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8.

Es verflossen ein paar Monate, der Winter war zu Ende, es verging der Frühling, es kam der Sommer und das Verhältnis hatte sich nicht geändert. Schwarz liebte Helenen, sie liebte ihn und die Tage flossen ihnen dahin, ohne dass sie je der Zukunft gedachten. Es stellte sich aber ein Schatten zwischen sie, ein Schatten, den ein zufälliges Ereignis geworfen hatte. An einem Sommertage band Helene die Bänder des blauen Hütchens unter dem Kinne fest, warf eine leichte Mantille um, hing sich an Schwarzens Arm – und beide machten einen Spaziergang. Die Sonne leuchtete, es war etwas Staub in der Luft und die Glut war auf allen Gesichtern fühlbar, obgleich es schon sechs Uhr nachmittags war. Eine Menge Leute spazierten in der Stadt umher, viele Bekannte grüßten Schwarz mit einem freundschaftlichen Kopfnicken, einige Von ihnen und selbst Fremde schauten sich nach unserm Paare um. Schwarz war gewachsen, männlicher geworden; das Kinn und die Backen bedeckte schon ein prächtiger, rötlicher Haarwuchs und das Antlitz selbst offenbarte einen ernsten Ausdruck mit einer Nuance von Selbstbewusstsein – die Potkanska sah ganz einer jungen Verlobten gleich. Die blauen Hutbänder flatterten im Winde, er spielte mit dem weißen Kleide und schlug die leichte Hülle zurück, so dass ihre schlanke Taille sichtbar wurde. Sich graziös auf Schwarzens Arm stützend freuete sie sich seiner und der Sonne, und der Luft, als ob sie zum zweiten Male auf die Welt gekommen wäre. Schwarz blickte mehr auf sie, als auf die Umgebung. Wir wollen es nicht versuchen ihr Gespräch wiederzugeben, jenes Lispeln Verliebter, für andere bedeutungslos, für sie voller Reize. Sie sprachen übrigens auch von ernsten Sachen. Helene bat zum Beispiele Schwarz, sie zum Grabe des Gatten zu führen.

– Im Sommer – sagte sie – ist auf dem Friedhofe viel Schatten und ich war so lange nicht dort, ich darf ihn ja nicht vergessen. Du ersetzest mir ihn, mein Joseph, aber gestatte mir auch, für ihn zuweilen zu beten.

Schwarz war es ganz gleich, weshalb und für wen Helene bete; er erwiderte demnach mit einem milden, nachsichtigen Lächeln:

– Gut, meine Helene, gedenke deiner Verstorbenen – nur liebe die Lebenden – fügte er hinzu, den Kopf ihrem Antlitze zuneigend.

Als Antwort drückte Helene Schwarzens Arm leicht an ihre Brust, blickte ihm ins Auge und errötete wie ein Mädchen. Schwarz umfing seinerseits mit der Hand ihr kleines, auf seinen Arm sich stützendes Händchen und ... war vollkommen glücklich. Sie gingen auf den Friedhof. Auf dem Wege begegneten sie Augustinowicz; er ging eine Zigarre rauchend an der Seite zweier Damen, von denen die eine die Mutter, die andere die Tochter war. Augustinowicz führte die Tochter am Arme – die Mutter folgte ihnen etwas seitwärts; es hinderten sie die Beleibtheit, dann auch die Eile und die Hitze. Augustinowicz war augenscheinlich jovial, denn das Fräulein hielt zuweilen vor Lachen im Gange inne. An Schwarz vorbeikommend, blinzelte er mit einem Auge, was bei ihm bedeutete, dass er in diesem Augenblicke mit der Welt und der Weltordnung zufrieden sei. Schwarz fragte Helenen, ob ihr Augustinowicz bekannt sei.

– Ich kenne ihn, wenn mir auch sein Name fremd ist; ich sah ihn, als Kasimir starb, in meiner Nähe – dann kam er mir nicht mehr zu Gesicht.

– Es ist einer der talentvollsten Taugenichtse, die ich kenne, bemerkte Schwarz. – Aber! – man sagte mir, er sei in meine Gnädige verliebt gewesen.

– Weshalb sagst du mir das?

– Ohne irgend eine Absicht – es ist aber wunderbar, wie alle von dir angezogen werden.

– Es ist dies das Einzige, mein teuerer Joseph, was mir in der Welt zuteil geworden. Du glaubst es nicht, wie traurig die Jahre meiner Kindheit verflossen. Du kennst nicht meine Lebensgeschichte? Ich wurde in einem vornehmen Hause auferzogen ... der Hausherr trug für mich wie für ein eigenes Kind Sorge ... Nach seinem Tode setzte man mir mit allen Arten von Grobheiten zu, so dass ich von dort entfloh und nach Kiew reiste. Hier nahm mich nun ein sehr alter und sehr lieber Mann auf, nannte mich immer Helusia und hätschelte mich wie eine eigene Tochter. Doch auch er starb, ohne mir irgend welche Existenzmittel zurückzulassen ... Bald darauf lernte ich Kasimir kennen. Du wunderst dich, dass ich den Studentenklub besuchte? Glaube mir, ich starb fast vor Scham, als ich dort zum ersten Male eintrat – aber du glaubst es vielleicht nicht? – ich hatte schrecklichen Hunger, seit zwei Tagen hatte ich nichts gegessen – auch fröstelte mich. Ich wusste selbst nicht, was ich tat und wozu das führen werde. Damals näherte sich mir Kasimir. Ach! er gefiel mir damals durchaus nicht: – er lachte und war lustig, während es mir vor den Augen dunkelte. Er fragte endlich, ob ich nicht mit ihm gehen wollte. Ich erwiderte: »Ja«. Auf dem Wege wickelte er mich in seinen warmen Pelz, denn ich zitterte vor Kälte, und brachte mich endlich in seine Wohnung. Dort erst, als die Wärme mir das Bewusstsein wiedergab, bemerkte ich, wo ich mich befand und ich weinte bitterlich über meine Ehrenschändung, wie aus Scham, denn ich war ja ganz allein in der Wohnung eines Mannes. Ich befand mich in seiner Gewalt. Er schien sich über meine Tränen zu wundern – dann schwieg er und setzte sich zu mir und wie ich ihn wieder anblickte, hatte er Tränen in den Augen und war wie umgewandelt Er küsste mir die Hand und bat mich ruhig zu sein. Ich musste ihm alles, alles erzählen. Er versprach, meiner wie einer Schwester zu gedenken ... Wie gut er war – ist's nicht so? Von dem Augenblicke an, dass ich ihn kennengelernt hatte, kannte ich keinen Mangel mehr. Als er mich verließ, küsste er mir wieder die Hand – ich wollte dasselbe tun – es presste mir das Herz zusammen, ich drückte seine Hände an die Brust und weinte. Acht wie liebte ich ihn schon damals! wie liebte ich ihn!

Helene hob die Augen in die Höhe; in diesen Augen blinkten große Tränentropfen der Dankbarkeit Sie war jetzt schön wie eine Begeisterte. Schwarz aber hatte einen strengen Gesichtsausdruck die Brauen zogen sich ihm auf der Stirne zusammen. Der Gedanke, dass er einem nichtigen Zufalle, einer nichtssagenden Ähnlichkeit die Liebe dieser Frau verdanke, bedeckte sein Antlitz mit einem düstern Schatten. Potkanski hatte sie auf eine andere Weise errungen. Dieser Vergleich schmerzte ihn, er gedachte der Worte Augustinowiczs und geleitete Helene schweigend weiter. Sie kamen auf den Friedhof. Kreuze, Steine, Grabhügel blinkten zwischen den Bäumen. Die Stadt der Toten schlief in stillem Ernste im Schatten des grünen Landes. Einige Personen wandelten zwischen den Denkmälern – zwischen den Baumästen ließ hier und da ein Vogel einen wenn auch traurigen, doch willkommenen Ton erklingen. An manchen Punkten sah man die Gestalt eines Friedhofwächters vorbeigleiten. Helena fand bald das Grab Potkanskis. Es war ein großes, mit einem eisernen Gitter umgebenes Grab, an dessen Fuß sich ein kleiner, mit Rasen bedeckter Grabhügel erhob. Dort lag Potkanski und Helenens Kind. Einige kleine Blumenvasen zierten das Grab, an den Seiten wuchs Reseda – überhaupt waren die Gräber reinlich, ja sorgfältig erhalten und bezeugten die Bemühung einer pflegenden Hand. Schwarz rief einen Wächter herbei das Gitter zu öffnen – Helene kniete da mit Gebeten aus den Lippen und Tränen in den Augen.

– Wer pflegt diese Gräber? – fragte Schwarz den Wächter.

– Diese Dame kam hierher, es kam auch ein Herr mit langen Haaren, aber er kommt jetzt nicht mehr – erwiderte der Wächter. Er ließ auch das Gitter anfertigen, er zahlte immer für die Blumen.

– Dieser Herr wohnt auch schon hier – vor einem Jahre wurde er hier beerdigt – sagte Schwarz.

Der Wächter schüttelte mit dem Kopfe, als wollte er sagen: »Auch du wirst hier wohnen.«

– Was ist's weiter, ich bitte sehr? Dort in der Stadt hat man nur Sorge und Kränkung, hier liegt man ganz ruhig. Ich denke mir mehr als einmal: Sollte der Herr Gott die Seele jenseits noch peinigen wollen? Als ob der Mensch auf dieser Welt wenig leide!

Nach einer Weile hatte Helene ihr Gebete beendet – Schwarz reichte ihr wieder den Arm. Er schwieg, augenscheinlich lag ihm etwas schwer auf dem Herzen; – mit oder ohne Absicht schlug er einen andern Weg ein. Dann zeigte er plötzlich, schon nahe am Tore mit der Hand auf eines der Gräber und sagte mit einer eigentümlichen, kalten Stimme:

– Schau her, Helene, dieser Mensch liebte dich bei Lebzeiten mehr als Potkanski und doch gedachtest du nicht einmal seiner.

Die Sonne war schon zur Rast gegangen – Helene warf einen Blick auf den Gegenstand, den ihr Schwarz gezeigt hatte. Auf dem Grabe stand ein schwarzes hölzernes Kreuz und darauf waren mit weißer Farbe die Worte geschrieben:

»Gustav ... gestorben am ... anno ...«

Die Strahlen der Abendröte hatten die Aufschrift blutig gefärbt.

– Gehen wir ... es dunkelt flüsterte Helene, ich an Schwarz schmiegend.

Als sie in die Stadt kamen dämmerte es schon stark, aber es war eine heitere Nacht zu erwarten. Der Mond erhob sich groß und rot über den Dniepr. In den dichten Alleen des Gendarmeriegartens hörte man hier und da Tritte wiederhallen – aus einem der Fenster des anliegenden Pavillons vernahm man Klaviertöne; ein gar junges Stimmchen sang ein Lied Schuberts; die Töne zitterten in der warmen Luft – weit, weit in der Steppe erschallte ein Posthorn.

– Eine herrliche Nacht – sagte Helene leise. Warum bist du traurig, Joseph?

– Setzen wir uns ein wenig – sagte Schwarz ich bin müde.

Sie setzten sich und aneinander gelehnt versenkten sich beide in Gedanken Da erweckte sie plötzlich eine junge, klangvolle Stimme aus ihrem Träumen – diese Stimme sprach:

– Du hast recht, Karl! Das allergrößte Glück ist reine Frauenliebe, wenn sie das Echo ist auf die Stimme einer echten Mannesseele.

Die beiden jungen Leute gingen Arm in Arm langsam an der Bank vorbei, auf der Schwarz und Helene saßen.

– Guten Abend! – riefen beide die Hüte ziehend.

Es waren Wassilkiewicz und Karl Karwowski. Schwarz hielt, als er sich von Helenen trennte, lange ihre Hand an seinen Lippen und kam stark aufgeregt in später Stunde nach Hause.


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