht, welche Opfer ich ihm bringe, wie oft ich mich krümme vor Schmerzen oder mich vor Müdigkeit kaum auf meinen alten Beinen halten kann; aber wehe mir, wenn ich ein einziges Mal auf meinem Posten fehlte! Er würde es mir nie vergeben.

Was sollen wir thun?

Ich will versuchen, ob ich aufstehen kann. O, mein Himmel, diese rasenden Schmerzen!

Sara, die sich auf den Ellbogen erhoben hatte, sank wimmernd in die Kissen zurück.

Bleib liegen, Tante, sagte Silvia; ich will den König empfangen, falls er kommt. Mir wird er glauben, daß Du krank bist.

Du gutes, muthiges Kind! Willst Du? Es ist originell, aber das gefällt dem Könige. Sprich mit ihm, wie Deine Klugheit es Dich lehrt. Geh' in den Salon. Vielleicht, daß Leo's Schicksal jetzt in Deine Hand gegeben ist. Ich denke, jetzt kann ich schlafen.

Sie wendete sich mit dem Gesichte nach der Wand. Silvia erhob sich leise und begab sich in das Zimmer nebenan. Sie war nicht erstaunt, die große Lampe auf dem Tisch, die Lichter auf den Wandleuchtern bereits angezündet und auf einem Nebentischchen die Theesachen bereit zu finden. Vielleicht hatte Lisette geglaubt, ihre Herrin würde wieder aufstehen, vielleicht – es war ja gleichgiltig; wie sollte sie dem Könige gegenübertreten, wenn er kam? Was sollte sie ihm sagen?

Silvia ging in dem Gemache auf und ab. Die weichen, elastischen Teppiche machten den Schritt unhörbar; selbst das gelegentliche leise Rauschen ihrer Gewänder klang Silvia seltsam fremd. Die große Pracht der Ausstattung des Gemaches, die sie heute erst in ihren Einzelheiten kennen lernte, die kostbarsten Vasen aus dem reinsten Alabaster auf Säulen von grauem Marmor, ein wunderschöner Venustorso, ein paar herrlichste Götter- und Heroenköpfe – Alles offenbar Antiken; eine Reihe der seltensten Gemälde italienischer und niederländischer Meister – unter ihnen ein paar Frauengesichter von unsäglichem Liebreiz – dann wieder diese Möbel in den reichsten, phantastischen Formen, diese Spiegel, die breit von dem Boden bis an die Decke reichten; dazu der Glanz der Lichter, in welchem diese Herrlichkeiten wie in ihrem eigentlichen Element glänzten, funkelten und strahlten – Silvia war es, als gebe es doch eine Erfüllung dieser kühnen Träume, an der sie gestern noch gezweifelt hatte. Hier stand sie in einem königlichen Gemach des alten Königsschlosses, einen König erwartend. War sie es denn wirklich selbst? War die hohe Gestalt im dunklen Gewande mit dem blassen Gesicht, aus dem ein Paar großer Augen leuchtete – war das wirklich Silvia, oder war es ein lebensgroßes Bild in eines Spiegels Rahmen? Aber das Bild bewegte die Hand nach dem Busen, der sich unruhig hob und senkte. Fürchtest Du Dich, bleiches Mädchen, in dieser glänzenden Einsamkeit? Bist Du Dir nicht selbst genug? Kannst Du nur einen Augenblick vergessen, daß Leo's Schicksal jetzt in Deine Hand gelegt ist? Wenn es wäre! O, mein Gott, wenn es das wäre!

Silvia breitete beide Arme aus, als wollte sie die Macht aller guten Geister auf sich herabziehen. Und war es nicht, als ob eine übernatürliche Kraft sie beseelte? Wann war es je in ihrem Kopf so licht gewesen?

Sie wendete ihre Augen auf die Thür, durch die, wie sie wußte, der König kommen würde. Als läge ein Zauber in ihrem Blick, so that sich in diesem Momente die Thür auf, und der König trat herein – ganz wie gestern, in einem Uniformrock ohne Epaulettes, mit heiterer Miene, als freue er sich schon im voraus auf eine ungenirte Unterhaltung mit seiner alten Freundin.

Bon soir, Sara, rief er, wo hast Du –

Majestät, sagte Silvia, indem sie dem König entgegenging.

Der König stutzte, dann kam er mit raschen Schritten auf Silvia zu.

Ach, Sie sind's, mein Fräulein! Verzeihen Sie dem Kurzsichtigen! Nun, das ist aber charmant von Ihnen! wo steckt meine alte Freundin?

Der König reichte ihr, so sprechend, eine Hand, die Silvia ohne Befangenheit nahm. In kurzen Worten erzählte sie dem Könige, wie es gekommen sei, daß sie an Stelle der kranken Tante ihn heute empfangen müsse.

Nun, meiner Treu, rief der König, das ist ein Qui pro quo, das man sich schon gefallen lassen kann. Mein altes, getreues Quo wird sich schon wieder erholen, und das ganze Malheur reducirt sich schließlich darauf, daß ich heute um meinen Thee komme, den mir das junge liebenswürdige Qui schwerlich so gut wird bereiten können.

Der König sagte das in munterster Laune, und Silvia mußte ebenfalls lächeln. Die hohe freie Stirn des jugendlichen Monarchen, seine freundlichen blauen Augen, die weichen, beweglichen Formen seines bartlosen Gesichtes, der Zug von Geist und Schalkhaftigkeit um den ausdrucksvollen Mund – es war ihr, als sähe sie wieder den königlichen Knaben von damals, und mit dieser Erinnerung kam ihr auch etwas von dem Uebermuth jener Jahre zurück.

Ob so gut, Majestät, erwiederte sie, das wage ich nicht zu behaupten, aber wenn Majestät mit mir Nachsicht haben wollen – und sie wies mit anmuthiger Verbeugung nach dem Theetisch.

Ah, wahrhaftig! Nun, das ist ja charmant, ganz charmant. Bin neugierig, wie Sie sich aus der Affaire ziehen.

Silvia fand auf dem Theetisch Alles in Ordnung, das Theewasser kochend, die Theebüchse daneben. Liebte der König den Thee sehr stark zu trinken? vermuthlich! Aus einem Glase? wahrscheinlich, denn es war keine Tasse da. Mit Arrak? was hätte sonst die Krystallflasche, aus der, als sie den Stöpsel abnahm, ein feines Aroma aufstieg, gesollt? Mit geschickten Händen bereitete sie Alles und bot nun das dampfende Getränk dem Könige.

Der König hatte, in einen Lehnstuhl zurückgelehnt, jede Bewegung Silvia's so aufmerksam verfolgt, daß er darüber das Sprechen vergessen hatte. Jetzt kostete er und rief:

Deliciös, ganz deliciös, mein Fräulein! wenn ich Kaiser des weiland Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation wäre, ich machte sie sofort zur Schänkin.

Silvia schlug die Augen auf und sah den König groß an. Sie sollten Kaiser sein, Majestät.

In der That, ich habe es auch oft schon gedacht. Warum aber meinen Sie?

Weil ein jeder Mensch das sein sollte, was er sein kann.

Ein großes Wort: wer aber sagt Ihnen, daß ich das sein könnte?

Sie selbst, Majestät! Sie haben den Gedanken gedacht – sagen Sie – oft schon gedacht! Was ist denn aber unser Denken, als ein Vorahnen der Wirklichkeit, die doch nur dadurch Wirklichkeit wird, daß wir sie dachten.

So könnte ein speculativer Philosoph sagen.

Und so sagt die Erfahrung, Majestät.

Die eigene?

Die eigene.

Ihres ganzen Lebens?

Dieses Augenblickes, der wenigstens die theilweise Verwirklichung des kühnsten Wunsches meines Lebens ist.

Der König blickte das junge Mädchen fragend an.

Ja, Majestät, fuhr Silvia fort, denn wie ich jetzt hier vor Ihnen stehe und Sie mich gütig anhören, so habe ich mir schon lange Jemanden vor Ihnen stehend gedacht, Jemanden, von dessen kühnen Gedanken mein eigen Denken nur ein matter Widerschein ist. Wie sollte nun das Schicksal dem Würdigen vorenthalten, was es der Unwürdigen so gnädig gewährt? O, gewiß, gewiß! ehe noch viel Tage vergehen, ist auch sein heißer Wunsch erfüllt, und dann wüßte ich nichts mehr, was mir das Leben noch Höheres bieten könnte.

Das ist viel behauptet von einem so jungen und – verzeihen Sie! – einem so schönen Mädchen.

Und ist doch nur die buchstäbliche Wahrheit.

Sie lieben Ihren Vetter?

Silvia schoß das Blut in die Wangen.

Ich würde so unter allen Umständen für ihn sprechen; sagte sie mit leiserer Stimme.

So lieben Sie ihn doch?

Die Gluth auf Silvia's Wangen wich schnell, wie sie gekommen. Sie hob die Augen mit ernstem, fast strengem Ausdruck zum König auf.

Majestät, wenn ich mir zutraute, besser als irgend Jemand, selbst als meine gute Tante, meinen Vetter vertreten zu können, so war es, weil ich wußte, daß alle Andern Persönliches in eine Sache mischen würden, die so rein ist, wie das Licht der Sonne. Was man ihm auch vorwerfen mag – er hat nie etwas Anderes gewollt, als die Mauer, die man zwischen dem Könige und seinem Volke aufgethürmt hat, niederreißen, und hat dafür gesprochen und geschrieben. Dieses Verbrechens ist er schuldig – er wird sich vor Euer Majestät offen dazu bekennen; aber ich glaube nicht, daß Majestät ihn gerade wegen dieses Verbrechens verdammen werden.

Des Königs Blicke hatten mit steigender Bewunderung an Silvia's Gesicht gehangen, das sich in dem Feuereifer, der sie durchglühte, immer mehr verklärte. Fast verlegen wendete er jetzt die Augen ab und sagte:

Sie sind ein Anwalt, der die schlechteste Sache zu einer guten machen könnte – womit ich keineswegs gesagt haben will, daß die Sache Ihres Vetters so schlecht ist, wie etwa ein bornirter Staatsanwalt sie machen wird. Es ist der Fluch der Könige, wissen Sie, bornirte Menschen zu Vollstreckern ihres Willens zu haben, und hat denn in einem constitutionellen Staate der König überhaupt einen Willen? Indessen, hier läßt sich vielleicht doch noch etwas thun. Ich gestehe, es sind mir heute so viel andere Dinge durch den Kopf gegangen, aber ich werde mich morgen früh dieser Stunde erinnern. Das verspreche ich Ihnen. Sind Sie mit mir zufrieden? Ach, ich sehe, Sie tragen da eine Uhr, wollen Sie nicht einmal nachsehen, welche Zeit es ist? Oh, mon dieu! Schon so spät! Ich habe versprochen, die Königin während des dritten Actes der Oper in ihrer Loge zu besuchen. Leben Sie wohl, mein liebes Fräulein, à revoir!

Er gab Silvia die Hand und wendete sich zum Gehen. Plötzlich blieb er stehen und sagte, indem er wieder an sie herantrat: Grüßen Sie mir Ihre Tante, und das à revoir nehme ich buchstäblich. Nicht wahr?

Silvia verneigte sich stumm.

Ihre Hand darauf!

Zögernd legte Silvia ihre Hand in die des Königs. Der König schien das nicht zu bemerken; er drückte die dargebotene lebhaft und entfernte sich dann schnell.

Silvia war allein.

Durfte ich das versprechen?

Ein Gefühl von Bangigkeit, als hätte sie ein Unrecht oder wenigstens eine Unschicklichkeit begangen, wollte in ihrer Seele aufsteigen; aber das war nur für einen Augenblick. Dann kam die Hoffnung, die ja jetzt fast Gewißheit war, daß das Große nun endlich errungen sei, allmächtig über sie, und heiße Freudenthränen strömten aus ihren Augen. Sie sank in die Kniee und stützte ihr Haupt auf die niedrige Lehne von Tante Sara's Causeuse. Dann erhob sie sich, da sie die Tante nebenan rufen zu hören glaubte. Sie sah nicht, daß Lisette, die vor einer Minute in den Salon getreten, aber still an der Thür stehen geblieben war, ihr mit einem höhnischen Lächeln auf den hübschen Lippen nachschaute.

In dem Schlafzimmer der Tante brannte ein Lämpchen in einer Ampel von rosa Krystall, die von der Decke herabhing. Sie näherte sich vorsichtig dem Bett und sah durch die halb aufgezogenen Vorhänge, daß die Tante, wie vorhin mit dem Gesicht nach der Wand, anscheinend in Schlummer lag. Ihre Athemzüge gingen ruhig, und Silvia wagte ihre leise Frage, wie sie sich fühle, nicht zu wiederholen.

In der Nähe des Bettes stand ein großes, bequemes Sopha, auf dem die Tante wohl während des Tages ruhen mochte; wenigstens lag auch eine große purpurne Decke aus weichster Wolle darauf. Silvia setzte sich auf das Sopha, in der Absicht, bei der Tante zu wachen; aber sie hatte nicht lange so in dieser rosigen Dämmerung gesessen, als die Abspannung nach so vielfachen gewaltigen seelischen Erregungen sich unwiderstehlich geltend machte. Vergebens, daß sie sich der Müdigkeit, die sich bleiern auf ihre Wimpern legte, erwehren wollte. Sie sah nur noch ein paarmal die rothe Ampel, die hin und her zu schwanken schien; dann war es ihr, als ob das Gesicht der Tante sich über sie beugte, und dann versank sie, gänzlich erschöpft von Allem, was sie durchlebt und durchlitten, in tiefen, traumlosen Schlaf.


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