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13.

Helene war nicht zu Hause. Schwarz wartete einige Stunden, und ging unruhig in ihrem Zimmer auf und ab. Er hatte beschlossen, um jeden Preis die falsche Stellung zu verlassen, in die ihn die gleichzeitige Fürsorge für die Witwe und die verwaiste junge Gräfin gebracht hatte. Er musste sich aber selbst gestehen, dass ihm der Entschluss Schmerz verursachte. Es war ein tiefer, fast ein physischer Schmerz. Schwarz kam, um Helenens Hand zu erbittert, und doch schien es ihm in diesem Augenblicke, dass er sie nicht leiden könne« Zu jener zog ihn das Herz und die Gedanken, er fühlte so zu sagen in der eigenen Brust, dass er gleichsam beim eigenen Willen noch um einen Moment für jene bat. Er liebte Lula, wie nur energische und dem Anscheine nach kalte Naturen lieben können. Er bereitete sich zum Empfange Helenens vor und sah voraus, dass ihm dies gar schwerfallen würde. Es gibt nichts Widerwärtigeres, als einem nicht geliebten Weibe zu sagen, dass man sie liebe. Es ist dies für eine wahrhaft männliche Natur die am wenigsten mögliche Heuchelei. Schwarz hatte ehedem Helenen geliebt, aber er hatte sie zu lieben aufgehört, noch bevor er wahrgenommen hatte, wie sehr er an Lula hänge. Als ihm dies klar wurde, schwankte er für einen Moment. Er fühlte die neue Liebe und fürchtete sich, an sie zu denken, sie sich zu gestehen. Als das Herz laut zu sprechen begann, rief er ihm zu: Schweig'! – er stopfte sich die Ohren, fürchtete seine eigenen Schritte, ängstete sich über die für die Zukunft möglichen Entschlüsse. Er war mit sich selbst uneinig und dies konnte nicht lange mehr währen. Zufällig warf ihm Augustinowicz mit dem ihm eigenen Zynismus diese Liebe Vor und zwang ihn, derselben geradeaus ins Auge zu schauen. Jede Flucht war abgeschnitten – Schwarz nahm den Kampf auf und ging ... zu Helene. Aber der Kampf hatte Spuren zurückgelassen. Das Fieber wallte im Blute und er konnte nicht ruhig denken. Verschiedene Bilder kleiner und teurer Erinnerungen kamen ihm ins Gedächtnis, und er glaubte in diesem Momente mehr als je an die Gegenliebe Lulas. »Habe ich ein Recht, auch ihr Glück zu vernichten?« Dieser einfältige, ohnmächtige Gedanke wiederhallte in ihm wie die letzten Schüsse besiegter Heere, es zerschlug ihn aber die Reflexion, dass zwischen ihm und Helenen die Pflicht stehe, zwischen ihm und der Gräfin – nichts.

Andere Schwierigkeiten standen seinem gefassten Entschlusse im Wege. Der Vorsatz war redlich, um ihn aber zur Tat werden zu lassen, musste er lügen und dann Liebe heuchelnd sein ganzes Leben lang lügen. »Das Böse als Folge des Guten! – Eh! man könnte wahnsinnig werden!« – dachte Schwarz. – »Und das Leben verwirrt sich wie ein Knäuel. Jeder rennt dem Glücke nach wie der Hund dem eigenen Schweife – und jeder mit demselben Erfolge.« Ho! Schwarz, der kein Freund der Deklamation war, verwickelte sich in die Dialektik des Unglücks. Eine solche Philosophie hat übrigens ihren Reiz: der Mensch liebt sein Missgeschick ebenso wie ein glückliches Los.

Indessen war es Abend geworden und Helene noch immer nicht zu sehen. Schwarz setzte voraus, dass sie auf den Friedhof gegangen und ohne zu wissen warum, ärgerte ihn dies jetzt. Er zündete indessen eine Kerze an und begann wieder im Zimmer auf und ab zu gehen. Zufällig fiel sein Blick auf das Porträt Potkanskis – Schwarz hatte ihn nicht gekannt und liebte ihn nicht, wenn er auch zur Rechtfertigung seiner Antipathie höchstens dessen adlige Abkunft anführen konnte. Jetzt, da er wieder in das volle, heitere Antlitz blickte, blitzte fast Hass in feinen Augen.

– »Zu guter Letzt bin ich für sie ja nur das Konterfei von diesem,« – dachte er.

Das war aber nicht der Fall. Schwarz unterschied sich im Charakter durchaus von Potkanski und Helene liebte jetzt schon Schwarz, eben weil es Schwarz war. Doch dieser Gedanke stand ihm als Schreckbild vor Augen, er hätte viel darum gegeben, wenn Helene nicht die Frau von jenem da gewesen wäre und mit ihm kein Kind gehabt hätte.

»Auch ich werde ein Kind haben – sagte Schwarz zu sich – einen Sohn, den ich zum tüchtigen und festen Manne erziehen werde ... Ha! Wenn dieses Kind das meine und ... Lulas wäre!

Er fühlte einen Fieberschauer und er drückte die Lippen zusammen, die Schweißtropfen standen ihm auf der Stirne. In diesem Gedanken lag ein Meer der Sehnsucht. Er saß noch ungefähr eine halbe Stunde, bis Helena kam. Sie war schwarz gekleidet, und diese Farbe hob besonders die matte Gesichtsfarbe und die blonden Haare hervor. Beim Anblicke Schwarzens lächelte sie furchtsam, aber es lag eine unendliche Freude in diesem Lächeln, denn Schwarz war in der letzten Zeit bei ihr ein gar seltener Gast gewesen. Zu ihrem Glücke hatte sie so viel Takt oder weibliches Zartgefühl, so dass sie ihm keine Vorwürfe machte; auch wagte sie nicht sich über sein Kommen laut zu freuen, denn sie wusste nicht, was er ihr bringe. Aber mit der Hand, die sie ihm reichte, umfasste sie fest und breit wenn auch weich die seine. Ihre Hand bebte bei der herzlichen Beredsamkeit des Druckes, ihre Furcht und ihr Gefühl wiedergebend, wenn auch der Mund schwieg. Mit dem wehmütigen Lächeln und der ausgestreckten Hand bezauberte sie durch den unaussprechlichen

Reiz des liebenden Weibes. Hätte sie einen Stern in den Haaren gehabt, man hätte sie für einen Engel genommen – sie hatte auch vielleicht um den Kopf die Aureole der Liebe, aber für Schwarz war sie kein Engel, bei ihm fehlte ihr jede Aureole. Er berührte jedoch mit den Lippen ihre Hand.

– Setze dich, Helene, zu mir und höre – sagte er. – Ich war lange nicht« bei dir und möchte, dass zwischen uns die frühere Offenheit, das frühere Vertrauen wiederkehre.

Sie warf die Hülle und den Hut bei Seite, richtete mit der Hand die Haare und setzte sich schweigend nieder. Unruhe, Bangigkeit sprachen sich auf ihrem Antlitze aus.

– Ich höre, mein Joseph.

– Es find schon vier Jahre, seit Gustav gestorben, der dich mir anvertraute. Ich erfüllte nach Möglichkeit das ihm gegebene Versprechen, aber unser Verhältnis war kein solches, wie es hätte sein sollen. Das muss anders werden, Helene ...

Er musste aufatmen, er hatte sein Urteil zu sprechen. In der für einen Moment herrschenden Stille konnte man das Klopfen von Helenens Herz hören. Ihr Antlitz erbleichte, die Augenlider zuckten, die Augen umschleierten sich, sie war tief ergriffen.

– Es muss anders werden? – flüsterte sie kaum hörbar.

– Sei meine Frau.

– Joseph!

Sie faltete die Hände wie zum Gebete und blickte ihn eine Weile mit, Von den auf sie eindringenden Gedanken und Gefühlen irren Augen an.

– Sei meine Frau. Die Zeit, von der ich dir längst gesprochen, ist da.

Sie warf ihm die Arme um den Hals und lehnte den Kopf an seine Brust.

– Joseph! Du spottest meiner nicht? Nein, nein! Also werde ich noch glücklich sein? O! ich liebe dich so sehr!

Der Busen Helenens wogte, das strahlende Antlitz und den Mund neigte sie wie einen Blumenkelch unbewusst zu Schwarzens Mund.

– O! ich war sehr traurig, vereinsamt – sagte sie – aber ich glaubte an dich. Das Herz vertraut, wenn es liebt. Du bist mein! Ich lebe nur durch dich – was ist denn sonst das Leben? Wenn der Mensch lacht und sich freut, sich grämt und weint, denkt und liebt – das ist das Leben. Ich freue mich und weine nur durch dich, an dich denke ich, dich liebe ich. Wenn man uns trennen wollte, ich würde die Haare herunterreißen und mich um deine Füße winden. Ich war wie eine Flamme, die dein Hauch verlöschen kann. Nun bin ich dein – erlaube mir zu weinen! – Liebst du mich auch?

– Ich liebe.

– Ich habe so viele Jahre im Weinen verbracht, aber es waren nicht solche Tränen, wie ich sie heute weine. Es ist mir so hell im Gemüte! Erlaube mir die Augen zu schließen, um diesen Glanz zu sehen. Wieviel Glück in einem Worte! Joseph, mein Joseph! Ich kann es kaum fassen!

Es fiel Schwarz gar schwer, Helene so reden zu hören; er fühlte das Unmaß Von Lügen und Disharmonie, in der ihm von nun an das Leben dahinfließen sollte, vereint mit dem so schönen, so sehr liebenden ... aber so wenig geliebten Weibe. Er erhob sich und nahm Abschied. Helene legte, als sie allein war, die brennende Stirne an die Fensterscheibe und stand lange schweigend da. Endlich öffnete sie das Fenster und blickte, den Kopf auf die Hand gelehnt, in die weite gestirnte Sommernacht. Stille Tränen rollten die Wangen hinunter, der goldige Zopf fiel aufgelöst auf den Busen; der Mond bestrahlte ihre Stirne und versilberte ihren Anzug.


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