Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel.

So mancher Mißvergnügte war im Land,
Die Macht verwünschend, die tyrannisch band.

Lara.

Ein neuer Ankömmling, der unter dem Namen Señora Doña Sebastiana Anna Mier-y T-n und dem Zusatze » de parte de su Excelencia Kommt von Sr. Exzellenz.« angekündigt wurde, gab ihrem Sinnen auf einmal eine andere Richtung.

Die Dame war reich, aber nichts weniger als geschmackvoll in eine Menge seidener Röcke von den grellsten Farben gekleidet, die ihrem untern Sein einen Umfang gaben, der mit der platten, bretternen und übel arrangierten Taille nichts weniger als lieblich kontrastierte. Die unmäßig hohen Absätze ihrer Schuhe verliehen ihrem Gange überdies etwas Watschelndes, so daß ihr die Unterstützung des Cortejo, der mit ihr eintrat, wirklich zum Bedürfnis wurde. Dieser Cortejo war ein Mann von starkem Körperbau, aber unangenehmen, ja widrigen Gesichtszügen, mit einem ungemeinen Bestreben, freundlich zu scheinen: eine Mischung von höfischer Abgeschliffenheit und soldatischer Rauheit, in steter greller Beweglichkeit. Man sah es dem Manne beim ersten Blicke an, daß er von einem rastlosen Ehrgeize gepeitscht wurde. Er trug die Uniform eines Stabsoffiziers der königlich mexikanischen Truppen. Seine Schutzbefohlene, indem sie den Saal hinaufschritt, hielt zwei seidene Stricke oder Schnüre, die an ihrem Gürtel befestigt waren, wohlgefällig zwischen ihren Fingern. An diesen waren eine Menge Knoten, die Embleme der verschiedenen Eroberungen, die das schöne Geschlecht von Mexiko, wenn die chronique scandaleuse wahr spricht, auf diese Weise zur Schau zu tragen sich nicht entblödet. Sie war augenscheinlich mit wichtigen Nachrichten beladen, da sie, ohne die etwas umständlichen Eintrittzeremonien zu durchgehen, schon an der Türe den Kavalieren zurief: »Ah, Señores! Señores! So müssen denn wir, die Doña Sebastiana, die Taube sein, die die Freudenbotschaft überbringt.«

Die Dame, nachdem sie gesprochen, schien sich auf einmal zu besinnen und trippelte zur jungen Condessa hinauf, die soeben mit ihrem Gefolge weiblicher Dienerinnen eingetreten war, umarmte sie, und entledigte sich dann ihrer wichtigen Botschaft in folgenden Worten:

»Ah, Señorias, Señorias! Ah, meine Herrschaften!« flüsterte sie, indem sie die Augen in süßer Entzückung verdrehte. »Ah, Señorias!« wiederholte sie zu den Kavalieren, die nun alle herbeigeeilt waren, um so viel als möglich in ihre Nähe zu gelangen. »Wissen Sie nun, was jene gnädig huldreichen Worte, die Se. Exzellenz fallen zu lassen gnädigst geruhten – wissen Sie auch? O! Se. Exzellenz sind ein allerliebster, göttlicher Herr. Stellen Sie sich vor«, rief sie wichtig, »Sie haben die Vorhänge Ihrer Loge beim letzten Akte ganz herabgelassen, und Iturrigeray, der vulgäre, liberale Iturrigeray, wissen Sie noch, er behielt sie immer oben, man konnte keine Zigarre rauchen.«

Damit unseren Lesern die Worte der Dame begreiflich werden mögen, so müssen wir bemerken, daß das schöne Geschlecht Mexikos seiner Lieblingsunterhaltung des Zigarrenrauchens auch im Theater eifrig dann oblag, wenn die höchste Standesperson gnädig geruhte, die Vorhänge ihrer Loge herabzulassen, eine Sitte, die gewöhnlich während des Zwischenaktes stattfand.

»Ja, Se. Exzellenz sagten,« fuhr die Dame fort – »ah, Señorias!« rief sie, mit ihrem Fächer wedelnd, »ah, Señorias! Nicht wahr, die Condesa Ruhl war ganz chocant? Ah, Señorias«, aber der Sinn der divinen Worte: »Es ist bereits angekommen, das königliche Paket, versiegelt mit dem großen Staatssiegel.«

»Mit dem großen Staatssiegel?« fielen die Siebenmänner ein.

»Um am Namenstage Sr. geheiligten Majestät geöffnet zu werden.«

»Geöffnet zu werden!« kreischten die Kavaliere.

»Se. Exzellenz haben uns ja dieses bereits huldreich zu eröffnen geruht«, bemerkte der Conde Irún wichtig.

»Ah, Se. Exzellenz, Se. Exzellenz!« wisperte die Señora mit einer geheimnisvollen Miene. »Aber wissen auch meine Herrschaften, wissen Sie auch? Ah, Señorias! Glückliche Nobilitad, deren Treue von Sr. Majestät auf eine so eklatante Weise honoriert wird!«

»Honoriert wird!« kreischten und schluchzten die Edelleute.

»Fünfundzwanzig!« platzte die Doña heraus, nun nicht länger imstande, die Bürde ihres Geheimnisses zu tragen.

»Fünfundzwanzig!« schrien die sieben Edelleute.

»Fünfundzwanzig!« überschrie sie die triumphierende Donna, »worunter vier Großkreuze. Die Camareria Ihrer Exzellenz haben es mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit geoffenbart.«

»Fünfundzwanzig,« schrien und kreischten und schluchzten die armen sieben Kavaliere, und dann brachen sie in einen Jubel aus, der es wirklich zweifelhaft machte, ob sie nicht alle den Verstand verloren hätten. Sie rauschten in ihren seidenen Röcken aneinander heran, umarmten sich, küßten sich auf die gravitätischste Weise, wünschten sich und Mexiko Glück, trippelten auf die Dame und die junge Condessa zu, umarmten diese und wieder sich untereinander, »fünfundzwanzig und vier Großkreuze« heulend; selbst der Mayordomo wurde umarmt, und einem Pagen, der eingetreten war, um die Armleuchter vor den Schutzpatronen und Schutzpatroninnen anzuzünden, widerfuhr die gleiche Ehre. In ihrem Entzücken hatte die Gesellschaft nicht bemerkt, daß der Graf mit mehreren Kavalieren eingetreten und, nicht wenig befremdet über die seltsame Szene, eine Weile sprachlos dagestanden war. Erst als der Mayordomo seinen Herrn ankündete, ermannten sich die armen Kavaliere, und alle eilten auf ihn zu: »Fünfundzwanzig, worunter vier Großkreuze«, jauchzend.

Die feinen Gesichtszüge des Weltmannes, weit entfernt, Spott oder Hohn blicken zu lassen, schienen wieder ebensowenig die Freude oder Überraschung seiner Gäste zu teilen. Dieses mochte auch der Fall mit mehreren der Edelleute sein, die mit ihm gekommen waren.

»Die Ehre,« sprach er, indem er sich ringsumher verneigte, »die unserem armen Hause widerfährt, den hohen Adel ebenso unvermutet als herablassend in dieser späten Stunde in unseren Mauern zu sehen, ist so überraschend – –«

»Conde!« sprach der Marquis, der unter dem Titel von Moncada aufgeführt war, »Conde!« versicherte er gravitätisch, »es macht Epoche in der Geschichte Mexikos, fünfundzwanzig, worunter vier Großkreuze – –«

»Bei der Mutter des lebendigen Gottes! So macht es«, sprach einer der Begleiter des Conde im höchsten Unwillen. »Wirklich macht es Epoche in der Geschichte Mexikos, zu hören, wie sieben Hochadelige Mexikos vor Freuden umherspringen, daß fünfundzwanzig unserer Söhne wie gemeine gente irrazionale zusammengefangen und zur Armee abgesandt werden.«

»Aber, Madre de Dios!« riefen unsere sieben Edelleute, höchst verblüfft. »Aber, Madre de Dios!«

Es traten mehr und mehr Gäste ein.

»Der sehr edle Marqués de Grijalba irren«, sprach der Graf, »insofern Sie glauben, daß unsere Compairs sich über die gewaltsame Entreißung eines unserer wichtigsten Fueros freuen, vermöge dessen unsere Söhne, und vorzüglich unsere Erstgeborenen, als Mayorazgoherren vom Militärdienste befreit sind. Ihre Überraschung ist mehr loyal, indem sie sich über die Huld Seiner Majestät äußert, die diesem Lande fünfundzwanzig Klein- und Großkreuze des königlichen Ordens Karls III. verliehen hat.«

» Qué los lleven todos los Demónios de los diez y siete infiernos!« So mögen sie alle Teufel der siebzehn Höllen holen. Llevan wird ausgesprochen: ljevan. fuhr der Marquis heraus. »Und wissen Sie, Señores, was diese Groß- und Kleinkreuze Mexiko kosten? Ei, sie kosten ihm bereits hundertfünfzigtausend seiner fleißigsten Einwohner und hundert Millionen Escudos Piaster.. Sie kosten uns unsere Valencianas, unsere Barrancos, unsere Veta negras Die berühmten Erzgänge von Guanapuato, Bolanos und Sombrerete.. Mexiko ist eine Wüste, Puebla eine Wüste, Valladolid eine Wüste, Queretaro, San Luis Potosi eine Wüste; das ganze Land in Aufruhr. Señores, ich bürge Ihnen nicht dafür,« fuhr der hitzige alte Landedelmann fort, »daß Sie, die so entzückt find über die königliche Huld, von der übrigens Fernandos geheiligte Majestät ebensowenig wissen mag wie unser Stiefel – –«

»Jesús, Maria y José! Er lästert, er lästert!« schrien mehrere der Grafen und Marquis.

»Den Teufel auch lästert er«, fuhr der hitzige alte Kreole fort. »Se. Majestät sitzen im Schlosse Valençay irgendwo in Panama und wissen den Teufel, was in Spanien, und noch weniger, was in Mexiko vorgeht, und dann sagen wir, der Marqués von Grijalba sagt es, daß wir sehr im Zweifel sind, ob Sie, Señores, bis zum Namenstage Sr. Majestät auch noch einen ganzen Rock haben werden, um die königlichen Dekorationen in einem gesunden Knopfloche Platz nehmen zu lassen.«

Die Heftigkeit des Sprechers hatte die sieben Edelleute mit einem Schauer erfüllt, der dem eines frommen gläubigen Katholiken vergleichbar sein dürfte, welcher einen verruchten Ketzer auf sein Idol mit Axt und Schwert zuhauen sieht. Sie zogen sich insgesamt scheu zurück.

»Wir können uns nicht verhehlen,« fiel nun der Conde ein, der inzwischen mit dem Empfange der angekommenen Besucher beschäftigt gewesen war, »daß, so sehr wir die allerhöchste Gnade in bezug auf die fünfundzwanzig Ordensverleihungen zu schätzen wissen, eine werktätigere Hilfe um so notwendiger sein dürfte, als ohne diese der Ruin des Landes unausweichlich ist. Im Tale von Cuernavaca gingen die vorletzte Nacht einundzwanzig Zuckerpflanzungen in Rauch und Flammen auf, und, wie wir leider Ursache haben zu vermuten, auf Geheiß unserer Gebieter.«

Der feine Weltmann, der Achtung für die Würde und Gnade des Regenten mit Schonung der Vorurteile und Schwächen seiner Compairs so geschickt zu verbinden wußte, hatte, indem er zugleich über die Urheber der Drangsale des Landes einen bitteren Tadel aussprach, schnell Anklang gefunden.

»Jesu Maria!« rief einer der Sieben, »und uns bringt unser Arriero Nachricht, daß unsere Hazienda de Trigo Landgut, zum Ackerbau eingerichtet, zum Unterschiede von Hacienda de beneficio, das zum Bergwerkswesen eingerichtet ist. San Franzisko im Barrio rein ausgeplündert –«

»Und unsere Real bei Sombrerete zerstörte«, – fiel ein zweiter ein –

»Und alles Maschinenwerk an unseren Schachten an der Valenciana verbrannt und vernichtet«, klagte ein dritter.

»Jeden Tag mehren sich unsere Drangsale«, jammerte der vierte; »und selbst der heutige dia de fiesto, sonst nur bestimmt, Jubel zu verbreiten, hat die ganze Stadt mit Schrecken erfüllt. Man hetzt die armen Indianer ärger als die Coyotes.«

»Es sind Rebellen, und zwar die Rebellen von Itzcuhar«, bemerkte der Major, der als Cortejo der Doña gekommen war.

»Denen man jedoch die Amnestie bei dem dreieinigen Gott zugesichert, von allen Kanzeln verkündet hat«, sprach der Graf mit starker, feierlicher Stimme. »Don Agustin Iturbide! Es war Ihre Eskadron, die sich diese überflüssige Grausamkeit im Angesichte Mexikos zu schulden kommen ließ.«

»Hohe Befehle, erlauchter Graf«, erwiderte der Major mit einem tückischen Lächeln.

»Wir haben nichts gegen Befehle zu erwidern, wir, deren Schuldigkeit es ist, zu gehorchen«, sprach der Graf. »Aber wenn wir,« und er sah den Major mit seinem durchdringendsten Blicke an, »um von unseren Gebietern ein gnädiges Lächeln zu erlangen, unser Land noch unglücklicher machen wollen, als unsere Gebieter – und wahrlich, wir tun es, – dann dürfte die Zeit bald kommen, wo diese uns selbst statt der erschlagenen Indianer in die Schächte senden werden.«

» Es verdad!« riefen mehrere Stimmen, von der Wahrheit getroffen. »Der Anfang dazu ist bereits gemacht, und unser ältestes Privilegium ist uns heute entrissen. Man sendet unsere Erstgeborenen zu der Armee, ohne es auch nur der Mühe wert zu halten, uns zu sagen –«

»Das wollen wir«, sprach eine hellklingende, aber harte Stimme, die einem jungen Manne angehörte, der, in der linken Hand ein versiegeltes Paket, in der rechten ein Augenglas, die Gesellschaft gemächlich vornehm musternd in den Saal getreten und sich dem Grafen genähert hatte. Er war von vornehmer Gestalt, leicht und gewandt, hatte jedoch in seinen Blicken etwas vom Basilisken. Als er die Kreolen flüchtig übersehen und vornehm leicht begrüßt hatte, übergab er dem Conde mit einer tieferen Verbeugung und den Worten: »Der Wille Sr. Exzellenz«, das Paket.

»Wir wissen doch nichts im Palaste, daß Se. Herrlichkeit eine Tertulia in Ihrem Hause haben«, bemerkte der Höfling lächelnd während der Totenstille, die sein Eintritt verursacht hatte. »Doch haben sich Se. Herrlichkeit vielleicht nicht der hohen Regierungsentschließung erinnert, derzufolge keine Zusammenkunft, was immer für einer Art, ohne die ausdrückliche Genehmigung von Sr. Exzellenz in Mexiko stattfinden solle.«

»Wir haben von einem solchen Erlasse gehört«, versetzte der Graf, »und würden nicht ermangelt haben, ihm Folge zu leisten. Doch, wie Don Ruy Gómez sehen, so ist es ein bloßer Willkommensbesuch Ihrer Herrlichkeiten, die uns die Ehre angetan haben, uns zu unserer Ankunft in Mexiko Glück zu wünschen.« Der Graf hatte seine Worte mit einer Verbeugung an die Edelleute begleitet.

»Sr. Herrlichkeit zu Ihrer Ankunft in Mexiko Glück zu wünschen«, fielen mehrere Kavaliere mit jener Ideenübereinstimmung ein, die wir an den hohen Gliedern der Aristokratie häufig nach einem erquicklichen Diner bemerken, wenn die volle Beschäftigung der Verdauungswerkzeuge es unrätlich macht, ihre Verrichtungen durch störende Geistesanstrengung zu hemmen.

»Se. Herrlichkeit sind sehr glücklich in der Achtung Ihrer Compairs,« meinte der Höfling, »die jedoch, die Wahrheit zu gestehen, eine seltsame Stunde zu ihren Achtungsbezeigungen gewählt haben.«

»Wenn Don Ruy Gómez der Meinung sind« – fielen zehn Edelleute erschrocken ein –

»Wir leben in Zeiten, Señor, wo sich seltsamere Dinge zutragen –« bemerkte der Graf, der währenddem das Siegel des Pakets aufgebrochen hatte.

»Es ist für Euer Herrlichkeit Privateinsicht«, bedeutete ihm der Höfling mit einiger Hast, und nicht ohne Mißbilligung.

»Pardon denn,« versetzte der Graf, »doch finde ich bloß die Reisepässe unseres Neffen Don Manuel und den Befehl, der ihn morgen früh in die Madre Patria absendet; ob als Gefangener oder Verwiesener, weiß die heilige Jungfrau und Se. Exzellenz allein –«

»Was immer die Befehle Sr. Exzellenz sein mögen,« versetzte der Privatsekretär wichtig, »so werden Eure Herrlichkeit wohltun, sich ganz Hochdero Willen zu fügen, der, wie Sie wissen, immer sehr gnädige Rücksichten für das erlauchte Haus Conde Jagos hatte.«

Der schneidend bitter hohnlächelnde Ton, in dem die ganze Unterhaltung vom Privatsekretär des Satrapen angefangen und fortgeführt worden war, kontrastierte seltsam mit den höfischen, abgemessenen und zierlichen Worten, die er zu stellen wußte.

»Wir sind ganz von der Gnade Sr. Exzellenz gegen unser armes Haus durchdrungen,« entgegnete der Conde, »obwohl wir diese Überraschung nicht vermutet hatten. Zwar ist Don Manuel nicht unser Sohn. Wir selbst stehen einsam,« fuhr er mit einer weichen Stimme fort »aber wir fühlen als Vater. Es scheint jedoch, unser Neffe habe die Aufmerksamkeit und selbst die Gunst Sr. Exzellenz sehr schnell und in hohem Grade zu erwerben das Glück gehabt. Es überrascht uns dieses einigermaßen.«

Diese Worte, im verbindlichsten Tone ausgesprochen, schienen nun wieder den Höfling verlegen zu machen, der den Grafen forschend ansah.

»Ebenso«, fiel der Marquis Grijalva ein, »als wir für die Aufmerksamkeit Sr. Exzellenz verbunden sind, die so unerwartet geruht, unsere Söhne mit dem Portepee zu beehren.«

»Es ist traurig, Don Ruy Gómez,« hob ein zweiter an, »daß die Fueros unseres Adels uns selbst in unserem Blute nicht schützen können; Don Ruy Gómez sind die rechte Hand Sr. Excellenz, und wenn deroselben Fürsprache –«

Mehrere Kavaliere drängten sich sofort um die wichtige Person, die eine entsprechend protegierende Miene anzunehmen begann, die aber durch eine plötzliche finstere Wolke wieder verscheucht wurde.

»Und ist es wirklich Sr. geheiligten Majestät Wille?« fragte der Marques de Grijalba. »Ist es wirklich sein Wille, daß die Erstgeborenen des mexikanischen Adels ihrer Privilegien verlustig gehen sollen? Wir haben«, fuhr der derbe, aber etwas simple Conde fort, »ein altes Buch, in dem es gedruckt steht, daß, wenn ein Edelmann sich vor dem Justicia de derecho einschrieb, und so Sicherheit gab, daß er vor seinem Richter erscheinen würde, dieser cartas inhibitorias gab, welche ihn vor aller Gewalttätigkeit an Leib und Gütern schützten, bis er förmlich nach den Gesetzen oder Privilegien gerichtet war. Wurde der Justizia oder einer seiner Leutnants für irgendeinen solchen Verhafteten um Hilfe angesprochen, so fertigte er die Manifestación aus, das heißt: er nahm den Gefangenen in seine Obhut, und fand es sich, daß er wider die Fueros oder ohne förmlichen Rechtszustand verhaftet war, so setzte er ihn in Freiheit. Auch sagt dasselbe Buch – Der spanische Habeas-Corpusakte. Sie wurde von Karl I. (als römischer Kaiser Karl V.) aufgehoben.«

Der Sprecher, der, wie er sich nach Landjunkerweise naiv ausdrückte, ein Buch hatte, in dem diese alten Privilegien standen, die wirklich für Spanien bis zum Jahre 1519 existierten, hielt in seiner Exposition plötzlich inne. Der Geheimsekretär hatte ihn nämlich mit einem Blicke angesehen, so höhnisch und böswillig, daß der alte Gesetzforscher ganz aus der Fassung kam.

»Und haben Eure Herrlichkeit«, fragte der Höfling, indem er den Sprecher hohnlachend vom Kopfe zu den Füßen maß, »wirklich ein solches Buch? Wahrscheinlich in Kalbsleder eingebunden?« fuhr er nach einer Pause mit demselben Hohne fort. »Als Antwort auf Ihr Buch wollen wir Euer Gnaden sagen, daß Ihre Söhne ihrer Fueros verlustig worden sind, weil sie sich deren durch ein disloyales Betragen unwürdig gemacht haben. Danken Sie es der Milde Sr. Exzellenz, daß Hochdieselben, aus Rücksicht für die Treue der Väter, das Verbrechen der Söhne nicht schärfer heimgesucht haben, als durch eine Strafe, die«, setzte er hinzu, »selbst spanische Hidalgos für eine Belohnung angesehen haben würden. Wahrlich! Kavaliere, die sich erfrechten, Pasquille gegen die geheiligte Person Sr. Majestät anzuhören, sind sehr huldvoll, Sie werden es gestehen, durch ein goldenes Portepee bestraft.«

Die Ursache des Gewaltschrittes, der vierundzwanzig Söhne der ersten Familien ihrer Privilegien beraubte und sie zwang, die Waffen wider ihren Willen zu ergreifen, war somit an das Tageslicht gekommen. Die Kavaliere, die von dem Schicksal ihrer Söhne während der Kur und des darauf folgenden Theaters nichts oder bloß dunkle Gerüchte und die oben erwähnten mysteriösen Insinuationen des Satrapen vernommen und erst jetzt Aufklärung über die Ursache erhielten, die ihre Söhne, ohne daß sie gehört oder zur Verantwortung gezogen worden wären, verdammte, unter einem blutdürstig rohen Manne zu dienen, wurden so gänzlich durch die Worte des Höflings eingeschüchtert, daß auch kein einziger etwas zu erwidern versuchte.

»Ihre Söhne, Señores«, fuhr der Geheimsekretär mit spanischer Grandeza und Schonungslosigkeit fort, »werden unter dem unüberwindlichsten Helden, der die Rebellen bei Alculco, bei Marfil und an der Brücke von Calderón vernichtet, der von Sr. Majestät selbst hochgeehrt ist, unter diesem Helden werden sie die Zucht und die loyalen Gesinnungen lernen, die sie im Verkehr mit rebellischen Cabecillas vergessen zu haben scheinen.«

»Wenn«, sprach der Conde, »die Mayorazgoherren, unsere erlauchten Compairs, sich so weit vergessen haben, Pasquille auf Sr. Majestät geheiligte Person anzuhören, dann können wir sie bloß der bekannten Milde Sr. Exzellenz anempfehlen und von ihrem väterlichen Herzen Milderung ihres Schicksals erflehen. Se. Exzellenz werden jedoch vielleicht Gnade für Recht angedeihen lassen, in Anbetracht, daß diese Anschließung unserer Söhne an die königlichen Truppenkorps die Rebellen noch mehr in ihrem Grimme gegen den Adel bestärken müsse, dessen loyale Treue ohnedem bereits der Opfer so viele gebracht, und der von Freund und Feind so bitter heimgesucht worden ist.«

»Die Rebellen«, bemerkte der Geheimsekretär, »haben nach unserm geringen Ermessen den hohen Adel nicht grausamer heimgesucht oder sich gegen ihn mehr erfrecht, als sie es gegen die unveräußerlichen Rechte Sr. Majestät selbst getan haben, und wenn der hohe Adel Opfer gebracht hat, so sollte er, nach unserm geringen Ermessen, weit entfernt dieses zu bedauern, vielmehr in diesen Opfern glorieren, da sie mit dazu dienen, der geheiligten Majestät einen Beweis seiner unbegrenzten Treue zu liefern. Oder wie würde Conde denjenigen nennen, der in einem solchen Kampfe Schonung von den Rebellen hoffen oder erbitten oder Nebenrücksichten geltend machen würde?«

»Don Ruy Gómez gibt uns eine Erklärung,« versetzte der Conde, »die ebenso loyal als richtig ist. Was uns und unsere Compairs betrifft, so stehen unsere Güter, unser Blut Sr. Majestät ganz zu Diensten, und wir sind ebensoweit entfernt, Schonung von den Rebellen zu erwarten als anzusuchen. Aber Don Ruy Gómez wird bemerken, daß Staatsklugheit ebensosehr erfordert, daß man die Kräfte der Getreuen schone, als die des Feindes vermindere, und daß Sr. Majestät Interesse weit mehr gefördert werden dürfte, wenn diejenigen, deren Grundsätze anerkanntermaßen loyal sind, auch in den Stand gesetzt werden, die Regierung zu unterstützen.«

»Die Regierung zu unterstützen?« wiederholte der Geheimsekretär mit dem bittersten Hohne; »die Regierung zu unterstützen?« sprach er mit wegwerfender Verachtung. »Wir haben immer geglaubt und sind immer gelehrt worden, daß Se. Majestät der unumschränkte Gebieter in allen ihren Landen und über alle ihre Untertanen und deren Güter sind, niemand Rechenschaft zu geben schuldig, als Gott und ihrem Beichtvater. Wahrlich! Es ist uns sehr befremdend, hier eine ganz neue Lehre aufgestellt zu hören.«

»Niemand zweifelt daran,« fiel der Marques de Grijalba ein, »daß Se. Majestät unumschränkter Gebieter unserer Habe und unseres Lebens sind; aber wo nichts ist, sagt unser Sprichwort, da hat des Königs Majestät selbst das Recht verloren, und wenn unsere gnädigen Gebieter noch eine Weile auf diese Art hausen, dann wird des Königs geheiligte Majestät ihr Recht bald verloren haben.«

»Das ist ein Grito! Aufruhr! Rebellion!« schrie der Geheimsekretär, im höchsten Zorne erglühend.

» Un grito! Rebellion!« schrie ihm der Major und zehn Edelleute nach, und im Augenblicke herrschte ein Tumult im Saale, der, bei der außerordentlichen Beweglichkeit der Kavaliere, beinahe in Tätlichkeiten auszubrechen drohte. Mehrere liefen ängstlich im Saale umher, » un grito, Jesús María!« schreiend.

»Wir haben zu viel von den Gesinnungen Ihrer Herrlichkeiten gehört,« sprach der Geheimsekretär mit lauter, erhobener Stimme, »um uns nicht veranlaßt zu finden, Ihnen im Namen Sr. Exzellenz anzudeuten, augenblicklich die Casa Sr. Herrlichkeit zu räumen und sich sofort nach Hause zu begeben.«

Diese sonderbare Weisung, an mehr denn zwanzig Glieder des ersten Adels von Mexiko in seiner eigenen Hauptstadt gegeben, war nicht sobald ausgesprochen, als auch die Mehrzahl schon Anstalten machte, ihr mit aller nur möglichen Hast Folge zu leisten. In unaussprechlicher Angst rannten diese armen Kavaliere nach der Türe und fingen an, nach ihren Hüten und Mangas zu schreien.

»Wenn Se. Exzellenz«, sprach der Conde, »Don Ruy Gómez zu diesem Befehle ermächtigt haben, dann müssen die Kavaliere gehorchen, denn der Wille Sr. Exzellenz, gleichfalls ob gerecht oder ungerecht, ist Gesetz im Lande. Wenn jedoch Don Ruy Gómez aus eigener Machtvollkommenheit den unschuldigen Beweis von Achtung, den unser Compairs uns zu geben für gut befunden – –«

»Bemühen Sie sich nicht, Señor Conde,« unterbrach ihn der Geheimschreiber mit einem schnöden Seitenblicke, »was wir getan, werden wir auch zu verantworten wissen.«

Mehr denn zehn Kavaliere hatten sich nun an die Türe gedrängt, wurden jedoch in ihrem Eifer, dem verbrecherisch liberalen Saale zu entfliehen, durch einen staubbedeckten, schweißtriefenden Mann in brauner Jacke, rotsamtner Weste und braunen Ledergamaschen aufgehalten, der in stürmischer Eile, von mehreren Dienern eingeführt, in den Saal drang und dem Grafen ein versiegeltes Schreiben überreichte. Dieser riß das schmutzige Kuvert weg, überflog das Papier und wandte sich dann mit demselben marmornen Ausdrucke im Gesichte zum Geheimsekretär, dem er einige Zeilen zu lesen gab.

Der junge Höfling war augenscheinlich in der großen Hofkunst noch nicht seit langer Zeit eingeweiht; denn das vorige Hohnlächeln war wie ein Aprilsonnenstrahl vor dem wieder hereinbrechenden Nebel verschwunden, sein Gesicht nahm einen feierlich ehrfurchtsvollen Ausdruck, sein ganzes Benehmen einen Anstand an, von dem früher auch nicht die leiseste Spur zu vermerken gewesen.

»Jesu Maria! Was ist's? Was gibt's?« schrien nun die Kavaliere, die mit atemloser Spannung diese Symptome einer veränderten Gemütsstimmung im Gesichte des Herrendieners gelesen hatten.

»Sie werden es hören, Señorias,« wandte sich der Conde mit derselben ehrfurchtsvollen Gelassenheit an sie, »wenn Sie sich bis zu unserer Rückkehr gedulden wollen, wogegen nun hoffentlich Don Ruy Gómez nichts ferner einzuwenden haben wird. Señorias!« fuhr er mit erhöhter Stimme fort, »die Nachrichten, die uns unser Correo soeben gebracht, sind von einer solchen Wichtigkeit, daß wir nicht umhin können, sogleich zu Sr. Exzellenz zu eilen, um sie Hochdemselben zur hohen Einsicht vorzulegen, wobei wir Se. Herrlichkeit den Marques de Grijalba ersuchen, uns zu begleiten; und wenn es«, wandte er sich zum Geheimschreiber, »von einem spanischen Hidalgo nicht zu viele Herablassung ist, einen Sitz im Wagen eines armen mexikanischen Grafen anzunehmen, so bieten wir diesen Don Ruy Gómez ehrfurchtsvoll an.«

Kein Zug von Spott oder Hohn zeigte sich bei diesen Worten in den Mienen des Grafen, und es blieb zweifelhaft, ob seine Einladung nicht mit der überreichlichen Demut eines Kreolen gegenüber seinem spanischen Gebieter ausgesprochen war. Der Geheimsekretär schien sie wenigstens ganz in diesem Sinne zu verstehen.

»Wir nehmen«, sprach er stockend, obwohl mit aller spanischen Grandeza, »das Anerbieten Sr. Herrlichkeit des Conde San Jago an.«

Die beiden entfernten sich unter dem Vortritte des Mayordomo und mehrerer Diener, und bald darauf verkündete das Rasseln einer Kutsche ihre Abfahrt.


 << zurück weiter >>