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Einundzwanzigstes Kapitel.

Que dira Ferdinand, l'Europe, l'avenir?

Delavigne.

»Dios!« seufzte Don Manuel. »Was hab' ich getan!«

»Jesu Maria! Was haben Sie getan, Señor!« stöhnte Alonso mit tränenschweren Augen. »Leib und Seele verloren, Landesverräter und Ketzer geworden in einer und derselben Stunde. Jesu! Was wird aus uns werden!«

Dem Jüngling wurde es düster vor Augen, sein Blick wurde wirre, seine Gestalt fing an zu zittern, seine Füße schienen ihm den Dienst versagen zu wollen, seine Knie schlotterten. Unfähig, den Drang der auf ihn einstürmenden Empfindungen auszuhalten, erfaßte er die Zweige des Gebüsches und würde gesunken sein, wenn ihn der alte Diener nicht in seinen Armen aufgefangen hätte. Der Schweiß stand in großen Tropfen auf seiner Stirn, und halb ohnmächtig schloß er die Augen, nicht länger imstande, den Anblick der Szene, die er herbeigeführt, zu ertragen.

Diese Szene hatte nun auf einmal einen Charakter angenommen, der, hätte ihn der Jüngling früher auch nur träumen können, ihn wahrscheinlich zu einer anderen Handlungsweise bestimmt haben würde. Die Indianer, Mestizen und Zambos, denn aus diesen drei Menschenklassen bestand die ganze Abteilung der zusammengerafften Patrioten, waren nämlich kaum Meister des Schlachtfeldes geworden, als sie auch mit einer Gier über ihre toten und im Todeskampfe begriffenen Feinde herstürzten, die sie von Hunger verzehrten Raubtieren ähnlicher als Menschen darstellte. Mit dem der roten und schwarzen Rasse eigentümlichen gellenden und wieder dumpfen Geheul hoben und rissen sie die Leichen empor und tanzten mit den abgehauenen und abgerissenen Gliedern oder Köpfen umher, sangen und jubelten und warfen sie wieder weg und rissen die andern Leichname mit dem wütendsten Freudengeschrei herum, und trieben dies auf so wüste Weise, daß selbst ein aus den gröbsten Stoffen geformtes Gemüt darüber hätte mit Abscheu erfüllt werden müssen; dann fingen sie an, die Leichen auszubeuten. Einer der Halbmenschen riß die Beinkleider eines Dragoners an sich, die er statt einer Jacke anzog, ein zweiter hatte eine Jacke als Beinkleid anzuziehen sich bemüht; ein dritter sprang gleich einem Rasenden mit einem erbeuteten dreieckigen Hute und Stiefeln umher, und dazwischen erschallte ein Gelächter, so gellend, so unnatürlich, so höllisch, und ward wieder so grausig von den nahen Bergen zurückgeworfen, daß es wirklich den Anschein hatte, als ob die Geister der Hölle sich zu einem gräßlichen Rendezvous eingefunden hätten. Jago lehnte mittlerweile mit ungemeiner Ruhe und Behaglichkeit an der Felsenwand und trocknete sich die Stirn vom Blut und Schweiße, während zugleich ein Zambo den gebliebenen Major ausbeutete und ihm jedes Stück seiner Kleidung zur vorläufigen Untersuchung hinhielt. Der Capitán untersuchte die Garderobe des Majors mit augenscheinlicher Aufmerksamkeit, und erst nachdem er jedes Stück der Kleidung genau befühlt, gab er diese dem Zambo zurück.

»Ah, Gojo«, lachte er, indem er ein seidenes Sacktuch aus der Tasche des Majors nahm und sich die Stirne trocknete, während zugleich sein Blick über das Schlachtfeld hinglitt, ähnlich dem, welchen der Metzger über die Schlachtbank wirft, auf welcher er soeben eines Paares wilder Ochsen Meister geworden ist. » Pícaro!« lachte er wieder; »bei meiner armen Seele! Beinahe hättest du mich aus dem Konzepte gebracht. – Ah, Gojo!« rief er wieder, indem er den Rock nochmals anfühlte und nun aus der Tasche ein Portefeuille zog, das seine Gesichtszüge mit einem angenehmern Freudenblicke erfüllte, als es von einer anscheinend so rohen Natur zu erwarten gewesen wäre. Er hatte das Portefeuille geöffnet und begann, die Papiere, die darinnen enthalten waren, mit ungemeiner Aufmerksamkeit zu lesen. Die Geläufigkeit, mit der er, den wir als Arriero begrüßt gesehen haben, die Blätter durchflog, der hohe Ernst, der sich um seine Stirn lagerte, dürften aufmerksameren Umgebungen, als die er hatte, aufgefallen sein. Er hatte sich so tief in das Lesen dieser Papiere, von denen die meisten versiegelt waren, vergessen, daß er weder Augen noch Ohren mehr für das Treiben seiner Leute zu haben schien, das nun immer rasender wurde. Ein gellender Schrei, der auf einmal einem der Zambos entfuhr und sich mit dem Todesröcheln eines Sterbenden vermischte, weckte ihn aus seiner Beschäftigung.

» Por variar vuestra vida monótona Wollt wahrscheinlich in Euer einförmiges Leben eine kleine Abwechslung bringen??« schrie er zum tollen Haufen hinüber, indem er sich zugleich gravitätisch auf den Körper des nun gänzlich seiner Kleidung beraubten Majors niederließ. »Ah, diese verdammten Chinos!« und wieder vertiefte er sich ins Lesen dieser Papiere, die für ihn ein außerordentliches Interesse zu haben schienen.

Diese Chinos oder, wie sie auch genannt werden, Zambos waren, gleich den übrigen, zwar mit weniger Habgier, aber ungleich mehr Wildheit über die gefallenen Feinde hergestürzt; aber jeder Leichnam, den sie angefaßt hatten, war auch in demselben Augenblicke ein Zankapfel der Zwietracht geworden, ganz das Gegenteil von den Indianern, die ihre Wut nur an den lebenden Dragonern ausgelassen hatten und sich nun friedlich miteinander über die zurückgelassene Beute verständigten. Die Zambos, indem zwei und mehrere zugleich einen Körper anfaßten, zerrten diesen wie Hunde, die ihr Gebiß an einen Knochen gelegt haben, und gleich diesen schossen sie zuerst grimmige Blicke aufeinander und brachen dann in laute Drohungen aus, was ihnen, bei ihrer ungemeinen Zungenfertigkeit und ihren lebhaften Sprüngen, wieder das Aussehen von Affen gab, welche ihren Zeitvertreib mit einem toten Alligator haben. Bald jedoch gewann das Komisch-Gräßliche des Schauspieles einen ganz gräßlichen Charakter. Ihre Blicke wurden stechender, ihre Zungen lallend, sie konnten bloß mehr die Worte: »Déxalo, Déxalo« stammeln, die gewöhnlichen Todeslosungsworte dieser entmenschten Rasse.

»Ei, Déxalo«, brummte Jago darein, der gelegentlich von seinen Papieren aufblickte; » Déxalo muerto en el sitio. – Laßt sie aber tot auf dem Platze, und wenn es ihrer ein Dutzend sind, wird nicht schaden. Wahre Teufel sind diese Zambos, faul und lästig und nichts nütze und unruhig wie Quecksilber, und wenn sie Ordres erhalten, so sind sie imstande, euch die Zähne zu blecken und euch das Machetto in den Wanst zu rennen, just mit ebensoviel Spaß, als ob ihr ein Kalb statt eines zweibeinigen Menschenkindes wäret.«

Einer der Zambos hatte seinen Gegner mit dem rechten Arme umschlungen, und während sich seine Zähne giftig in dessen Nacken einbissen, stemmte er das Machetto gegen seine Knie und rannte es seinem Gegner in den Leib.

» Más de lo que basta Der hat mehr denn genug.«, riefen zehn Stimmen mit vieler Zufriedenheit, ohne daß sich auch nur einer geregt hätte, um dem grausamen Kampfe Einhalt zu tun. Der Kapitän las ruhig fort, von Zeit zu Zeit hinüberschielend; der junge Kavalier war in düstere Verzweiflung versunken, und nach den Mienen der Diener und Arrieros zu schließen, war dies eine Affäre, in die sich zu mengen ganz unter ihrer Würde lag. Von den Indianern standen zwanzig bis dreißig herum, wechselweise ihre neue Garderobe und die erbitterten Zambos anstierend; die übrigen trieben sich noch umher, ihren Anteil an der Beute zu suchen oder diesen zu vermehren.

» Déxalo!« brüllten wieder zwei, die sich auf Leben und Tod erfaßt hatten. » Déxalo, Déxalo!«

» Y basta!« herrschte ihnen Jago zu. »Hipólito,« rief er einem seiner Leutnants, »schaffe Ruhe; schlag' die Hunde, wohlgemerkt, verstehst du, auf den Wanst, nicht auf den Kopf, sonst kannst du ein halbes Jahr zuschlagen, ohne aufs Lebendige zu kommen, obwohl es sich kaum der Mühe lohnt, bei diesen Hunden den Mittler zu spielen, außer man hat ein Dutzend Leben. Leichtsinnige Seelen, diese Chinos, denen ein Messerstich gerade soviel Kitzel verursacht als uns ein Glas Aguardiente de Caña Zuckerrohrbranntwein. Rum.; der Teufel hat sie mir aus Veracruz heraufgeführt.«

Der Leutnant hatte sich mittlerweile, obwohl sichtlich ungern, in Bewegung gesetzt, um dem Befehle seines Chefs gemäß die Kämpfenden zu trennen, und als sein Aufruf kein Gehör fand, den Kolben seines Karabiners auf besagte Weise mit den Unterleibern der Zambos in Berührung gebracht, ohne jedoch mehr als zwei gleichzeitige Ausfälle der beiden Negro-Indianer auf sich selbst zu bewirken.

» Muerte e infiernos!« schrie der Kapitän, der von seinem Papier herüber dem Matador seines Willens nachgesehen hatte und nun aufsprang, die Papiere auf den Boden warf und wie der Blitz unter die Kämpfenden sprang, den einen mit der Muskete in den Leib stieß, daß er wie tot zur Erde sank, und den andern bei den Haaren ergriff und weit aus dem Kreise schleuderte. Die Zeugen des Kampfes zuckten jedoch schnell ihre Messer auf ihn, die ihnen aber ebenso schnell wieder entsanken. Einen Augenblick starrten sie ihn wie verwundert an, und dann, als sie ihn erkannten, liefen sie grinsend und zähnefletschend mit lautem Gelächter auseinander, ohne sich um die Beute auch nur im mindesten mehr zu bekümmern.

»Und nun Ruhe!« befahl Jago mit einer Donnerstimme.

Sein Machtwort bewirkte eine Stille, daß auch kein Atemzug mehr zu hören war. Der Mann trat an den Rand des dunkel werdenden Abgrundes, sandte einen Blick in diesen hinab, horchte aufmerksamer und zog sich dann schnell in den dichtesten Haufen seiner Leute zurück. Eine Minute war ein leises Geflüster zu hören, und dann stoben die Indianer auseinander, wie Hunde, die der Ruf ihres Herrn auf eine neue Fährte sendet. Jago selbst war wieder ganz gleichgültig an seinen früheren Posten getreten, hatte die Papiere aufgehoben, sie in seinen Busen gesteckt und war dann mit verschränkten Armen an den Rand der Barranco getreten.

Von den Indianern schlichen sich an vierzig nun wohlbewaffnet dem Schlunde der Barranco zu, die sie eilig hinabstiegen. Gleich Schlangen, die sich die steilsten Felsen hinan und wieder hinab winden, trieben sich diese Menschen mit einer Geschwindigkeit die beinahe senkrecht abfallenden Klippen hinab, die es zweifelhaft machte, ob sie nichts mit den erwähnten Tieren selbst gemein hatten. Von Felsen zu Felsen sich windend, erschienen ihre Körper dunkler und dunkler und verschwanden bald gänzlich in der tiefern Nacht des Abgrundes.

Die Zurückgebliebenen hatten eine Weile gleichgültig ihren Gefährten nachgesehen, und dann gingen sie, ohne Befehle zu erhalten oder abzuwarten, jeder seinen eigenen Weg. Die Hälfte der Rotte sammelte sich gleichsam wie gelegentlich am Rande des Hohlweges, und die übrigen zogen sich längs dem Dickicht hin, wo die Leute des jungen Don während des verhängnisvollen Kampfes im Hinterhalte gelegen waren. So tückisch und hinterlistig geschahen diese Vorbereitungen, mit so wenig Geräusch und Anschein eines verborgenen Planes, daß die Diener des jungen Edelmannes, die kaum zwanzig Schritte von dem Schauplatze standen, in gänzlicher Unwissenheit über die unter den Patrioten eingetretenen Bewegungen blieben. Ein fernes Gemurmel, das der Südwind die Bergesschlucht heraufbrachte, untermischt mit einem dröhnenden Gerassel, ähnlich dem Klang der Waffen, rüttelte sie endlich aus ihren Träumen.

Zugleich wurden die Fußtritte von sich nahenden Bewaffneten hörbar.

»Jesu Maria! Das ist Conde Carlos«, stöhnte Alonso, der nun plötzlich aufmerksam wurde.

Der junge Edelmann war gleich einem Verzweifelten gesessen; keines Wortes mächtig, seinen stieren Blick in die schwarze Nacht der weiten Ferne gerichtet, schien er Empfindung und Bewußtsein verloren zu haben. Die Worte Conde Carlos weckten ihn auf einmal aus seiner Bewußtlosigkeit.

»Carlos? – Wo ist er?«

»Señor, um Gotteswillen!« flüsterte ihm Alonso zu, ihn aus Leibeskräften rüttelnd und in den Abgrund hinabdeutend. »Conde Carlos – habt Ihr ihn ganz vergessen? Er kommt Señor Ulloa zu Hilfe. Er ist bereits nahe, seine Leute sind abgestiegen. Er ist verloren.«

Die Fußtritte schwer bewaffneter Dragoner waren nun so deutlich zu hören, daß an ihrer baldigen Annäherung und unausweichlichen Vernichtung gar nicht zu zweifeln war. Ihre schattenähnlichen Gestalten waren in dem Zwielichte des obersten Bergabsatzes, wenn sie auf den Felsenvorsprüngen von einem zaudernden Lichtstrahle erleuchtet wurden, deutlich zu sehen. Von den Indianern, die sich den steilen Abgrund hinab gestohlen hatten, offenbar um ihnen den Rückzug abzuschneiden, war auch keine Spur bemerkbar.

»Ladet alle Gewehre«, flüsterte der junge Edelmann seinen Dienern zu, und dann rasch vorspringend, schrie er mit der ganzen Kraft seiner Lunge: »Vigilancia Carlos! Vigilancia!«

»Bei allen Teufeln!« schnaubte ihn Jago an, der wie toll herangesprungen kam. »Seid Ihr närrisch geworden, Caballero?«

»Vigilancia Carlos!« schrie der Jüngling wieder.

»Bei der Mutter Gottes!« schrie Jago mit furchtbar bitterem Lachen. »Das heißt das liebe Mexiko und sein Volk recht kavaliermäßig behandeln. Beinahe sollte man glauben, Ihr seid selbst die geheiligte Majestät, wie die Hunde von Gachupins ihren verfaulten Fernando heißen, der in seiner allmächtigen Willkür heut Mexiko verschenkt und morgen Befehl gibt, alle diejenigen zu spießen, die seinen gestrigen Befehl in Ausübung zu bringen suchten. Bei meinem Schutzpatron, Eure unberufene Mittlersrolle wird Euch niemand lohnen.«

»Silencio!« befahl der Jüngling, der wieder Vigilancia schrie.

»Der Hahn krähte auch Don Pedro dreimal, aber es war zu spät«, sprach Jago.

Und so war es. Die aus vier Mann bestehende Avantgarde der Eskadron des Conde, die, wie zu erwarten stand, durch den gräßlichen Donner des im ganzen Gebirge widerhallenden Gewehrfeuers herbeigerufen, die Barranco bereits zur Hälfte erklommen hatte, als das Gefecht schon sein unglückliches Ende erreicht, war bereits am obersten Abhange des Plateau angekommen, aber in einem Zustande, der sie zum Kampfe gänzlich unfähig machte. Sie hatten ihre Stiefel auf dem Rücken und schnappten nach Atem. Bald darauf wurde der Conde selbst sichtbar, der, leichter bewaffnet und gekleidet, an der Spitze seiner Mannschaft nachkam. Die Indianer hatten sich, gleich Tigern, die sich zum Sprunge rüsten, mit halbem Leibe aufgerichtet, und ihre Karabiner schußfertig haltend, stierten sie nun heißhungrigen Blickes in die Tiefe hinab.

»Señoria,« flüsterte Jago mit einem eigenen Lächeln, »es wäre grausam. Eurem gewesenen Busenfreunde und dem Lieblinge meines verehrten Conde Jose so mitzuspielen wie diesem Hund von Cachupin,« er deutete bei diesen Worten auf den spanischen Major, »der die Unsrigen schlachtete wie die Cumanchees die wilden Büffel. Seid unbesorgt. Wir wissen mehr, als Ihr denkt, und wollen Euch dieses bald beweisen.« Und einige Schritte vortretend, rief er mit einer Stimme, die dem Gebrülle eines Büffelstieres wenig nachgab: » Vigilancia y quartel; son amigos y Criollos Habt Acht! Quartier! Es sind Freunde und Creolen!

Der Aufruf des Mannes hatte zur Folge, daß sämtliche Patrioten ihre Gewehre absetzten und wie Hunde, denen der Herr das »Nieder mit euch!« zuruft, sich wieder in ihre vorige lauernde Lage warfen; der Jüngling schien nun befremdet über diesen Beweis der ungeheuern Gewalt des Arriero über seine Leute.


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