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22.

»Wie alles so wunderlich fällt, in dieser armseligen Welt,« sagte ein alter Dichter. Das ist gewiss, dass manchmal das Leben sich der Art verwirrt, dass man es wie den gordischen Knoten durchhauen muss. Das war auch mit Schwarz der Fall. Vor einigen Jahren war er voll Vertrauen in die eigene Kraft angelangt; es schien ihm, dass er nicht das eigene Schicksal, sondern auch das der andern auf der gewählten Bahn vorwärts bringen werde, er überzeugte sich aber, dass er in kurzer Zeit selbst das Steuer des eigenen Bootes verloren hatte. Man überließ es ihm, sich nach dem eigenen Willen zu lenken, er musste aber dorthin schiffen, woher der Wind wehete. Er hatte auch wenig Glück im Leben. Wie bei allen musste auch bei ihm das Leben oder richtiger das Übermaß der überwallenden Jugendjahre sich in den allzuengen Kanal der Frauenliebe ergießen. Die Ufer waren gar zu enge, der Strom musste also gewaltig toben und deshalb hatte die Vergangenheit Schwarzens nur wenige Ruhepunkte. Beinahe hätte er diese Vergangenheit mit dem Leben bezahlt und – es lohnte sich wahrlich nicht. Nach dem letzten Vorfalle mit Helena konnte die Gefahr sich erneuern. Augustinowicz fürchtete auch einen Rückfall, zum Glück bewahrheitete sich seine Furcht nicht, – Schwarz befand sich täglich besser. Es ließ sich nicht voraussehen, wie lange seine Rekonvaleszenz noch dauern werde – die Schwäche nach einer so schweren Krankheit war schrecklich, doch die Rückkehr zur Gesundheit gesichert. Augustinowicz verkürzte ihm so viel er Vermochte und es verstand, die langen Spitalstunden, konnte aber trotz aller Bemühung seinen frühern Humor nicht wiederfinden Die letzten Ereignisse hatten ihn ernst und wortkarg gestimmt. Er hatte viel von seinen frühern Gewohnheiten eingebüßt. Seit der Krankheit Schwarzens war er nicht bei Fran Witzberg gewesen, die ziemlich oft sich nach dem Gesundheitszustande Schwarzens zu erkundigen kam.

Wenn nun die letzten Ereignisse auf Augustinowicz der Art eingewirkt hatten, wie mussten sie erst Schwarz verändern.

Vom langen Krankenlager erhob er sich als ein ganz anderer Mensch. Er besaß nicht mehr jenes lebhafte, energische, unbeugsame Temperament Seine Bewegungen waren langsam, sein Blick schwerfällig, träge. Augustinowicz schrieb dies und mit Recht der Übergangsperiode des Schwächezustandes zu, aber bald bemerkte er bei Schwarz andere, früher fremde Erscheinungen Eine eigentümliche Gleichgültigkeit, ja Apathie zeigte sich in seinem Wesen. Er begann sich in der Welt aufs neue umzuschauen, aber aus einem ganz andern Gesichtspunkte Er schien für jedes lebhafte Gefühl unempfänglich zu sein. Es schmerzte, einen Blick auf Schwarz zu werfen – die Umwandlung berührte nicht allein seine moralische Seite, er hatte sich auch physisch umgewandelt: er war kahl geworden, das Gesicht war hager und gebleicht, die Augen blickten schläfrig, hatten ihren frühern Glanz verloren. Tagelang bewegungslos daliegend, blickte er stundenlang auf einen Punkt am Plafond oder er schlief. Die Anwesenheit von wem immer schien ihn gar nicht zu kümmern. All dies beunruhigte Augustinowicz gar sehr, besonders als er bemerkte, dass trotz der raschen Wiederkehr der physischen Kräfte diese Erscheinungen entweder gar nicht oder nur sehr langsam zurücktraten. Augustinowicz seufzte bei der Erinnerung an den frühern Schwarz und arbeitete an der Erweckung des jetzigen, aber die Arbeit war gar schwer.

Einmal saß Augustinowicz am Bette des Kranken und las ihm laut vor. Schwarz blickte, seiner Gewohnheit nach auf dem Rücken liegend, zum Plafond hinauf – augenscheinlich dachte er an etwas anderes, oder dachte gar nicht. Doch nach einiger Zeit sprach sich aus seinem Antlitze eine gewisse Ermüdung aus. Augustinowicz unterbrach die Lektüre.

– Du willst schlafen, Alter?

– Nein, aber das Buch langweilt mich.

Augustinowicz hatte die »Kameliendame« vorgelesen.

– Und doch ist hier Leben und Wahrheit, mein Alter.

– Ja wohl – aber für keinen Heller Urteilskraft.

– Nun, aber das Buch behandelt die Frage solcher Frauen ...

– Was gehen einen solche Frauen an!?

– Ehedem gingen sie dich an.

Schwarz erwiderte nichts; er hatte eine nachdenkende Miene angenommen. Nach einer Weile sagte er:

– Was geht mit Helenen vor? War sie hier?

– Ja wohl, Alter, ja wohl ..., sagte Augustinowicz verlegen.

– Nun und jetzt?

– Jetzt ... ja ... jetzt ist sie krank ... sehr krank.

Das Antlitz Schwarzens blieb ruhig, gleichgültig.

– Was fehlt ihr denn? fragte er träge.

– Ihr? ... sie ... Nun ich will dir die Wahrheit sagen, erschrick nur nicht.

– Nun?

– Helene lebt nicht mehr ... sie ist ertrunken.

Über das Antlitz Schwarzens strich ein undefinierbares Zucken; er machte eine Anstrengung, sich im Bette zu erheben, ließ aber nach einer Weile den Kopf aufs Polster fallen.

– Zufällig? absichtlich? fragte er.

– Ruhe aus, Alter, ruhe aus; es ist dir noch nicht erlaubt, viel zu reden. Später erzähle ich dir alles.

Schwarz wendete sich zur Wand und lag schweigend und in sich gekehrt da. In diesem Augenblicke trat der Spitaldiener ein.

– Frau Witzberg wünscht mit Ihnen zu sprechen – sagte er zu Augustinowicz.

Augustinowicz trat hinaus; auf dem Korridor harrte seiner Frau Witzberg.

– Was ist vorgefallen? – fragte er ängstlich; – ist? – wieder jemand erkrankt?

– Nein, nein!

– Was gibt's also?

– Lula ist abgereist! – sagte Frau Witzberg mit weinerlicher Stimme.

– Schon lange?

– Gestern abend. Ich wäre längst hier gewesen, denn seit einer Woche schon zog ich keine Erkundigungen über Schwarz ein, aber Malinka war so gekränkt und verweint, dass ich sie nicht verlassen konnte. Lula ist verreist!

– Weshalb denn?

– Da wäre gar viel zu erzählen. Ungefähr zwei Wochen nach der Erkrankung Schwarzens besuchte uns Pelski wieder und bald darauf erklärte er sich Lula zum zweiten Male. Sie war deshalb nicht wenig betrübt, denn der arme Mensch hatte eine gar herzliche Zuneigung für sie gefasst. Sie wies ihn aber trotzdem wieder ab, als Grund angebend, dass sie, ohne zu lieben, nicht heiraten könne. Mir gefiel dieser Pelski gar sehr. Doch das gehört nicht hierher! Genug, das brave, edle Mädchen wies seine Hand zurück. Was hat sie auch während der Krankheit Schwarzens gelitten! Aber das gehört wieder nicht hierher. Sie trennten sich übrigens ohne Groll, und Pelski hat ihr ohne Zweifel eine Stelle in Odessa verschafft. Stellen Sie sich das Erstaunen vor, als sie vor einigen Tagen zu mir kam und erklärte, dass nur die Krankheit Schwarzens ihre Abreise verzögerte, aber jetzt, da Schwarz in der Genesung, wolle sie mir nicht länger zur Last fallen, sie wolle sich ihr Brot verdienen und reise daher ab. Ach mein Gott! Als ob sie mir je eine Last gewesen? Malinka hat sich bei ihr ausgebildet und Politur angenommen; übrigens liebte ich sie ja, liebte sie wie die eigene Tochter.

Die brave alte Dame war tief betrübt. Augustinowicz wurde nachdenkend und sagte endlich nach längerem Schweigen:

– Nein, meine geehrte Frau! Ich verstehe Lula. Als sie die Wohnung bei Ihnen annahm, war sie noch ein verhätscheltes kapriziöses Kind, das der Ansicht war, dass Sie die Gräfin wegen ihrer Grafenkrone und der Ehre halber aufgenommen – jetzt ist sie ganz was anderes ...

– Habe ich ihr je etwas vorgeworfen? – unterbrach ihn Frau Witzberg.

– Nicht darum handelt es sich. Ich begreife, wie schwer es Ihnen fallen musste, sich von ihr zu trennen Und schade, dass Sie mich nicht früher Von ihrem Vorhaben in Kenntnis gesetzt haben. Die Person, die Schwarz heiraten sollte, lebt nicht mehr.

– Lebt nicht mehr?

– Ja wohl. Doch andrerseits bringt diese Abreise außer des Ihnen verursachten Bedauerns nichts Übles mit sich. Schwarz hat sein Doktorexamen noch nicht beendet, er muss vor allem daran denken, denn das gibt ihm sein Brot. Wenn er ganz genesen und sein Lebensunterhalt sichergestellt ist, trifft er sie wohl in Odessa, doch das erfordert Zeit. Schwarz hat sich sehr verändert – es schadet nicht, dass Lula das getan, was sie in seiner Meinung noch höher stellen muss.

Frau Witzberg entfernte sich mit gepresstem Herzen. Augustinowicz blieb eine Weile auf dem Platze, endlich schüttelte er gleichsam alles Nachdenken ab und sagte zu sich:

– Sie wies zum zweiten Male Pelskis Hand zurück ... sie will sich ihr Brot verdienen! ... Ach! Schwarz, Schwarz! ein solches Ziel selbst mit noch größerm Leiden zu erreichen ...

Er beendete nicht, was er dachte, machte eine Handbewegung und trat in die Zelle.

– Was wollte die Witzberg? – fragte Schwarz apathisch.

– Lula ist nach Odessa abgereist – erwiderte Augustinowicz barsch.

Schwarz schloss die Augen und blieb eine ziemliche Weile bewegungslos liegen. Endlich rief er aus.

– Schade! Es war ein gutes Kind, die Lula.

Augustinowicz presste die Zähne zusammen und erwiderte nichts.

*

Endlich verließ Schwarz das Spital und einen Monat darauf war er promovierter Doktor der gesamten Heilwissenschaften. Es war ein heiterer Herbsttag, als die beiden Freunde mit den Diplomen in der Tasche heimkehrten. Schwarzens Antlitz trug noch die Spuren der Krankheit an sich, sonst war er vollkommen gesund; Augustinowicz führte ihn am Arme und sie sprachen unterwegs von der Vergangenheit.

– Setzen wir uns hier auf diese Bank – sagte Augustinowicz, als sie in den Stadtgarten kamen. Ein herrlicher Tag, ich wärme mich so gerne an der Herbstsonne.

Sie setzten sich. Augustinowicz streckte sich behaglich, atmete auf und sagte heiter:

– Nun Alter! Vor drei Monaten hätten wir noch diese nichtigen Pfifferlinge in der Tasche haben sollen und heute erhielten wir sie erst.

– Ja wohl. Nun ist der Herbst da, – erwiderte Schwarz, mit dem Stocke zwischen den am Boden liegenden vergilbten Blättern raschelnd.

– Bah, die Blätter fallen von den Bäumen und die Vögel ziehen nach Süden – sagte Augustinowicz und fügte, auf einen Schwarm über den Bäumen kreisender Bachstelzen zeigend, mit gesenkter Stimme hinzu:

– Ziehst du nicht auch mit diesen Sonnenboten nach dem Süden?

– Ich? Wohin?

– Nach dem Schwarzen Meere, nach Odessa.

Schwarz senkte den Kopf und schwieg durch längere Zeit – als er endlich den Kopf erhob, malte sich auf seinem Antlitze fast Verzweiflung.

– Ich liebe sie ja nicht mehr, Adam! – flüsterte er.

*

Am Abende desselben Tages sagte Augustinowicz zu Schwarz:

– Wir verbrauchen gar zu viel Lebenskraft auf der Jagd um Frauenliebe – die Liebe entfliegt wie der Vogel und die Kräfte haben wir zersplittert.

 

Ende.

 


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