Walter Serner
Zum blauen Affen
Walter Serner

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Trübe Sache

Von jenem Moment an, da van Brenken ihm in die Augen gesehen hatte, spielte Mister Kossick schlecht. Der unüberwindbare Spielereigensinn ließ ihn jedoch nicht aufhören.

»Sie werden im Vestibül erwartet,« log van Brenken ohne alle Überlegung, lediglich aus Neugierde, Schadenfreude und vagem Interesse.

Mister Kossick wandte sich schnell um, den Mund zu einem Lächeln bereit. Als er aber die Augen von vorher erkannte, zuckten seine Brauen kurz zusammen. »Thank you.« Gleichwohl trat er vom Spieltisch weg und ging die Treppe hinunter.

Van Brenken folgte ihm, ohne Schwierigkeiten zu haben, unbemerkt zu bleiben, sah ihn einige flüchtige Blicke um sich tun und dann achselzuckend in das Casino-Café eintreten.

»Tag, Max.« Jemand stellte sich van Brenken blitzschnell von der Seite her in den Weg.

»Lotte, du?« Doch sofort packte er ungestüm ihren Arm. »Pst! Ich heiße Adrien van Brenken.«

»Anjenehm. Ik Winnie Sounders.«

»Old England, wat?«

»Jawoll ja, du Holländer. Biste in Not?«

Beide hatten erkleckliche Mühe, die erkorene Haltung zu wahren.

Nach zehn Minuten war die Branchefreude abgeebbt, aber bereits neue Kumpanschaft angezwirnt: Winnie schwibbelte in das Casino-Café, direkt auf Mister Kossik zu.

Van Brenken, wohlversorgt vor einer Eis-Grenadine hinter einer übermannsdicken Säule einer- und dem ›Temps‹, da besonders flächig, andererseits, äugte scharf und unentwegt durch ein frisch gebranntes Zigarettenloch:

Winnie und Mister Kossick saßen bereits eng an einander gepreßt und besprudelten sich eifrig. Bald wurde denn auch eine Hand Mister Kossicks und schließlich auch eine Winnies konstant unsichtbar.

Van Brenken bestellte, herablassender als vordem, einen Sherry-Brandy-Flip, da er Winnie nun schon das vierte Gemixte verschleckern sah, und war überzeugt, in wenigen Tagen bereits das erforderliche Wurfgeld für den Spielsaal zu haben und dann – Lugano und die Schweiz hinter sich.

120 Als die beiden nach zwei Stunden das Café verließen, war van Brenkens Geduld mehrmals geflickt worden, und als sie, nach einer raschen Fahrt über den See, im Parkhotel verschwunden waren, ohne daß Winnie, nach vier Stunden Wartens, auch nur das kleinste Zeichen von sich gegeben hatte, unheilbar gerissen. Van Brenken erhob sich grunzend von seiner Bretterbank, ordnete seine verknitterten Beine und strauchelte bleich davon . . .

Andern Tags erschien Winnie sehr spät, machte dafür aber sofort sehr geheimnisvolle Gesten, die van Brenken trotz jahrelanger Übung nicht sogleich zu deuten vermochte.

»Allan . . . Mister Kossick steht unter den Arkaden. Nachjegangen.« Winnie lachte hierauf heftig.

Augenblicks begann van Brenken zu schlendern, zu causieren, Winnie entzückt zu betrachten etc., welches Bild Winnie mit kokett arrangierten Körperwendungen, zierlichen Gesten und Sonnenschirmdrehungen vervollständigte.

Zwischendurch aber verständigte man sich:

»Das Ekel will nich nach Paris. Wat sachste!« Winnie war empört.

»Will nicht? Er muß! Aber wie war's denn? Warum kein Zeichen?«

»Ich konnte nich ab. Jut jetafelt, nischt weiter.«

Irgendetwas im Ton Winnies aber gefiel van Brenken nicht. Sofort entschlossen, sondierte er: »Du bist zu spät fort. Das war ein Fehler.«

»Ach wieso. Du weißt doch, daß man nicht immer gleich drücken kann. Langsam, aber sicher. Nebenbei jesagt, bin ich schon um zwölf weg.«

›Trübe Sache!‹ Van Brenken hatte bis zwei Uhr nachts gewartet und wußte genug. Er kürzte die Unterredung, indem er heuchelte, einen neuen, ganz besonderen Plan zu haben, der bald ausgeführt, ihr aber nicht so rasch erklärt werden könne, und schickte sie Mister Kossick unter die Arkaden: sie möge sich nur auf ihn verlassen.

Van Brenken beschoß, eine Depesche an Winnie aufzugeben, um sie auf die sicherste Probe zu stellen. Unterwegs verwarf er dieses Vorgehen, faßte einen neuen Entschluß, verwarf auch diesen und entschied sich endlich, noch bis morgen zu warten.

Auf dem Quai Paradiso aber begrüßte ihn plötzlich sehr ernst Mister Kossick und bat ihn, noch ernster, mit ihm ein wenig zu promenieren.

»Excuse me,« begann Mister Kossick nach kurzem Schweigen.

121 »Ich Sie nicht habe noch gedankt for Ihre Freundlichkeit to gestern. Aber Sie begreifen und Sie hatten eine so sonderbares Blick. Sie kennen auch Winnie. Deshalb ich Sie habe angesprochen. Ich habe gemacht ihres Bekanntschaft in Trouville das vorige Sommer. Sie sein gewesen sehr nett. Sie haben jetzt verändert.« Er hielt inne, um die Wirkung dieser vorsichtigen Worte abzuwarten.

Van Brenken machte sofort in Gentlemanlike: »Hätte ich Sie persönlich gekannt, so hätte ich selbstverständlich Winnies Bitte, Ihnen mitzuteilen, daß sie Sie erwarte, nicht erfüllt. So aber konnte ich sie einer Frau, die – einmal sehr nett war, nicht abschlagen.«

»Yes. Ich verstehe. Sie haben recht . . . Allan Kossick ist meine Name.«

Van Brenken nannte den seinen, sich lässig ein wenig verneigend, und blieb gleichfalls stehen.

Mister Kossick lächelte vornehm. »Ich habe Winnie vor mehrere Minuten weggeschickt. For ever. Ich wissen jetzt, daß sie mich schon hat hintergegangen in Trouville und hier sie mich hat wieder hintergegangen. Ich habe ihr gegeben 250 Francs und sie hat mir gestohlen noch 600. Sie soll sie haben. Aber ich habe sie Angst gemacht. Und sie hat sehr schlecht geredet von Sie und mich gewollt überreden, mit ihr wegzufahren nach Mailand, weil Sie sie belästigen . . . Ich wissen nicht alles das da, was sie sagte, aber ich glaube . . .« Mister Kossick lächelte immer noch.

Van Brenken übertrieb seine Überraschung um das Dreifache und tat, als faßte er sich dementsprechend schwer. »Ich danke Ihnen sehr, Mister Kossick, für Ihre liebenswürdige Orientierung, nach der ich mich zu richten wissen werde, und hoffe, noch das Vergnügen zu haben.«

»Thank you. Ich werden sein froh, wenn Sie mir einmal im Hotel besuchen.«

Kaum allein, raste van Brenken in Winnies Pension: Winnie war seit gestern nicht nach Hause gekommen.

Van Brenken raste in sein Hotel: Winnie saß in seinem Zimmer, rauchte gemächlich und trank Tee.

»Endlich! Wir müssen fort! Und zwar augenblicklich!« Winnie stand wichtig und sicher auf.

Van Brenken setzte sich ruhig. »Warum?«

»Ich habe ihm soeben vier Blaue jeklaut. Hier!« Winnie ließ vier Hundertfrancs-Scheine flattern.

»Sauluder!« Van Brenken entriß ihr die Scheine, gab ihr eine knallende Ohrfeige und warf sie aus dem Zimmer, Jacke, Hut und Schirm hinterdrein.

122 Dann lauschte er. Winnie, die doch so klug gewesen war, nicht zu schreien, blieb einige Zeit lautlos im Gang stehen; schließlich schlich sie davon.

Van Brenken aber überlegte, welchen Anzug er für den Besuch, den er Mister Kossick nachmittags machen wollte, wählen sollte und wie er ihm das erforderliche Wurfgeld für Campione herauslocken könnte. 123

 


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