Walter Serner
Zum blauen Affen
Walter Serner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Rache des Serben Calenowitsch

Es ist vielleicht nicht ganz unbekannt, daß es eines der besten Mittel ist, eine Dame zu bekommen, bereits eine zu haben. Aber auch umgekehrt trifft diese Maxime zu: Herren, die nicht die geringste Lust einem gewissen Weibe gegenüber verspüren, werden allgemach von ihr erfaßt, wenn sie wahrnehmen, daß ein anderer sie in heftigem Grade empfindet.

Moo aus Lüttich, eine überaus genußsüchtige junge Witwe, welche die vorteilhafte Eigenschaft, sehr nüchtern zu beobachten, in hohem Maße besaß, war dies nicht entgangen. Deshalb entschloß sie sich zu einer Liebschaft mit dem ihr schließlich nicht unsympathischen Serben Calenowitsch, um dessen Freund, den Sachsen Fuhrmatz, für den sie in mächtiger Begierde, aber ergebnislos erglüht war, zu bekommen.

Die beiden Freunde bewohnten seit kurzem in Nizza gemeinsam ein kleines Appartement zu ebener Erde; Moo ein elegantes Zimmer im Hotel Negresco, das sie allabendlich nach dem Diner verließ, um sich zu ihrem Calo zu begeben.

Daselbst trank sie schwarzen Kaffee, schäkerte, auf seinen Knien sitzend, mit Calenowitsch und liebkoste ihn stürmisch so lange, bis Fuhrmatz es für gekommen hielt, delikat ins Nebenzimmer sich zurückzuziehen, von wo aus er die Geräusche allerlei holder Vergnügungen mitanzuhören gezwungen war.

Anfangs schmeichelte ihm dieser Zustand. Moo hatte ja, lange bevor Calenowitsch zu ihm gezogen war, eines Nachmittags ihr Haupt auf seine Knie gelegt und überhaupt sehr deutlich zu verstehen gegeben, daß . . . Fuhrmatz durfte sich also als derjenige fühlen, der anderen gerne überläßt, was er verschmähte. Deshalb war es ihm ein besonderer Genuß, Calenowitsch gegenüber eines außerordentlich liebenswürdigen, leider aber fast gnädigen Tones sich zu befleißigen.

Calenowitsch, der nicht vergeblich auf dem notorisch über ein stattliches Quantum Pfiffigkeit und Feinhörigkeit verfügenden Balkan geboren war, vernahm diesen Ton und merkte sich ihn, da er ihn sich noch nicht zu erklären vermochte.

Doch bereits nach zwei Tagen lieferte ihm ein Vorfall die Möglichkeit zu einer ganz bestimmten Erklärung. Moo hatte ihn nämlich, wie stets nach Fuhrmatzens Verschwinden, liebevoll auf die Chaiselongue gezogen. Die Kehllaute, die sie alsbald mit einer 100 gewissen Regelmäßigkeit ausstieß, däuchten jedoch Calenowitsch' feinem Ohr ein wenig übertrieben. Gleichwohl nahm er sie lediglich für Genußsteigerungen im Wege der Autosuggestion. Als sie aber geradezu in ein wildes Heulen übergingen, zu dem nach der augenblicklichen Sachlage durchaus kein Grund vorhanden war, hielt er plötzlich inne. Und mit einem Mal wußte er, woran er war: dieses Heulen war auf das Nebenzimmer projiziert, für Fuhrmatz bestimmt.

Calenowitsch ließ sich jedoch durchaus nichts von dieser Entdeckung anmerken und Moo, die wie alle sehr, nicht aber ganz Klugen andere gerne unterschätzte, bemerkte denn auch nichts.

Calenowitsch schlief diese Nacht nicht. Er sann auf Rache. Und zwar auf Rache an beiden. Der gnädige Ton Fuhrmatzens machte ihn fast noch wütender als Moo's Unverschämtheit, ihn einfach als Animierknaben zu benützen. Der Umstand, daß er weder für Fuhrmatz noch für Moo ein sozusagen besseres Gefühl besaß (er hielt den Abbé Galiani für den einzigen wahrhaft bewundernswerten Mann), erleichterte ihm sein Vorgehen, das an Raffinement wirklich nichts zu wünschen übrig ließ.

Er beschloß, die beiden auf einander zu hetzen, und, wenn die Begierde am höchsten gestiegen wäre, die Vereinigung auf eine grausame Weise zu verhindern. Das Blut seiner Vorfahren, der Bojaren, wallte in ihm.

Zu diesem Behufe begann er, Moo gegenüber seine bisherige Geilheit mit Sonderempfindungen und gänzlich unmotivierten, angeblich Gefühlen entsprungenen Seufzern aufzuputzen, tief schürfende Gespräche über das Wesen der wahren Liebe und den Sinn des Lebens vom Zaun zu brechen, etc., kurz, er simulierte nichts Geringeres als – Liebe.

Fuhrmatz gegenüber sprach er immer häufiger über Moo, ihren persönlichen Wert und ihre körperlichen Reize, stellte sich hierauf leicht gequält und ließ von Zeit zu Zeit das Gespräch sich gleichsam entgleiten, indem er, scheinbar Fuhrmatzens Anwesenheit völlig vergessend, streckenweise Monologe sonderbarst meditierender Art von sich gab.

Die Wirkung blieb nicht aus. Moo beeilte sich ungesäumt, ihrem Calo vor Fuhrmatz Befehle zu erteilen, um seine Servilität und sexuelle Hörigkeit zu demonstrieren, und wechselte mit Fuhrmatz gelegentlich leise ironische Blicke. Dieser vermochte nun schlankweg nicht mehr zu begreifen, wie er sich diese Dame hatte entgehen lassen können, die er bereits für ein sehr bedeutendes Weib hielt, 101 umsomehr als er bislang von Calenowitsch eine außerordentlich hohe Meinung besessen hatte.

Calenowitsch war mit seiner Arbeit zufrieden, hielt es jedoch für angezeigt, das Feuer noch zu schüren. Er lobte Fuhrmatz in selbstverleugnender Weise, wenn er mit Moo allein war. Und war er mit Fuhrmatz allein, lobte er Moo derart, daß er oft Mühe hatte, ein Lächeln zu unterdrücken. Dies alles aber lediglich, um nach einigen Tagen wirkungsvoll das Gegenregister aufziehen zu können. Er begann nämlich, wenn er mit Moo allein war, allerlei Einwände gegen Fuhrmatz zu erheben und geschickt den Neidischen zu mimen. Und war er mit Fuhrmatz allein, so erhob er schwere Einwände gegen Moo und stellte sich gleichwohl unbestimmt ärgerlich.

Und eines Nachmittags im Tea-Room, als Moo eben mit Fuhrmatz von einem stürmischen Tango an den Tisch zurückkehrte, erwies sich die Frucht als reif.

Moo hauchte nämlich hingerissen: »Fuhrmatz, ich bewundere dich.«

Und Fuhrmatz senkte eitel die Lider und sandte gleichdarauf Calenowitsch einen spitzigen, sachte triumphierenden Blick zu.

Noch am selben Abend vollendete Calenowitsch seine Rache.

Er bat Moo zum ersten Mal, nach dem Diner nicht zu kommen, da er und Fuhrmatz einen Herrn bei sich empfangen müßten. Moo glaubte es selbstverständlich nicht. Sie war überzeugt, daß das Spiel sich endgültig zu wenden begann, und ging, ein sieghaftes Lächeln auf den frischen Lippen, frühzeitig zu Bett.

Unterdessen erwies sich Calenowitsch, während er mit Fuhrmatz, seit langem zum ersten Mal bei dieser Gelegenheit zu zweit, schwarzen Kaffee trank, als abnormal schweigsam und bleich. Fuhrmatz, in manch einer Hinsicht unwillig, fragte schließlich, mehr aus primitivster Höflichkeit, denn auch nur in kleinster Anteilnahme, ob er vielleicht nicht ganz wohl sei.

Calenowitsch schwieg düster.

Fuhrmatz zuckte verächtlich die Achseln.

Da schob Calenowitsch plötzlich den Ärmel empor und wies mit dem Finger auf gewisse kleine runde zackige rote Flecke.

Fuhrmatz begriff durchaus nicht. »Bist du verrückt?«

Calenowitsch lächelte traurig. »Nein. Aber ich werde es bestenfalls in zwanzig Jahren tatsächlich sein.«

»Ja, bist du denn wirklich übergeschnappt?«

»Keineswegs. Bloß krank.«

»Kra-a-a-ank?«

102 Fuhrmatz begriff endlich. Und erbleichte.

»Aber du hast doch seit Wochen nur mit Moo . . .« entrang es sich ihm mühsam.

»Ich zweifle auch nicht im mindesten daran, daß sie mir dieses liebliche Geschenk machte.« Calenowitsch ließ das Haupt ein wenig sinken.

Nach einigen Sekunden auch Fuhrmatz . . .

Am nächsten Tag fuhr Fuhrmatz, der diese Absicht nur Moo's wegen bisher aufgeschoben hatte, nach einem rührenden Abschied von Calenowitsch zu seinen Eltern nach Zwickau auf Besuch.

Calenowitsch, der aus übergroßem Zartsinn sich weigerte, mitzufahren, hatte Fuhrmatz versprechen müssen, sich mit größter Fürsorge zu heilen, und dieser versprach seinerseits, schon in vier Wochen wiederzukommen.

Endlich allein, wischte Calenowitsch die weiße Creme, die er aufgelegt hatte, vermittels Spiritus sich vom Gesicht, nahm ein heißes Bad, um die kleinen roten Bemalungen zu entfernen, und machte, wiederum zum ersten Mal, Moo, die es ihrer Reputation wegen nicht liebte, im Hotel von Herren aufgesucht zu werden, daselbst einen Besuch.

»Fuhrmatz ist heute abgereist,« sagte er ganz unvermittelt.

»Was? . . . Ach, das ist ja nicht wahr.« Moo war aber doch irgendwie überrascht.

»Und zwar nach Wien. In eine Klinik.«

»Klinik?«

»Der arme Junge!« Calenowitsch ließ abermals sein Haupt sinken.

»Aber war ist denn nur los . . . Was hat er denn auf einmal . . .«

»Die Syphilis.«

Nach zwei Tagen verließ Moo Nizza, ohne auch nur von ihrem Calo sich verabschiedet zu haben.

Dieser hatte sich freilich auch nicht mehr blicken lassen. Er zog es vor, die gesamte Wohnungseinrichtung Fuhrmatzens im Wege eines guten Verkaufs zu unterschlagen, und, Bars und Dancings ausgiebig frequentierend, herrlichen Selbstgefühlen sich hinzugeben. 103

 


 << zurück weiter >>