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11.

Der Graf war in der Tat gestorben und wurde nach christlichem Brauche beerdigt. Nach seinem Tode stattete Schwarz der alten Frau Witzberg einen Besuch ab. Es handelte sich um Erwirkung irgend einer Fürsorge für die junge Gräfin, indem wirklich niemand Von der Familie von sich hören ließ, der Graf sehr geringfügige Existenzmittel hinterlassen hatte und das Fräulein, im Falle selbst etwas Vermögen zurückgeblieben wäre, zu jung war, um auf eigene Hand ein Haus zu führen. Bei der großen Gottesfurcht und den übermäßigen Gewissensskrupeln dieser Dame fiel es Schwarz nicht schwer, das gewünschte Ziel zu erreichen. Er redete ihr ein, sie habe den Grafen mit dem letzten Prozesse getötet, es sei demnach ihre Pflicht, das Kind ihres Opfers in ihre Obhut zu nehmen. Die Dame erschrak ungemein über die ihr angedroheten Höllenqualen und zog nebstbei in Betracht, dass die Gesellschaft der nach der Versicherung Schwarzens weltlich hochgebildeten Gräfin ihrer Malinka von Nutzen sein würde. Frau Witzberg war eine achtbare Dame im vollen Sinne des Wortes, besaß aber offen gesprochen nicht viel Geist und noch weniger Weltkenntnis. Als der triftigste Beweis dafür möge gelten, dass sie Augustinowicz als ein Muster der Eleganz, der Politur und des feinen Tones betrachtete; Schwarz jagte ihr gleich beim ersten Besuche etwas Furcht ein. Im Innern freuete es sie, dass, wie sie sagte, so distinguierte junge Leute ihre niedere Schwelle beehrten. Malinka, die in mancher Beziehung der Mutter glich, war ernstlich von Augustinowicz eingenommen. Sie bewog die Mutter, in Kiew ihren festen Wohnsitz aufzuschlagen; übrigens war die alte Dame eigentlich in dieser Absicht in die Stadt gekommen. Man musste doch die Tochter der Welt zeigen, denn Malinka war neunzehn Jahre alt, und in diesen neunzehn Jahren war sie einmal in Kiew, einmal in Zitomir gewesen, die übrige Zeit hatte sie in ihrem Heim verbracht. Das Vermögen gestattete ihr, in der Stadt zu weilen. Der selige Herr Witzberg war seinerzeit Zollbeamter gewesen und trotzdem in der an seinem Sarge gesprochenen Grabrede die Worte vorkamen: »Ruhe sanft, Kleofass Witzberg! – durch viele Jahrhunderte werden die Völker (ganz Europa) deine Makellosigkeit und deine strenge Tugend bewundern«, – trotz dieser Worte hinterließ Kleofass Witzberg seiner in tiefen Gram versenkten untröstlichen Gattin gegen neunmalhunderttausend polnische Gulden und er hätte sicherlich mehr hinterlassen, wenn die strenge Parze seinen Lebensfaden nicht durchschnitten hätte. Reich an Jahren und den Verlust eines so warmen Plätzchens bedauernd ging er ins Reich der Schatten. Aber das gesammelte Vermögen blieb in guten Händen, denn beide Damen besaßen edle Herzen. Sie halfen Witwen und Waisen, zahlten regelmäßig den Dienern und Mägden ihren Lohn, spendeten den Kirchen den Zehnten, mit einem Worte sie erfüllten ihre christlichen Pflichten, sowohl in Bezug auf den Leib wie auf die Seele. Die junge Gräfin empfingen sie mit offenen Armen und mit einer Herzlichkeit als ob sie ihre Blutsverwandte wäre. Besonders Malinka, ein braves wenn auch noch etwas linkisches Wesen, verliebte sich förmlich beim ersten Blicke in die adelige Waise. Wie nahm sie sich vor, gegen sie gut und dienstwillig zu sein, wie wollte sie sie trösten, ja wie schwärmte sie von einer zukünftigen innigen Freundschaft, es lässt sich all dies gar nicht aussprechen. Genug, Schwarz hatte für die junge Gräfin eine solche Fürsorge gefunden, dass sie es im eigenen elterlichen Hause nicht besser hätte haben können. Es ist wohl wahr, dass die junge Gräfin leicht Sympathie erweckte. Der stille und tiefe Gram, der sie in diesem Momente niederdrückte, entzog sie nicht so sehr der Wirklichkeit, um denen, die ihrs Gutes erzeugten, nicht dankbar zu sein« Schwarz dankte sie mit Tränen in den Augen, ihm die Hand reichend, die er mit einer bei ihm seltenen Rührung an die Lippen drückte. »Bei Gott!« – sagte Augustinowicz – »ich greinte fast, als sie mich anschauete. Möge mich der Teufel holen, wenn sie nicht hundertmal schöner ist als ich.«

Diese neue Gestalt nun, als besonders sympathisch allgemein ausgerufen, verflocht sich in die Schicksale unserer Helden. Es ist selbstverständlich, dass eine solche Gräfin; auf sie einen lebhaften Eindruck ausüben musste. Ob dies Zukunft ihr Engelsfittiche anheftet, ob in diesem lockenden Körper eine heuchlerische und vertrocknete Seele wohnt, das erfahren wir wohl später. Ja, wenn das Leben wie ein Buch wäre; wenn man den Menschen Seelen einflößen könnte, wie man sie in der Idee schafft – so dass sie dieselben und doch ganz andere wären! Doch es bleibt sich gleich. »Denn ich habe den Giftkuchen dieser Welt gekostet«, seufzt der Jüngling« Die Seele gleicht einer Quelle; sie trägt in weite Ferne das vergiftete Wasser, und wer bürgt dafür, dass ihm das Gift nicht auf dem Seelengrunde liege und er Von Gift geschwängerte Gestalten schafft? Die Seele ist ein weißes Blatt! Gott schreibt auf der einen, der Satan auf der andern Seite; doch Gott und Satan sind hier nur Symbole. Ja der Wirklichkeit ist es eine andere Hand, die schreibt; fürwahr, die Welt bildet diese Hand. Es schreibt die Welt, es schreiben böse und gute Menschen, es schreiben die Augenblicke des Glückes – es schreiben die hartnäckigen Schmerzen. Aber es gibt wieder Seelen, die den Muscheln gleichen, die wie diese das Sandkorn, den Schmerz in eine Perle umwandeln – Gram und Einsamkeit helfen dabei mit, doch nicht immer. Gram und Einsamkeit sind öfters der Deckmantel für Langeweile, Leere und Dummheit. Diese leiblichen Schwestern nisten gerne unter den Von Gram und Einsamkeit gebaueten Palästen, in denen sie das suchen, was sie niemals verloren haben. Die Einsamkeit hat wenigstens noch einen gewissen Reiz – der Gram nie, wenigstens nicht für den sich« Grämenden. Die Einsamkeit ist für die Seele gleichsam das, was der Schlaf für den Körper. Mehr noch; diese nebelhafte Monade schmilzt in der Einsamkeit, zerfließt, löst sich auf, hört fast auf zu existieren; die Worte und Gedanken verhallen in diesem Lande des Schweigens – die Seele wird für einen Moment zum Nichts – verliert sich vom Centrum nach allen Peripherien. All dies nennt man Ruhe. Einsamkeit ist die schlimmste Benennung, die der menschliche Geist je erdachte. Die Einsamkeit ist nie einsam, die Stille leistet ihr immer Gesellschaft. Schade, dass das nebelhafte Gewand dieser Dame gar zu oft ein gar zu reizender Page trägt, dessen Name – Trägheit. Die Poeten sagen, dass – die Einsamkeit zuweilen schöpferisch sei. Die Seele schauert selbstverloren zusammen und ist dann empfänglich für eine von außen heranfliegende Vision. Darum lieben die Einsamkeit nur Narren oder Weise, Schlafsüchtige oder Poeten. Die junge Gräfin liebte gar sehr die Einsamkeit.

– Sie war demnach? ...

Wir werden sehen ... Es ist Zeit, aus diesem Nebelreiche zur Wirklichkeit des Lebens überzugehen. Auch die Gräfin tritt in dieselbe ein, als? Als junges Mädchen ... Gibt's denn etwas Anziehenderes unter der Sonne? Ein so herrliches Gemisch von Blut, Leib, Blumenduft, Sonnenstrahlen und ... was denn noch? Und unserer eigenen Illusionen! Fliege also dahin, goldener Schmetterling!


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