August Sperl
Der Archivar
August Sperl

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8. Sein größerer Entschluß

Und wieder lief das Tier mit den tausend Füßen. Es lief über alle Wirtstische des Abends, es kroch durch alle Amtsstuben des Vormittags, es hockte zwischen den klappernden Kaffeetassen der Nachmittagskränzchen, die Kinder brachten es in ihren Schultaschen nach Haufe, die Marktweiber trugen es in ihren Körben aufs flache Land.

›Haben Sie schon gehört? Was, Sie wissen es noch nicht? Die ganze Stadt ist voll davon. Ein verrückter Major hat Moos gekauft!

Das alte Nest? Ja, was will er denn dort?

Was weiß ich? So eine Idee!

Er wird wissen warum!

Wieso?

Na – Major sagen Sie? Vielleicht ein kassierter Major –?

Aber ich bitte Sie! Haben Sie den Mann nicht gesehen? – Er war doch vierzehn Tage mit seiner schönen Tochter hier!

Ach der, das ist etwas anderes. So, der ist's? Preußischer Major, ganz recht. Und die Penelope war doch immer der Dritte im Bunde – nicht?

Ei freilich. Na, Geldsack und Geldsack –

So – was Sie sagen?

Der Major soll unmenschlich reich sein. Man spricht von einer Million –!

Na hören Sie, aber jetzt wird mir's denn doch zu bunt. Ein Millionär, und setzt sich nach Moos? So was kann man auch nur den Hiesigen aufbinden.

Oho, geben Sie mir Fünfzigtausend, und ich mache mir aus dem alten Nest ein Schmuckkästlein. Dazu Reitpferde, Wagenpferde, Equipage –. Wer weiß? Vielleicht wird 158 Moos noch der gesellschaftliche Brennpunkt unserer lieben Stadt. Ich bin gestern zufällig vorbeigegangen –.

Ganz zufällig!

Aber natürlich. Habe erst wieder an die Geschichte gedacht, als ich da drinnen hämmern und sägen hörte und den Schimmel der Penelope am Tor angebunden sah, – die Penelope reitet nämlich jeden Nachmittag hinaus und sieht nach dem Rechten.

Dann kann's was Rechtes werden!

Deswegen heißt auch der Eisenhut gar nicht mehr Penelope, sondern nur noch der Mooser Bot'. Gelungener Witz das, nicht? Wer nur immer diese Spitznamen aufbringt! Wenn man ihn aber mit der schönen Majorstochter aufzieht, dann wird er wild. So wild hat man ihn früher gar nie gesehen.

Aber ich weiß jetzt wahrhaftig noch immer nicht, was er denn eigentlich bei uns will, der preußische Major?

Auch darüber laufen allerhand Gerüchte um. Die einen sagen, er ist ein großer Jäger – die andern sagen, er ist ein großer Landschaftsmaler – und wieder andere sagen, er kommt nur wegen des Archives –.

Was – wie haben S' g'sagt?

Na, es ist eigentlich zu dumm, und man sollt's gar nicht nachsagen. Aber behauptet wird's allen Ernstes: Er will nach seiner Familie forschen, die einmal anno Tubak in der Oberpfalz gewohnt haben soll, und deswegen setzt er sich hierher.

Wenn er sich deswegen hierhersetzt, dann spinnt er, der preußische Major. Aber ich will Ihnen sagen, wie ich mir die Geschichte zurechtlege: Er ist ein armer Schlucker, und da setzt er sich nach Moos – wie teuer hat er's denn gekauft, das Nest?

Um achttausend Mark.

159 Na also – da sitzt er um vierhundert Mark jährlich, kann sich einbilden, daß er ein großer Herr ist, und lebt so billig wie sonst nirgends. Drei Eier um zwölf Pfennig, das kriegt er nicht leicht wo. Denken S' an mich, so ist's.

Glaub ich noch nicht. Aber es kommt schon heraus. Es muß noch herauskommen!‹

*

Jonas Eisenhut klapperte auf seinem Schimmeltier die Gasse herauf. Ein kalter Regen sprühte. Es war tiefe Dämmerung. Schon brannten die spärlichen Gaslaternen, und das Pflaster glitzerte in ihrem Lichte.

Jonas Eisenhut hatte wieder einmal nach dem Rechten gesehen, und er war befriedigt: die Arbeiten draußen gingen vorwärts. Die Zimmer im ersten Stockwerk waren mit neuen Fußböden belegt, die Fensterstöcke ausgebessert. Morgen sollten die Hafner kommen; denn die Ofen waren in einem schrecklichen Zustande. Dann ging es an das Tapezieren. Ganz besondere Sorgfalt würde die Auswahl der Tapeten für Liselores Zimmer im zweiten Stockwerk erfordern. Zu Anfang November konnte eine Wohnung mit sechs Zimmern fertig sein, Mitte November der Umzug bewerkstelligt werden.

Eigentlich eine böse Zeit fürs Eingewöhnen in dem alten Neste. Aber ihm, Jonas Eisenhut, konnte es nur recht sein: je eher, desto besser!

Er schwang sich aus dem Sattel und klopfte den Hals des Pferdes ab. Der Diener kam, und die Hufe dröhnten dumpf im Hausflur. Jonas klirrte die Treppen hinauf.

Sonst war er nach solchem Ritt in den seidengefütterten Schlafrock geschlüpft. Jetzt begnügte er sich mit einem Hausrock; denn er hatte gehört, daß sich der Major nie eines Schlafrockes bediente. Sonst hatte er die Füße in weiche Pantoffeln gesteckt. Jetzt behielt er die Reitstiefel an; denn auch der Major pflegte also zu tun.

160 Jonas Eisenhut war im Begriffe, ein neuer Mensch zu werden. –

Nach der einsamen Abendmahlzeit begab er sich in seine Studierstube – aus dem Empire ins Rokoko.

Die große Lampe brannte auf dem Schreibtisch, und rings an den Wänden leuchteten die Goldtitel zahlloser Bücher. Der weiße Kachelofen strömte behagliche Wärme aus. Auf dem Tischlein neben seinem Lehnstuhl stand das Deckelglas mit dem Abendtrunk.

Jonas zündete sich eine Zigarre an. Er war nicht allein. Keineswegs. Er hatte in seinen Gedanken einen Gast hereingebracht, er rückte in seinen Gedanken für ihn einen hochlehnigen Polsterstuhl, mit geblümter Seide überzogen, neben seinen Schreibtisch.

Es war zu behaglich in dem großen, warmen Gemache zwischen all den unzähligen Büchern – und nahe bei ihr.

Er nahm die Lampe vom Tische; denn es kam ihn die Lust an, zunächst mit der hergezauberten Liselore durch die Räume seines alten Hauses zu wandern.

Als sein Urgroßvater die Handlung von Sulzbach hierher verlegt hatte – schon damals ein wohlhabender Mann –, hatte er das Herrenhaus mit seiner ganzen Einrichtung aus der Konkursmasse eines Adeligen gekauft. Aber er war ein schlichter Mann, der sich in den vornehmen Räumen des ersten Stockwerkes unbehaglich fühlte und deshalb die Wohnung zu ebener Erde mit seinem bürgerlichen Hausrate, immer noch behäbig genug, einrichtete. Sein Sohn aber lebte in bedeutendem Wohlstande und benützte die Gemächer des ersten Stockwerkes, wenn er Gäste in seinem Hause bewirtete. Jonas' Vater endlich hatte das Geschäft beizeiten aufgegeben und lebte als reicher Privatmann mit den Seinen im Stile des polierten Rokoko. Die schlichten Räume zu ebener Erde aber ließ er mit ihrer Einrichtung, wie er 161 sie überkommen hatte. Und so waren sie bis auf diesen Tag geblieben.

Jonas wanderte mit seiner Lampe von Gemach zu Gemach. Es war ihm zumute, als ginge sie neben ihm, als dürfte er ihr alles zeigen. In dem Empfangssaale, dessen Polstergeräte mit weißen Leinwandbezügen verhüllt waren, leuchtete er den großen Ölbildern in die stillen Gesichter, und es war ihm, als müsse er ihr alle vorstellen, die Vorfahren auf drei Geschlechter zurück.

Dann aber wunderte er sich auf einmal, daß es ihm die Jahre seit dem Tode der Mutter noch nicht öde, sterbensöde geworden war in den verlassenen Räumen.

Als er in seine Stube zurückkam, kniete die Haushälterin am Ofen.

»Legen Sie nicht mehr nach«, sagte er freundlich. »Es ist warm genug.«

Da schlug sie das Türchen zu, daß es krachte, und erhob sich: »Jawohl, ich weiß schon, ich darf tun, was ich will, ich kann doch dem jungen Herrn nichts mehr recht machen.«

»Aber ich bitte Sie, Kathi –?«

»Jawohl, da hat unsereiner sein ganzes, liebes Leben aufgeopfert, und eines schönen Tages wird man zum alten Eisen geworfen. Undank ist der Welt Lohn!«

»Aber Kathi, was haben Sie denn?«

»Was ich hab'? Zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben, wenn ich dann auf der Gass' drunten lieg'.« Sie zog die Schürze vor die Augen und begann zu schluchzen.

»Kathi! Jetzt reden Sie aber vernünftig, bitt' ich mir aus! Wer setzt Sie denn auf die Straße? Ich vielleicht?«

»Sie vielleicht nit. Aber ich weiß schon eine, die's tut. Mit dem Pferdskauf und mit der Reiterei ist's an'gangen. Dann haben Sie die Reis' getan. Und dann – und so eine Fremde, von der niemand 'was weiß –!«

162 »Aber Kathi, jetzt muß ich Sie schon bitten – von wem reden Sie denn eigentlich?«

»Die Leut' sagen's alle. So eine Fremde. Wenn sie den Mund aufmacht, hat sie schon alle Wörter vorn zwischen den Zähnen, und versteht bei uns kein Christenmensch, was sie will. Die Leut' sagen's alle. Und schön soll die sein? Das ist Geschmacksach'! Ich sag' halt so viel, wenn eine keine roten Backen hat, dann soll sie noch so schön sein, mir kann sie einmal nit gefallen. Das sagen die Leut' alle, wen ich gefragt hab'. Aber heiraten Sie s' nur!«

»Jetzt wird es mir aber denn doch zu dumm. Wen soll ich heiraten?« entrüstete sich Jonas.

»No, die Preußin! Die Leut' sagen's alle.«

»Kathi, ich muß mir ganz ernsthaft verbitten, daß Sie diese junge Dame derart in die Mäuler der Leute bringen. Das ist ein schweres Unrecht – auch gegen mich.«

Heulend und schluchzend rief sie: »Ich will Ihnen nichts Böses. Ich hab' Ihnen mein Lebtag nichts Böses gewollt. Auf diesen meinen Armen hab' ich Sie getragen, wie Sie den ersten Schrei getan haben. Die ersten Hosen hab' ich Ihnen an'zogen, und, wenn Sie's auch nimmer wissen, die Nas' hab' ich Ihnen geputzt und alles andere auch, ich weiß noch wie heut'. Und am Sterbebett von Ihrer seligen Mutter bin ich gestanden, und da hat sie gesagt: du sorgst mir für den Jonas, hat sie gesagt. Frau, hab' ich gesagt, solang ich Atem zieh', es wird gesorgt für den Jonas, hab' ich gesagt. Und ist Ihnen vielleicht die Jahr' her was ab'gangen? Hab' ich das Essen nit richtig gekocht? Hat an der Wäsch' 'was gefehlt? Sind die schönen Möbel, die wo so viel Arbeit machen – die Leut' sagen's alle –, nit immer blitzblank? Hab' ich das Ihrige nit zusammengehalten – besser wie Sie? Können Sie 'was dagegen sagen? Sie können wohl nichts dagegen sagen. Also, warum wollen Sie die Fremde, die Preußin, die mondscheinige, heiraten?«

163 »Kathi, ich bitte Sie, seien Sie doch vernünftig! Es ist ja nicht im entferntesten von einer Heirat die Rede. Und ich muß Sie ernstlich warnen –! Aber angenommen, ich entschlösse mich doch eines Tages, irgendein, ich sage irgendein Mädchen zu heiraten, – wäre ich vielleicht zu jung dazu?«

»Sehen Sie! Jetzt haben Sie's selber eingestanden!« rief sie empört.

»Und wenn ich Ihnen dann verspräche, für Sie zu sorgen bis an Ihr Lebensende –?« Er nahm sein Herz in beide Hände. Jetzt oder nie! Und nun donnerte er, daß er vor sich selbst erschrak: »Was ginge das andere Sie an?«

Die gewünschte Wirkung blieb nicht aus. Mit entsetzten Augen starrte die alte Kindsmagd ihren Pflegling an, der da vor ihr seine Fesseln zerbrach, warf die Arme in die Höhe, schrie laut auf, wandte sich und entwich.


»Vorwärts über Leichen!« murmelte er und zündete sich kaltblütig eine zweite Zigarre an.

Dann ging er an eines der Wandgestelle und versenkte sich in den Anblick seiner Zettelsammlung.

Da waren die flachen, solid gearbeiteten, mit schwarzer Leinwand überzogenen Pappschachteln in Quartform, weit über ein halbes Hundert, und in jeder lagen an die fünfhundert Blätter, lauter Auszüge aus vielen Tausenden von Akten, Urkunden, Rechnungen, Lagerbüchern und gedruckten Werken – die Arbeit von fünfzehn Jahren. Er strich liebevoll über die Aufschriften. Dann aber wandte er sich zu einem andern Fach, zu den Pappekästen in Folio, die nicht lagen, sondern wie Bücher aufrecht nebeneinander standen, zehn im ganzen, und hob einen von ihnen heraus, dessen Rücken in goldgepreßten Buchstaben die Aufschrift trug: ›Wirtschaftsgeschichte der Oberpfalz IV. Gold und Silberbergwerke, Eisengruben und Hämmer‹.

164 Er trug ihn zu seinem Schreibtisch und öffnete die Bänder, nahm ein dickes Heft heraus, knüpfte die Bänder aufs neue und trug den Karton zum Gestelle zurück.

Nachdenklich blätterte er in der sauber geschriebenen Geschichte der Eisenindustrie seiner Heimat.

Dann entnahm er seiner Papierlade einen schönen, weißen Bogen in Reichsformat und schrieb:

›Der Gefertigte, der nach Ausweis der beiliegenden Zeugnisse in Tübingen, Heidelberg und Berlin fünf Jahre die Rechte und die Geschichte studiert hat, gibt sich hiermit die Ehre, der hohen philosophischen Fakultät eine Abhandlung zu unterbreiten, und bittet, für den Fall, daß sie angenommen werden sollte, im kommenden Frühling zur Promotion zugelassen zu werden.

Ehrerbietigst!

Jonas Eisenhut.‹

Und als hätte er Angst vor sich selbst und seiner großen Bedenklichkeit, verpackte und verschnürte er das Ganze alsogleich, versiegelte die Schnüre mit seinem altererbten Petschaft und schrieb die Begleitadresse.

Er atmete tief auf, als das Werk geschehen war, und wog das saubere Paket befriedigt in seinen Händen.

Was war jener erste gegen diesen zweiten, viel größeren Entschluß gewesen!

Aber was vermag nicht die Liebe?

Jonas Eisenhut hatte ein Ziel. 165

 


 


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