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16.

Helene glaubte fast selbst nicht an ihr Glück. Sie bereitete sich zur Trauung vor. Ihre umwölkte Vergangenheit war verschwunden, die Lebensnacht war zu Ende, es brach der Morgen an. Ein Weib, das einem Wandelsterne gleich nicht weiß, wo und wie tief es fällt, ein unstetes Weib, das seine Zukunft hatte, sollte es nun in einen neuen Lebensabschnitt treten, die Liebe des geliebten Mannes erwerben, für die Zukunft dessen Frau sein und bleiben, ein stilles Leben, ein Leben, das einen Morgen hat, beginnen, von Achtung umgeben, von Liebe und Pflicht erfüllt – so sollte sich die Zukunft Helenens gestalten. Sie begriff oder richtiger sie ahnte das Anormale zwischen ihrer Zukunft und Vergangenheit. »Aus einem solchen Leben wie das meinige sollte nicht derartiges entspringen, ich bin ein solches Glück nicht wert?, flüsterte sie Schwarz zu, als er ihr den Verlobungsring an den Finger steckte. »Ich bin ein solches Glück nicht wert!«

Diese durch die Liebe gezähmte Halbirrsinnige war im Rechte. Aus der Logik ihres Lebens konnte eine solche Zukunft nicht erblühen, doch ihr Leben hatte schon aufgehört dem eigenen Laufe zu folgen. Es gibt Sterne, die in der Einsamkeit in unbegrenzten Räumen kreisen, bis sie von einem mächtigeren Planeten fortgerissen, nun neben oder mit ihm wandeln. Etwas Ähnliches war mit Helenen der Fall. Der stärkere Wille zog den schwachen an. Helene begegnete auf ihrem Wege Schwarz und nun folgte sie seiner Bahn. Das Verständnis dessen beruhigte sie. »O! wenn er es will, werde ich glücklich sein!« – dachte sie oft. Sie hatte einen grenzenlosen Glauben nicht allein an den Charakter, sondern auch an die Macht Schwarzens. Es war also der letzte Schatten von ihrem Gemüte gewichen – es verschwand die Angst, jene undefinierbare Furcht vor der Zukunft, die sie bis zum Augenblicke der Erklärung Schwarzens nicht los werden konnte, und die sie wie Gewissensbisse quälte.

Helene traf von der Zukunft träumend, mit Melodien auf den Lippen die Vorbereitungen zur Trauung und freuete sich wie ein Kind über jeden Bestandteil des Putzes. Sie wollte trotz ihrer Witwenschaft ein weißes Kleid haben, was auch Schwarz gefiel. Ihre gute Laune wiedergewinnend, kräftigte sich auch ihre Gesundheit; sie wurde tätig, gewandt, und kümmerte sich sogar um geringfügige Dinge der künftigen Wirtschaft. Ihre Züge verschönten und veredelten sich unter dem Einflusse des Glückes. Aus einem menschenscheuen Wesen, aus einem Vogel, dem man die Flügel – gestutzt, verwandelte sie sich in eine Frau, die sich ihres eigenen Wertes bewusst wurde, wenn auch nur darin, dass sie geliebt werde. Der Zeitpunkt der Trauung kam indes immer näher.

*

Es näherte sich auch der Moment in dem Schwarz die Doktorwürde erlangen sollte. Er studierte also und das so anhaltend, dass seine Gesundheit etwas darunter litt. Schlaflose Nächte und Geistesanstrengung bleichten seine Wangen; er magerte ab, die Augen waren blau unterlaufen; er lebte in einem immerwährenden Studierfieber und wurde in der Wirklichkeit entkräftet, hielt sich aber so viel er vermochte aus den Beinen, indem er um jeden Preis sich eine ehrenhafte Stellung und eine unabhängige Zukunft endlich erringen wollte. Außer dem Ehrgeize und dem nahen Trauungstermine bewog ihn noch eine Sache zu dieser Überanstrengung Der vom Hause mitgebrachte Fond hatte sich langsam erschöpft und war dem Ende nahe. Schon jetzt ruhete auf Augustinowicz die Last der Ausgaben und der häuslichen Wirtschaft. Augustinowicz hatte dem Tranke entsagt und erwarb bedeutend mehr als Schwarz. Musiklektionen trugen verhältnismäßig sehr viel ein und er brauchte denselben trotz der sich häufenden Studienarbeiten nicht zu entsagen, weil seine angeborenen Fähigkeiten die fehlende Zeit und Lust mehr als nötig war ersetzten. Frau Witzberg besuchte er wie früher täglich, täglich lief Malinka herbei, ihm die Türe zu öffnen und täglich entzog sie ihm dem Scheine nach die Händchen, die er die Gewohnheit hatte mit zahlreichen Küssen zu bedecken. Das brave Mädchen war ihm sehr geneigt. Liebte er sie? Eher nein als ja, die Vergangenheit hatte in ihm jedes sympathische Gefühl getötet. Er hatte in der Wirklichkeit nicht für einen Heller Feuer. Wenn seine Fähigkeiten von Leidenschaft durchwärmt wären, sie müssten ihn weit bringen. – ihr Licht glich aber dem Mondscheine, es leuchtete ohne zu erwärmen. Dies verhinderte ihn nicht, wie man sagt, ein Mordkerl, ein vorzüglicher Kollege, ein lustiger Gesellschafter zu sein. Wenn er etwas Anhänglichkeit noch fühlte, so war es für Schwarz. Es fehlte ihm indessen nicht, nach seiner Weise, an gewissen Sympathien und Antipathien; Malinka war ihm sympathisch, Lula antipathisch. Warum war er Lula abgeneigt? Es gab da verschiedene Gründe. Sie traktierte ihn immer mit kalter Erhabenheit und dann war sie noch eine Gräfin. Gewöhnlich hatte er Glück bei den Frauen, was er seiner unerschöpflichen guten Laune und sogar seinem Zynismus verdankte, der ihm gestattete, sich überall heimisch zu fühlen. Er hatte nebstbei eine besondere Fähigkeit, sich in jede Gesellschaft, mit der er verkehrte, zu fügen. Immer geradaus gehend, besaß er doch (wo er es wollte) die feinste gesellschaftliche Politur. Er pflegte dann zu bemerken, dass die Leichtigkeit, Distinktion zur Schau zu tragen, bei ihm erblich sei, es komme von »gar edlem Blute«. In der Wirklichkeit hatte er seine Eltern nie gekannt, auch wusste er nicht einmal, wer sie waren, hielt sich aber doch für den Sprössling eines berühmten Geschlechtes. Er setzte sogar nach dem bekannten Scherze voraus, dass Lätitia, die Großmutter Napoleon Ill. und seine Großmutter – zwei Großmütter waren. Auf diese Weise bewies er seine Verwandtschaft mit den Bonapartes.

Trotz aller dieser Eigenschaften ignorierte ihn Lula ein wenig. Mehr als dieses leichtsinnige, elastische Wesen erweckte der eiserne, wie aus einem Gusse geformte Charakter Schwarzens ihr Interesse Zuletzt verliebte sie sich in Schwarz, Augustinowicz wurde also selbstverständlich bei Seite geschoben. Das ärgerte ihn aber. So standen die Sachen bis zum Auftreten Pelskis.– Seit dieser Zeit, besonders seit Schwarz seine Besuche eingestellt hatte, war Lula wie umgewandelt Augustinowicz setzte ihr etwas zu, denn er betrachtete die Dinge durch das Prisma seiner Antipathie für Lula. Er dachte, dass sie jetzt erst recht ihm Geringschätzung, ja selbst Verachtung bezeugen werde – und doch kam es ganz anders. Lula gab die indifferente Rolle ihm gegenüber auf, sie begann ihn zu fürchten. »Den Göttern sei Dank,« – dachte damals Augustinowicz – »der Mensch hat eine sehr gelenkige Zunge. Sie fürchtet, dass ich Pelski zum besten haben werde.« Es ereignete sich auch nicht selten etwas dergleichen, was, offen gestanden, Lula sehr unangenehm berührte. Anfangs fragte sie ihn über Schwarz aus; da sie aber immer eine und dieselbe Antwort erhielt: »er studiert« – hörte sie zu fragen auf. Auch schien es, als ob sie Augustinowicz für sich zu gewinnen trachte, wenigstens zeigte sie in ihrem Benehmen mit ihm eine gewisse Weichheit mit stiller Trauer vereint. Oft forschte sie ängstlich in seinen Augen, wenn er eintrat, als ob sie von ihm irgend eine Nachricht für sie erwartete. Diese Angst war ganz natürlich. Ob sie nun Schwarz liebte oder nicht, jedenfalls musste sie Wunder nehmen, dass der, auf den sie so sehr gerechnet, der ihr immer so viele Sympathie bezeugt hatte – jetzt ihrer fast vergessen habe. Die Antworten Augustinowiczs erschienen ihr auch nicht wahrheitsgetreu. Es war nicht möglich, dass Schwarz selbst beim angestrengtesten Studieren im Verlaufe von fast zwei Monaten keine Minute Zeit fand, um sie nur zu sehen, um ihr Befinden zu fragen – umso mehr, als sie wusste, dass er sie liebe. In ihren Gedanken verflocht sich wunderbar die Ankunft Pelskis und das Ausbleiben Schwarzens. Sie konnte mit Recht annehmen, dass hier ein gewisser Zusammenhang obwalte. Augustinowicz allein konnte eine Aufklärung geben, er wollte es aber nicht.

Unruhig, gereizt, bekümmert, wurde Lula von Pelski in das Reich glänzender Träume, in eine herrliche Zukunft von Reichtum, Komfort, Dienern und Equipagen gezogen – während ihre Gedanken im Stübchen Schwarzens weilten und sie ihn bestürzt fragte: »warum er nicht zu ihr komme?« Er kam aber nicht. Pelski trat immer offener als Konkurrent aus. Lula, die Schwarz der Gleichgültigkeit zieh und sich durch ihn verletzt und gedemütigt fühlte, war schon aus Rache bereit Pelski ihre Hand zu reichen. Übrigens zog sie auch die Tradition auf seine Seite – es war also leicht vorauszusehen, wer der Sieger bleiben würde. Pelski bemühete sich, soviel er vermochte, die Wölkchen aus Lulas Stirne zu zerstreuen und gar oft gelang es ihm auch. Lula hatte von Zeit zu Zeit wunderliche Anfälle von Lustigkeit. Sie lachte dann und warf mit tausenden von Witzworten um sich, und wenn auch in dieser Lustigkeit eine gewisse Fieberhitze nicht zu verkennen war, lag auch übrigens darin keine geringe Dosis von Koketterie. Ihre Augen glüheten bei solcher Gelegenheit, ihre Stirne hauchte eine heiße Atmosphäre aus, ihre Lippen umschwebte ein reizendes Lächeln. Ihre Worte verletzten und streichelten, zogen an und stießen ab. Gewöhnlich fiel Pelski, nachdem die Versuche bei Augustinowicz arg gescheitert waren, einzig und allein als Opfer dieser tollen Laune. Pelski verlor da ganz den Kopf, fiel aus seiner Vormundsrolle und ergab sich als Sklave seiner Cousine, die je untertäniger er war, desto verwegener, je trauriger er war, desto ausgelassener lustig wurde.

– Fräulein Malinka! – flüsterte dann Augustinowicz – ahmen Sie ihr keineswegs nach – sie ist eine Kokette!

– Nein! – erwiderte Malinka traurig. Ich werde Ihnen diese Worte noch ins Gedächtnis zurückrufen.

Es wäre auch schwer zu bestimmen, was Augustinowicz gesagt hätte, wenn er nach einem solchen Abende gescheit hätte, wie die vor einer Weile erst kokettierende Lula dann in ihrem Zimmer allein gelassen so heftig schluchzte, dass man sie nach vielen Stunden nicht zu besänftigen vermochte. Die arme Lula konnte nicht einmal jemandem ihren tiefen Schmerz, ihren schweren Kampf, den sie mit sich selbst zu bestehen hatte, beichten. Sie weinte in schwachen Augenblicken. Wie viel in diesen Tränen verletzte Eigenliebe, wie viel aufrichtiges Leid um Schwarz enthalten war, wäre schwer zu bestimmen. Ehedem hätte sie, die gute Malinka umarmend, ihr alles gestanden, was ihr Gemüt niederdrückte, aber jetzt war ihr auch Malinka schon fremd, wenigstens nicht so nahe wie früher. Eben die unglücklichen Koketterieexperimente bei Augustinowicz hatten die in ihn verliebte Malinka tief verletzt; auch erschien dieser das Verhältnis Lulas zu Pelski gar sonderbar. Indes floss die Zeit dahin. Lula begann zu zweifeln, ob sie Schwarz je geliebt – Pelski nährte sie unvermerkt mit dem Gedanken künftigen Komforts, – die Zeit verstrich, – und die Zeit ist nach dem Worte des Dichters: »ein schlechter Gärtner blühender Rosen«.


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