Walter Serner
Zum blauen Affen
Walter Serner

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Die Betörung der Excentrique Fanoche

fand durch Alois statt, welcher hinten Srb hieß, aber sehr weitsichtiger Weise seinen Vornamen für hoffnungserweckender hielt als jedes noch so kühn gebaute Pseudonym. Überdies war Alois, dessen Nase in zart slawischer Breite gen Himmel wies, zweifellos tschechischer Abstammung.

Nicht solches war es jedoch, was die von sämtlichen Finessen, Trucs und Hautfarben durchaus gelangweilte Excentrique Fanoche auf Alois aufmerksam machte, sondern ein an sich nicht sehr ungewöhnlicher Vorfall.

Am Abend der Première in der Alhambra hatte nämlich Alois in jenem höchsten Augenblick der Darbietungen der Fanoche, als sie eben mit herzbeklemmender Komik süß ins Publikum refrainte: »O mon chéri, donne-moi un petit signe!« – in diesem wahrlich herausfordernden Moment hatte Alois, lediglich aber infolge eines kurz zuvor verzehrten Paprika-Gjulasches, ganz fürchterlich gerülpst.

Eine kurze Konsternation des ganzen Saales erfolgte und sofort darauf ein betäubendes Gebrüll.

Alois erhob sich vergnügt und sogar fast graziös von seinem im Tauschverkehr gegen einen alten Spazierstock erworbenen Parkettsitz und verneigte sich gelassen gegen das ihm huldigende Publikum; die Fanoche, entzückt und dankbar, von Alois.

Diese Verbeugung wollte ihm während der folgenden Nummern nicht aus den Sinnen, die ohnedies gewissermaßen geweckt worden waren. Sie hing ihm gleichsam vor Nase und Mund. Er grübelte, seufzte leise und pfiff ganz dünn in den Momenten hoffnungsvoller Reflexionen.

Neugierig und schüchtern zugleich wartete er nach Schluß der Vorstellung in jenem Bühneneingang, von dem er annahm, daß die Fanoche ihn passieren mußte.

Als sie dies endlich tat, mußte er, sei es aus Verlegenheit, sei es assoziativ, sei es gjulaschesk, abermals rülpsen.

Die Fanoche, die ihn naturgemäß daran wiedererkannte, näherte sich ihm darob lächelnd und schenkelsicher. »Du arbeitest gut, mein Freund. Du könntest das jeden Abend machen. Ich würde dir immer ein Billett geben. Willst du?« Dabei blies sie ihm kokett auf die Nase.

Alois, dessen slawisch behende Natur sofort erkannte, daß in 116 dieser Offerte nicht nur die Möglichkeit ruhte, das Schneidergewerbe aufzugeben, sondern vielleicht sogar die Fanoche selber, nickte so sonderbar unbeholfen, daß es mehr herablassend, ja fast frech sich ausnahm.

Die Fanoche wunderte sich leicht: »Du heißt?«

»Alois.«

Die Fanoche lächelte seltsam und biß ein wenig an ihrer schweren wildgeschweiften Unterlippe. Dieser Name roch für sie absonderlich, neu, lasterhaft, verschlagen. »Und deine Adresse?«

Alois genierte sich, die Rue Lepic zu nennen. »Hinterlegen Sie das Billett im Café, bei Robert.«

»Gut.« Sie stieß ihm jovial die Kniescheibe an den Bauch. »Au revoir, mon cher.«

So endete der Anfang. Das Ende begann nach drei Tagen. Schon.

Denn der tägliche Varietébesuch, der steigende Rülpserfolg, das joviale Blasen und Kniestoßen der Fanoche und schließlich die geradezu immense Hochachtung, die der Kellner Robert ihm gegenüber bekundete, brachten Alois, der außerordentlich begabt, nur noch unerfahren war, mit einem Schlag auf die Höhe seiner schlummernden Fähigkeiten.

Den Schlag erhielt er im Bühneneingang nach der Vorstellung von Real, einem Fanoche-Interessenten lockerster Art, auf den Hinterkopf.

Doch Alois' Selbstgefühl, das diesen Schlag noch vor drei Tagen sicherlich stumm eingesteckt hätte, war inzwischen mächtig gestiegen. Und so geschah das gänzlich Unerwartete, daß Real, der allseits schwer Gefürchtete, eine entsetzliche, so recht tschechische Watschen bekam.

Während der gräßlichen Prügelei, die sofort begann und die Reals wegen niemand zu bremsen wagte, erschien die Fanoche und sah angenehm erregt zu; bald aber neugierig lüstern; und schließlich, als Alois' Hiebe immer wilder niederprasselten, feuchten Auges und zitterfingrig.

Reals Kraft erlahmte.

Alois, der Fanoche längst begeistert gesichtet hatte, beschoß, seinen Sieg mit einem seiner Gönnerin würdigen Coup zu krönen. Er packte Real plötzlich im Klimmzug, riß ihn hoch und schleuderte ihn mit einer Kraft, deren ihn nur die heiß gewordenen Augen der Fanoche fähig werden ließen, auf einen in der Nähe stehenden Kulissenberg, der denn auch prompt zerbrach und Real, den schwer Gefürchteten, knatternd und knarrend in sich begrub.

Alois hatte einen Riesenerfolg. Man klatschte, jauchzte, sang 117 und schrie. Zwischendurch wurde der Name Alois mit Ehrfurcht genannt; von Fanoche mit rührender Zärtlichkeit, die jedoch Alois, als sie ihn zu streicheln versuchte, brüsk zurückwies.

Hier offenbarte sich seine außerordentliche Begabung.

Die Fanoche, auf solches am letzten gefaßt, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, als wollte sie eine unmögliche Halluzination verscheuchen, und geriet, ohnehin durch das vorhergegangene Schauspiel tief erregt, endlich völlig außer sich. Sie begütigte, stammelte, bat, beschwor . . .

Alois blieb hart, stieß sie eigensinnig immer wieder von sich und beschäftigte sich ausschließlich mit der Instandsetzung seines einigermaßen ramponierten Anzuges.

Die Fanoche, die sich nun nicht mehr zu helfen wußte und vor den herumstehenden Gaffern und Kollegen blamiert sah, wurde wütend und begann Alois in unglaublicher, nur ihrer Garonner Zunge geläufiger Weise zu beschimpfen.

Alois stutzte einen Augenblick. Dann aber zuckte es spitz in seinem breiten Gesicht auf. Er fühlte seinen unsäglichen Triumph und – schlug.

Die Rauferei, die nun folgte, unterschied sich freilich wesentlich von der vorhergegangenen. Alois beschränkte sich tunlichst auf eine kraftvolle Verteidigung. Immer, wenn Fanoche ein Hieb geglückt war, schrie sie vor Schmerz auf. Als sie, zerzaust, zerrissen und zerkratzt, wimmernd zu Boden sank, stürzte ein Hohngelächter ohnegleichen über sie hin.

Das brachte Alois zu sich und auf einen für einen Neuling wirklich bemerkenswerten Ausweg.

Er packte Fanoche um den Leib, trug sie auf die Straße, warf sie in ein Taxi und fuhr mit ihr in die Rue Lepic.

Unterwegs blieb die Fanoche, ein Gemisch von Wut und Neugier, Haß und Begierde, trotzig und regungslos mit geschlossenen Augen liegen.

Sie öffnete sie erst, als sie sich auf ein Bett gelegt fühlte, und wunderte sich durchaus nicht, sich in einer Mansarde übelsten Pariser Genres zu befinden.

Alois wusch sich über einem Blechtopf, der auf einer Kiste stand, zog sich langsam vor einem Scherben Spiegel einen Scheitel und blickte zwischendurch scheu und interessiert auf Fanoche, die bereits sachte ihren Schlager vor sich hin pfiff.

Als sie zu dem Refrain kam: »O mon chéri, donne-moi un petit signe!«, rülpste Alois kräftig und lachte sein breitestes slawisches Lachen. Und auch die Fanoche lachte . . .

118 Am nächsten Morgen frühstückten sie, achtungsvoll und orientiert bedient, im Café de la Place Blanche, und als die Zigaretten in den Mundwinkeln baumelten, wurde nochmals besprochen, was nachts beschlossen worden war: daß Alois das Schneidergewerbe aufgeben müsse, nicht ohne sich zuvor eine kleine Garderobe, zu der Fanoche die Stoffe beizusteuern sich verpflichtete, verfertigt zu haben, und daß er seine Rülpsrolle, von nun an gegen Taschengeld, weiterzuspielen habe, bis sich eine passende Gelegenheit biete, ihn als Komiker oder wenigstens als Komparse zu managen . . .

Während dieser Repetition blickte die Fanoche, die von sämtlichen Finessen, Trucs und Hautfarben gelangweilte, leidenschaftlich in das arg zerschrammte Gesicht ihres Alois, dessen in zart slawischer Breite gen Himmel weisende Nase querüber einen breiten blutigen Riß trug.

Als die beiden bald darauf die Rue Fontaine hinabschlenderten, begegneten sie, da das Doppelmatch in der Alhambra in allen Montmartre-Lokalen das Nachtgespräch gewesen war, zahlreichen auffällig registrierenden Blicken. Die weiblichen Branche-Angehörigen freuten sich grinsend über den Hereinfall der Fanoche, die männlichen zeigten ihren Hohn durch lächerliche Höflichkeit und ein stattlicher unbeteiligter Rest spottete ganz ungeniert.

Alois aber war ein gemachter Mann.

Noch am selben Abend ließ ihm Canette Rasolla von den »Quat' z arts« durch Robert ein Billett zustecken, in dem sie ihm ein Rendez-vous offerierte und noch einiges . . .

Und vierundzwanzig Stunden später fand die zweite Rauferei zwischen Alois und der Fanoche statt, die schlankweg gänzlich von ihm betört war. 119

 


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