Walter Serner
Zum blauen Affen
Walter Serner

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Der Lebenskünstler

Schülle war verzweifelt. Er war überaus in seine neueste Freundin Sima verliebt, diese jedoch verhielt sich durchaus verständnislos gegenüber seinen großzügigen Plänen, ohne deren Durchführung die für jedes andauernde Lieben erforderliche pekuniäre Basis nicht herzustellen war.

Was tun? Schülle war, wie gesagt, verzweifelt.

»Ein fescher Kerl, dieser Dr. Kandismayer, nicht?« versuchte Schülle während eines intensiven Onesteps auf der Kullmannschen Diele äußerst vorsichtig zum x-ten Mal.

»Der? Phhh!« machte Sima gänzlich nebensächlich, wobei sie eines ihrer holden Knie Schülle zu bemerken gab. »Oder bist du vielleicht eifersüchtig? Aber, aber . . .«

Schülle, seinen linken Daumen in Simas rechtem Fäustchen, die restlichen Finger zart über dieses glückliche Arrangement gebettet, stöhnte ein wenig. ›Ist sie so naiv oder derart raffiniert?‹ überlegte er trübselig. Dann gab er sich todesmutig dem Step hin.

»Also Schüllchen, du tanzst . . .« Und Sima gab ihm Weiteres zu bemerken und frottierte mit ihrem linken Unterarm seinen geliebten Nacken.

Schülles Verzweiflung wuchs. Es fiel ihm ein, daß er nur noch zehn Mark besaß und nicht die geringste Aussicht . . .

Während Sima ein wenig später in den Armen des Librettisten Steiner, ehem. Markör, einem Fox-Trot sich ergab, folgte der unbeschäftigte Schülle aufmerksam den Bewegungen des Dr. Kandismayer, der unentwegt seine einigermaßen geröteten Augen auf Sima gerichtet hielt und sich unablässig bemühte, die ihren auf sich zu ziehen, sei es durch wie zufällige Geräusche mit einem Tellerchen, sei es durch geradezu gewalttätiges Hin- und Herwerfen seiner Gliedmaßen, vermutlich um seine leidenschaftliche Erregung deutlich zu dokumentieren.

Und ganz plötzlich faßte Schülle einen jener Entschlüsse, die ihm schon so oft Erfolg und nebenbei auch Zerstreuung gebracht hatten. Er beschloß nämlich, unter Benützung seiner stattlichen Kenntnis des weiblichen Herzens, seine Pläne dadurch flott zu bekommen, daß er den Eifersüchtigen spielte, um Sima vorerst zu reizen, ihn zu betrügen.

Barsch trat er auf sie zu, drängte sie unsanft von dem eben sehr lieb plaudernden Librettisten weg und zischte: »Wenn du dich 71 noch einmal unterstehst, mit diesem Dr. Kandismayer zu kokettieren, dann . . . Das ist denn doch . . .«

»Was denn! Du bist wohl ein bißchen auf heißem Heu gelegen, mein Freund? Oder hast du so viel, daß du dir einen Rausch gekauft hast, he?« Simas Körper war eine einzige in Drehung begriffene Ironie.

Schülle mußte sich sehr beherrschen, um hinzufügen zu können: »Maul halten! Wir gehen! Verstanden!«

Sima flizte ihm einen unendlich kurzen und kleinen Blick zu und ging. Aber geradewegs auf den Dr. Kandismayer zu, mit dem sie sofort eine überaus angeregte Konversation begann.

Schülle verschwand tief erfreut und begab sich quer über die Straße in ein kleines Café, um daselbst nach einer halben Stunde zu telephonieren. Und zwar Herrn Dr. Kandismayer, der denn auch nach zehn Minuten endlich am Apparat erschien.

»Hier Hans Vogel. Wenn Sie das Fräulein Sima, in das Sie sehr wahrscheinlicher Weise verliebt sind, haben wollen, wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an mich.«

»Was soll ich?« fragte Dr. Kandismayer aufs äußerste betroffen, obwohl er jedes Wort verstanden hatte.

Schülle wiederholte genau dieselben Worte und fügte langsamer hinzu: »Ich erwarte Sie eine halbe Stunde lang im Café gegenüber. Nur für einige Minuten. Sie werden es nicht zu bereuen haben.«

Dr. Kandismayer, mutig und vor allem sehr neugierig geworden, eilte alsbald in das gegenüber befindliche Café und setzte sich wartend in eine Ecke.

Schülle nahm plötzlich von hinten herum wortlos neben ihm Platz, ließ sich durch eine Kopfbewegung, die den sehr Geübten verriet, seinen Wein nachbringen und begann hierauf ruhig und sachlich folgendermaßen: »Die Dame hat einen ganz maßlos eifersüchtigen Freund. Ich kann Ihnen, wenn Sie diese Bekanntschaft noch drei Tage fortsetzen, das Schlimmste von seiten dieses Trottels prophezeien.«

»So,« sagte Dr. Kandismayer tunlichst trocken, war aber doch ein wenig beunruhigt. »Na, das wird nicht so schlimm sein. Aber ich begreife nicht, was Sie mit dieser Angelegenheit . . .«

»Klar wie der Tag. Ich stehe seit Jahren dick in diesem Betrieb. Und habe die dümmsten Sachen mit angesehen. Ein bißchen Lebenskunst und alles geht seinen richtigen Weg und ist für alle Beteiligten nur ein Quell des Vergnügens.« Schülle hielt es für angezeigt, ein wenig innezuhalten.

»Nun ja.« Dr. Kandismayer versuchte, seinem Mißmut 72 einzureden, bereits orientiert zu sein. »Sie wollen vermutlich ein Geschäft machen, nicht wahr?«

»Aber nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Sie müssen sehr viel von Eifersucht reden, sich über diese blödsinnige Eigenschaft in allen möglichen und unmöglichen Versionen lustig machen und den gänzlich Eifersuchtslosen posieren. Damit heben Sie bei Sima ihren Freund psychologisch aus.«

»Psychologisch aus?« Dr. Kandismayer lachte hell auf.

»Glauben Sie mir!« Schülle mißverstand dieses Lachen absichtlich. »Auch diese Leute sind nicht ganz unkompliziert. Ich empfehle Ihnen folgende Motivation, die sehr leicht zu variieren ist: ›Wenn mich eine Frau liebt, so habe ich keinen Grund zur Eifersucht; und liebt sie mich nicht, erst recht nicht.‹ Vorzüglich, nicht? Und was Ihre Eifersuchtslosigkeit betrifft, so rate ich Ihnen zu folgender Haltung. Wenn Madame mit einem andern tanzt, gehen Sie an dem Paar vorbei, natürlich nachlässig rauchend, und rufen möglichst leicht aus: ›Kinder, nehmt Euch senkrechter!‹ oder: ›Sima, was bist du heute für ne famos festgehaltene Erscheinung!‹ oder ganz einfach: ›Hört mal, wenn Ihr fertig seid, putzt Euch erst ab!‹ Und so. Das macht den besten Eindruck.« Schülle trank flüchtig. »Und was Schülle betrifft, diesen Trottel, ihren Freund, so werde ich ihn schon zu okkupieren wissen, natürlich gegen Deckung meiner dabei stattfindenden Barauslagen Ihrerseits.«

Dr. Kandismayer war höchlichst amüsiert. Und nach etwa einer Viertelstunde war er derart amüsiert, daß er fast auf Sima vergessen hätte.

Schülle war es, der ihn an sie erinnern mußte.

Dr. Kandismayer bezahlte den Wein Schülles und reichte ihm unter dem Tisch einen Zwanzigmarkschein. Man war übereingekommen, sich allabendlich auf demselben Plätzchen zur selben Stunde zu treffen, um über die Sachlage zu berichten und das psychologische Vorgehen zu besprechen.

Schülle spielte von Stund an Sima gegenüber den sinnlos Eifersüchtigen und äußerte mit scharfem Vorbedacht Dinge, die er den Dr. Kandismayer noch am selben Abend vor Sima geistreich widerlegen ließ. Dieser war über diesen Kniff zwar orientiert, aber mit der Version, daß er, nämlich Hans Vogel, als der gute Freund Schülles genau über alles auf dem Laufenden sei, was dieser Sima gegenüber zu äußern beliebte.

Mehr noch als Sima selber reizte den Dr. Kandismayer dieses ungewöhnliche Spiel und als er Sima längst schon besaß, hörte er nicht auf, in immer neuen, immer geistreicheren Triumphen sich 73 zu ergehen. Diese kamen ihn freilich sehr teuer zu stehen, da einerseits Schülle allabendlich im Café mit virtuoser Geschicklichkeit sich honoriert zu machen verstand, andererseits der selbstverständlich auch in Sima schlummernde Trieb, den Nebenmenschen auszubeuten, von Schülle dadurch von Tag zu Tag mehr geweckt wurde, daß er sich ihren Verhöhnungen gegenüber über ihre Dummheit lustig machte, von einem schwerreichen Kerl nur Liebesbeteuerungen einzustecken und nichts Gehaltvolleres.

Leider (oder glücklicherweise) ging Sima, wie alle Neulinge, eines Tages ein wenig zu weit. Sie stahl nämlich dem Dr. Kandismayer einen Betrag von 366 Mark, worauf dieser, von der Gestalt Simas ohnehin bereits gelangweilt, sich kurzerhand nicht mehr blicken ließ.

Schülles Triumph war gekommen.

Er erschien plötzlich wieder in der Kullmannschen Diele, wo er seit der Affaire Kandismayer unsichtbar geblieben war, setzte sich, was Sima über alles erstaunte, an ihren Tisch und begann langsam und vorsichtig ein Gespräch, in dessen Verlauf er nicht nur all das, womit Dr. Kandismayer seine Äußerungen ad absurdum geführt hatte, nun seinerseits sehr geistreich aushob, sondern vielmehr auch durch geschickt gewählte kleine Beweise zu verstehen gab, daß die Auffassung Simas, sie habe ihn ohne sein Vorwissen hintergangen, eine irrige sei.

»Du hast mir nachspioniert, du Schwein!« Simas Zorn war ehrlich.

»Keineswegs. Aber es genügt, ein wenig Lebenskünstler zu sein.«

Sima hatte plötzlich die von Schülle vorhergesehene heftige Besorgnis, ihn zu verlieren: »Schüllchen, vergib mir nur dieses eine Mal. Ich schwöre dir . . . du wirst sehen . . .«

Schülle wußte, daß die jüngsten Einkünfte ihren Ehrgeiz geweckt hatten und das opulente Leben ihren Appetit. Auf diesen spekulierend, vermehrte er jenen: »Hör mal! Ich habe gar nichts dagegen, daß du einem reichen Trottel Beträge ablistest. Aber ich muß es wissen. Ich muß alles wissen. Sonst kannst du unter Umständen schwer hineinfallen.« Er hielt es für vorteilhafter, das Restliche später zu besprechen.

Die für jedes andauernde Lieben unbedingt erforderliche pekuniäre Basis war hergestellt. Und Sima fast verliebter noch als ihr Schüllchen. 74

 


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