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7.

Schwarz war in Folge des Gustav gegebenen Versprechens zu Helene gegangen und hatte sie nach seinem zweiten Besuche ganz verliebt verlassen. Er kehrte in später Nacht heim; am Himmel funkelten die Sterne, es war heiteres Wetter, vom Dniepr wehete ein kühlen aber erfrischender Lufthauch. Leichte Nebeldämpfe schlängelten sich in langen Streifen gen Osten. Es war Musik in der Luft und Musik in Schwarzens Brust. Er liebte! Es schien ihm, dass die helle Nacht seine Verlobung mit dem Glücke feiere. Ungetrübtes Glück ist Erinnerung und Hoffnung! – Schwarz fühlte noch in seiner Hand das kleine Hündchen Helenens – dieses Momentes erinnerte er sich, er dachte an die morgenden Liebkosungen – auf diesen Moment hoffte er. Wunderbar! Sie sagte ihm beim Lebewohl: »Gedenke!« Wer vergisst des Glückes – besonders wenn uns dabei noch die Zukunft anlächelt? Er liebte! Umfangen von der Gewalt und dem Reize der Nacht, dem Beben der Sterne und der Majestät der dunklen Räume, warf er einen flammenden Blick bis an die weitesten Grenzen der himmlischen Wölbung und flüsterte mit zitternden Lippen:

– Wenn du bist! so bist du groß und gut!

Trotz der gestellten Bedingung war dieser Ausruf für Schwarz schon gar viel. Er erkannte die Größe und Güte an! Er sagte: »wenn du bist!« diese Worte bedeuteten eine Bestätigung der Existenz. Schwarz sprach »du bist«. Wundern wir uns bei all seinem Realismus nicht über dieses Worts Die Lippen, die es aussprachen, hatten eben aus dem Kelche der Verzückung getrunken. – Als Schwarz nach Hause kam, schlief Augustinowicz schon fest, sein Schnarchen hörte man schon auf der Stiege. Er schnarchte fast harmonisch, bald kurz, bald lang, bald leiser, bald lauter, bald schnaufend, blasend oder pfeifend. Schwarz weckte ihn. Er hatte den festen Entschluss gefasst, ihn an sich zu drücken. Augustinowicz stierte ihn mit verwunderten Augen an und rief ihm im ersten Augenblicke zu:

– So geh doch zu allen ...

Schwarz schlug eine heitere Lache auf.

– Gute Nacht! – sagte ihm Augustinowicz – ich sage dir morgen, woher du kommst – heute will ich schlafen – gute Nacht!

Der andere Tag war ein Sonntag. Früh schenkte Schwarz den Tee ein, Augustinowicz lag noch auf dem Bette und rauchte, auf die Zimmerdecke blickend, eine Pfeife. – Beide dachten an den gestrigen Tag. Endlich unterbrach Augustinowicz zuerst das Schweigen.

– Weißt du Schwarz, was mir gerade eingefallen?

– Ich weiß es nicht.

– Ich sage es dir: es lohnt sich nicht, sein Leben ans erste, beste Weib zu hängen – beim Jupiter nicht der Mühe wert! Es gibt bessere Dinge auf Erden.

– Woher kommt dir denn dieser Einfall?

– Direkt aus der Pfeife. Der Mensch macht sich mit irgend einem Gedanken vertraut, verwächst förmlich mit ihm, dann kommt irgend ein Hindernis und bah! von all diesen Lustschlössern bleibt grade so viel, als von dem Rauche, den ich eben ausgeblasen habe.

Eine ungeheuere Rauchwolke erhob sich vom Munde Augustinowiczs in die Höhe und zerstob, an den Plafond anschlagend, nach allen Seiten. Das Gespräch war für eine Weile abgebrochen, dann begann Augustinowicz wieder:

– Schwarz, warst du schon einmal verliebt, bevor du Gustav und die Potkanska kennengelernt hattest?

– Ob ich Verlie – liebt gewesen? sprach Schwarz gedehnt, das im Lichte blinkende Glas betrachtend ...

Ob? ... Ob ich geliebt? ... Ja, es verdrehete sich mir zuweilen der Kopf, es brachte mich dies aber nicht aus dem Bereiche der gewöhnlichen Lebensweise – es störte nicht die Tagesordnung. Offen gesprochen, ich liebte nicht.

Augustinowicz hob die Pfeife mit dem langen Rohre in die Höhe und deklamierte feierlich:

»Weib! leerer Dunst! windiges Wesen!«

– Weshalb denn? – fragte Schwarz lächelnd.

– Das gehört in meine Memoiren. Eh! Es war da ganz anders, ich war ein paar Mal überschnappt wie ein rechter Narr. Einmal versuchte ich es sogar, bei aller Not ein ordentlicher Mensch zu werden – es ging nicht recht, genug ich probierte es.

– Und wie endigte es?

– Prosaisch. Ich gab Lektionen bei einem Hausbesitzer. Es waren da zwei Kinder – ein unmündiger Sohn und eine erwachsene Tochter: den Sohn unterrichtete und die Tochter liebte ich. Eines Abends standen mir die Tränen in den Augen und ich machte ihr ein Geständnis: sie wurde etwas verlegen, lachte aber dann laut aus. Du glaubst es nicht, Schwarz, was das für ein garstiges Lachen war! denn sie sah, was es mich kostete und sie hatte mich ja anfangs selbst gelockt. Zuletzt ging sie noch zur Mama sich zu beklagen.

– Und die Mama?

– Die Mama sagte mir: erstlich sei ich ein Lump, wofür ich mich verneigte, – zweitens, ich möge meiner Wege gehen, drittens warf sie mir fünf Rubel hin, die ich aufhob, denn sie gebührten mir und ich betrank mich dafür noch an demselben Abende und am andern Tage morgens.

– Dann?

– Darauf wieder abends und den darauffolgenden Tag.

– Und sofort mit Grazie?

– Nein. Am vierten Tage weinte ich mich entsetzlich aus, und später, als ich schon etwas kuriert war (das heißt von der Liebe, aber nicht vom Saufen) – versuchte ich es, mich in die erste, beste zu verlieben, aber es ging nicht mehr, ich gebe dir mein Ehrenwort darauf, mein lieber Herr!

– Und hast keine Hoffnung mehr für die Zukunft?

– Augustinowicz dachte etwas nach und erwiderte:

– Nein. Ich achte die Frauen nicht mehr. So sehr ich früher an sie geglaubt, so sehr ich sie ehrte und liebte als den größten Lohn für die Mühe und Arbeit, so sehr gefallen sie mir heute ... du verstehst mich? Aber dies schließt die Liebe aus.

– Aber auch das Glück.

– Davon reden wir nicht: darum pfeife ich jetzt, wenn ich weinen möchte und darum bin ich fast neidisch ...

– Auf was? fragte Schwarz, einen raschen Blick auf Augustinowicz werfend.

– Auf dein Verhältnis mit Helenen. Runzle nicht die Stirne, und wundere dich nicht, dass ich alles so genau weiß ... Ho, ho! wir haben etwas Erfahrung! Ich sage dir übrigens, dass ich mich selbst in die Potkanska verlieben wollte ... Ich ziehe ein solches Weib den anderen vor ... wenn auch andrerseits ... Ei! ich weiß nicht, ob du dich nicht etwa ärgern wirst?

– Sprich!

– Ich fürchtete, mich in die Potkanska zu verlieben. Sie ist ohne Zweifel eine unglückliche Person – aber beim Barte des Propheten! – Was kümmert's mich? Ich weiß nur, dass es als Testament von Hand zu Hand geht, dass, wer sich ihr nur nahe, gleich der ewigen Glückseligkeit teilhaftig werde ... brr! auf Ehre, ich wollte nicht der Testator eines solchen Stipendiums sein – wenn auch für einen Freund.

Schwarz setzte das noch nicht geleerte Glas auf den Tisch, wendete sich an Augustinowicz und sagte kalt:

– Das mag sein, da ich aber der Vollstrecker des Testamentes bin, sei so gut, vom Legate mit mehr Achtung zu sprechen.

– Gut, ich spreche im vollen Ernste, wenn auch nicht mehr, wer oder was die Potkanska ist – aber von dem, was du zu tun hast. Ich spreche ohne Interesse – ja zum eigenen Schaden. Die Sache verhält sich so (Augustinowicz richtete sich im Bette auf) – Ich kenne dich, ich kenne sie, sie wirft sich dir selbst in die Arme Die Initiative von Seiten des Weibes ... ho! das taugt zu nichts! Die Liebe muss man erringen. Nach einem Monate langweilst du dich, quälst sie und wünschtest sie zu allen Teufeln ... Schwarz! ich wünsche dir alles Gute ... heirate Helena, so lange es noch Zeit ist ...

Schwarz runzelte die Stirne noch mehr als früher und erwiderte kurzweg:

– Ich werde tun, was ich für angemessen erachte.

Und in der Tat war ihm das Wörtchen: »Heiraten« noch nicht in den Kopf gekommen. Die Hände Helenens küssend, hatte er nicht an die Konsequenzen dieser Küsse gedacht. Er ärgerte sich über sich und besonders darüber, dass ihn jemand an seine Gewissenspflicht mahnte. Nach einem, nach zwei, nach mehreren Tagen hätte er gewiss sich selbst daran gemahnt. Die Mahnung einer fremden Person raubte diesem Gedanken den Reiz einer selbständigen, der Liebe entflossenen Tat, stempelte ihn zu einem Zwangsakte. – Am Abende desselben Tages traf Augustinowicz mit Wassilkiewicz zusammen.

– Weißt du, dass Schwarz die Potkanska besucht?

– Was weiter?

– Sie ist in ihn rasend verliebt. Bedenke, was daraus entspringt und reflektiere, was Schwarz zu tun verpflichtet ist?

Wassilkiewicz erwiderte mit seiner gewöhnlichen Geradheit:

– Sie wieder zu lieben.

– Gut, und weiter?

– Weiter mögen sie sich selbst raten.

Augustinowicz schwenkte ungeduldig den Arm.

– Noch eine Frage: was würdest du in ähnlicher Lage tun?

– Wenn ich die Potkanska liebte?

– Ja wohl.

– Ich würde sie ohne langes Sinnen heiraten.

Augustinowicz hielt ihn nun »zurück und begann die Hand auf dem Herzen mit tiefer Überzeugung zu sprechen:

– Siehst du, ich verdanke Schwarz gar viel, du weißt es übrigens am besten, ich möchte es ihm also aufrichtig lohnen – mit gutem Rate wenigstens. Er befindet sich in einer wunderlichen Lage ... es gibt jedoch – du verstehst mich – gewisse Gesetze der Ehre, die man nicht übertreten darf. Ich wollte nicht, dass wer immer zu Schwarz sagen dürfte: »du hast unehrenhaft gehandelt?. Ich spreche es offen aus: ich wollte es nicht und du kannst hier viel tun – du hast Einfluss auf ihn.

– Doch Wassilkiewicz geriet in Zorn, statt sich überzeugen Es zu lassen.

– Aber weshalb steckst du deine Nase in fremde Angelegenheiten? Lass ihm seinen Willen – er besticht sie ja erst seit kurzem. Ei! Augustinowicz, als ob du das vom Herzen tätest? Wenn dich Helene irgendwie interessiert, so mögen mich ... es ist nur dein Hang, dich in alles zu mengen – du suchst nur Gelegenheit, dich in Positur zu stellen und Phrasen zu drechseln. Spiele keine Komödie! Du opferst dich gleichsam, weil du, wenn Schwarz heiratet, die Wohnung verlierst, doch das ist nur Leichtsinn. Du weißt am Ende selbst nicht recht, ob du im Ernste sprichst und wann du dich selbst betrügst für Schwarz fürchte nichts! – ich wünsche dir Von Herzen ihm zu gleichen. Was kümmert's dich! Du hast nicht für einen Groschen Takt.

– Behalte die Lehren für dich. Du willst also nicht vermitteln?

– Wenn dieses noch unbestimmbare Verhältnis länger dauern sollte – werde ich der erste sein zuzureden und endlich Schwarz sogar zur Heirat zu zwingen; – aber sich jetzt zwischen sie zu drängen – wäre eine Dummheit. Augustinowicz ging ganz beschämt von dannen, das Wahrheitsgefühl sagte ihm jedoch, dass der Litauer im Rechte war – und dass es seinerseits in der Tat nichts weiter als Naseweisheit und die Lust eine Rolle zu spielen gewesen war.


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