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4.

Es kam der Herbst. Es war kalt in den Wohnungen der ärmeren Studenten. Nach Möglichkeit in die Bettdecke gehüllt und die Mütze auf dem Kopfe, erwärmte sich der Arme beim Buche. Die Wohnungen der Studenten, die ihre Öfen zu heizen vermochten, wimmelten von einer Menge Kollegen. Den Club konnte man nicht mehr besuchen. Man bemühete sich anfangs einen andern zu bilden, aber alle Versuche blieben fruchtlos, denn dem widersetzten sich einerseits Gustav, andrerseits Schwarz, der schon einen bedeutenden Einfluss unter den Studenten besaß. Besonders wünschte Schwarz, der der Ansicht war, dass die Klube viel Zeit in Anspruch nähmen und wenig Nutzen brächten, eine Reform in dieser Beziehung durchzuführen, was ihm auch schließlich gelang. Trotz aller möglichen Contravota verteidigte er diesen Gedanken in der Universität und besonders in der Wohnung Wassilkiewiczs, bei dem man lieber als irgendwo anders zusammenkam. Wassilkiewicz wohnte bei Karwowski, oder richtiger dieser bei Wassilkiewicz, denn wenn auch Karwowski sehr wohlhabend war (es war dies der blasse Jüngling, der im Klub den Kollegen vorspielte und den bedeutendsten Teil der Wohnung bezahlte), war doch die Seele und die Achse dieser Junggesellenwirtschaft unser Samogite.

Wunderbar, ja selbst beneidenswert war die Freundschaft, die zwischen diesen zwei jungen Leuten bestand. Der eine zart, verhätschelt, schön, mit einem Kopfe voll der edelsten Träume, sanft und von allen geliebt, glitt zwischen Komfort und Überfluss leicht durchs Leben – der andere, ein echter Litauer, hässlich, blatternarbig, mit einem kurz geschnittenen Haarschopf und Funken sprühenden Augen, lebhaft, arbeitsam, energisch und gründlich gebildet, war gleichsam der Vormund oder der ältere Bruder des ersteren. Wassilkiewicz hatte ein glühendes Herz, das, wie man sagt, offen auf der Hand lag. Als Karwowski einmal gefährlich erkrankte, pflegte er ihn Tag und Nacht mit wahrhaft beispielloser Selbstverleugnung und als er endlich genas – weinte der Litauer und bekrittelte ihn vor lauter Freude. »Du Hanswurst« rief er aus: – »fiel dem gar ein krank zu werden! – Versuchs nur noch einmal!« Die Studenten nannten sie ein Ehepaar und der greise Blinde aus der Ukraine, der unweit von ihrem Hause bettelte und den sie öfters mit reichem Almosen bedachten, nannte sie gesprächsweise »die guten jungen Herren«. Es verbanden sie mehrfache Verhältnisse und besonders ein Umstand, den wir gleich erwähnen wollen. Im Sommer brachten sie gewöhnlich die Ferienzeit auf dem Lande bei den Karwowskis zu. Dort befand sich die Schwester Karwowskis, ein unschönes, kränkliches Fräulein, aber von wunderbarer Herzensgüte, still, ruhig, ein wahrer Engel mit gebräuntem Antlitze und gar hinfälliger Gestalt. Diese Schwester Karwowskis liebte Wassilkiewicz, liebte sie nach seiner Weise, sehr innig, mit dem Glauben an sie und an sich selbst und was das Wichtigste, die Liebe wurde ebenso erwidert. Die Eltern hatten davon keine rechte Kunde und wenn sie es auch wussten, wollten sie den jungen Leuten durchaus nicht hinderlich sein. Das Fräulein war nicht schön – er ein redlicher und verlässlicher Mann – die etwaige Ungleichheit der gesellschaftlichen Stellung wurde auf diese Weise ausgeglichen. Die Eltern wollten übrigens nicht den Sohn eines Gefährten berauben, dessen Umgang in jeder Beziehung zu seinem Vorteile ausschlagen musste.

Dieser Litauer hatte noch eine andere gute Seite, die unendliche Liebe zu seinen Eltern, den Alten, wie er sie nannte. Diese Alten wohnten tief in Samogitien, schon nahe an Livland – waren arm – der Sohn unterstützte sie. Sein Vater war ein Waldheger. Im Forste stand die niedrige Hütte, um und um rauschte der Wald und brausten die Wogen, hinter Wald und See kam wieder See und Wald – ein gar abseits gelegener Erdwinkel. Nach der Ortssage hauste dort der Teufel, fügte aber den Alten kein Leides zu. Dort hatte Wassilkiewicz das Tageslicht erblickt. Als Junge ging er dort auf den Fischfang aus, suchte wilde Enten am Seeufer zu überlisten, hob Nester auf den Sümpfen aus. Es war eine gesunde und tüchtige Natur. Die Natur hatte ihn gewiegt, die Vögel, die Bäume und die Wogen waren seine Lehrer. Vom Farnkraut bis zur Buche, die selbst nicht wusste, wo ihr Gipfel sich in den Himmel verlor, war alles für ihn ein aufgeschlagenes Buch, dessen erste Worte er selbst lesen lernte. Die Vögelrepublik erzählte ihm ihre Rechte; einmal sah er, wie die Biber mit ihren Schwänzen aus dem Strome einen Damm schlugen; er wusste, wie man der Stimme des Immenwolfes folgend Bienenstöcke in hohlen Bäumen findet; verstand es, dem Dachse seine Jungen zu nehmen, und brachte manchmal sogar junge Wölfe lebend nach Hause. Als er heranwuchs, lehrte ihn der Vater lesen, zog aus dem Koffer ein Häufchen verschimmelter Kupfermünzen und gab den Sohn in die Schule. Nun begannen die schweren Zeiten. Es musste gelernt werden – und er lernte. Es wäre gar viel zu erzählen, wie viel und was er alles durchmachte, bis es ihm gelang an die Universität zu kommen und so zu werden, wie wir ihn kennen lernten. Die Eltern vergalten ihm seine Liebe hundertfach. Sie waren in der Tat ein vom Alter ganz weiß gewordenes Taubenpaar, durch gegenseitige Eintracht und Liebe beglückt. Ruhe und Glück wohnten in ihrer Hütte. Man findet, wenn auch selten, solche lichte Punkte auf Erden, gleichsam Oasen in der Wüste. Die Alten freueten sich miteinander, der eine bekümmerte sich um den andern wie in den ersten Tagen nach der Trauung und sie gaben sich noch dieselben Liebesnamen. – Wie groß war dann erst die Freude, wenn der Sohn für die Feiertage nach Hause kam! Das erzählt keine Zunge, das beschreibt keine Feder. Mit Wassilkiewicz kam auch Karwowski. Auch ihn liebten die Alten und hätschelten ihn auch, doch ihr alles war ihr Jasiek, den sie gradeaus »der Unsrige« nannten. Oft wenn die jungen Leutchen ermüdet durch das tagelange Herumlaufen in der Wildnis spät abends nach Hause zurückkehrten, hatten sich die Alten schon zur Ruhe begeben und plauderten leise mit einander. So vernahm Karwowski einmal durch die Scheidewand des Alkovens das kleine Zwiegespräch.

– Er ist ein feiner Junge, dieser Karwowski! – sagte der Alte.

– Aber der Unsrige ist um vieles feiner – erwiderte die Alte.

– Oh, natürlich feiner!

Indessen war dieser »Unsrige« hässlich im vollen Sinne des Wortes, erschien aber durch das Prisma der elterlichen Liebe betrachtet als der Allerreizendste in der ganzen Welt. So gibt nicht die Wirklichkeit, sondern das Gefühl, mit dem man an die Dinge tritt, denselben Gestalt und Farbe.

Doch kehren wir nach Kiew zu unsern Bekannten zurück. Es war durchaus kein Wunder, dass bei solchen Hausherren wie Wassilkiewicz und Karwowski ihre Wohnung, die noch außerdem einen prächtigen Ofen hatte, zum Brennpunkte eines großen Teiles der studierenden Jugend wurde. Ja sogar die sogenannte höhere Intelligenz der Universität fand sich hier zusammen; es bildeten sich da eine Art literarischer Abende. Alle, die ein Schriftstelleräderchen in sich fühlten, publizierten da ihre Schöpfungen. Die langen Herbstabende verwandelten sich in förmliche literarische Sitzungen. Es ist schwer aufzuzählen, wie viele glühende Gedanken dort von feurigen jungen Lippen ausgesprochen wurden. Die Hausherren, Schwarz durch kurze Zeit, Gustav, und vor allem Augustinowicz standen an der Spitze dieser Versammlungen. Schwarz versuchte seine schöpferische Kraft, aber es ging nicht recht, es fehlte ihm das Talent, er verstand es nicht zu gestalten, zu schaffen, die eigenen Gedanken an den goldenen Faden der Fantasie zu reihen, die gleichsam jedes Ding in Regenbogenstrahlen taucht, bis sie es, erwärmt und erleuchtet, in Gestalt des Wetterleuchtens einer Sommernacht in die Welt schleudert., Schwarz besaß aber dagegen eine andere Art Talent. Er urteilte richtig und war dabei geistreich und witzig. Wenn er nach der Lektüre der eigenen Produktion diese in Gegenwart aller zu analysieren und zu kritisieren begann, hielt das heitere Lachen gar lange an. Dieselbe Prozedur nahm er auch bei anderen vor: wenn er spottete, flogen die Späne von den auf dem Altare der Kunst niedergelegten Erstlingsprodukten. Er verstand es, die Stimme und den Gesichtsausdruck der Redeweise dergestalt anzupassen, dass nach seinem Belieben der traurigste Gegenstand selbst das größte Gelächter erweckte. Es erwarb ihm dies wahre Hochachtung. Dagegen aber hatten die, welche zum Monde seufzten und die sentimentalen Herzenssaiten tönen ließen, vor ihm Respekt und fürchteten ihn wie den Satan.

Wassilkiewicz beschrieb kernig die litauischen Forste und Seen. Karwowski sündigte hier und da mit lyrischen Gedichten, in denen Tau, Tränen, und Seufzer sich mit einander wie Menschen unterhielten. Es handelte sich übrigens da nicht um Verstand, sondern um die Liebe eines Schäfers für eine Feldbirke, die nach dessen Tode in »Hangen und Bangen dahinwelkte«, wie es in diesen traurigen Liedern hieß. – Es kam auch Besseres und Schlimmeres vor, es fehlte nicht an komischem Lachstoff, manchmal fand sich auch etwas wirklich Hörenswertes, besonders da, wenn auch langsam, hier und da kritisch geschulte geringere oder größere Kapazitäten zum Vorscheine kamen. Alle aber übertraf zu jeder Zeit Augustinowicz. Gar oft kam er, dass sich Gott erbarme! stockbetrunken – die Hefte von Fett triefend, schmutzig, schleuderhaft geschrieben; wenn er aber zu lesen begann, vergaß man alles, und folgte mit Leib und Seele seinen Worten. Mehr als einer hatte Kopf und Hände in Unkosten versetzt und die Essenz seines Geistes herausgepresst – was er schrieb, hatte auch einen gewissen Wert, aber es war alltäglich. – Augustinowicz aber« dieser »Geistbehälter« griff erst bei seiner Ankunft zur Feder – im Gemache herrscht Lärm, man unterhält sich laut, und ihm fliegen die Blätter noch nass aus der Hand, unter den Tisch. Dann sammelt er sie, setzt sich nachlässig hin und alle horchen und mehr als einer beneidet ihn im Innern. Seine Gestalten sind lebendig, ins Auge fallend, im Strome der Rede fließt der Gedanke hundertfarbig, gleich einer von Kleinodien blitzenden Schlange. Wenn er von der Liebe zu reden beginnt, fühlt man das Klopfen des geliebten Herzens an seinem, und wenn er in Eifer gerät rollen die Worte dem Donner gleich und der von Blitzen geblendete Gedanke zuckt erschreckt zusammen, und wenn er dann in dem leisen Falle der Worte irgend ein Gefühl wehmütig schildert, glaubt man Myrten und Rosenduft in der Luft zu fühlen, das Farnkraut erblüht im Mondenstrahl und weit hinter dem Forste fließt im Taue das Echo von der Jungfrau Lied. Ha, er hatte Talent! Er schüttelte die schönen Worte und die schönen Gedanken aus sich heraus, ohne dass sie irgendwie mit ihm zusammenhingen. Es waren Blumen, die auf einem Sumpfe blüheten, Offenbarungen des Humors, in denen der moralische Verfall mit der Unverschämtheit Hand in Hand gingen.

– Ei! Augustinowicz, Augustinowicz! – sagten ihm dann die Kollegen – wenn du bei deinen Fähigkeiten nicht vom Teufel besessen wärest, was würdest du nicht leisten, du Halunke!

– Eben deshalb will ich den Teufel in mir ertränken! – Habt ihr nicht etwas zum Nippen? sagte er.

Gustav besuchte selten diese Versammlungen; er liebte Karwowski nicht und nur deshalb, weil ihn alle liebten. Je. schwerer ihm das Leben wurde, je mehr Wolken den Horizont seiner Liebe umzogen, desto reizbarer, desto erbitterter wurde er. Leidenschaftliche und unglückliche Neigungen haben das Eigentümliche, dass sie gleiche leidenschaftliche Abneigungen erzeugen. Eine solche noch auf niemanden konzentrierte Abneigung glimmte in seiner Brust. Er hasste alle, die das besaßen, was ihm unerreichbar war. Er fühlte sich verletzt – und derartige Naturen vergelten die ihnen zugefügte Unbill wenn auch nur in der Theorie. Er hielt sich demnach von der Gesellschaft der jungen Leute fern, obgleich er nur dort mitfühlende Herzen finden konnte. Er wusste dies – und bei allem Hasse gegen alle, liebte er sie – schloss sich aber in sich ab. Teilnahme demütigte ihn, er argwöhnte auf Schritt und Tritt Mitleid und dieses fürchtete er. Übrigens war es unter ihnen bekannt, dass ihm Schwarz versprochen hatte, Helenen nicht zu besuchen. Nicht Schwarz, sondern er selbst war es, der dies in einem reizbaren Momente verlautbarte. Natürlich gewann dadurch Schwarz in der Meinung seiner Kollegen – Gustav verdross auch dies. Es lagerte sich zwischen ihm und Schwarz eine dunkle Wolke, die sie entzweiete.

Die Witwe drang in ihn immer mehr, immer heftiger und leidenschaftlicher, ihr Schwarz zuzuführen. Vor den Augen Gustavs entwickelte sich in ihr ein ihm Unheil; bringender Prozess. Die Potkanska nahm diese neue Gestalt immer mehr in sich auf, sie verschmolz fast mit ich. Das langsam, und eben durch die lange Trennung exaltierte Herz Helenens dachte immer mehr an Schwarz und das schon nur an seine Person. Wie von dem unerbittlichen Arme der Bestimmung herbeigeführt, war eine aus Tränen, Zufall und Schmerz erzeugte neue Epoche des wiedererstandenen Glückes für Helena, eine neue Epoche der versiegten Hoffnung für Gustav langsam heraufbeschworen worden.

– Ich werde nicht lange meine Ruhe bewahren! – dachte er. – Es geschehe was da wolle, ich führe ihn zum zweiten Male nicht zu ihr.

Es ist unschwer zu erraten, was sich unter einer derartigen Reflexion verbarg. Gustav dachte sich durch Arbeit zu betäuben – sie erschöpfte ihn immer mehr; nur im Schlafe, im Traume hatte er glückliche Augenblicke. Einmal träumte er, dass er vor Helenen knie und ihr die Hände küsse; er fühlte deutlich ihre treuere Hand an seinem eigenen Herzen. Dann fanden im träumenden Aufbrausen der Leidenschaft feine Lippen die ihrigen ... ja er litt fast unter dem Übermaße des Glückes ... Daran folgte das Erwachen. Er sah sie täglich ... war ihr so nahe ... und doch immer so fern. Er magerte noch mehr ab, er sah elend aus, nur in den Augen glänzte das fieberhafte Aufflackern des ungebrochenen Willens. Dieses Fieber erschöpfte ihn, hielt ihn aber aufrecht.

– Ich bin neugierig, wie es weiter wird, – brummte er zwischen den verbrannten Lippen.

Diese düstere Anspannung des Schmerzes hatte aber auch eine erhabene Seite. Gustav war kein Träumen Er nahm das Leben wie es war, nicht wie es sein könnte. Trotz seines bejammernswerten Gesundheitszustandes vermochte er zu arbeiten, und er arbeitete jetzt mehr als sonst. Es bedurfte keiner geringen Kraftanstrengung, von der Witwe heimgekehrt, sich zur Arbeit zu setzen – und er trug jeden Tag einen solchen Sieg über sich davon. Er vereinigte um sich einige der fähigsten Köpfe und bildete wie als Opposition zu den Versammlungen bei Wassilkiewicz einen Zirkel, der sich ausschließlich wissenschaftlich beschäftigte. Er und noch zwei andere schrieben eine Grammatik der lettischen Sprachen ... er stand trotz aller unaufhörlichen Streitigkeiten mit seinen Mitarbeitern an der Spitze dieser Arbeit und was er seinem Seelenleiden gleichsam stahl, widmete er dieser. Helene sah er jeden Tag.


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