Johann Gottfried Seume
Mein Leben
Johann Gottfried Seume

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Seume hatte Empfänglichkeit für die Reize des schönen Geschlechts: er war mehrere Male wirklich verliebt mit der ganzen Stärke und Heftigkeit seines Gemüts. Ich würde dieses als etwas ganz Gewöhnliches, das den mehrsten Geschöpfen zu begegnen pflegt, gar nicht erwähnen, noch weniger bemerken, daß er, wie alle ätherischen und kräftigen Menschen, den Kopf dabei ein wenig verloren habe, wenn es nicht auffallend gewesen wäre, daß die beiden letzten Gegenstände seiner Liebe reiche Mädchen waren. Er suchte ihren Reichtum nicht; aber da sie reich waren, ließ er sich hier gehen und strebte nach einer ehelichen Verbindung mit dem Gegenstande seiner Liebe, weil, wenn er ein Opfer seiner Überzeugung und deren lauter Verkündigung werden sollte, welches gar nichts Unmögliches war, die Gattin nicht verlassen von ihrer Familie und Vermögen sein möchte. Gewiß haben mehrere Mädchen Eindruck auf ihn gemacht; aber wenn sie arm waren, so suchte er gleich anfangs Herr über eine solche Liebe zu werden und ihrer Macht zu entgehen.

Es war überhaupt Plan in seinem Privatleben, wiewohl dieser Plan nicht in die Augen fiel. Als Göschen ihm die Aufsicht über seine damaligen typographischen Unternehmungen antrug, antwortete Seume: »Zwei Jahre will ich bei Ihnen sitzen, dann muß ich mich aber wieder ein wenig auslaufen. Ich will dann nach Syrakus.« Mit dem letzten Tage der zwei Jahre, im Anfange des Dezembers 1801, reiste er ab, und nach neun Monaten trat er an demselben Tage, den er als Ziel seiner Abwesenheit bestimmt hatte, auch wieder in Göschens ländliche Hütte ein, zum frohen Erstaunen der ganzen Familie. Wenige Wochen vor seiner Abreise, am Geburtstage der Mutter dieser Familie, seiner Freundin, sang er im Garten bei einer sternhellen Nacht, verkleidet als Einsiedler, folgendes Lied:

Der Abend gießt wie Dämmrungstraum
Sich friedlich durch den Apfelbaum
Und haucht dem Greis am Lebensziel
Noch Jugendgeist ins Saitenspiel.

Ich bin dem Sturm der Welt entflohn,
Und Ruh' ist meiner Seele Ton;
Hoch wogt' ich einst von Pol zu Pol,
Nun bin ich einsam, still und wohl.

Ein Silberhaupt, das weise war,
Sieht tief zurück durch manches Jahr,
Und sieht aus der Vergangenheit
Prophetisch den Erfolg der Zeit.

Es weht mich von der Sternenbahn
Jetzt himmlische Begeistrung an:
Hört, Kinder, hört mit stiller Ruh'
Dem Lied des alten Klausners zu!

    Engelharfen tönen laut
    Durch der Geister Reihn,
    Wo die Tugend Hütten baut,
    Gut und froh zu sein.

Gott der Vater schuf die Erde,
Daß sie uns zum Himmel werde.

Freundschaft gibt und Liebe nur
Menschenmajestät;
Jede Freude der Natur
Wird durch sie erhöht:
Ohne diese mag der armen
Traurigen sich Gott erbarmen.

Wenn die Mutter zu dem Fest
Ihre Kinder nimmt,
Und die Freude jubeln läßt,
Die im Auge glimmt;
Welche Zunge könnte sagen,
Was beredt die Herzen schlagen!

Schöner als es gestern war,
Schöner ist es heut;
Und so bringet jedes Jahr
Seine Seligkeit.
Mag die Zeit vorüberfließen,
Weise wissen zu genießen.

Engelharfen tönen laut
Durch der Geister Reihn,
Wo die Tugend Hütten baut,
Gut und froh zu sein.
Gott der Vater schuf die Erde,
Daß sie uns zum Himmel werde!

Während einer Handvoll Tage hatte er die Reise durch Österreich, Italien, Sizilien, die Schweiz, von da einen Abstecher nach Paris, und von Paris nach Sachsen zu Fuße vollendet. Die Veranlassung zu dieser Reise war keine andere als der Wunsch, den klassischen Boden zu durchwandeln und in den großen Begebenheiten, in dem herrlichen Reiche der Kunst des Altertums und in der schönen Natur Italiens anschaulich zu leben. Er hatte geschwelgt in diesen Genüssen; aber er hat darüber nicht wie andere den Geschmack des Guten und Schönen verloren, welches die vaterländische Erde und der Himmel unserer Heimat reichlich gibt. Das beweist folgendes kleine Gedicht:

Den 20. September 1802

Lieben Leute,
Bringet heute
Jeder seiner Gaben beste
Zu der Freundin Jahresfeste!
Freude bringt uns frohen Sinn!
Wo man freundlich sich begegnet,
Seele sich durch Seele segnet,
Wohnt des Lebens Königin.

Ihre Kinder
Fliehn geschwinder,
Doppelt froh sie zu begrüßen
Mit der Freude Feuerküssen,
Heute zu der Mutter Schoß;
Und der Mann des Herzens eilet
Ihnen in den Arm und teilet
Ihres Lebens schönes Los.

Aus den Blicken
Strahlt Entzücken,
Und es leuchtet in der Ferne
Mit der Hoffnung Flammensterne
Schön und mild die Zukunft schon.
Mögen, Freundin, dir auf Erden
Oft noch solche Stunden werden,
Und die Zeit ist nicht entflohn.

Am Ätna wächst die Frucht der Hesperiden
      Und Öl und goldner Wein;
Allein man wohnt am Ätna nicht zufrieden
      Und kann nicht ruhig sein.

Der Feuerberg stürzt aus dem Höllenschlunde
      Oft seine Flut herab,
Und wälzt die Stadt mit Öl und Frucht zugrunde
      Und macht ein großes Grab.

Am Hügel hier blühn jetzt noch schöne Rosen –
      Und wächst auch etwas Wein;
Auch können wir beim Lied vertraulich kosen
      Und immer ruhig sein.

Zwar nickt uns nicht von einem hohen Baume
      Die Ambrafeige zu,
Doch pflücken wir vom Ast die Mohrenpflaume
      Und essen sie in Ruh'.

Die Mandel fehlt, wir haben aber Kirschen,
      Und haben dran Gewinn;
Und gäben wir wohl unsre Purpurpfirschen
      Für die Granate hin?

Der Ätna ist ein häßlicher Herr Vetter
      Mit seiner Feerei:
Hier kommt wohl auch ein kleines Donnerwetter,
      Doch ist es bald vorbei.

Drum wollen wir genießen, singen, kosen,
      Und froh sein wollen wir.
Singt, Freunde singt: Es leben unsre Rosen
      Auf unserm Berge hier!

Nach Vollendung dieser großen Wanderung ruhte er wieder in Leipzig aus und schrieb seinen »Spaziergang nach Syrakus«. Dieses Werk verschaffte ihm als Schriftsteller und als Mensch eine große Achtung bei allen Edlen von der Newa bis an den Rhein. Jetzt, da die öffentliche Meinung für ihn war, tadelte er mit Kühnheit alles, was er als Fehler und Mißbräuche in den gesellschaftlichen Verhältnissen erkannte, und sagte ohne Schonung der Person das Gute und Böse einer jeden Verfassung gerade heraus. In der Vorrede zu seiner Übersetzung von Percivals Beschreibung des Vorgebirges der guten Hoffnung (Leipzig 1805) macht er den Engländern, wie den andern Eroberern, über ihr politisches Verfahren starke Vorwürfe und sagt ihnen seine Meinung ohne Zurückhaltung. »Der Verfasser«, sagt Seume, »hat die Feinde seiner Nation so schlecht gemacht, als sich's mit Ehre und einem Anschein von Wahrheit tun ließ; aber dadurch wird die Sache für seine Landsleute nicht besser, denn wo sie die Meister spielten und noch spielen, da geht es mit ebensowenig Mäßigung und Humanität zu als überall ... Andere wissen doch ihren Erpressungen und Malversationen noch einen Anstrich von Wohlwollen zu geben, wodurch sich freilich kein Sehender blenden läßt. Percival sagt ohne Scheu geradezu: wenn wir das Vorgebirge haben, beherrschen wir den Handel Indiens, folglich den Handel der Welt, folglich – die Folgen sind alle klar. Das ist echt britisch. Britannia, Beherrscherin des Meeres! durch die Wogen mache den Erdball zinsbar! – Der jetzige politische Horizont kommt mir vor wie die Lage vor der Schlacht von Zama; siegt die eine Partei, so haben wir wahrscheinlich eine Römerei, vielleicht etwas sanfter und glimpflicher, nach dem Geiste der Zeit, im übrigen aber ganz ähnlich. Wenn England im Streite nicht erliegt, ist dadurch nichts gewonnen als Dauer des Kampfes, wozu die andern die Kräfte liefern. Die Energie der Engländer ist nicht zu verkennen, so wenig als ihr Freiheitssinn zu Hause; daß sie sich aber durch Gerechtigkeit, Humanität und reines Wohlwollen vor Nationen in andern Weltteilen auszeichnen sollten, wird ihnen niemand glauben. – Wo der Begriff Sklave noch im Rechte gilt, darf man durchaus nicht behaupten, daß man die erste Stufe reiner menschlicher Bildung erstiegen. Der Himmel bewahre uns auch vor römischer und griechischer Freiheit, wenn für das allgemeine Heil der Menschheit Hoffnung sein soll. Freiheit ist durchaus nichts als Gerechtigkeit und diese nichts als gleiche Befugnis mit gleichen Pflichten im Staate. Und solange man sich ein Haarbreit von dieser Basis entfernt, so mag man Konstitutionen bauen, wie man will: es werden blitzende Meteore sein, aber nicht halten. Nur die Natur mit ihren Gesetzen ist beständig.« –

Wahrscheinlich hat er auch damals seine Anmerkungen zum Plutarch in lateinischer Sprache geschrieben, mit einer Vorrede, welche so kühn war, daß sie kein Buchhändler drucken konnte, und kein Zensor die Erlaubnis dazu gab. Wo die Handschrift hingeraten ist, weiß man nicht-Das Manuskript der Anmerkungen ist verlorengegangen, die Vorrede wurde 1819 erstmalig veröffentlicht.


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