August Sperl
Der Archivar
August Sperl

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18. Ausklang.

›Es‹ hatte sich wahrhaftig Mühe gegeben, und sein Verbrauch an Masken war bedeutend gewesen. Nun warf ›Es‹ die letzte Maske ab und zeigte ein gütig lächelndes Antlitz.

Niemand hatte im voraus wissen können, was ›Es‹ denn eigentlich bezwecke. Nun ist so manches offenbar geworden.

Ein Schatz lag ungehoben. ›Es‹ grub danach. ›Es‹ grub mit rauher Hand und scharfem Spaten.

Und seiner Arbeit Helfer waren: Ein verschollener Ahnherr und ein verwunschenes Schlößlein; ein gewissenloser Bankrottierer und eine fromme Magd; ein alter Mann, der unter dem Scheine das Wesen erkannte; und eine verstaubte Bibel mit ihrem Gruß aus einer anderen Welt.

Ein Schatz lag ungehoben. ›Es‹ wollte ihn heben und hob ihn. –

*

Die Linde steht über und über in Blüte, und der Lufthauch des sonnigen Nachmittages trägt süße Düfte in ein offenes Fenster des verwunschenen Schlößleins.

Jonas Eisenhut kommt von der Brücke her geritten. Unter der Linde macht er halt und wendet sein Rößlein.

Am Schlußstein des Tores grüßt das halbverwitterte Wappen derer von Moos und erzählt dem Wissenden vom Besten im jammervollen Menschenleben, vom unerschütterlichen Mute zum Bekennen.

Ein starker Flug weißer Tauben rauscht über das Walmdach und verschwindet über den wogenden Feldern in blauduftiger Ferne.

Jonas Eisenhut klopft seinem guten Kameraden den Hals ab und wendet die Augen nicht von dem Fenster dort oben.

355 Vor allen Fleckchen auf Erden lacht ihm – gleich dem alten Horaz – dieses Fleckchen entgegen.

Aber ganz richtig: Moos, das alte Nest, muß wohnlicher werden. Jonas hat es soeben gesagt, und Liselore hat es lächelnd bestätigt. Der sumpfige Graben – es gehört nicht viel dazu, ihn trocken zu legen, und an seiner Statt soll ein Garten emporwachsen, strotzend von Gemüse und Zwergobst, prangend in Blumen. An den kahlen Mauern werden sich Kletterrosen emporranken, und den vier Türmchen könnte etwas Epheu nicht schaden.

Oh, es leuchtet eine freundliche Sonne über dem hohen Walmdach, und in der blühenden Linde summen die honigsuchenden Bienen. –

Droben ans offene Fenster tritt Liselore und läßt ihr weißes Tuch zum Abschied wehen. Tagtäglich steht sie dort und wartet, bis das schneeweiße Rößlein zwischen den wogenden Feldern auftaucht und seinen Herrn zu ihr trägt. Tag für Tag geleitet sie den Scheidenden also mit freundlichem Gruß.

Und immer läßt auch Jonas Eisenhut sein Tüchlein lustig flattern beim Kommen und beim Gehen.

Heute aber zieht er Gedrucktes aus der Tasche und schwingt es triumphierend gleich einer Fahne.

Und bevor er's wieder sorgsam auf seinem Herzen birgt, preßt er die Lippen auf die großzügig geschriebenen Worte der Widmung: ›Liselore ihrem Jonas in Dankbarkeit.‹

Es ist die erste Nummer des Wochenblattes, das die Novelle hinausträgt in deutsche Lande.

Und jetzt wäre auch einem armen Vater die Sorge um die Zukunft seiner Tochter endgültig vom Herzen genommen. Denn diese hat sich durchgesetzt, und was sie fortan schreiben wird, das wird man auch lesen. Aber – sie hat's nicht mehr not.

*

356 Mein Märlein ist aus.

Viele Märlein enden mit diesen Worten: Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heut noch.

Ich werde mich hüten, meinem Märlein solchen Schluß zu geben.

Denn sie sind nicht gestorben und sie dürfen nicht sterben in unserer Zeit:

Die Menschen, die mit tausend Wurzeln haften in ihren Familien, in ihren Geschlechtern und durch diese im Volk.

Die Menschen, deren höchstes Erdenglück beschlossen liegt in Dienst und Amt: sei es der Dienst im Haus oder das Amt im Getriebe des Staates.

Die Menschen, die in gewissenhafter Forscherarbeit nach Erkenntnis ringen, – wobei freilich zu hoffen wäre, daß diese Erkenntnis auch stets der Mitwelt zugänglich würde.

Und endlich die Menschen, die, von einem harten ›Es‹ erzogen, mit sicherer Hand aus dem zeitlich Rinnenden das ewig Bleibende schöpfen und allem durstigen Volke darbieten im goldenen Becher der Dichtung.

 


 


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