Walter Serner
Zum blauen Affen
Walter Serner

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Die Gestufte

»O, wie ich diesen Michail hasse! Und wie ich überhaupt dieses Leben hasse! Noch nie habe ich es so gehaßt wie heute! . . . Sagen Sie doch, Dmitry, was soll man denn nur tun . . .« Nuscha blieb sekundenlang großartig stehen und starrte tapfer geradeaus.

Dmitry hatte nurmehr den Wunsch, durch rabiates Schweigen von ihr fortzukommen. Als er aber ihren schönen Wuchs bemerkte, geriet dieser Wunsch bedenklich ins Wanken.

»Weshalb lächeln Sie?« In Nuschas auf Leid gestellter Stimme schwang verhaltenes Mißtrauen.

»Ich dachte an Baudelaires Verse unter Manets ›Lola de Valence‹: Entre tant de beautées que partout on peut voir . . . le charme inattendu d'un bijou rose et noir.«

Die Wirkung stellte sich prompt ein: Nuscha senkte eitel die behutsam geschminkten Lider.

Dmitry hielt es für vorsichtig, Weiterungen zuvorzukommen. Er nahm Nuschas Hand, die still verzückt auf ihrem Busen ruhte, kühn herunter. Das erregte ihn jedoch so sehr, daß er sich nicht mehr zu beherrschen vermochte, die Arme schlenkerte und pfiff.

,Ja, aber was . . .« Nuscha sprach plötzlich ganz hell, fast singend. Dann lachte sie übertrieben laut. »Aber mein lieber Freund, das hätte ich nicht von Ihnen erwartet. Oder ist das vielleicht eine besondere Zeichensprache? So wie in Spanien? Nein, spanisch ist das auf jeden Fall.«

Dmitry ärgerte sich doch ein wenig. »Lassen Sie das! Das ist doch alles nicht wahr!«

»Alles nicht wahr? Alles nicht wahr? Sie . . . ja . . . was . . . Sie . . .« Sie packte Dmitry mit beiden Händen vorne am Mantel, ließ ihn jedoch frei, als sie bemerkte, daß ihr so nicht einfalle, was sie sagen wollte. Sie schrie fast schon: »Und das jetzt bei Michail? War das vielleicht auch nicht wahr? Und das mit meiner Verzweiflung? Auch das nicht wahr? Aber als ich dieses Schwein, den Michail, mit dem Fuß wegstieß und als mir dieses verlogene alte Frauenzimmer, diese Hure widerlich wurde und als ich weinte und litt . . . Was? Das war alles nicht wahr? Und jetzt, jetzt schrei ich ja sogar! Und das ist vielleicht auch nicht wahr? Was? So sagen Sie mir doch, was jetzt mit mir los ist! Bin ich jetzt verlogen oder verliebt oder verzweifelt?«

›Was habe ich da angestellt!‹ dachte Dmitry resigniert. Das 51 Wörtchen ›verliebt‹ aber blieb ihm angenehm im Ohr hängen. Er hatte die Empfindung, als spanne sich sein Körper von den Augen aus. »Jetzt . . . keines von diesen dreien . . . oder vielleicht alles zusammen.«

»Alles zusammen? So? Wirklich? Ja? Also verlogen, verzweifelt und verliebt? Das ist ja reizend, einfach reizend! . . . Ph, Sie . . . Sie Petersburger . . .«

Sie stieß ihm die Faust leicht gegen den Magen, hüpfte, sich komisch-geziert drehend und schrill kichernd, quer über den Fahrdamm, schwenkte die Kappe über dem Kopf, auf dem die roten Haare aufgelöst flatterten, und rief: »Gute Nacht, mein Kleiner, gute Nacht!«

Passanten blieben stehen und grinsten.

Dmitry trat erfreut unter die Arkaden. So gedeckt, ging er Nuscha langsam nach.

Nuscha hüpfte immer noch. Das wirkte so grotesk auf ihn, daß er gleichfalls ein wenig zu hüpfen begann.

An einer Straßenecke blieb sie stehen, sah sich lächelnd um, ordnete ihr Haar und ging, sichtlich enttäuscht, weiter.

In der nächsten Straße setzte sie sich vor einem kleinen Café auf eine leere Kiste, trommelte mit einem Fuß ärgerlich auf den Asphalt, sprang dann plötzlich auf und hastete weiter, nicht ohne noch einen forschenden Blick zurückzutun.

Endlich lehnte sie sich in einer dunklen Nebenstraße an ein Haus und kramte in ihrem Pompadour.

Schräg gegenüber im Schatten eines erleuchteten Haustors stand Dmitry. Sein Herz hieb vor Aufregung gegen die Rippen. Ganz voll einer sicheren Erwartung starrte er hinüber und versuchte immer wieder, Nuschas Gesicht zu erkennen. So oft es mißlang, kicherte er lautlos vor sich hin.

Da kam Nuscha über die Straße her gerade auf ihn zu.

Er erschrak so heftig, daß er weder sich zu bewegen noch zu überlegen vermochte. In die Ecke gedrückt, mit schmerzhaft zurückgehaltenem Atem hörte er Nuscha das Tor aufsperren.

Miteins erblickte er ein ganz anderes Gesicht: aufgelöst, gleichgültig, höhnisch, geil . . . Seine Augen verbissen sich in dieses Gesicht . . . Nun hörte er sein rasch schneller werdendes Atmen. Und sofort war sein Entschluß gefaßt: er hüstelte.

»Wer ist da?« Nuscha fragte so leise, als fürchte sie ihre eigene Stimme.

Plötzlich aber verzog sich ihr Gesicht zu einer Fratze. Die Arme 52 seitlich ausgestreckt, sank sie rückwärts und hielt sich krampfhaft an Klinke und Mauer. »Was wollen Sie? Wer sind Sie?«

Dmitry trat ein wenig vor und packte fest ihr Handgelenk.

Nuscha wollte aufschreien. Aber schon preßte sich seine Hand auf ihren Mund.

Ihre Arme fielen plump herab. Sie hatte Dmitry erkannt.

Sie lächelte verzogen und wankte auf, körperschwach, aber voll tiefer Befriedigung.

Mit einem Mal ging ein Ruck durch ihre ganze Gestalt. Sie riß sich Dmitrys Hand vom Mund. »Sind Sie verrückt? Was erlauben Sie sich!«

Dmitry packte sie wortlos und wühlte sich in ihre heißen Lippen.

Sekundenlang wand sie sich noch in seinen Armen, dann hing sie schlaff und willenlos.

Im Zimmer höhnte Dmitry: »Sagen Sie doch, was soll man denn nur tun . . .«

Sie wandte sich ihm zornflammend zu. Sank aber vor ihrer Lust in seinem Blick in sich zusammen.

Als er sie berührte, schlug sie ihm gleichwohl ins Gesicht.

Dmitry schlug sofort zurück.

Komplette fürchterliche Prügelei . . .

Als Dmitry dann im Bett Nuschas hiebentstelltes Gesicht betrachtete, sagte er weich: »Le charme inattendu d'un bijou rose et noir.«

Nuscha küßte ihn wild. 53

 


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