Walter Serner
Zum blauen Affen
Walter Serner

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Angelisches

Tarrish gähnte sperrangelweit.

Manse jammerte leise. Plötzlich aber bekam sein gelbliches Balkangesicht Ölfarben. »Tarrish, du könntest mir Ange einmal borgen.«

Tarrish, von je ein Unhold, zwinkerte geringschätzig. »Borgen? Nachgeschmissen kriegst du sie!« Hierauf aber legte ein erfreulicher Einfall einen zarten Schleier um seine alten Augen. »Hm, hier ließe sich eine überaus ergötzliche Kombination besorgen.«

»Ergötzlich sagst du, Edler?« Manses erhöhtes Lebensgefühl äußerte sich stets hoftheaterhaft.

»Ergötzlich, mein Freund, durchaus!« Tarrish lächelte pfiffig. »Ange ist nämlich nicht nur maskulin sehr bedürftig, sondern auch . . . Du ahnst es nicht, aber das gibt es . . . von astraler Demut.«

»Type: kniefällige Schnepfe!«

»Du sagst es, Freund. Hier blüht unermeßlich Heiterwolkiges.« Und sie berieten voll Eifer und einigten sich auf das Stichwort ›Corriere della Sera‹. Das Leben hatte für sie einen Abend lang wieder einen Sinn bekommen . . .

Ange, halb Mignon halb Israel in den Zügen, beliebte andern Nachts sogleich Sphinxhaftes, als Tarrish ihr Manses schwarzen Haarschopf an den Kaffeehaustisch plazierte.

Manse, darob durchaus nicht eingeschüchtert, gehabte sich balkaneskest. Resultat: Anges Rätselhaftigkeit verdünnte sich zusehends und verkicherte schließlich straks.

Tarrish warf dieserhalb die ›Vie parisienne‹, gegen deren Gelesenwerden Ange sonst stets böse Mundwinkel spitzte, mit den Worten auf den Nebentisch: »Ein süßer Junge, dieser Manse, was?«

Anges samtnes Auge beblitzte ihn vorwurfsspritzend. Tarrish, seiner Kennerschaft sicher, sagte leise: »Und doch.« Manse wackelte nunmehr überhaupt nur noch und verpulverte seine sämtlichen in Sofia und Paris wohl aufgefüllten Witz- und Geistreservoirs, fast allzu sichtlich Verheißungsvolles erzielend.

Auf dem Wege nach ihrer Wohnung, wohin sie zum Tee gelockt hatte, watschelte Ange denn auch, wiewohl zwischen Tarrish und Manse, dennoch um vieles mehr an Manses Flügel; bremste schon auf der Treppe, um, von Tarrish unbeobachtet, Manse bestolpern 112 zu können, was dieser multipliziert gelingen ließ; und drängte ihn, in ihrem Boudoir angelangt, schnell auf ein schmales Sofa und sich so daneben, daß Tarrish Outsider blieb.

Alsbald schleckerte man Tee und Süßes und begrüßte Tarrish' Vorschlag, für die Dauer einer Nacht Bruderschaft sich zu leisten, voll Jubel, ja repetierte die labiale Ausführung voll Ausdauer so lange, bis es derart auffiel, daß es schon egal war.

Gleichwohl glaubte Ange stoppen zu müssen, indem sie sehr energisch eigene Dichtereien daherdeklamierte, die erklärlicher Weise sehr unanakreontisch verliefen.

Dies und der Umstand, daß die Imponage so rundweg ausblieb, störten sie doch einigermaßen und drängten sie zur Weltanschauungswahl, die angesichts der allseits begehrlichen Lippen, inklusive die eigenen, schwerlich astral ausfallen konnte.

Manse wagte deshalb einen Dreiminutenkuß in Phantasiepackung; und Tarrish, an die Reihe und in eine ähnliche Lage gekommen, entleerte einen Schluck Wein geübt durch die Lippen der vergeblich sich entsetzt Gebärdenden.

Durch diese sinnigen Amüsements wurde der Zwang zur Wahl einer eindeutigen Haltung Ange immer peinigender.

Zur Selbstbestärkung verlas sie deshalb einen Liebesbrief, der ihn nicht erreicht hatte, Tarrish aber jetzt, von feuchten Augenaufschlägen unterstrichen, geschenkt ward, und zog, abermals wirkungsunbefriedigt, sechsmal, des Kniffes kundig, Herz-As aus einem Spiel, sich nach jedem Zug extatisch vor Jubel über diese Schickung in das Sofa wühlend, um Tarrish das Astrale zu demonstrieren.

Tarrish hielt die Gelegenheit für günstig und bat mit zart gewichster Stimme um eine sehr bestimmte Wunscherfüllung.

Ange neigte, eh' schon wissend, das Ohr, hörte Manses wegen mimiklos zu und schüttelte ebendeswegen das bereits derangierte Haupt.

»Ich biete zwanzig Francs!« rief Tarrish wirklich ärgerlich und in planlosem Mutwillen.

Ange, die innerliche Tarrish für diese Frechheit einen entzückten Blick widmete, konnte nun doch nicht das Astrale derart ruchlos preisgeben. Sie taumelte verstört auf und, wie in sämtlichen Parallaxen ausgehoben, an die Sofawand zurück.

Erstaunlicher Weise gelang ihr ein komplettes Erblassen.

Manse, dem dieser tolle Grad von Kippung neu war, wunderte sich baß und wurde unsicher, ja fast unwillig.

Tarrish zwinkerte ihn zur Haltung.

113 Manse, schnell wieder auf seiner Höhe, hielt es für das Sturmzeichen und holte sich Anges Busen.

Da Tarrish dem wenn auch matt gearbeiteten Wehren Anges ansah, daß es nur auf ihn projiziert war, bekam er hörbar Hunger und begab sich unverzüglich in die Küche, wo er, mit der Örtlichkeit wohl vertraut, eine halbe Stunde lang vielerlei vergnügt in sich baute . . .

Manse und Ange saßen bei seinem Eintritt schweigend und direkt wie im Traum neben einander auf dem Sofa. Tarrish strahlte und lobte Wurst und Käse. Manse, ohnedies einer Kräftigung sehr zugetan, enteilte ungesäumt.

Tarrish näherte sich vorzüglich.

»Glaubst du, daß Manse mich liebt?« beflötete ihn Ange listig, jedoch allerkeuschest blickend.

»Möglich. Sogar wahrscheinlich,« hauchte Tarrish und forderte ungeniert seine Wunscherfüllung. Ange entfloh engelsgleich.

Tarrish, in plötzlicher Besorgnis, es könnte ihm nicht glücken, exhibitionierte. Mit Erfolg . . .

Als Manse später sich zur Tür hereinwand, blies ihm Tarrish das Stichwort zu: »Corriere della Sera!«

»Corriere della Sera!« wiederholte Manse, grinsend wie der ganze Balkan an einem Sonntag.

Ange beliebte augenblicks Sphinxhaftes, was in Ansehung des doppelseitig Stattgefundenen immerhin Fassung bekundete, und raste zu ihrer Beruhigung todesverachtungsvoll eine Viertelstunde lang Edgar Allan Poes schöne Legende ›Heureka‹ herunter, dieweil Tarrish und Manse sich mit den Augen genießerisch die Hände rieben.

Aber es half Ange nichts. Die plötzlich aufbrechende Wut darüber, sich so sehr blamiert zu haben, ergoß sich in einen Weinkrampf. Nach wenigen Minuten schrie sie nurmehr.

Manse, dessen Nerven vor einer Explosion hielten, drückte sich wortlos; nach ihm Tarrish, der jämmerlich Winselnden zuflüsternd: »Manse liebt dich sicherlich wahrhaft.«

Eine chinesische Teetasse, die ihm deshalb nachsauste, barst sich und einen hübschen Spiegel in Stücke . . .

Auf der Straße ächzte Manse schwer in sich hinein. Tarrish, besorgt um den so Erschütterten, schwang ihm den Arm um die Schultern. »Mensch, faß dich!«

Manse brauchte noch einige Zeit, um sich soweit zu erholen, daß 114 er unter fließenden Tränen zu stöhnen vermochte: »Sie wollte . . . mich nämlich . . . nachher von ihrer reinen . . . Liebe überzeugen, indem sie . . . auf die Knie fiel und plötzlich anfing . . . Du ahnst es nicht, aber das gibt es . . . – zu Jehova zu beten . . . Quelle vache!«

»Genau wie bei mir!« Tarrish hielt sich die Hüften.

Manse versagte alles Weitere. Sein Zwerchfell schmerzte.

Tarrish winselte. 115

 


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