Walter Serner
Zum blauen Affen
Walter Serner

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Unklarer Scherz

Mazalon wechselte mit einer dicken roten Kokotte ein qualliges Lächeln, als Rochat sich an den Tisch schob. Dann senkte er den Kopf in den Nacken, so daß sein steifer Hut nachglitt.

»Jetzt hab ich's mal erlebt, wie dir die Stirne ins Genick gerutscht ist. So hab ich mir's immer vorgestellt.« Lisa ließ mißvergnügt die sehr vollen Brauen spielen, da Mazalon höhnisch die Mundwinkel bewegte.

»Er markiert sein Niveau, der Esel!« Dann senkte sie sich Rochat zu, sah aber geschickt an ihm vorbei. »Ich verstehe das nicht: es gibt doch Ansichtskarten mit Fliedergeruch und Klappkulisse und ein Bijou wie dieses Bouiboui kann man nicht einmal an die Mama schicken.«

Mazalon federte nach vorn. »Lisaken, du hast nen neuen Stalljungen! Kunstdünger, was? Bring doch den Hering mal mit! Oder mußt du dir erst ne Hose für ihn schenken lassen? . . . Na, äußern Sie sich, meine Gnädigste!« Er kniff, von seinen Späßen erheitert, Lisas Schenkel.

»Zut alors!« Lisa riß die Hand Mazalons empor, warf sie platschend auf die Tischplatte und packte, ärgerlich darüber, einen Ring an ihr. »Monsieur Rochat, betrachten Sie diesen apfelgrünen Chrysopras. Er hat nur im Dunkeln Kraft. Dürfte deshalb schuld daran sein, daß sein Besitzer das Tageslicht meidet.« Sie hatte recht flott sprechen wollen; unversehens aber war es schleppend geworden und matt.

»Du schiebst mich so in den Vordergrund. Was hast du hinter mir vor?« Mazalons Zungenspitze wurde, zwischen den geöffneten Zähnen einherschnellend, sichtbar. »Hörmal . . .« Er ergriff Lisas Arm.

»Laß das doch!« Sie stieß seine Hand heftiger fort, als sie beabsichtigt hatte, und errötete deshalb.

»Na, na, na, na . . . Seit wann denn?«

»Ihr Apéritif wird kalt.«

»Hm, du wirst warm und – rot.«

»Monsieur Jakob Mazalon, beschäftigen Sie sich bitte vorwiegend mit sich selber.«

»Piii!« Mazalons Lippen machten ein obszönes Geräusch.

»O was für ein Süßer!« Lisas schön umschattete Augen rollten wie hilfesuchend.

79 Rochat, der die sonderbare Eindringlichkeit der Stimme derer, die lange geschwiegen haben, seit langem verwertete, äußerte wohlüberlegt: »Sie sind nur – unglücklich, liebe Lisa.«

Lisa sah erregt und eitel an sich nieder.

Mazalon soff grinsend. Zwischen die einzelnen Schlucke schwappte ein undeutliches Lachen. »Hör mal, mein Freund . . .« Er gluckste dumpf. »Diese Manier, Plötzlichkeiten mit Perspektive zu verzapfen, finde ich weder originell noch amüsant. Nicht mal praktisch.« Er bewegte den Kopf spiralenähnlich, als hätte er eine lange tiefsinnige Unterredung zu seinen Gunsten erledigt.

Rochat, den Mazalons unzähmbarer Machttrieb stets amüsierte, lächelte nachsichtig.

Mazalon übersah gewohnheitsmäßig Rochats Augen: »Also glatte Note, was? Aber im übrigen mach das an, wo du gerade willst. Bei mir nicht. Ich laß mich nicht mit Bindfaden anknoten.« Er tat, als wäre Rochat ihm nun gänzlich unwichtig geworden.

Miteins verursachte Mazalons Kopf Lisa solchen Widerwillen, daß sie bereits wild drauflosschimpfen wollte.

»Zigarette gefällig?« Mazalon hob nachlässig das Päckchen.

Unsicher lächelnd nahm sie eine. Und zuckte, wütend über sich, zusammen.

»Tiens, tu as un bouton de chemise au doigt,« sagte eine fette Frauenstimme am Nebentisch.

»Hein? Bouton de chemise? O la la, ça c'est un kacholong,« schrillte ein überhelles Stimmchen.

»Quoi? Kacholong? Mais kacholong, c'est une pomade!«

Die andere lachte knallerbsenhaft.

»Unklarer Scherz!« brummte Mazalon.

»Wieso?« Rochat fragte, um ihm Gelegenheit zu geben, sein Verhalten zu ändern; allerdings ohne zu wissen, daß er das Gespräch am Nebentisch gar nicht gehört hatte.

»Wieso?« wiederholte Mazalon in beabsichtigtem Falsett und versuchte, ein hämisch abweisendes Gesicht zu machen.

»Sei nicht so blöd frech!« Lisa gelang das Drohende jedoch nur teilweise und schwankend.

»Wieso?« Diese abermalige eigensinnige Wiederholung hetzte Mazalon in seine ganze Bosheit hinein. »Da hocken zwei ausgewachsene Menschen beiderlei Geschlechts neben einander und nehmen sich weißgott wie wichtig, dieweil . . . dieweil sie . . .«

»Na, Joe, kauf mir nen Schwarzen, ja?« Die dicke rote Kokotte war herangerudert und setzte sich mit imponierender Langsamkeit 80 neben Mazalon, die vollberingte Schwartenfaust auf seinem Nacken. Dabei sah sie Rochat heftig in die Augen.

»Drahtlos, Frau Herzogin!« Mazalon ärgerte sich, unterbrochen worden zu sein, und über Rochats Anziehungskraft.

»Ach, Mensch, du hast gar keinen Ehrgeiz! . . . Schon gut, ich glaubs ja doch nicht! . . . Ich mit deinem Kopf wär schon Minister!«

»Nicht poetisch werden, Mary. Doch, laßt uns von ernsten Dingen reden. Keine Blitzungen vorgefallen?«

»Tröste dich. Dich brauch ich mir noch nicht anzuschaffen.«

»Also Mary, du bist direkt begabt. Gott strafe deinen Fal, dieses Ferkel!«

»Sssst, mon cher . . .« Marys Äuglein flizten, nach Fal forschend, durch das Lokal und blieben schließlich besorgt auf Rochat haften.

»Na, sende mir mal per Handgriff hundert Sous,« probierte Mazalon, scheinbar scherzhaft.

»Du hast wohl in Bienenhonig gebadet, Joe, was? Zieht nicht, alter Gauner!« Mary schaukelte ihre komplizierte Coiffure und lachte meckernd.

Mit einem polternden Ruck riß Mazalon den Stuhl neben sie und packte ihren fleischigen nackten Arm. »Écoute . . .« Er flüsterte ihr ins Ohr, während sie hochmütig die Äuglein zur Decke schnellen ließ, wobei sie sich vergewisserte, ob Rochat es auch bemerke.

Lisa, die so aufmerksam zugehört hatte, daß sie zornig erschien, fragte jetzt leise: »Warum glauben Sie eigentlich, Rochat, daß ich unglücklich bin?«

Rochat verschoß zielbewußt seinen dunkelsten Blick.

»Ich weiß es aber wirklich nicht.« Lisas Oberlippe hob sich begehrlich.

Rochat schwieg düster.

Lisas Hände glitten auf ihre Schenkel. In ihren Augen richtete sich eine wunderliche Lust auf. Sie roch ihren Leib und ließ sich, sekundenlang von sich benommen, von leichten Schauern überrinnen. Dann riß sie erregt ihre Jacke auf und zerrte die Arme aus den längst nicht mehr gefütterten Ärmeln.

»Was ist denn los? Willst du heiraten?« Mazalon schnalzte hell mit der Zunge.

Mary kniff wissend ein Auge zu.

Lisa setzte jäh die Hand auf den Tisch. »Du, Mazalon, gib acht auf deine Braut . . . Madame wird sich mit ihrem Auge bald was fangen!« Ihre Lippen und Augen verschwanden.

81 Mazalon witterte sofort die Gefahr und drückte Mary einen schmatzenden Kuß neben die Lippen. Als er, sehr schmerzhaft gezwickt, zurückfuhr, stieß sein spitzer Elbogen kurz und fest auf den Busen Lisas, die gell aufschrie.

Da außer Rochat niemand den Stoß gesehen hatte, starrten alle auf Lisa und von den Tischen starrte man auf die Starrenden.

Mehrere standen auf. Kellner kamen.

Mary holte, die Handteller um die Hüften gepreßt, mit geübtem Ruck den Busen aus dem Korsett und erhob sich mit herausfordernder Langsamkeit. »Je n'aime pas des chichis comme ça!« Mit einer grandios verletzend wirkenden Geste schmiß sie die Zigarette weg und tänzelte fort, das Haupt kokett schief geneigt.

»Blöde Bande!« Mazalon rückte den Hut tiefer.

»Wer?« schrie Lisa.

Fast gleichzeitig krachte es. Jemand hatte eine aufgeblasene Tüte zerschlagen.

Das brachte Lisa plötzlich in maßlose Wut. Sie warf die Hände aufs Gesicht und brüllte wie unsinnig auf. Dann sprang sie so heftig empor, daß sämtliche Gläser umfielen, und schleuderte ihre Fäuste auf Mazalon, ohne ihn zu erreichen.

Endlich besann sie sich. Die weit vorgestreckten Arme fielen auf ihre Knie, sie selbst sank kraftlos zurück.

Das ganze Lokal johlte.

Mary wieherte.

Rochat beobachtete höchst aufmerksam.

Mit einem Mal zerging Lisas Gesicht gleichsam. Sie stand langsam auf, faßte zitternd ihre Hände, zerrte an ihnen und streckte sämtlichen Anwesenden, besonders intensiv aber Mazalon und der dicken roten Kokotte, die Zunge heraus. Hierauf schritt sie erhobenen Kopfes hinaus auf die Straße . . .

»Unklarer Scherz!« feixte Mazalon höhnisch.

»Du irrst.« Rochat schüttelte vergnügt die Haare und lief Lisa nach, überzeugt von seinem bevorstehenden Erfolg. 82

 


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