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Erstes Kapitel.

Kund ist's, sollt's mindestens sein, daß man in allen
Ländern, wo sich's Volk katholisch nennt,
Sechs Wochen, eh' die Osterglocken schallen,
Zu jeder Art von wildem Jubel rennt,
Und eh' man beichtet, möcht' in Reu verfallen
– Gleichviel zu welchem Stand man sich bekennt –
Durch Tanz und Trunk und Festschmaus und Maskieren
Und Sonst'ges, was mit Geld sich läßt forcieren.

Beppo.

Die Siesta war vorüber; die tiefe Stille, in welche die zweistündige Mittagsruhe die ganze Hauptstadt Neu-Spaniens wie begraben hatte, war auf einmal einem tobenden Gesumse gewichen, das, aus den oberen Vorstädten hereinbrechend und einem nicht minder tobenden Lärm von den unteren her begegnend, bald über der ganzen Hauptstadt in einem so furchtbaren Schwall von Tönen aufstieg, daß ihre unzähligen Gallinazos Aasgeier; sie schwärmen zu Tausenden in und um die Städte Mexikos. meilenweit dadurch verscheucht wurden. Tausende ihrer Bewohner erhoben sich von ihren Lagerstätten, den Porticis der Kirchen, Häuser und Paläste, oder tanzten, mit den buntesten Mummereien behangen, aus dem Parian Der Bazar auf dem Hauptplatze Mexikos. hervor, um den Karneval in jener rasenden Lust zu feiern, mit der die katholischen Völker sich für die drückenden Entbehrungen des Jahres schadlos zu halten pflegen. Hier sah man einen riesigen Tenatero Ein Erzträger; sie tragen 250 Pfund mit Leichtigkeit mehrere hundert Stufen hinan und sind gewöhnlich Indianer von sehr starkem Körperbau. im ungeheuern spanischen Generalshute und der Sergeantenjacke, Zepter und Weltkugel in der einen Hand, in der anderen ein Kreuz von Pappe, stolz einherschreiten, den Erlöser von Atolnico Den Erlöser von Atolnico vorstellend. Die Kapelle des Erlösers von Atolnico befindet sich auf dem Gipfel eines ziemlich steilen und hohen Berges, zwei und eine halbe Stunde von Miguel el Grande. Auf dem Hochaltar sieht man die Standbilder des Erlösers, der Jungfrau Maria, Magdalenens usw. von gediegenem Silber, mit Rubinen und Smaragden besetzt. Links befindet sich eine Reihe von nicht weniger als dreißig Altären mit Standbildern in Lebensgröße, Säulen, Kerzen, Leuchtern, alle von demselben Metalle. Die Summen, die hier jährlich geopfert werden, betragen weit über hunderttausend Piaster. Der Ursprung dieses Wallfahrtsortes ist merkwürdig. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts trieb ein Straßenräuber, namens Lohra, sein Unwesen in der Cordillera auf eine so furchtbare Weise, daß die Regierung, nicht imstande, seiner Meister zu werden, ihm einen Generalpardon für seine Vergehungen und die oberste Richterstelle in einem der drei Hauptgefängnisse Mexikos mit einem jährlichen Gehalt von tausend Dollars anbot. Der Mann nahm die Stelle an, bemächtigte sich seiner Genossen, fing sie zu Hunderten auf und befreite wirklich das Land von dieser Geißel. Als oberster Richter der Acordada hatte er unumschränkte Gewalt über Leben und Tod. Er ließ vorzüglich die Schmuggler zu Duzenden aufhängen, wenn sie nicht den Gewinn mit ihm teilen wollten. Von den ungeheueren Reichtümern, die er auf diese Weise zusammenbrachte, baute er die Kirche von Atolnieo, die er mit mehreren der daselbst befindlichen silbernen Standbilder ausstattete. vorstellend; ihm zur Seite eine Schar von Indianern, Zambos und Mestizen Ihm zur Seite eine Schar von Indianern, Zambos und Mestizen. Der Sohn eines Weißen und einer Weißen, seien sie im Land oder in Westindien geboren, heißt' Kreole, die Tochter Kreolin. Der Sohn oder die Tochter eines Weißen, Kreolen oder Europäers von einer Indianerin wird Mestize, Mestizin oder auch Metis genannt. Die Farbe eines solchen vermischten Sprößlings ist rötlich transparent, die Hände und Füße klein, die Augen aber noch immer schief. Sie sind sanfteren Charakters als die Mulatten.
Mulatten stammen von weißen Vätern und Negermüttern ab; die Farbe ist bronze. Chinos oder Zambos werden die von Negermännern und Indianerweibern Abstammenden genannt. Sie sind dunkel schwarz-braun. Zambos prietos werden die von einem Neger und einer Zamba Abstammenden genannt.
Cuarterón ist das Kind eines Weißen und einer Mulattin, Quinterón das Kind eines Weißen und einer cuarteron; vermischt sich die Quinterón nochmals mit einem Weißen, so wird der Sprößling ganz weiß.
Salto strás, Sprünge rückwärts, nennt man, wenn sich eine weißere Person mit einem dunkler farbigen Manne vermischt. Alle diese farbigen Abkömmlinge werden zusammen die Kasten genannt, z. B. der Kaste der Quinterónes, der Mestizen usw. Reinen Ursprungs sind bloß die Cachupines (die Spanier), ihre Söhne und Töchter, die Kreolen, die Indianer und die Neger.
, in Apostel, Jünger, jüdische Priester und Weiber metamorphosiert, vor dem göttlichen Meister unzüchtige Tänze und Sprünge aufführen; daneben Adam und Eva, vom Engel mit flammendem Schwerte aus dem Paradiese getrieben, das von einer Gruppe von Wesen dargestellt wurde, die das damalige Eden, wie es auf unseren Pfennigbildern repräsentiert wird, nicht übel vorstellten. An einem dritten Orte ließ sich der Dios padre Gott Vater. herab, selbst den Reigen anzuführen, zu dem die heilige Cäcilia, mit einer spanischen Laute versehen, den Gangoso Der durch die Nase gezogene Gesang, den die Gitarre begleitet; so unmelodisch er auch ist, wird dazu gewöhnlich getanzt. produzierte, während wieder das kleine Jesukindlein auf seiner Flucht nach Ägypten, einen gewaltigen Esel reitend, Ströme Wassers in die offenen Fenster und den Vorübergehenden in die Gesichter spritzte. Dazwischen Scharen von Leperos Auch Guachidangos oder Saragates genannt (buchstäblich Aussätzige), werden jene Unglücklichen geheißen, die zu Tausenden in der Stadt und den Vorstädten Mexikos dach- und fachlos hausen., Stutzern und elegant herausgeputzten Mädchen und Weibern, die sich in diesem Schwarm von Indianern wie Sumpflilien im giftig schmutzigen Moraste ausnahmen; dann wieder Hunderte von Raketen, die ungeachtet des hellen Tageslichtes auf allen Seiten und Enden aufschwirrten, zur großen Freude der Indianer, deren Jubel in wahres Toben überging, wenn einer der feurigen Schwärmer zwischen einem Mirador Die vergitterten Balkone, mit denen die Häuser Mexikos geziert sind. oder unter die geputzten Damenköpfe, die von den Geländern herabwinkten, einfuhr. Überall die tollste, wildeste Freude; aber eine Freude eigener Art, so rasend auf einmal ausgebrochen, so grell und plötzlich nach der Totenstille, die noch wenige Minuten zuvor geherrscht, daß Auge und Ohr befremdet und erschrocken diesen Tausenden von Bacchanten und Bacchantinnen zusah und zuhorchte, die, wie aus der Erde gewachsen, eine Mischung von Physiognomien darboten, so chaotisch, so schroff und bizarr und feindselig sich begegnend, wie sie auf der Erde nicht mehr gesehen werden können! Üppige Mulattinnen mit derben Zambos, knochig hagere Indianer mit der gefälligeren Mestizin, stattliche Kreolen mit Alta atras, und darunter wieder Gesichter, die zu keiner bekannten Rasse oder Abart des lieben Menschengeschlechtes zu gehören schienen, trieben und drängten sich um und zu jenen heiligen Fastnachtsspielen, autos sacramentales genannt, in welchen die südlichen Völker bekanntlich eine eigene Art von Rache an derselben Religion nehmen, nach deren Gebräuchen sie wenige Stunden zuvor das höchste Wesen verehrt; von denen aber nur sehr wenige jenen mysteriösen Sinn kannten, den die raffinierten, wenngleich nicht aufgeklärteren europäischen Völker ihren tollen Mummereien unterzulegen pflegen. Einige derselben schienen jedoch eine tiefere Bedeutung auszusprechen, und darunter eine, die wir, um das mexikanische Volksleben auch von dieser Seite kennen zu lernen, uns näher besehen wollen.

Es war eine Gruppe von zwölf Personen, die, phantastisch in die verschiedenen Kostüme der Indianerstämme des Landes gekleidet, einen sogenannten Carro Ein zweirädriger Wagen. so malerisch umgaben, daß man wohl sah, sie folgten der Leitung eines berechnenden Kopfes. Die Indianer waren in Trauer und bewegten sich als Leidtragende um diesen Wagen, auf dem zwei Gestalten sich befanden, die das Attribut des Gräßlichen und Komischen so seltsam in ihrem Aufzuge vereinigten, daß das Auge neugierig und schaudernd zugleich auf diese sonderbaren Gestalten blickte, von denen die eine ausgestreckt auf dem Wagen lag: ein blutend verstümmelter Torso, aus dessen Brust und abgehauenen Arm- und Schenkelstumpen das Blut noch immer tröpfelnd herabfiel, welches wieder von einem zweiten Gefolge spanischer Verlarvter mit Gier aufgeleckt wurde. Noch schien Leben in ihm, denn er stöhnte und gab hohle Töne von sich und mühte sich vergebens ab, das Ungeheuer, das gleich einem Vampyr sich auf ihm niedergelassen und seine Tigerklauen in seine Brust eingeschlagen, abzuschütteln. Dieses obenan sitzende Ungeheuer war ebenso seltsam anzuschauen. Es hatte das finstere Gesicht eines wohlgenährten Dominikanermönchs, dessen Kutte es auch trug; auf der einen Seite hatte es eine brennende Fackel, auf der anderen einen bellenden Hund; sein Haupt bedeckte eine kupferne Gießkanne, die wahrscheinlich das Helmsubstitut des Ritters der Mancha vorstellen sollte. Über diesen Helm ragten ein paar Flügel hinaus, nicht unähnlich denjenigen, die die fruchtbare Phantasie alter Wappenkünstler dem Vogel Greif gegeben; der Rücken endigte im Schwanze des mexikanischen Wolfes Coyote, sowie wieder dem Jaguar die Tatzen angehörten, mit denen er den Torso furchtbar zerfleischte.

Dieser sonderbare Spektakelaufzug hatte sich die Tacubastraße herauf in die Sant-Augostingasse, von dieser in die Plateria und aus dieser wieder in die Adlergasse gezogen und sich endlich dem Stadtviertel Trespanna zugewandt, wo er vor dem Hotel gleichen Namens hielt.

Die Haufen von Indianern, Mestizen und der farbigen Bevölkerung waren allmählich durch Hunderte von Kreolen verstärkt worden, während der stolzere Spanier mißtrauisch aus den Fenstern seines wohlverwahrten Hauses dem sonderbaren Gaukelspiele zusah, um das nun Tausende von Zambos, Kreolen, Indianern und Mestizen einen Kranz bildeten, so malerisch, eine Mischung von Köpfen und Physiognomien, so chaotisch, und eine Mannigfaltigkeit von glänzenden Prachtaufzügen und den ekelhaftesten Lumpen so nahe aneinandergereiht, wie sie nur wieder in diesem Lande gesehen werden kann.

Unter den reichsten Mangas Der Mantel eines Mexikaners., die der Popanz angezogen, war ein junger Mann, dessen Gesicht schwer erraten ließ, welcher Rasse es angehörte. Es hatte alle Farben des Regenbogens, die sich auf der knapp anliegenden Seitenmaske so blendend natürlich darstellten, daß man in Versuchung kam, dieses Farbenspiel für Natur zu halten. Er war aus der Fonda Ein Gasthof ersten Ranges. von Trespanna heraus auf die Straße getanzt, hatte sich einige Male flüchtig vorsichtig umgesehen und sich dann durch die Scharen zu dem Gaukelzuge gedrängt und gewunden. Es war etwas Eigenes in der Art des jungen Stutzers, denn ein solcher konnte er, seiner reichen Kleidung nach, genannt werden, die ihm schnell Platz verschaffte.

»Närrische Leute! Hirnlose Leute! Schweinische Haufen! Was rennt, was drängt, was lauft Ihr? Was seid Ihr gekommen zu schauen, zu sehen? Wißt Ihr nicht, daß das Sehen verboten ist, besonders das helle Sehen?«

Der Ton des Stutzers, seine plötzliche Erscheinung und das kecke Originelle seines Wesens, im Gegensatze zu dem scheuen Benehmen der übrigen Kreolen, die sich vorsichtig dem Wagen näherten, ihn einige Augenblicke mißtrauisch betrachteten und dann sich schnell zurückzogen, um in sicherer Ferne des Weitern zu harren, hatten nicht verfehlt, die allgemeine Neugierde auf ihn zu lenken.

»Wohl denn, Volk von Mexiko oder Anahuac Der eigentliche Name des einstmaligen Kaisertums., wenn Ihr so Euch lieber nennen hört, das heißt Azteken und Tenochken und Otomiten Azteken, Tenochken wurden die alten Mexikaner genannt. Otomiten ist ein zahlreicher zweiter Hauptstamm Mexikos. Die Sprachen der Azteken und Otomiten sind die verbreitetsten und zeichnen sich die eine durch ihre Härte, die andere durch ihre Weichheit aus. und Mestizen und Zambos und Altra atras und Blancos, die der Teufel«, flüsterte er leiser, »ganz oder wenigstens zum zwanzigsten Teile holen mag Man nahm an, daß die Spanier, die Gebieter des Landes, den zwanzigsten Teil seiner weißen Bevölkerung, das heißt ungefähr 60 000 Seelen, ausmachten.

»Bravo!« riefen Hunderte von Mestizen und Zambos, denen die letzten Worte des Stutzers auf einmal über sein politisches Glaubensbekenntnis Licht gegeben hatten, » Bravo, escuchad Hört!!« ertönte es wieder und wieder.

Während dieses Bravorufens hatte sich der Mann tanzend und wieder windend durch die Haufen zum Popanze hin Platz gemacht, den er aufmerksam betrachtete.

»Also Ihr möchtet gern wissen!« rief er wieder. »Wisset Ihr aber, daß ebendieses Wissen verboten ist? Ei, aber schauen möchtet Ihr, denn das Schauen ist nicht verboten, und wenn Ihr keine Mulos Maultiere, das gewöhnliche Lasttier in Mexiko. seid, so mögt Ihr auch sehen, hell sehen!«

»Wenn wir aber Mulos sind?« rief eine Stimme.

»Dann will ich Euer Arriero Maultiertreiber, ein sehr zahlreiches Gewerbe. sein«, lachte der Stutzer, der um das Schaustück mittlerweile herumgetanzt war. »Also Mulos seid Ihr!« rief er aufblickend; » Madre de Dios Mutter Gottes.! Das seid Ihr ja schon gewesen alle Tage Eures Lebens, seit nämlich der finstere Gachupin da – er deutete auf das Ungeheuer halb Mönch halb Tier – das arme Ding, das einige Anahuac, andere Mexicotl Der mexikanische Kriegsgott., wieder andere Guauhtomozin Der letzte amerikanische Regent. nennen, zu seiner Lagerstätte erkoren. Arme Mulos und wieder Mulos! Ihr seid wie mein armer Sancho, der nichts will als Bier und wieder Bier und nochmals Bier Sollte eigentlich Pulque heißen; denn Bier war damals in Mexiko und ist noch heute wenig bekannt.. Arme Mulos!«

»Arme Mulos!« seufzten Hunderte unwillkürlich, abwechselnd das blutige Ungeheuer und wieder den Sprecher anstarrend.

Auf einmal hob der Stutzer die Kutte des Ungeheuers, und der vom Rumpfe getrennte Kopf des blutigen Torso kam zum Vorschein. Es waren indianische Züge, von einer Meisterhand so natürlich dargestellt, daß Hunderte von Stimmen mit einem Male riefen: »Guauhtomozin!«

»Guauhtomozin!« schallte es dumpf von Munde zu Munde, während der Pregonero Wörtlich übersetzt: Ausrufer. (diesen Namen hatte der Stutzer bereits von der Menge erhalten) fortfuhr, den Schleier von dem seltsamen Aufzuge zu lüften.

»Seht, hier sind seine Klauen am tiefsten eingehackt; es ist Guanaxuato und Guadalaxara!« sprach der Pregonero, und die Menge schauderte wieder.

»Es ist Tio Gachupin,« lachte er auf einmal, sich auf dem Absatze herumwendend, »Tio Gachupin Vetter Gachupin. Gachupin ist ein unübersetzbares Wort, dessen Bedeutung ebensowenig erklärbar ist, als die der Benennung Yankee. Die Spanier behaupten, es bedeute einen Helden zu Pferde; die Indianer und Kasten – einen Dieb. Es wird allgemein als ein Schimpfname betrachtet, mit dem man vorzüglich die Spanier und die ihnen anhängenden Kreolen bezeichnet., der das Spiel, das er vor nicht ganz dreihundert Jahren mit dem armen Guauhtomozin – – nein, es ist Guauhtomozins Geist!« rief er, »der erschienen, blutend und um Rache schreiend.«

Soviel war nun dem Haufen allmählich klar geworden, daß der Spektakelaufzug eine tiefe, ja gefährliche politische Bedeutung habe. Die Menge hatte schnell zugenommen; die flachen Blumendächer, die Miradors der nahen und entfernten Häuser waren mit unzähligen Köpfen angefüllt. Es herrschte eine tiefe Stille, die nur vom Geflüster der Neugierde oder dem Gemurmel des Schauders unterbrochen wurde, welches der Indianer mit einem so eigentümlichen Tone von sich gibt, wenn ihm jene teuern, so tief im Herzen ruhenden Erinnerungen an die Gewalt und Herrschaft seiner Vorfahren durch Zufall ausgepreßt werden. Auf einmal rief es: » Vigilancia! Vigilancia Wachsamkeit! Habt Acht!!« von einem fernen Mirador herab. » Vigilancia!« schallte es von Mund zu Mund. » Vigilancia!« rief der Pregonero; » Gracias Señoras y Señores Dank, gnädige Damen und Herren! Señor, gleichbedeutend mit dem französischen Seigneur, die Ansprache für jeden weißen und auch schwarzen Mexikaner, so armselig er übrigens auch sein mag. Señora, gnädige Frau. Señoria, Herrschaft, Herrlichkeit. Dieser letztere Titel wird nur Personen gegeben, die Oberstenrang haben.!« lachte er, duckte sich und verschwand. In wenigen Augenblicken war vom gräßlichen Sinnbilde Mexikos selbst keine Spur mehr vorhanden, und als endlich die beiden Alguazils mit ihren Stäben sich Bahn gebrochen hatten, regnete es Fetzen von Pappendeckeln und Trümmer gebrochenen Holzes auf ihre verhaßten Häupter; die Menge selbst war, gleich einer Woge, durch einen gewaltigen Fels geborsten, auf allen Seiten ausgerissen und brach größtenteils in den Gasthof ein, vor dem die Szene selbst stattgefunden hatte.

Dieser Gasthof, der erste Mexikos zur Zeit, in die unsere Episode fällt, war, so wie heutzutage, der Vereinigungspunkt der hohen und niedrigen Welt der Hauptstadt, das heißt des größten Reichtums und der ekelhaftesten Blöße, die nur gedacht werden können. Die unteren Geschoße nahmen eine Art Basare ein, in denen Waren mexikanischer Fabrikate zum Verkauf ausgeboten wurden; die oberen Säle waren zur Bewirtung der Gäste bestimmt und mit einer Pracht ausmöbliert, die auffallend mit diesen Gästen selbst kontrastierte.

Im ersten dieser Säle stand ein großer, langer Tisch, einer Billardtafel ähnlich, auf dem Haufen Silbers lagen, die Tausende von Piastern betragen mochten, während die Garderobe der ringsum sitzenden oder stehenden Spieler um ebenso viele Pfennige zu teuer bezahlt gewesen wäre. Außer den Worten Señor und Señoria war kaum ein Laut zu hören; aber dafür sprachen ihre giftig feurigen Blicke desto vernehmlicher, und ein Grimm war in ihren Augen zu lesen, der jeden Augenblick in Mord und Totschlag ausbrechen zu wollen schien.

Der zweite Saal war, wo möglich, von einer noch häßlicheren Klasse von Menschen angefüllt, die liegend, stehend, hockend, auf allen vieren, in Stellungen hingestreckt waren, die nicht beschrieben, viel weniger gesehen werden mögen; zum Teil beschäftigt, ihre und ihrer Kinder Köpfe von jenen Anwohnern zu reinigen, die der ganze Reichtum dieser Klasse zu sein pflegen; eine Beschäftigung, der sie sich mit einer Sorgfalt überließen, als wenn diese zur Feier des día de fiesta Festtag. gehört hätte.

Ein dritter Saal war den Schokolade- und Sangaree-Trinkern Ein Getränk, aus Zucker, Zitronen, Wasser, Rum und Gewürz bereitet. gewidmet, die ihre Gläser und Becher mit einer Behaglichkeit leerten, die in der ekelhaften Nacktheit und Armut ihrer Umgebungen noch einen eigenen Reiz zu finden schien; denn zwischen Stühlen, Bänken und Tischen lagen und krümmten sich die Elenden, Leperos genannt, gleichwie ein Bindungsmittel, das sämtliche Klassen Mexikos zusammenhielt; und wieder zogen ein: reich gekleidete Spanier, Spanierinnen und Kreolen, die noch halb schlaftrunken von der Siesta kamen, in einer Kleidung, hell und funkelnd und wieder lose und locker, vor ihnen her eine Schar von Mulatten- oder Negermädchen, die froh und üppig einhertanzten, Körbchen und Kästchen tragend und » Sitio para nuestras SeñorasPlatz für unsere gnädigen Frauen! schreiend, hinterdrein die Cortejos Cortejo, lies Corteho, Cavaliere serviente., die diesem Geschrei mit ihren Säbeln und Stöcken den nötigen Nachdruck gaben.

» Caramba! Que bella y cara compañia Verdammt! Welch eine schöne und liebliche Gesellschaft.!« rief auf einmal dieselbe Stimme, die wir unten auf der Straße als den Ausleger der gefährlichen Fastnachtsposse gehört haben, und die nun einem Caballero Caballero, Cavalier. Jeder von spanischem Blute abstammende Mexikaner macht auf diese Benennung Anspruch., seiner Larve nach zu schließen, angehörte, der in einem ganz neuen Anzug in den Saal trat, die Gesellschaft mit jenen flüchtigen Blicken messend, mit denen der hohe Wüstling eine untergeordnete Klasse von Menschen zu mustern gewohnt ist. » Caramba a la buena Holla! Zum Glück! a la buena! bedeutet aber vornehmlich das Glück in Bergwerksunternehmungen.!« rief er, an den langen Tisch tretend und eine Rolle Piaster auf eine Karte werfend, die im nächsten Augenblicke auch schon gewonnen hatte.

» Bravo, bravísimo! Doble!« schrie er.

Der Stutzer hatte wieder gewonnen und die Summe, so beträchtlich sie auch war, ohne eine Miene zu verziehen, auf die frische Karte geworfen.

» Triple!« schrie er, als er wieder gewonnen: » Quádruple!« ein viertes Mal, und mit diesem letzten Glücksfalle warf ihm auch der Bankier seine ganze Barschaft mit den Worten: » Maldito gato!« hin und erhob sich von seinem Sitze mit einem Blicke, so grimmig, daß man hätte glauben sollen, es müsse den nächsten Augenblick Mord und Totschlag erfolgen. Wider alles Erwarten jedoch nahm der Mann seine zwei Realen, die er in den Ohren stecken gehabt, rief den Kellner, hielt diesem die beiden Silberstücke vor die Augen und sprach, auf das eine deutend, feierlich: » Cigarros!« und auf das andere: » Aguardiente de caña Rum (aus Zuckerrohr).!« Und nachdem er so über sein Geld disponiert, schlug er, in Erwartung der beiden Labsale, seine Manga mit soviel Kunstfertigkeit über die Schulter, daß der Zipfel der andern Hälfte zugleich bis zu der Hüfte herab verlängert wurde, und es so einiger Aufmerksamkeit bedurfte, zu gewahren, daß einer der beiden Schenkel gänzlich des nötigen Artikels, Beinkleider genannt, ermangelte.

» Señoras y Señores! A la buena!« Kommen Sie, Damen und Herren, zum Glück. rief nun der glückliche Eroberer der Schätze seines Vorfahren, indem er gleichermaßen zwei Realen Real, der achte Teil eines Piasters, wird, das Glück festzuhalten, von den Spielern in die Ohren gesteckt. aus einem besonderen Beutelchen herausnahm und einen in jedes Ohr steckte, welche Handlung er mit dem Zeichen des Kreuzes begleitete.

» Plaza Gavillas!« Platz, Pöbel! Mit diesem Namen werden vorzüglich die Rebellen bezeichnet. rief es auf einmal wieder, » Sitio a las Señoras!« und mit diesem Rufe trat ein Zug spanischer Soldaten mit ihren oder Anderer Weiber ein.

Sie waren auf eine Weise herausgeputzt, um die sie manche unserer vornehmen Damen beneidet haben dürfte, so wenig der Schnitt ihrer Kleidung dies auch verdiente. Vor jeder dieser Spanierinnen schritten drei Mulattomädchen mit lose anliegenden Seidenröckchen, die ihnen bis zu den Knien reichten und so locker und lockend anlagen, daß der Busen und der ganze Leib ohne Mühe zu ersehen waren; die Haare in goldfadige Netze gewunden; an den Armen Spangen von gleichem Metalle. Das erste dieser Mädchen trug ein offenes Kästchen mit Zigarren, aus dem wechselweise die Dame und ihr Cortejo sich zuhalfen; das zweite ein Körbchen mit Zuckerwerk, dem gleichfalls häufig zugesprochen wurde, und die dritte die Geldbörse.

» Sitio!« erschallte es wieder, und die Begleiter der Damen, wohlbestallte Unteroffiziere der spanischen Truppen, schwangen ihre Rohrstöcke und Säbel, daß Indianer und Mestizen und Zambos wie gemäht von Bänken und Stühlen purzelten.

» Caramba! qué quiere decir usted?« Alle Teufel, was wollen Sie damit sagen? rief unser neuer Bankier, der sich auf seinen Sitz niedergelassen hatte, auf einmal aufspringend, » por todos los bastos del mundo! – « Um aller Knittel der Welt willen! Die spanischen Karten heißen oros, espades, copas und bastos. Diese letzteren stellen Knittel und figürlich jene Symbole vor, die mit unseren Hirschgeweihen gleiche Bedeutung haben.

Er sprach diese Worte so drohend, und seine Gestikulation war so echt mexikanisch, daß drei der Sergeanten mit einem Male auf ihn zusprangen.

» Perro! qué quieres?« Hund, was soll dies bedeuten?

» Perro!« rief der Mexikaner gleichfalls, und dabei fuhr seine Hand unter die Manga, und die Bewegung war so schnell von den sämtlichen weißen, schwarzen, braunen und grünen Physiognomien nachgeahmt worden, daß die drei Sergeanten nebst ihren Damen mit einem Male zurückprallten. Nur die vierte hatte sich in der Nähe des Tisches gehalten und schwang nun die Karten, die Gesellschaft zum Spiele einladend.

Diese Einladung hatte auch einen unbegreiflich schnellen Erfolg. Dieselben Menschen, die soeben Partei auf Leben und Tod für ihren Landsmann genommen hatten, – denn dies verriet das mysteriöse Langen unter die Mangas – ersahen kaum, in wessen Hand sich die Zauberblätter befanden, als sie auch wie mit einer Stimme riefen:

» Por el amor! Vaya usted con Dios Señor!« Um der Liebe Gottes! Gehen Eure Herrlichkeit mit Gott!

» Vaya usted con cien mil demonios Señor!« Gehen Sie mit allen hunderttausend Teufeln, gnädiger Herr! brüllten die Spanier.

Der junge Mann sah abwechselnd seine armen Landsleute, dann wieder die Spanier an; dann, wie ergriffen von der sonderbar originellen Höflichkeit und Grobheit beider, lachte er laut auf, packte pfeifend seine eroberte Beute zusammen und räumte den Saal.

Seine Wanderung durch die anstoßenden Säle schien einige Zeit hindurch eine absichtslose zu sein; er stolzierte durch den einen, stieß hier mit einem Bekannten auf ein Glas Aguardiente an, nippte einem andern aus dem Schokoladebecher, half einem dritten seine Sangaree leeren und schlenderte so eine Weile herum, bis er sich endlich in den letzten leeren Saal verlor, wo er an die Flügeltüre trat, die verschlossen war, und an die er mit den Worten klopfte:

» Ave Maria purísima!« Gegrüßet seiest Du, reinste Maria! – der gewöhnliche Gruß der in ein Zimmer Tretenden.

Sie wurde aufgetan.

» Sine pecado concebeda Ohne Sünde empfangen! – die Antwort darauf.,« fügte er hinzu.

» Por amor de Dios impios!« Um der Liebe Gottes willen! keine Frömmigkeit, keine Artigkeit mehr zu finden. »Können Sie nicht sagen: › Sin pecado concebida Señores‹?«


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