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6.

Indessen hatte sich Augustinowicz ganz bei Schwarz einquartiert. Welcher Unterschied zwischen feinem frühem Leben und dem jetzigen! früher hatte er nicht einmal einen warmen Winkel – Schwarz gab ihm einen; er hatte keine Bettstätte, kein Bettzeug, Schwarz kaufte sie ihm; es fehlten ihm die nötigsten Kleidungsstücke – Schwarz versah ihn mit denselben; er hungerte, Schwarz teilte mit ihm seine Mahlzeiten. Er befand sich jetzt in ganz anderen Verhältnissen. Erwärmt, genährt, in einem ordentlichen Rocke, gekämmt, gewaschen, rasiert, wurde er ein ganz anderer Mensch. Augustinowicz war, wie wir schon erwähnten, ein äußerst schwacher Charakter, ein Geschöpf der Lebensverhältnisse, das Resultat dieser Faktoren. Unter der strengen Zucht Schwarzens hatte er sich zum Nichterkennen umgewandelt; er begann an einer anständigen, frugalen Lebensweise Geschmack zu finden. Wie er früher gar kein Schamgefühl besaß, so schämte er sich jetzt alles dessen, was nicht mit seinem eleganten Anzuge und den Handschuhen im Einklange war. Am schwersten fiel es ihm, sich des Trinkens zu entwöhnen, aber es fehlte ihm an Gelegenheit, dem frühern Laster zu verfallen, denn Schwarz hütete ihn wie das Auge im Kopfe, ließ ihn nicht einen Moment aus dem Auge und gab ihm sogar dann und wann einen Schnaps, ließ ihm aber kein Geld zur eigenen Verfügung. Man kann sich kaum vorstellen, mit welcher Ungeduld

Augustinowicz den Augenblick erwartete, wenn Schwarz den Schrank öffnete, um ihm ein Gläschen Branntwein einzuschenken. Er schwärmte da förmlich, stellte sich im Geiste den Geschmack des Getränkes, die Einführung in den Mund, das Berühren mit der Zunge, das Hineinschütten in den Hals und endlich den feierlichen Eingang des Branntweins in den Magen vor! Schwarz trank ihm übrigens fast immer bei dieser Gelegenheit zu, um dieser Zuteilung einer bestimmten Dosis den demütigenden Charakter zu nehmen.

Im Laufe der Zeit begann ihn Schwarz besser zu behandeln, er begann ihn in seine eigenen Angelegenheiten und in die der Universität, endlich in seine Denkweise, in seinen Ideengang einzuweihen. Es ist unnötig zu bemerken, dass sich Augustinowicz all dies als sein Eigentum aneignete, dass er die Worte Schwarzens, wo er Gelegenheit fand, wiederholte, gewöhnlich mit der Formel beginnend: »Ich bin der Ansicht, dass« und so weiter. Er war nicht zum Erkennen! Er, für den es nichts Allzufreches gegeben, sagte jetzt gar oft, wenn das Gespräch bei Zusammenkünften der jungen Leute eine etwas frivole Richtung nahm: »Meine Herren! der Anstand muss vor allem gewahrt werden« Die Studenten lachten, selbst Schwarz lächelte im Stillen, war aber bis jetzt mit seinem Werke zufrieden. Wir brauchen wohl nicht hinzuzufügen, dass sie jeden Abend zusammen studierten, da sie dieselbe Fakultät besuchten. Da bot sich Schwarz oft die Gelegenheit dar, die Fähigkeiten Augustinowiczs zu würdigen; für dessen Geist gab es keinen Unterschied zwischen Schwer und Leicht; eine wahrhaft erstaunliche Intuition vertrat bei ihm die Stelle der Reflexion – ein weniger dauerhaftes, aber umfangreiches Gedächtnis vertrat bei ihm die Stelle der Arbeit.

Ein öfterer Gast von Schwarz und Augustinowicz war Wassilkiewicz. Anfangs kam er mit Karwowski, dann kam er täglich allein zu einer bestimmten Stunde. Seine Gespräche mit Schwarz, welche die wichtigsten wissenschaftlichen und Lebensfragen berührten, wurden immer vertraulicher. Diese beiden jungen Leute ahnten ihren gegenseitigen Wert und jeder erriet im andern den mächtigen Geist und festen Willen. Das auf gegenseitige Hochschätzung gestützte Verhältnis schien einen dauernden Bestand für die Zukunft zu verheißen. Der eine wie der andere hatten die Leitung der Universitätsjugend in die Hand genommen – die Initiative zu gemeinschaftlichen Schritten ging nur von ihnen aus, und da sie einig waren, geschah auch auf der Universität alles in Einigkeit – das Kollegialische wie die Wissenschaft konnten dabei nur gewinnen.

– Sage mir doch – fragte einmal Schwarz – was sagt man von meinem Verfahren mit Augustinowicz?

– Die einen vergöttern dich, erwiderte Wassilkiewicz – die anderen lachen darüber. Ich war bei einem deiner Antagonisten im Interesse unserer Bibliothek; ich fand da fast eine ganze Versammlung und es war gerade von Augustinowicz und von dir die Rede ... Aber weißt du« wer dich dort am eifrigsten in Schutz nahm?

– Nun wer?

– Rate einmal!

– Lolo Karwowski.

– Nein.

– Da weiß ich wahrhaftig nicht ...

– Gustav.

– Gustav?

– Ah! Er sagte denen, die deiner spotteten, so viele angenehme Dinge, dass ich dir bürge, sie vergessen sie sobald nicht· Du weißt ja, wie es seine Art ist! – Ich dachte, er risse sie förmlich in Stücke.

– Das hätte ich nicht erwartet!

– Weil du ihn schon lange nicht gesehen hast ... Eh! Der Arme ist bis über die Ohren in diese unglückliche Liebe hineingeraten. Er ist ein tüchtiger Kerl ... es tut mir leid um ihn. Sprich – du verstehst dich besser darauf – ist er sehr krank? .

– Oh! es steht nicht gut um ihn!

– Was ist's denn? Asthma?

Schwarz machte eine eigentümliche Handbewegung .

– Asthma ... übermäßige Arbeit ... Kränkung ...

– Schade um ihn!

Plötzlich wurden Schritte auf der Stiege hörbar – die Türe öffnete sich – Gustav trat ein. Er hatte sich zum Nichterkennen verändert Die Haut auf dem Gesichte war durchsichtig und förmlich gebleicht. Dieses Antlitz hauchte die Kälte eines Leichnams aus, eine erdfahle Schattierung umzog seine Stirne, die von Wachs zu sein schien. Die Lippen waren weiß, die dunkeln Haare, der Bart und der Schnurrbart, alles in üppigem, wildem Wuchse, hatten bei seinem bleichen Gesichte eine schwarze Färbung. Er sah einem Menschen gleich, der eine schwere Krankheit überstanden hat und auf seinem Gesichte sprach sich ein gewisses Selbstbewusstsein und eine verzweifelte Resignation aus. Schwarz war etwas überrascht, etwas verwirrt und wusste nicht, was er beginnen solle. Gustav half ihm aus der Verlegenheit.

– Schwarz! – sprach Gustav – ich komme zu dir mit einer Bitte. Du hast mir einmal versprochen, die Potkanska nicht zu besuchen – nimm dies Versprechen zurück.

Schwarz verzog das Gesicht mit einem gewissen Unbehagen. Der Gesprächsstoff war ihm sehr unliebsam, er erwiderte daher nur:

– Ich bin nicht gewöhnt, mein Wort nicht zu halten.

– Ja wohl – erwiderte Gustav ruhig – aber hier handelt es sich um etwas ganz anderes. Wenn ich zum Beispiel sterbe, dann verpflichtet dich dein Versprechen nicht mehr – nun bin ich krank, gar sehr trank. Indessen bedarf sie der Obhut. Ich vermag nichts mehr ... ich kann nicht über sie wachen. Ich muss mich niederlegen ... ausruhen ... denn ich bin auch etwas erschöpft. Ich will dir übrigens die ganze Wahrheit sagen: Sie liebt dich und du sie gewiss auch – ich stand euch im Wege, jetzt trete ich zurück. Ich tue es notgedrungen und gebe es nicht als Opfer ... Ich liebte sie gar sehr und hegte ein klein wenig Hoffnung, dass auch sie mich einstens lieben werde ... aber ich irrte mich (hier senkte sich seine Stimme um eine Oktave)·Niemand hat mich je geliebt ... Ich verbrachte ein sehr trauriges Leben ... Doch was ist zu tun? Ich habe in der letzten Zeit gar vieles durchgemacht, doch das ist schon vorbei! Jetzt liegt mir nur am Herzen, dass sie nicht allein bleibe. Wenn ich fähig gewesen wäre, ein Opfer zu bringen, ich wäre einfach ihr Vormund gewesen ... Schwarz! du kannst es für mich tun ... du hast Energie und bist reich ... und sie liebt dich, sage ich dir, du wirst also nicht wie ich endigen. Oh! mir ging es gar schlimm in der Welt ... Doch lassen wir das. Ich möchte ihr keine Unbill zufügen ... ich liebe sie noch. Ich möchte nicht, dass sie durch meine Schuld allein zurückbleibe. Zuweilen darf man den Menschen nichts verweigern ... Geh! geh! geh zu ihr. Wir haben ja zusammengewohnt, das Leid miteinander geteilt – du bist gleichsam verpflichtet, es für mich zu tun, denn ich wiederhole es dir, ich bin krank und ich weiß nicht, ob ich sie oder dich noch wiedersehen werde.

Wassilkiewicz standen die Tränen in den Augen, er erhob sich, wendete sich an Schwarz und sprach:

– Schwarz – du musst alles tun, um was dich Gustav bittet.

– Ich werde zu ihr gehen – erwiderte Schwarz entschieden – ich werde sie beschützen. Ich gebe euch darauf hier beiden mein Wort als ehrlicher Mann.

– Ich danke! – sagte Gustav. Geh jetzt hin.

Nach einer kleinen Weile befanden sich Gustav und Wassilkiewicz allein im Gemache. Der Litauer schwieg einige Zeit, er musste erst sein eigenes Herz etwas zur Ruhe bringen, endlich rief er mit einer Stimme der innigsten Teilnahme:

– Gustav, armer Gustav, wie sehr musst du in diesem Augenblicke leiden!

Gustav erwiderte nichts, er atmete schwer, drückte die Zähne zusammen, das Gesicht zuckte konvulsivisch endlich begann er laut zu schluchzen ... und war einer Ohnmacht nahe ...

____

Drei Tage später saßen Schwarz und Wassilkiewicz in der Wohnung Gustavs. Es war ein heiterer Abend, Strahlenbüschel des Mondlichtes fielen durch die Fensterscheiben ins Gemach. Am Bette des Kranken brannte eine Kerze. Der Kranke war noch beim Bewusstsein. Sein Kopf war fast schön zu nennen, wie er mit den vom Elende erdfahlen Gesichte, und der hohen Stirne, auf hochgeschichteten Polstern lag. – Eine abgezehrte Hand lag auf der Bettdecke, die andere war an die Brust gepresst. Das Kerzenlicht warf einen rosafarbenen Schein auf diesen Märtyrer der eigenen Gefühle. Die entgegengesetzte Zimmerecke war in Dunkel gehüllt. Gustav war bei Bewusstsein – er stattete Schwarz förmlich Bericht ab über seine Sorge für die Potkanska. Von Zeit zu Zeit sprach er noch ein Wort, wenn auch mit Anstrengung – bald zu Schwarz, bald zu Wassilkiewicz, der zu Häupten des Bettes stehend dem Kranken mit einem groben Tuche den Schweiß Von der Stirne wischte.

– Ich möchte dich aufmerksam machen – sagte Gustav – Sie schicken ihr zweitausend polnische Gulden jährlich und dort sind fünf bis sechs erforderlich ... Den Rest habe ich zusammengebracht ... Rückt das Licht bei Seite und befeuchtet mir die Lippen ... ich arbeitete ... sparte mir vom Munde ab, schlief nicht ... Ich aß oft Tage lang keinen Bissen ... Hebt mich etwas und legt mir das Polster höher ... Ich kann nicht reden ... Dort in jenem Kästchen sind noch dreißig Rubel für sie ... Es dunkelt mir vor den Augen ... Lasst mich ausruhen ...

Es herrschte Stille in der Stube, nur eine Maus raschelte in der andern Ecke mit einem Papierschnitzel ... der Tod hielt seinen Einzug.

– Ich möchte unsere Arbeit beendigt wissen – fuhr Gustav fort ... Saget ihnen nicht zu hadern ... Es schauert mir ... Ich bin begierig, ob es einen Himmel oder eine Hölle gibt! ... Ich habe nie gebetet ... jedoch, jedoch ...

Wassilkiewicz neigte sich zu ihm und fragte leise:

– Gustav, glaubst du an die Unsterblichkeit?!

Der Kranke konnte nicht mehr sprechen; er nickte bejahend mit dem Kopfe. Da schien es, als ob in der Stube leise Töne einer bezaubernden Musik sich verbreiteten. Aus den Strahlen des Mondlichtes schwebte eine Engelschar vom Himmel mit weißen, goldigen und farbigen Fittichen. Sie schwebten leise erdwärts, beugten sich über das Lager, bewegten die Fittiche, umkreisten das Lager wie summende Bienen ... Man glaubte das Rauschen der Federn zu hören. Zugleich mit dieser stillen Kapelle entflog die Seele Gustavs. Das Begräbnis wurde mit großer Feierlichkeit begangen. Die gesamte Universitätskorporation war am Sarge vertreten. Jetzt erst begann man vom gründlichen Wissen, von der Arbeitsamkeit und der Opferwilligkeit des Verstorbenen zu sprechen. Es zeigte sich in der Tat aus den Rechnungen, die Schwarz durchsah, dass der Selige bei viertausend polnische Gulden jährlich erarbeitet hatte. All dies wurde für die Witwe verwendet – er selbst lebte wie ein Hund. Dieses freiwillige und verborgene Heldentum bewahrte ihm ein dauerndes Andenken in den Herzen der Kollegen. Jetzt fanden sich auch mannigfache literarische Arbeiten des Verstorbenen, die sich durch wissenschaftliche Begründung und durch Talent auszeichneten; es fand sich auch sein Tagebuch Es war dies in einfachen, ja barschen Worten eine Beichte aller Schattenseiten des Lebens im Elende, eine Art Apologie der leidenschaftlichen Jugendausbrüche; eine Beichte der geträumten und doch wirklichen Leiden, Schmerzen, Kämpfe, innerer Stürme und äußeren Offenbarungen. Das innere Leben der exaltierten Naturen enthüllte sich da in seiner ganzen düstern Feierlichkeit. Es war ein Graus, in dieses Wirrsal zu blicken, das man im Alltagsleben, in dieser wie ein Dichterling sagt »so teuflisch vergoldeten Welt« nicht kennt. Das Tagebuch, ein wahres Gedenkbuch, wurde bei Wassilkiewicz vorgelesen; man dachte sogar daran es drucken zu lassen, was aber nicht zur Ausführung gelangte. Dagegen schrieb Augustinowicz den Nekrolog Gustavs. Er stellte darin sehr beredsam sein Leben dar. Er zeigte ihn seit seinen Kinderjahren, als er sich noch glücklich fühlte. Der Reiz der Schilderung dieser Lenzmonate des Lebens war so groß, dass es schien, die Maisonne habe dem Schreibenden geleuchtet. Dann verdüsterte sich das Bild: man sah, wie der Selige die heimische Hütte verließ, wie der Hund, der alte Diener, ihm winselnd nachlief ... Darauf wurde es noch finsterer: das Leben begann, ihn umherzuwerfen, zu schleudern, an ihm zu zausen und zu reißen. Wieder blitzte ein Strahl auf ... Auf den Wolken gleichsam erschien ihm in einem Regenbogenringe die Witwe ... er streckte die Hand nach diesem Sterne aus· »Der Rest ist euch bekannt« – schrieb Augustinowicz.

«Möge er nun von ihr träumend schlafen. Die Feldlerche wird über seinem Grabe ihren Namen singen ... Er ruhe sanft. Das Feuer ist erloschen, der Zauber zerstört – das war Gustav!

Aber es geschieht gewöhnlich, dass man nach dem Tode eines Menschen gar viel von ihm spricht, während man ihm bei Lebzeiten fast Fußtritte versetzte. Lassen wir also Gustav ruhen und verfolgen die weiteren Schicksale unserer Bekannten und besonders Schwarzens, des Helden dieses Buches. Es hatte sich bei Schwarz nichts Verändert, nur er selbst ging, seit er die Witwe wieder besucht hatte, zerstreut und schweigend einher. Augustinowicz hatte sich immer mehr an die neue Lage gewöhnt. Beim General trampelte man wie früher – beim Ingenieur hatte das Klimpern und Losschlagen auf das Piano nicht aufgehört – auch die Gräfin sang wie sonst an den Abenden. Die Wohnung Gustavs hatte ein Schuster mit einer Frau, zwei skrophulösen Kindern und der Not im Gefolge bezogen; dort, wo die Gedanken dieses edlen Kopfes gehaust und heißblütige Worte gefallen, dort knarrte der Schusterdraht und der Knieriemen. Helena erfuhr nicht einmal gleich den Tod Gustavs – Schwarz verheimlichte ihr denselben, er fürchtete den allzuheftigen Eindruck. Er überzeugte sich später mit Verwunderung, dass sie diese Kunde wohl mit Trauer, aber ohne Verzweiflung aufnahm. Wir haben von diesen neuen Verhältnissen gar viel zu erzählen, wollen also im nächsten Kapitel geradeaus zu denselben übergehen.


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