Johann Gottfried Seume
Mein Leben
Johann Gottfried Seume

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Ich habe vor vielen, vielen Jahren diese liebliche Fahrt als Ouvertüre meines Schriftstellerwesens in Archenholzens nun fast vergessenem Journal »Literatur- und Völkerkunde« mitdrucken lassen, will aber hier, um den Faden nicht zu unterbrechen, das Wesentlichste wieder hersetzen. Daß das obengenannte Menschenragout die Unterhaltung unterhielt, wird man nicht bezweifeln. Die Seele derselben war ein dort vergessener ehemaliger französischer Offizier aus dem Siebenjährigen Kriege, mit Namen Dechar, der seit der Zeit abwechselnd gemeiner preußischer Dragoner und Füsilier-Unteroffizier und Sprachmeister und Fechtmeister, Unteroffizier und polnischer Revolutionshauptmann gewesen war, abwechselnd Gassen gelaufen, unter dem Galgen gestanden und im Felde Kanonen genommen hatte, der in Frankfurt am Main und Kassel, Berlin und Warschau, Breslau und Jauer alle Winkel kannte, alles Gute und Schlechte wußte, wie ein Achill focht und wie Heliogabal fraß und soff, wie Aristarchus sprach und wie Epikurs Küchenjunge lebte. Das Leben dieses Abenteurers allein würde Stoff zu einem großen Gemälde geben. Der schlechteste, gelehrteste und traurigste Gesellschafter war der gute Exmönch aus Würzburg, von dessen entsetzlichem Ende ich hernach noch einiges sagen will.

Es war mir doch ein sonderbares Gefühl, als ich den andern Morgen auf das Verdeck trat und zum ersten Male nichts als Himmel und Wasser um mich sah. Der Ozean wogte majestätisch, und die Schiffe tanzten magisch wie kleine Spielwerke auf der unbegrenzten, ungeheuren Fläche; der Himmel war bewölkt und teilte dem Wasser seine tiefe, ernsthafte Farbe mit. Ich war wirklich in einer andern Welt und fühlte mich abwechselnd größer und kleiner, nachdem eine erhabene oder bange Empfindung eben in der Seele herrschte. So war es, als unter meinem Fuße Gewitter rollten und furchtbar schöne Zauberwelten bildeten, neben mir die schwarzroten Wolkensäulen des Ätna stürmten und über mir die milden Sonnenstrahlen Wärme umhergossen und weithin die ganze große Insel mit ihrer Fabelwelt magisch färbten. Bald kam Sturm und mit ihm die Seekrankheit. Beide waren weiter nicht gefährlich, aber doch den Neulingen furchtbar genug. Fünf von der sechsmännischen Menage waren krank; ich blieb leider allein gesund. Die Seekrankheit ist nichts als die Wirkung der ungewöhnlich heftigen Bewegung, der man nicht Einhalt tun kann. Man hat ähnliche Erscheinungen genug auf dem Lande. Reiten und Fahren, vorzüglich rücklings, Schaukeln, Karusselldrehen und ähnliche gymnastische Übungen sind die besten Vorbereitungen zu Seereisen. Die nächsten Vorkehrungen sind, wenig essen und hart und kalt, und wenig trinken und kalt und säuerlich: also ist Wurst, Schinken und dergleichen und Limonade und Wein vielleicht die gemessenste Diät die ersten Tage zur See. Ich sage, ich blieb leider gesund; auch für mich leider! Die Seeluft gibt gewaltigen Appetit; die Schiffsportionen waren klein. Da niemand aus der Menage essen konnte, hatte ich die Fülle zur Sättigung und konnte Vorrat von Zwieback sammeln, so daß ich wirklich eine ganze große Nachtmütze voll hatte. Bald kam einer und forderte seine Portion, dann der andere, dann der dritte und so fort; in kurzer Zeit war ich auf mein eigenes kleines Kontingent gesetzt. Die Genesenden waren durch die Krankheit und das Fasten gehörig auf die beschränkte Portion vorbereitet; die Gesunden hingegen hatten eine sehr unangenehme Speisekapazität gewonnen. Bald war mein kleiner Vorrat aufgezehrt, und mein Magen war bei der ganzen Portion auf ein sehr unbehagliches Halbfasten reduziert. Hier sorgte denn zufällig die freundliche Muse für ihren Zögling. Ich saß auf dem Quarterdeck und las eben Horazens »Angustam, amici, pauperiem«, als der dicke Steuermann mich sehr unfreundlich von der Bank schleudern wollte. Ich brummte meine Unzufriedenheit in meinem bißchen Englisch, das ich von Rogler gelernt hatte, so gut ich konnte, und wollte hinunter in meinen Kasten schleichen, wo ich mich von niemand hudeln ließ. Der Kapitän kam dazu, guckte mir in das Buch und hieß mich sitzen bleiben. Als er einige Anordnungen gemacht hatte, kam er zurück und fing eine Art von Unterhaltung mit mir an: »You read latin, my boy?« »Yes, Sir.« »And you understand it?« »I believe, I do.« »Very well; it is a very good diversion in the situation, you are in.« »So I find, Sir; indeed a great consolation.«»Du liest Latein, mein Sohn?« »Ja, Herr!« »Und du verstehst es?« »Ich glaube.« »Sehr gut, das ist eine sehr gute Zerstreuung in deiner Lage.« »Das finde ich auch, mein Herr! Es ist in der Tat ein großer Trost für mich.« So ging es denn freundlich und teilnehmend weiter. Er nahm mich mit in seine Kajüte und zeigte mir seine Reisebibliothek, die aus guten Engländern und einigen Klassikern bestand, und versprach mir, wenn ich die Bücher gut halten würde, mir zuweilen eines daraus zu leihen. Durch seine Freundschaft erhielt ich etwas mehr Freiheit auf dem Schiffe, zumal da ich etwas Vergnügen am Seewesen zeigte und in wenigen Tagen mir die Nomenklatur der Taue und Segel merkte und sehr flink und sicher oben in dem Mastwerke mit herumlief. Es war wieder das Bedürfnis der Tätigkeit, die mir allerhand kleine Vorteile schaffte und mich vorzüglich gesund erhielt. Da der Kapitän wohl merkte, daß die Schiffsportion meinem exemplarischen Appetit nicht zureichend war, ließ er mir großmütig heimlich zuweilen eine Nachtmütze voll Zwieback und Rindfleisch zukommen, welches in der Tat im eigentlichsten Verstande ein sehr wohltätiges Stipendium war.

Die Kost war übrigens nicht sehr fein, so wie sie nicht sehr reichlich war. Heute Speck und Erbsen und morgen Erbsen und Speck; übermorgen pease and pork und sodann pork and pease: das war fast die ganze Runde. Zuweilen Grütze und Graupen, und zum Schmause Pudding, den wir aus muffigem Mehl halb mit Seewasser, halb mit süßem Wasser und altem Schöpsenfett machen mußten. Der Speck mochte wohl vier oder fünf Jahre alt sein, war von beiden Seiten am Rande schwarzstriefig, weiter hinein gelb, und hatte nur in der Mitte noch einen kleinen weißen Gang. Ebenso war es mit dem gesalzenen Rindfleische, das wir in beliebter Kürze oft roh als Schinken aßen.

In dem Schiffsbrote waren so viele Würmer, die wir als Schmalz mitessen mußten, wenn wir nicht die schon kleine Portion noch mehr reduzieren wollten; dabei war es so hart, daß wir nicht selten Kanonenkugeln brauchten, es nur aus dem Gröbsten zu zerbrechen; und doch erlaubte uns der Hunger selten, es einzuweichen; auch fehlte es oft an Wasser. Man sagte uns, und nicht ganz unwahrscheinlich, der Zwieback sei französisch; die Engländer haben ihn im Siebenjährigen Kriege den Franzosen abgenommen, seit der Zeit habe er in Portsmouth im Magazine gelegen, und nun fütterte man die Deutschen damit, um wieder die Franzosen unter Rochambeau und Lafayette, so Gott wolle, totzuschlagen. Gott muß aber doch nicht recht gewollt haben. Das schwergeschwefelte Wasser lag in tiefer Verderbnis. Wenn ein Faß heraufgeschroten oder aufgeschlagen wurde, roch es auf dem Verdeck wie Styx, Phlegethon und Kozytus zusammen: große, fingerlange Fasern machten es fast konsistent; ohne es durch ein Tuch zu seigen, war es nicht wohl trinkbar, und dann mußte man immer noch die Nase zuhalten, und dann schlug man sich doch noch, um nur die Jauche zu bekommen. An Filtrieren war für die Menge nicht zu denken. Guten, ehrlichen Landmenschen kommt dieses ohne Zweifel schrecklich vor; aber wer Feldzüge und Seefahrten mitgemacht hat, findet darin nichts Ungewöhnliches. Rum wurde gegeben und zuweilen etwas Bier, welches dem Porter ähnlich war und bei den Matrosen strong beer hieß. Da ich den ersten nicht genießen konnte, tauschte ich ihn gegen das letzte aus, welches mir Wohltat war. Zuweilen wurde mir auch eine Flasche Porter zugesteckt, da ich am Wein durchaus keinen Geschmack fand.

Stürme hatten wir oft und einmal so stark, daß uns der Aufsatz des Vordermastes und die große Raa zerbrach. Die Türmung der Wogen, das Heulen der Winde durch die Segel, das Schlagen und Klirren der Taue, das Donnern der Wellen an die Borde, das Geschrei und Lärmen des Schiffsvolks, der ganze furchtbar empörte Ozean, alles ist dem Neuling schrecklich; aber bald wird man es gewohnt und schläft ruhig unter dem Kampfe der Elemente. Der sybaritische Amtmann am Rheine, der die Nachtigallen wegschießen ließ, weil sie ihn im Schlafe störten, könnte keine bessere Kur brauchen als eine Reise über den Ozean – zumal in einem englischen Transportschiffe. Nichts gibt aber auch dem Sinn ein größeres Bild von der Kraft des menschlichen Geistes als das Regiment eines großen Schiffes. Man nehme eines aus der Linie. Man gebe ihm neunzig Kanonen; es ist noch keines von den ersten. Sie sind alle von dem größten Kaliber. Für jedes Stück habe man zweihundert Schüsse an Pulver und Kugeln: welcher Vorrat! Segel und Taue und Stangenwerk, vieles doppelt; eine Besatzung von tausend Mann, welche ungeheure Masse für ein Auge, das sie zusammen auf dem Lande sieht! Für diese Mannschaft Lebensmittel an Essen und Trinken für viele Monate. Dieses alles in einer einzigen Maschine beisammen, mit welcher die Wogen wie mit einem Federballe spielen; und dieses ungeheure Ganze führt der menschliche Geist stolz und ruhig durch empörte Elemente hin und her nach seiner Wahl. Curios Theater, die sich mit halb Rom auf einem Schwerpunkt drehten, als ob sie der Weltbeherrscher spotteten, waren kaum eine größere Erscheinung.

Wir fuhren nicht durch den Kanal und die spanische See, weil damals noch die Spanier und Franzosen dort mit Flotten kreuzten und auf uns lauerten; sondern segelten um die Inseln nördlich an den Orkaden weg. Der Sturm trieb uns weit, weit nordwärts; und der Sicherheit wegen gab man vielleicht mehr nach als nötig war. Wir konnten mutmaßlich nicht weit von Grönland sein; wir froren tief im Sommer, daß wir zitterten Tag und Nacht. Alles ging schlecht genug; wir brachten über einer Fahrt, die sonst gewöhnlich nur vier Wochen dauert, zweiundzwanzig zu. Die Portionen wurden noch knapper an Brot und Fleisch und Wasser, und meine Bekanntschaft mit dem Kapitän war mir noch wohltätiger. Krankheiten nahmen sehr überhand; doch starben von ungefähr fünfhundert Mann nur siebenundzwanzig, wenn ich nicht irre. Einige meiner näheren Bekannten waren darunter, und unter andern der Exmönch aus Würzburg. Er hatte für einen Mönch recht artige Kenntnisse, wußte viel Geschichte und Mathematik und sprach besser als gewöhnlich Latein. Er war vom Anfange an meine Zuflucht gewesen, wenn die Langeweile sich meiner zuweilen zu bemächtigen drohte; aber vom Anfange an zeigte er einen Mißmut und eine Gleichgültigkeit gegen das Leben, die ich für nichts weniger als philosophisch hielt. Perfer et obdura war schon damals eines meiner Schibbolethe, und ich hielt es billig für entehrend, mich von gewöhnlichen Streichen des Schicksals niederschlagen zu lassen. In Ziegenhain und auf dem Marsche hatte ich alle Mühe, den Kleinmütigen aufrechtzuhalten. Auf dem Flusse waren wir getrennt, und als wir auf dem Schiffe wieder zusammenkamen, hatte er so völlig Verzicht auf das Leben getan, daß keine Kraft mehr zu wecken war. Das Kloster ist freilich keine Vorbereitung zum Felde. Es fehlte ihm nichts als Lebensmut; aber Faulheit und Indolenz, die er wohl Resignation und Apathie nannte, hatten sich seiner in einem solchen Grade bemächtigt, daß er sich fast nicht mehr von der Stelle bewegte. Ein Faultier war die Tätigkeit selbst gegen ihn. »Wenn ich auch über den Ozean komme«, sagte er, »so geht dort drüben das Elend erst recht an. Not und Mangel und Mühseligkeit ist die ganze Aussicht, bis uns ein Rifleman durch die Lunge schießt oder ein Mohak skalpiert.« Da hatte die Klosterseele freilich nicht ganz unrecht; aber ein braver Kerl hält aus bis zuletzt; und es ist doch wohl der schändlichste Tod, aus reiner, absoluter Faulheit zu sterben. Nur im Kloster kann eine solche Gedankenmißgeburt entstehen. Er blieb entschlossen, dem Elend nicht entgegenzuleben, und mir war es eine neue Erscheinung, von welcher mir keine Erfahrungsseelenkunde etwas gesagt hatte, daß man ohne alle weitere Krankheit und Veranlassung aus bloßer Indolenz sterben könne. Kein Arzt konnte die geringste Krankheitsanzeige finden, und er klagte über nichts als über das jämmerliche Leben und die noch jämmerlichere Aussicht. Man prügelte ihn zur Bewegung, zum Luftschöpfen, zum Waschen, zum Essen sogar; ohne Prügel tat er von allem dem nichts; nur Rum trank er noch ein wenig ungeprügelt. Endlich war man das Prügeln überdrüssig und ließ ihn liegen; von dem Augenblicke an wurde nichts mehr gewaschen, gekämmt und gebürstet, und fast nichts mehr gegessen. Er lag in dem Hinbrüten des Todes. Solange ich konnte, besuchte ich ihn in seinem Kasten neben den Aufgegebenen und versuchte noch, was Vernunft vermochte; endlich machte es mir die Selbsterhaltung zur Pflicht, mich zu entfernen. Nach dem Tode wollte den Klosterkadaver niemand anrühren, welches sehr zu entschuldigen war. Man suchte die schmutzigsten Gesellen aus und gab ihnen zur Belohnung Rum, daß sie den Toten über Bord warfen. Ich hatte doch noch so viel Teilnahme oder Neugierde, man nenne es, wie man will, mich zu nähern und die Erscheinung zu sehen. Es war ein gräßliches Bild menschlichen Elends und menschlicher Verworfenheit, das ich, Gott sei Dank, bei aller meiner Erfahrung nie wieder gesehen habe. Einige Monate hatte sich der Mensch nicht rasiert und in seinem Unrat gelegen. Das Hemde, dessen Farbe man nicht mehr erkennen konnte, das Kopfhaar, der Bart und die Augenbrauen und Wimpern wimmelten von Insekten, als ob er an der Phthiriase gestorben wäre, welches doch bestimmt der Fall nicht war; denn vorher hielt er sich leidlich reinlich.

Einige Monate ist das Herumschwimmen auf dem Ozean, bei gehörigen Veränderungen, solange die Erscheinungen neu sind, keine üble Partie; zumal wenn man in so zahlreicher Gesellschaft segelt wie wir. Unsere Flotte von Transportschiffen aller Art, begleitenden Kriegsschiffen und Kaufmannsfahrzeugen, die die Gelegenheit der Sicherheit benutzten, mochte sich wohl auf siebzig Segel belaufen, und der Abend und Morgen einer solchen schwimmenden Kolonie hat sein Angenehmes, wenn die See nicht zu hoch und zu still ist. Besonders hat das Geläute etwas traulich Heimisches und doch etwas sehr Feierliches auf der unermeßlichen Fläche, daß ich nicht selten zu einem sehr innigen Gebet gestimmt wurde. Was weder Vernunft noch Gefahr bewirken, bewirkt oft die magische Psychagogie der Töne durch das Gefühl.

Wenn ich nicht mit den Matrosen arbeitete, lag ich bei schönem Wetter mit dem Virgil oben im Mastkorbe und verglich unsern überstandenen Sturm mit dem seinigen und fand ihn nie so lebendig wahr als eben jetzt, wo ich an den vorigen dachte und den kommenden erwartete. Sein »Insequitur clamorque virum, stridorque rudentum« ist einfach malerisch schön, daß es den ganzen Auftritt gibt. Das hat er selbst gefühlt, weil es mit wenigen Veränderungen in allen seinen Beschreibungen eines Seesturms wiederkommt. Wenn wir auch nicht wüßten, daß er zur See war, aus diesen Stellen würden wir es fast untrüglich schließen können, so wie ich aus seiner Beschreibung des Atlas schließe, daß er nie auf einem Berge erster Höhe war. Ob ich gleich viele Hilfsmittel der Beschäftigung in und außer mir hatte, die den andern fehlten, so fing das Einerlei der Szenen doch endlich an, mir lästig zu werden. Das Kabeljauangeln und das Einsalzen zu Laberdan auf einigen Bänken in der Nähe von Amerika gab einige Tage wieder gutes Essen und gute Unterhaltung. Ich erinnere mich, daß wir einmal so reichlich fingen, daß außer der Verteilung eilf Tonnen in einem Nachmittage eingesalzen wurden. Keine Leber von irgendeinem Tier zu Wasser und zu Lande ist mir feiner und schmackhafter vorgekommen als die Leber vom Kabeljau; so wie der Fisch selbst, frisch zubereitet und genossen, einer der köstlichsten ist. Ich würde ihn gleich nach dem Sterlet und Thunfisch setzen und ihn dem Lachse vorziehen, zumal da er auch viel zarter und gesunder ist.

Endlich bekamen wir das Ufer von Akadien zu Gesichte und liefen unter allgemeinem Freudengeschrei in der Bucht von Halifax ein. Halifax ist unstreitig einer der besten Häfen am Ozean, vielleicht der beste, für eine unzählige Menge Schiffe; sicher gegen alle Stürme. Die Insel und das Fort St. George nebst einigen starken Landbatterien verteidigen den Eingang, und es gehört schon eine ziemliche Macht dazu, ihn zu forcieren. Seine Lage ist so, daß er mit Fleiß und Aufwand unbezwinglich gemacht werden kann, wenn man nur die Landseite zu verteidigen imstande ist.

Man brachte uns wahrscheinlich nach Halifax, weil es in Newyork und den andern Provinzen schon höchst mißlich mit den Royalisten stand, und man das Ausschiffen kaum wagen durfte. Der Tag der Ausschiffung war einer der schönsten und einer der schlimmsten. Zweiundzwanzig Wochen waren wir herumgeschwommen, ohne das geringste Land gesehen zu haben. Da wir keine britischen Amphibienseelen waren, sehnte sich alles ohne Ausnahme nach festem Fuße, zumal da der Scharbock empfindlich zu werden anfing. Es war ein Hungertag, da uns die Schiffe an das Land wiesen, und das Landkommissariat, zumal da das Ausschiffen sich sehr spät verzögerte, noch nicht geliefert hatte. Doch vergaß jeder in der Freude gern die Forderung des Magens, wenn er nur den Boden begrüßen konnte. Ich erinnere mich dabei eines sehr wehmütigen Auftritts. Ich war einer der ersten am Lande und hatte nebst einigen andern eine kleine Quelle herrlichen Wassers am Ufer im Sande entdeckt. Lange hatten wir diese köstliche Erquickung entbehrt; wir tranken mit Wollust und großen Zügen. Schnell erscholl die Entdeckung, und die Hungrigen und Durstigen stürzten in Haufen nach dem kleinen, spiegelglatten Wasserschatze, drängten sich, stießen sich, jeder wollte gierig der erste Teilnehmer sein: in dem Getümmel geriet der Sand des abschüssigen Ufers in Unordnung, gab nach, und in einem Augenblicke war die ganze kleine herrliche Quelle versandet. Sie brauchte Stunden, um sich wieder zu läutern, und die Menge stand traurig um sie herum und betrachtete lechzend den Verlust.

Als ich vom Schiffskapitän Abschied nahm, drückte er mir mit herzlicher Freundlichkeit die Hand. »It is a pity, my boy«, sagte er, »you do not stay with us; you would soon become a very good sailor.« »Heartily I would«, sagte ich, »but you see, it is impossible.« »So it is«, rief er, »god speed you well!«»Es tut mir leid, mein Sohn, daß du nicht bei uns bleibst. Du würdest bald ein guter Seemann geworden sein.« »Herzlich gern wollt' ich's; aber Sie sehen, daß es unmöglich ist.« »Das ist es, Gott sei mit dir!« Mit einem dankbaren Wunsche für den menschenfreundlichen Mann stieg ich die Leiter hinab ins Boot und ruderte dem Ufer zu. Das Ufer um Halifax her ist unfreundlich, ziemlich öde und unfruchtbar. Der Ort, der uns zum Lager angewiesen wurde, war abhängiger Felsenboden. Wir kamen spät ans Land, und ehe die Bedürfnisse herbeigeschafft wurden, ward es fast Nacht. Die Zelte kamen an und sollten aufgeschlagen werden. Man hatte mich zum Unteroffizier ernannt; ich sollte also für das Aufschlagen sorgen. Nun hatte ich in meinem Leben nur ein einziges Lager ganz nahe gesehen und wußte von der Maschinerie eines Zeltes nicht einen Pfifferling. »Schlippe«, sagte ich zu einem alten preußischen Grenadier, der mir zugeteilt war, »Latein und Griechisch verstehe ich so ziemlich, aber wenig vom praktischen Militär; helfe Er mir durch, vielleicht kann ich wieder durchhelfen.« Der alte Soldat lächelte, ergriff das Beil, nahm einige mit sich, tat, als ob er meine weisen Befehle ausführte, und in einer Stunde stand unser Zelt, trotz den übrigen so gut da, als es der harte Boden erlauben wollte. Die Schwierigkeit war nicht klein, da die Zeltstangen und Zeltpflöcke erst aus dem Walde geholt und gehauen werden mußten. Die Nacht kam ein Sturm wie ein Orkan, der unserer Architektur weidlich spottete. Den folgenden Morgen standen vom ganzen Lager nicht zehn Zelte mehr fest; das unsrige stand nur halb; viele hatte der Wind in den Morast hinabgetrieben. Nun fingen wir an, etwas solider zu bauen, wozu uns auch die Kälte trieb; denn es war schon spät im Jahr und ein kimmerisches Wetter auf der verdammten Landzunge.

Da man den Transport nicht zu den Regimentern bringen konnte, wurden wir in ein Bataillon von fünf Kompanien formiert und sollten für uns Dienste tun. Das ging toll genug; der Oberst Hatzfeld tat sein möglichstes, das Gesindel in Ordnung zu bringen. Fast die Hälfte waren gediente Leute; das machte die Sache etwas leichter: nur waren, wie natürlich, die besten Soldaten immer die liederlichsten Kerle. Ich als Unteroffizier sollte nun den Exerziermeister machen und wußte selbst noch blutwenig. »Schlippe«, sagte ich wieder, »Er sieht wohl, daß es mit mir noch etwas hapert. Wir wollen täglich eine Stunde in den Wald gehen, als ob's zur Jagd wäre; da ist Er wohl so gut, mir einige Handgriffe gründlicher zu zeigen, als ich sie bis jetzt gefaßt habe.« Der alte Satyr lächelte und meinte, es würde schon gehen; zur Not auch ohne ihn. Es ging; gerade wie bei einem Professor, qui docendo discit, ward es täglich mit mir besser, und bald galt ich für einen Kerl, der sein Gewehr meisterhaft zu handhaben verstand und sich in die kleinen Evolutionen geschickt genug zu finden wußte. Es gehört nur einige Kenntnis mathematischer Figuren und etwas Geistesgegenwart zu dem letzten.

Das Leben im Lager im Spätjahr war schlecht genug; keine gute Kost und Kälte bis zum Heulen und Zähneklappern. Unser Bataillon sah buntscheckig aus wie eine Harlekinsjacke, da es aus den Uniformen aller Regimenter bestand. Wir hatten weder Fahnen noch Kanonen, da es täglich hieß, wir sollten zu unsern Regimentern stoßen. Ich nebst ungefähr zwanzig andern war dem Regiment Erbprinz zugefallen, habe aber das Regiment nie gesehen.


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