Walter Serner
Zum blauen Affen
Walter Serner

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Die Baumöl

Sie mußte, darauf ließ ihr so unverhüllt getragener Name schließen, eine sehr mutige Dame sein, galt als über vierzig Jahre und als unbescholten.

Auch Lampel hielt sie dafür, außerdem für neunundzwanzig, und da er nach einer halben Stunde scharfsichtig zu erkennen glaubte, daß ein zionistischer Roué hier am Platze sei, gelang es ihm nach drei, mit Palästinafragen und erotischem Schnellfeuer gestopften Tagen, die Baumöl zu beglücken.

Doch Lampel hatte die Rechnung ohne seine bisher sehr unsemitisch in Anspruch genommenen Nerven gemacht. Diese erwiesen sich nämlich hinterher als weitaus entzückter, als es den Einnachtsabsichten ihres Herrn entsprach; ja geradezu als dermaßen hingerissen, daß Lampel sich schwermütig ans Fenster lehnte, auf einen Schornstein glotzte und »Mein Gott, mein Gott!« hauchte.

Kurz, es war sehr schlimm. Aber Lampel war gleichwohl nicht der Mann, sich das nicht einzugestehen. Er, der im Alter von achtzehn Jahren feierlich auf das Strumpfband einer Alice sich geschworen hatte, nie mehr im Leben seinen Unterleib seinem Kopf einen Streich spielen zu lassen, hatte nur nötig, sich daran zu erinnern. Er tat es und, da er kein Phantast war, sondern ein Stellenvermittlungsbureau, beschloß er, entsprechend dem vorliegenden Fall vorzugehen.

»Nun,« meditierte er, bereits auf das Pflaster schielend, »meine Nerven sind von dieser Baumöl besoffen. Ich werde sie ihnen für einige Zeit vermitteln und, wenn sie sie nicht mehr benötigen, Madame den Platz wechseln lassen. Das kann noch ein Geschäft werden.«

Abends jedoch rückte das Geschäft in weite Ferne und Lampel deshalb jenem Zustand näher, der Verliebte Blödsinnigen so ähnlich macht. Die Baumöl stellte sich nämlich nicht nur als nicht mehr von Lampel entzückt heraus, sondern vielmehr als ihm gänzlich abhold geworden. Sie sprach von der Schädlichkeit zu häufigen Genusses von warmem Apfelmus und über die Beziehungen Schillers zu Goethe.

»Der Jordan zieht nicht mehr,« winselte Lampel auf dem Nachhausewege. »Und Schiller, der nicht einmal Jude ist, ist wahrhaftig keine erotische Kanone. Was tun?«

92 Zum ersten Mal in seinem Leben war der Mann, der immer Rat wußte, ratlos.

Spät nachts jedoch stürzte er sich plötzlich aus dem Bett auf seinen Schreibtisch, riß, da er vergessen hatte, das Licht anzudrehen, fast den Apparat herunter und brüllte: »2782!«

Sein Kopf fieberte. Die nackten Beine froren. ›Ob es nicht doch zu gewagt ist?‹ dachte er atemlos und wollte, unentschlossen röchelnd, bereits den Hörer einhängen, als wider Erwarten rasch die Baumöl sich meldete:

»Lampel? O bitte, kommen Sie sofort zu mir. Ich brauche Sie dringend! Ganz dringend! Nehmen Sie ein Auto! O Gott sei Dank! . . .«

»Halloh, was . . .« schrie Lampel, hörte aber nichts mehr.

Unterwegs lächelte er sich in seinem runden kleinen Taschenspiegelchen gönnerhaft teils, teils gockelstolz zu und ärgerte sich hierauf sehr, daß er vergessen konnte, Bart und Leib mit Trèfle zu bestäuben . . .

Die Baumöl erwartete ihn bereits an der Tür: »Schnell, schnell!«, stieß ihn in ihr Wohnzimmer und verschwand.

Im Zimmer wurde alsbald auf ihn geschossen. Und zwar von einem Unterarm.

Er fiel vor Schreck um; mit der Schläfe schwer auf eine Stuhlecke, so daß er ohnmächtig wurde.

Als er erwachte, lag sein Haupt auf einem Schenkel der Baumöl, die ihm nasse Küchentücher auflegte und nach stürmischem Befragen ruhig mitteilte, daß bei ihr eingebrochen worden sei.

»Also man hat eingebrochen?« stotterte Lampel angstentstellt, sein nasses Gesicht und den triefenden Bart streichelnd.

»Keine Ahnung.« Die Baumöl erhob sich hoheitsvoll.

Lampel glotzte überölgötzenähnlich. Dann entrang es sich seinem gurgelnden Kehlkopf: »Aber was für ein Zufall, daß man . . . daß er . . . daß gerade geschossen wurde, als ich und nicht du . . .«

»Man? Er? . . .« höhnte die Baumöl. »Ich habe geschossen.«

»Sie?« Lampels Kopf geriet ins Schwanken.

Die Baumöl lächelte nachsichtig. »Ihr Zustand ist besser geglückt, als ich projektierte . . . Nun also, hören Sie! Es handelt sich um Folgendes: Ich brauche sehr wichtig einen Einbruch, das heißt: die Versicherungssumme gegen ihn, das heißt: einen tüchtigen Zeugen. Der werden Sie sein. Sie haben auszusagen, daß ein Mann auf Sie schoß, der dann zum Fenster hinaussprang etc. Jetzt bleiben Sie hier, bis die Polizei kommt. Ich habe schon telephoniert.«

93 »Aber . . .« Lampel bemächtigte sich einer Semmel.

»Was denn. Sie müssen doch.«

»Ich muß?«

»Gewiß. Wenn Sie es nämlich vorziehen sollten, anders zu handeln, erkläre ich Sie, nicht jetzt, sondern ein wenig später als meinen Liebhaber. Das würde Ihnen jedoch ganz außerordentlich peinlich sein, da ich gar nicht Baumöl heiße, sondern – die Krosalowska bin.«

Lampels bis dahin unentwegt geliebkoste Semmel rollte miteins dumpf tönend über das Parkett. Er hatte sich augenblicks jenes Namens aus einem kurze Zeit zuvor stattgefundenen Monstre-Mordprozeß erinnert und daran, daß es dieser Dame gelungen war, während des Transports nach dem Gefängnis auf rätselhafte Weise zu entkommen.

Lampels Augen jagten in wilder Verzweiflung, aber doch nicht ohne Neugierde über die der Krosalowska hin. »Sie sind es also, die auf dem Transport damals in London . . .«

»Zu dienen. Und zwar, indem ich meinem Begleiter im Wagen Gelegenheit gab, sich in seinem Schmerz aufzurichten und mich von seiner Teilnahme für mich tatkräftig zu überzeugen.«

Lampel vermißte schmerzlich seine Semmel. Dann wurde er zusehends kleiner.

Als die Polizei kam, war er ganz klein.

Die Krosalowska erhielt nach vierzehn Tagen von ihrer Versicherungs-Gesellschaft eine sehr große Summe.

Tagsdarauf saß Lampel, der mit Hilfe der Krosalowska sein Stellenvermittlungsbureau überaus vorteilhaft verkauft hatte, ihr im Nachtexpreß nach Wien gegenüber.

»Wie fühlst du dich, mein Freund?« Die Krosalowska massierte neckisch die zu vollen Grübchen über ihren Fingern.

Lampel lächelte versonnen.

»Glaube mir, es ist das Beste für dich. Du hast doch immerhin verwertbare persönliche Eigenschaften. Stellenvermitt . . . in deinem Alter!«

Lampel nahm geschmeichelt seine Knie in die Hände.

»Ich habe sofort gewußt, daß ich dich habe . . .« prahlte die Krosalowska schelmisch.

»Wieso?« Lampel warf kokett einen Fuß unter den Schenkel.

»Das fühlt eine Frau doch.«

»Darum war ich wohl das geeignetste Opfer?«

»Zweifellos. Aber du vergißt, daß ich dich mitnehme.«

Lampels Pupillen erweiterten sich träumerisch. »Nur etwas 94 kann ich mir nicht erklären, obwohl ich fortwährend darüber nachdachte. Ich habe dich nämlich in jener Nacht tatsächlich telephonisch angerufen . . .«

»Vielleicht haben wir gleichzeitig telephoniert.« Schnell aber verformte sich ihr Mund triumphierend. »Was hattest du mir denn um zwei Uhr nachts so Wichtiges mitzuteilen?«

Lampel interessierte sich lebhaft für einen seiner Zeigefinger.

»Heraus damit! . . . Du machst ja ein Gesicht, als wolltest du dir erst etwas Passendes ausdenken! Gib dir keine Mühe! Ich wußte doch, daß du entsetzlich in mich verliebt warst.«

»O, ich bin es ja noch!« stöhnte Lampel, die Lippen verzückt auf den armbandtriefenden Handgelenken der Krosalowska.

»Ich habe dich doch absichtlich an jenem Abend so schlecht behandelt,« zirpte sie lieblich, »um mein geplantes Telephongespräch psychologisch gut zu plazieren. Nun, wir werden noch gute Geschäfte machen, mein Sohn.«

Lampels Lippen betätigten sich bereits anderwärts, als er plötzlich innehielt. Ihm war, allerdings nicht zum ersten Mal, der Zionismus eingefallen und die Palästinafragen und daß Madame schon um die Vierzig sich befinden mußte und daß er sie für unbescholten gehalten hatte . . .

Doch, wie gesagt, Lampel hatte diesmal die Rechnung ohne seine bisher nur an blonde Kost gewöhnten Nerven gemacht.

›Aber es ist doch noch ein Geschäft geworden,‹ tröstete er sich. Ein wenig voreilig wohl. 95

 


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