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Zwölftes Kapitel.

Die Hölle ist ledig
Und alle Teufel hier.

Shakespeare.

Noch war die Gesellschaft über die plötzliche Verwandlung des Geheimsekretärs und den ebenso unerwarteten als der schuldigen Ehrfurcht zuwiderlaufenden Besuch eines ihrer Glieder bei der höchsten Person des Königreiches in bangen Vermutungen und Zweifeln befangen, die bei den näheren Freunden des Grafen in die ängstlichsten Besorgnisse über das Gewagte des unerhörten Schrittes übergingen, als ein furchtbar gellendes Geheul, das aus tausend Kehlen auf einmal hervorzubrechen schien, so gewaltig an die Fenster des Hauses anschlug, daß die Scheiben zitternd erklangen. Das Geheul, schrill und gellend, rollte wie in einem mächtig lang gezogenen Stoße durch die Lüfte und prallte aus der großen Entfernung wie in einem Fokus an das Gebäude, hielt eine Weile an, erstarb und brach von neuem los, tobender als zuvor; dann lief es wie ein Lauffeuer die Gebirge Tenochtitlans hinan, wo es, in ein furchtbares Echo von tausend und abermals tausend Stimmen vereinigt, über das ganze Tal hinüberrollte.

Ein allgemeines Entsetzen hatte sich der Zurückgebliebenen bemächtigt.

» Ya escampa y llevan guijarros!« Buchstäblich: Endlich ergießt sich der Himmel und es regnet Kieselsteine. sprach der Mayordomo, dessen bleich braunes Gesicht eine plötzliche Röte überflogen hatte. »Nun ist der Teufel los, das bedeutet etwas mehr als das tolle Lärmen der Leperos drüben in Mexiko; das kommt von den Klüften Tenochtitlans und den Schluchten Tacubayas herüber. Paciencia Señores!« beruhigte er die immer ängstlicher umhertrippelnden und wieder furchtsam horchenden Kreolen; Pedro, Cosme und Geronimo, laufet hinauf gegen Capultepec! Und Itztlan, komm her, Junge!«

Und mit diesen Worten öffnete der alte Mann die Fenster und sah in die Nacht hinaus. Es war eine sternenhelle Nacht. Von Itztaccihuatl fuhr zuweilen ein greller Lichtstrom, von einem dumpfen Donner begleitet, herüber und rollte über das Tal hin, und dann fiel das Geheul und Gebrülle der unsichtbaren Menge so majestätisch ein, daß es für einen Augenblick schien, als vereinige sich der Donner des Himmels mit der Stimme des Volkes, um im nächtlichen Schrecken ihre Allgewalt zu verkünden.

»Der Itztaccihuatl,« sprach der Mayordomo, ungemein feierlich, »der rast heute, und ich brauche es Ihro Herrlichkeiten nicht erst zu sagen, daß dieses Unglück und Jammer für Mexiko bedeutet. Die Cabecillas sind hinter Capultepec, und sie brüllen von der Tacubayastraße herüber und ziehen sich gegen Buenavista hinauf. Ja, ja, es sind die Gente irracional, sie toben, und wenn die anfangen zu toben, dann gnade Gott Mexiko. Ei, sie wittern auf, und sie wittern weit. Auf fünfzig Meilen spüren sie was vorgeht.«

»Jesús Maria!« riefen die geängstigten Edelleute wieder.

»Ei, die Indianer«, fuhr der alte Mayordomo fort. »Sie haben freilich keine Gazeta, keine Correos; aber sie wissen besser was vorgeht, als die Excelencia im Palaste, und wenn ihrer noch zehn mehr darinnen wären, und ich wette, Itztlan kann uns über ihr Gebrüll besser Auskunft geben, als es morgen die lügenhafte Gazeta tun wird. Itztlan,« wandte er sich zu dem Indianer, »was bedeutet das Geheul?«

»Die Cachupines werden es morgen erfahren«, erwiderte der Indianer trocken.

»Jesús Maria!« riefen wieder zehn Stimmen.

»Hisht, Señnorias! Kennen Ihro Herrlichkeiten die rote Natur so wenig, daß sie durch Lamentationen herausbringen wollen, was er, wenn er es vermeiden kann, nicht von sich geben wird? Paciencia, Señnorias, und bringen Sie mir den Indianer nicht aus seinem guten Willen.«

Dieser hatte abermals aufmerksam gehorcht. Er wandte sich plötzlich und, wie es schien, mißmutig. »Die Patrioten werden Mexiko noch viele Tage nicht sehen«, murmelte er zwischen den Zähnen, und dann entfernte er sich.

Das Geheul näherte sich auf einigen Punkten und ging dann in ein wirres Geschrei über, das der Villa immer näher kam. Ein Haufen der Schreier war bis auf tausend Schritte herangekommen und brüllte mit furchtbarem Geheule: » Mueran los Cachupines! Viva! Morellos nuestro libertador y conquistador de Cuautla Amilpas Tod den Cachupines (Spanier). Es lebe Morellos, unser Befreier, der Sieger von Cuautla Amilpas.!« Gleich darauf rasselte es am Haustore. Die ganze Villa geriet in Aufruhr.

»Jesús Maria, los Cabecillas, die Rebellen!« schrien mehrere Stimmen.

Der Schrecken unserer armen Kavaliere erreichte den höchsten Grad bei dieser furchtbaren Nachricht. Sie liefen zitternd und zagend im Saale umher, » los Cabecillas« heulend und kreischend. Mitten unter ihnen der Mayordomo, sie ermahnend, bittend, beschwörend, ihre Würde nicht so sehr zu vergessen. Alles vergebens. »Paz, Señorias!« schrie der alte Mann endlich in Verzweiflung.

»Paz, Señorias!« schrie er stärker; doch die geängstigten Kreolen hörten die Stimme des Dieners nicht. In ihrem Schrecken hatten sich einige vor den Schutzheiligen niedergeworfen, andere rannten zähneklappernd im Saale herum, wieder andere suchten sich hinter den Dienern und selbst den Damen zu verbergen.

»Der Conde!« rief endlich der Mayordomo in der höchsten Tonleiter seiner heiser gellenden Stimme. »Der Conde, Señorias!«

»Der Conde – wo ist er – der Conde?« riefen alle.

»Gegangen,« erwiderte der Mayordomo, »um mit Sr. Exzellenz zu sprechen und die Cabecillas sogleich zu verjagen.«

Und gleich geschreckten Kindern, denen ihre Amme die Zusicherung erteilt, daß ihr Papa sogleich wieder kommen werde, um das Nachtgespenst zu vertreiben, fingen unsere Grafen und Marquis an, sich allmählich zu beruhigen, und der Mayordomo nachdem er so die schwachen Geisteskräfte ihrer Herrlichkeiten glücklich auf einen Punkt konzentriert, der sie für einige Zeit zu beschäftigen versprach, ergriff nun seinen Amtsstab, um die Diener zu ordnen, die mit Erfrischungen ankamen.

»Don Agustin Iturbide, Por el amor de Dios. Wo ist el Señor Iturbide?« schrien mehrere, »Jesús Maria, auch der ist weg!«

Der Major hatte sich während des Tumultes aus dem Saale geschlichen, wobei ihm der Mayordomo und sämtliche Diener mit Blicken nachsahen, die, zum wenigsten gesagt, für den Mann nicht schmeichelhaft waren.

»Lassen Sie den, Señorias,« sprach der Greis ungemein ernst und mit einem Nachklange der tiefsten Verachtung. »Sie verlieren nichts an diesem Señor Iturbide, so groß und so stark er ist. Wollte Gott, er ginge, und recht weit von Mexiko; glauben Sie es mir.«

»Anselmo, was ist dir wieder?« fragten mehrere.

» Venga tiempo, venga consejo«, sprach der Mayordomo feierlich. »Kommt Zeit, kommt Rat. Unser Sprichwort sagt: A pícaro, pícaro y medio. Mit einem Schurken sei ein Spitzbube und ein halber drüber, und Señorias, Don Agostin ist der Mann danach. Venga tiempo, venga consejo!« schloß er, worauf er die Dienerschaft ordnete, die nun, zwei Mann hoch, die mannigfaltigsten Erfrischungen und Getränke in silbernen Geschirren auftrug.

Der Klang kriegerischer Instrumente, der durch die Fenster drang, unterbrach auf einmal die Stille, die eingetreten war.

Es war die herrliche Janitscharenmusik der Regimenter de la Reina und del príncipe de la Paz Der Königin und des Friedensfürsten., die sich nun auf der Straße näherten, die durch den Paseo nuevo Capultepec vorbei nach Tacubaya hinaufzieht. Der ergreifende Klang der kriegerischen Musik brachte bei den Kavalieren ganz dieselbe zauberähnliche Wirkung hervor, die wir früher an der sogenannten Gavilla zu bemerken Gelegenheit hatten. Der rasche Aufmarsch einer zahlreichen Kavallerie wurde zugleich hörbar, und diese versetzte die Gesellschaft ebenso plötzlich als unerwartet in die entgegengesetzten Extreme. Die atemlose Stille, die bei dem ersten Trompetenstoße geherrscht hatte, wich allmählich Ausrufungen des Entzückens; die Kavaliere begannen regelmäßig den Takt zur Musik mit ihren Händen und Füßen zu schlagen und vergossen wieder Freudentränen, umarmten sich wieder und trippelten im Saale herum gleich Schiffbrüchigen, die dem offenen Wellengrabe durch ein herannahendes Segel entrissen werden, und stießen jubelnd mit ihren Gläsern auf das Verderben der Patrioten an. Je länger der Zug währte, desto ungenierter und ungestümer wurde ihre Freude, und selbst ihr Mut fing an zu erwachen, und dieselben Patrioten, deren bloße Erwähnung sie noch eine halbe Stunde zuvor in panischen Schreck versetzt hatte, wurden nun Gegenstand des beißendsten Witzes und einiger recht artigen bonmots. Auf die Kavallerie waren mehrere Infanterieregimenter und ein ziemlich bedeutender Artillerietrain gefolgt, die, im hellen Fackelschein vorbeidefilierend, wirklich ein anziehend kriegerisches Nachtstück darstellten. Ein lautes Vaya Vd. con Dios y con la Virgen folgte den Truppen von seiten der Kavaliere, ein brummendes Vaya Vd. con cien mil Demonios von seiten der Diener.

Als der letzte Pferdehuf verklungen war, wurde das Rasseln eines Wagens gehört, und ehe noch die entzückten Kreolen aus ihrem kriegerischen Enthusiasmus erwachten, stand der Conde San Jago wieder unter ihnen.


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