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Zehntes Kapitel.

Graf war er, konnte tanzen, musizieren,
Sprach gut französisch, doch toskanisch schlecht;
Denn wenige der Welschen nur studieren
Die Sprache der Etrusker rein und echt.

Beppo.

Wir sind in unserm glücklichen Lande absoluter Freiheit nicht solche blinde Götzendiener einer imaginären ungezähmten Gleichheit, um die Vorteile, die eine würdige Geburt gewährt, zu verachten, oder in das Pöbelgeschrei einzustimmen, das Menschen deshalb verdammt, weil sie der Zufall bei dieser begünstigt hat. Auch bei uns gilt es etwas, von würdigen Eltern abzustammen, die durch Kraft ihres Willens, durch Tätigkeit und Talente ihres Vaterlandes Ruhm oder Wohl gegründet haben; und gegen solche Vorzüge gleichgültig zu sein, verrät, wenn nicht einen rohen, doch rauhen Sinn, um den wir niemand beneiden. Aber indem wir so dem Aristokraten, den der Zufall bei seiner Geburt begünstigt, Gerechtigkeit widerfahren lassen, geht unsere Vorliebe wieder nicht so weit, die Anmaßungen dieser Glückskinder auf die Beherrschung ihrer Mitbürger mit gleicher Nachsicht zu behandeln, und wenn wir bei Männern, die sich im Dienste des Gemeinwesens Einfluß erworben haben, es begreiflich finden, daß sie suchen, die erworbenen Vorteile auf ihre Kinder zu vererben, so finden wir es ebenso natürlich, daß der gesunde Sinn dieser Mitbürger sich gegen eine solche Vererbung des Einflusses sträube und Anmaßungen zurückweise, die sich auf Erblichkeit und nicht auf persönliche Tüchtigkeit oder Tugenden gründen. Solche Anmaßungen im Keime zu ersticken, fordert Pflicht ebensowohl wie die gesunde Staatspolitik eines freien Volkes, weil nichts leichter wuchert und sich im Boden einer freien Verfassung festsetzt, als Gewalt. Und in diesen tief gefühlten beiderseitigen Bedürfnissen liegt der Same jenes langen, nie ruhenden Kampfes, der zwischen der sogenannten Aristokratie und Demokratie unter verschiedenen Namen und Formen auch bei uns seit Entstehung unserer Republik bestanden hat, und der nie endigen wird. Gegen das Bestehen einer solchen Aristokratie der Geburt, des Vermögens, der Talente und gegen die Sucht, ihre Fortdauer zu vererben und zu befestigen, eifern zu wollen, verrät ebensosehr Unbekanntschaft mit den Triebfedern des menschlichen Herzens wie mit den Bestandteilen und Bedingungen der Existenz einer freien bürgerlichen Gesellschaft, die, wenn wohlgeordnet, immer dem Talente und der Betriebsamkeit den nötigen Spielraum, Glücksgüter und Einfluß auf das Gemeinwesen zu erwerben, darbietet und darbieten soll. Wir würden diese Aristokratie eine natürliche nennen, ein notwendiges und in vieler Hinsicht auch heilsames Übel und ganz verschieden von jenen Aristokraten der alten Welt, mit denen wir zum Glücke in unserm freien Lande nichts zu tun haben, und die jene heftigen Kämpfe veranlaßt, die noch heutigentags nicht beendigt sind und wahrscheinlich nie beendigt werden dürften. Es sind diese Nachlässe jenes barbarischen Mittelalters, in welchem die Regenten sich als Lehnträger des höchsten Wesens zu betrachten angefangen, und in solcher Eigenschaft über ihre Völker mit der unumschränkten Willkür einer rohen Machtvollkommenheit disponierend, diese nach Gefallen unter jene Günstlinge verteilten, die ihnen zur Ausbreitung oder Befestigung ihrer Herrschaft förderlich waren. So entstand die Aristokratie, die wir unter dem Namen des feudalen Adels kennen; ursprünglich bloße Beamte der Krone, über einen Distrikt, eine Stadt oder ein Schloß gesetzt, die sie für die Krone zu bewachen oder von ihr zur Nutznießung hatten und die sie beim häufigen Wechsel der Dynastien allmählich zu erblichen Besitztümern in der Art verwandelten, daß sie ihre Untergebenen oder Vasallen ebensowohl als disponibles Eigentum betrachteten, wie die Viehherden, die sie besaßen.

Es gehört natürlich nicht in den Bereich unserer Geschichte, die Rechte dieses Adels zu untersuchen oder auf den Kampf eingehen zu wollen, den die Behauptung dieser Rechte mit den vorgerückten Bedürfnissen der Menschheit verursacht hat. So ungerecht die Anmaßungen den Gedrückten erscheinen mögen, so können wir, die auf neutralem Grunde stehen, doch nicht umhin, zu gestehen, daß die Ansprüche dieser Art Aristokraten sich zum Teile auch wieder auf wirkliche Besitztitel gründen, die ihre Vorfahren Jahrhunderte hindurch unbestritten genossen, und die Mißbrauch und ein veränderter Zeitgeist wohl mit den Bedürfnissen dieses Zeitgeistes in Einklang zu bringen, aber geradehin zu entreißen schwerlich das Recht geben dürfte, da ein solches gewaltsames Entreißen die Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft selbst und deren Ruin notwendig nach sich ziehen müßte.

Aber es gibt eine dritte Aristokratie in diesen Staaten, die weniger achtungswert als die bei uns bestehende, oder der feudale und auf wirkliche Besitztümer gegründete Adel, eine sozusagen artifizielle Aristokratie genannt werden könnte, eine Art Quasiadel, der, mit der allmählichen Ausbildung des Legitimitätssystems entstanden, gewissermaßen Surrogat des feudalen Adels geworden; der sogenannte Brief- oder Diplomadel, eine Klasse bevorrechteter Bürger, die sich häufig durch niederträchtig entehrende Dienste die persönliche Gunst des Herrschers erworben, oder, im Besitze eines großen Vermögens, sich diese artifizielle Standeserhöhung erkauft und so über die übrige bürgerliche Gesellschaft erhoben, inbezug auf ihre Personen und häufig auch auf ihre Vermögen eine privilegierte Kaste bilden.

Wenn schon der Erwerb eines großen Vermögens an sich selbst mit mehr oder weniger Nachteilen für das Gemeinwesen verbunden ist, dessen Gleichgewicht immer mehr oder weniger durch eine solche Übervorteilung gestört wird, so werden diese Nachteile noch ins Unendliche gesteigert durch Bevorrechtung dieser ohnehin bereits auf Unkosten ihrer Mitbürgerkassen bevorrechteten Klasse. Diese unsinnige Staatsmaxime ist jedoch in den gealterten Monarchien der alten Welt infolge des Verschwindens des feudalen Adels Hof- und Staatspolitik geworden, der die neuen Aristokratien dieser Staaten und, wir müssen hinzufügen, auch Mexikos, bekanntlich ihre Entstehung verdanken, wie die mit der Geschichte dieses Landes einigermaßen Bekannten wissen werden. Von dem sogenannten feudalen Adel, das heißt den Abkömmlingen der ersten Eroberer, die zur Belohnung für ihre empörenden Dienste repartimientos Kronlehen. erhalten hatten, waren nur wenige Familien mehr im Lande übrig geblieben. Die meisten waren ausgestorben oder hatten sich bei dem allmählich grasser werdenden Bureaudespotismus der von dem Mutterlande herübergesandten Beamten in dieses zurückgezogen, wo ihre Kinder wenigstens die Rechte geborener Spanier genossen. Mit ihrem Verschwinden war das einzige Gut, zu dessen Einführung in Mexiko sie mitgewirkt hatten, die Munizipalfreiheit der Städte – dem Muster der spanischen Städteordnung nachgebildet – gleichfalls untergegangen. Der spanische Hof, der in demselben Grade eifersüchtiger auf seine Gewalt geworden, als sein kriegerischer Geist erstorben war, hatte es zweckmäßiger befunden, die öffentliche Gewalt in Neuspanien ganz in seinen delegierten Werkzeugen zu konzentrieren, und eifrig darauf hinarbeitend, die letzten Spuren des öffentlichen Lebens, als die Ausübung der höchsten Gewalt hemmend, zu verwischen, hatte man die Städtefreiheit in Mexiko gänzlich aufgehoben und die Corregidor- und Alkaldestellen durch öffentlichen Verkauf den reicheren Kreolenfamilien in die Hände gespielt, die sich durch diese Titel um so glücklicher fühlten, als sie die Ehre eines Amtes hatten, ohne mit dessen Bürde belästigt zu sein. Da dieselbe unglückselige Regierung statt der größtenteils eingezogenen Kronlehen die sogenannten Mayorazgos Majorate. Das Recht, sie zu errichten, wurde nur dem hohen Adel erteilt. Sie bestanden aus ungeheuren Landstrichen und sind seit 1824 aufgehoben. eingeführt und das Recht, solche zu errichten, gleichfalls mit ungeheuren Summen bezahlt werden mußte, so war die ganze künstliche europäische Aristokratie auch auf Mexiko übertragen, nur mit dem Unterschiede, daß dieser Titeladel nicht wie in Europa zu Staatsämtern Anspruch gab, sondern ganz nominell war.

Aber der Einfluß, den dieser nominelle Adel auf die bürgerliche Gesellschaft des Landes äußerte, war deshalb nicht weniger verderblich gewesen. Durch ihn vorzüglich hatte sich das merkwürdige, in der Geschichte der Welt unerhörte Schauspiel gestaltet, daß eine bürgerliche Gesellschaft von nahezu sieben Millionen Seelen beinahe dreihundert Jahre in Unmündigkeit von einem mehrere tausend Stunden entfernten Hofe gehalten wurde, zu dessen Glanz sie doch seit Jahrhunderten mehr als alle übrigen Teile der Monarchie beigetragen hatte; und daß sie, was noch auffallender ist, zufrieden und stolz auf diese Bevogtung war; daß sie in Kasten eingeteilt, durch Privilegien und Rangunterschiede voneinander gehalten und doch im absolutesten Sklavenzustande verblieb. So hatte man in Mexiko einen hohen Adel, Grafen und Marquis, die Enkel der alten Eroberer und Söhne von Beamten und selbst Abenteurern, die durch glückliche Bergwerksspekulationen plötzlich in den Besitz eines großen Vermögens gekommen waren; man hatte einen Mitteladel, zu dem sich jeder weiß geborne Sohn eines Spaniers oder Kreolen rechnete, einen Quasi-Adel, der durch ein Diplom de Audiencia erlangt und gewöhnlich dem farbigen Ehrgeize zuteil wurde, und endlich die elenden Kasten mit ihren Abstufungen und Mischlingen, und die noch elendere Rasse der Indianer. Man hatte so Rangunterschiede, Kleiderunterschiede, Unterschiede in allem. Nur im Joche, das auf allen lastete, war kein Unterschied. Alle krochen vor dem Spanier; aber für diese Unterwürfigkeit durfte der hochadelige Kreole ungescheut dem bloßen Caballero oder Hidalgo Das Wort Hidalgo wird in Mexiko weniger gehört als Kaballero, Kavalier. Jeder Kreole nennt sich einen Kaballero. Todo Blanco es Caballero, lautet das mexikanische Sprichwort. auf den Nacken treten, der Caballero den Quaterón oder Quinterón mißhandeln und dieser wieder den Indianer zum Tiere herabwürdigen. Wir wollen, um diese furchtbare Hierarchie anschaulicher zu machen, unsere Leser in die Gesellschaft einiger Notabilitäten einführen, die, wie sie gehört haben, soeben angemeldet wurden. Sieben derselben waren unter dem Vortritte des Mayordomo und einer zahlreichen Dienerschaft die Staatstreppe hinan in den Saal eingeführt worden, wo sie mit aller Grandezza der spanischen Etikette empfangen wurden.

Der Vorderste dieses Zuges war ein schwammiges Männchen mit behäbigem Unterleibe, gepuderten Haaren und zierlichem schwarzseidenen Haarbeutel. Er brachte zuerst keuchend seinen reichgestickten Frack à la Louis-Quinze in die gehörige Richtung, glättete die zerknitterten Spitzen der Hemdärmel, richtete den kurzen steifen Kragen und die langen Schöße in Ordnung, adjustierte den kurzen Staatsdegen mit stählernem Griffe und stöhnte dann, sich neugierig umsehend:

»Ah, Maestro Anselmo! Se. Herrlichkeit der Conde nicht hier? Ah, Maestro! Brennen vor Verlangen, ihm unsere Attention zu erzeigen. Ah, Maestro Anselmo!«

» Vuestra Señoría«, versetzte der Mayordomo, sich tief bückend.

»Ah, Maestro Anselmo!« stöhnte der Marquis fort, »Ihr seid noch immer der alte; aber, Santisima Madre! werdet Ihr es glauben, daß, als wir aus unserer Loge traten, einer jener Gavecillas an uns heranrannte, schreiend: Moncada! Moncada! Alter Moncada! So hieß er uns, Maestro Anselmo«, klagte der zahnlose Marquis, und seine erdfahlen Lippen zitterten. »So hieß er uns,« fuhr er fort, »die wir doch von Sr. Exzellenz selbst nie anders als Vuestra Señoría begrüßt werden.«

»Und wie anders, Graciosisima Señoría?« versetzte der Mayordomo mit pflichtschuldigem Erstaunen.

»Ay, Maestro Anselmo! Ihr seid noch aus der alten Schule; aber diese ewigen Gritos und Pronunciamientos und Motines Verschiedene Arten des Aufruhrs. Grito, wie oben bemerkt, bedeutet den Aufruf zum Aufruhr, Pronunciamiento die Erklärung der Insurgenten, und Motin den Aufstand selbst. haben die guten alten Zeiten ganz verdorben.«

»Ah«, fiel ein zweiter Marquis ein, der im blutroten Taffetrocke zu Ehren der spanischen Nationalfarbe prangte, »ah, aber Se. Exzellenz der Allergnädigste haben doch mit Hochdero eigenem Munde huldreich versichert, daß diese Gritos und Motinos jetzt ihr Ende haben sollen, und Se. Exzellenz der Allertapferste haben gleichfalls bei allen Heiligen zu beteuern geruht, daß in sechs Monaten kein Rebelle mehr den Boden Neuspaniens besudeln solle.«

»Bitte um Vergebung, Euer Gnaden,« sprach ein alter Conde, »aber wir erlauben uns eine untertänige Bemerkung um so mehr, als diese von äußerster Importanz ist. Euer Gnaden Herrlichkeit sagten nämlich: Se. Exzellenz der Allergnädigste, wo doch das Prädikat Allergnädigster bloß der Magestad zukommt.«

»So kommen wir de pregonero a verdugo Buchstäblich: vom Ausrufer zum Henker., von den Federn aufs Stroh«, fiel der Mayordomo ein, der nicht ohne Unwillen den Edelleuten zugehört hatte. »Ah, Señorias, unser Sprichwort, sagt: Aún falta el rabo por desollar; sie haben dem Tiere das heißt der Rebellion, noch nicht die Haut über den Kopf gezogen, und ich fürchte, sie wird eher uns abgezogen werden.«

Es ist eine merkwürdige Eigenheit des Spaniers, daß er bei all seinem Stolze und seiner Härte wieder dem Hausdiener eine Familiarität erlaubt, die selbst in unserem Lande, wo der Diener so sehr auf Gleichheit Anspruch macht, auffallen würde. Dieses vertrauliche Verhältnis zwischen Befehlenden und Gehorchenden ist noch weit auffallender bei seinen amerikanischen Nachkommen, den seine großen, leicht erworbenen Reichtümer vielleicht veranlaßten, die Zahl seiner Domestiken so sehr zu vermehren, daß sie mehr dem Trosse eines Kronvasallen aus den Zeiten Ferdinands und Isabellas, als der Dienerschaft eines Neuadeligen gleicht. Auch das Verhältnis zwischen Befehlenden und Gehorchenden hat mehr von der franken Offenheit des Knappen, als der bezahlten Dienstbeflissenheit unserer Mietlinge, und, gleich den Knappen des alten Rittertums, besitzt der Kreolendiener alle Würde und allen männlichen Ernst dieser bloß noch in Romanen lebenden Menschenklasse. Unter der zahlreichen Dienerschaft eines mexikanischen Haushalters nimmt natürlich der Mayordomo den ersten Rang ein, und das Vertrauen, das eine solche Stelle bekundet, gibt ihm häufig eine gewichtige Stimme nicht bloß in der Familie, sondern im ganzen Adel, um so mehr, als die Mayordomos, in eine Gilde vereinigt, sich bedeutender Privilegien erfreuen und als die Häupter der Dienerschaft des sämtlichen Adels dessen Angelegenheiten leiten.

Der Mayordomo daher, weit entfernt, durch seine Einreden Befremden zu erregen, war, sowie er den Mund öffnete, der Wortführer der hochadeligen Sieben geworden, die, vielleicht froh, ihren einigermaßen dürftigen Gedankenvorrat durch neue Ideen aufzufrischen, sich nun sämtlich an ihn wandten.

»Ay, Anselmo ist ein geschickter alter Kauz«, bemerkte der Conde Irún; eine Bemerkung, welche die übrigen zu bekräftigen nicht ermangelten.

» Si, si, Señorías« fuhr der Mayordomo in demselben ehrfurchtsvollen Tone fort, »wir haben nun den Tezcuco siebzig Male steigen und wieder fallen gesehen, aber in diesen siebzig Jahren unseres Lebens noch nicht so viele Lügen gehört als in den letzten achtzehn Monaten. Ei, lesen Sie, gnädigste Herrschaften, die Gazeta, die einzige, deren sich Mexiko erfreut – Jesú und José! Achtundachtzigmal, genau gezählt, sind nun bereits die Rebellen vernichtet, und achtundachtzigmal sind sie immer wieder von den Toten auferstanden. Ich sage, Señores, der alte Anselmo sagt es, das alte spanische Sprichwort meint wohl: » Ningún español miente Kein Spanier lügt., aber das neuere sagt: Dejar en el tintero Buchstäblich: im Tintenfasse es lassen; die Sache für sich behalten.. Ay, und Se. Exzellenz sind nur zu klug für Mexiko.«

Die Worte des Mayordomo hatten die alten Marquis zu einer langen Pause gebracht.

»Und«, fragte der Conde de Istla, »was glaubt nun Maestro Anselmo?«

»Alles, was die Kirche zu glauben gebietet«, sprach der alte Mann mit einem einfältigen und wieder schlauen Blinzeln, »und das ist hinlänglich. Wie sollte der arme Anselmo auch anders, da so viele erlauchte Herrschaften selbst glauben und geschehen sein lassen müssen, daß ihnen ihre hochgebornen Herren Söhne vor der Nase weggenommen und in die Armee gesteckt und vor den Feind geschickt werden.«

»Jesu Maria!« riefen sämtliche Kavaliere, »so ist es denn wahr, was man sich allenthalben zuflüstert?«

»Und Señorias wissen das nicht?« rief der Mayordomo erstaunt aus.

»Und glaubt Ihr wirklich,« fragte der Marquis Moncada, »daß die Rebellen es wagen werden, auf die Söhne der höchsten mexikanischen Nobilitad zu schießen?«

»Jesús Maria! Was sollten sie anders?« versetzte der Mayordomo, dem die naive Frage doch einigermaßen zu bunt vorkam.

»Sachte, sachte, Maestro Anselmo!« sprach der alte Marquis, »Ihr ohne Zweifel seid nicht so sehr von Ehrfurcht für unsere hochadeligen Familien durchdrungen, da Ihr einigermaßen der Gesellschaft des hohen Adels täglich, ja stündlich zu genießen gewürdigt werdet; aber die Cabecillas, die unsere Personen nur von ferne schauen, diese, sollten wir billig meinen, würden von einem heiligen Schauer ergriffen werden.«

Der alte Mayordomo war ungeduldig geworden. »Und werden sie«, fragte er mit einiger Heftigkeit, »von einem heiligen Schauer ergriffen, wenn sie die spanischen Generale und Obersten totschießen? Und waren Hidalgo und seine Patrioten von einem heiligen Schauer ergriffen worden, als sie in Guanaxuato Lies Guanajuado. reich und arm über die Klinge springen ließen?«

Dieses Argument entschied. Der Marquis und seine Compairs stierten den Mayordomo mit einem geisterartigen Grinsen an. »Aber Anselmo!« rief er, »Jesu Maria, der Mann spricht wahr! Aber Anselmo!« Und er trippelte im Saale herum. »Lasse, nein, lasse nicht; sogleich wollen wir zum Virey – ja, zum Virey – Jesu! Wenn wir noch an die Leiden gedenken, die uns Se. Exzellenz, der Virey Gálvez, verursachte, als es ihm beifiel, das Lager bei Tacubaya zu halten. Señorias wissen, wir waren Obersten in der Miliz. Jesús, Maria y Jose! Wenn wir noch daran denken, rüttelt es uns wie Fieberfrost. Wir waren drei Wochen krank vor Schrecken. Denken Sie sich, Señorias, fünf volle Stunden mußten wir zu Pferde sitzen, und keiner von unserem Servidumbre Dienerschaft. durfte sich uns nähern, um über unsere Person den Sonnenschirm zu halten. Und die vielen tausend Gewehre, die alle mit Pulver geladen und mit Bajonetten bespießt waren; jeden Augenblick waren wir in Gefahr, eines möchte zerplatzen. Und stechen«, fragte der alte Marquis sehr naiv, »die Rebellen auch mit Bajonetten und schießen sie mit Pulver?«

»Und mit Blei«, versetzte der Mayordomo trocken.

»Jesu, Jesu!« stöhnte der Marquis wieder und mit ihm die übrigen. »Ja,« kreischte er, »das kommt alles von der Aufklärung und den Neuerungen. Seit der Zeit, wo Se. Exzellenz der Virey Revillagigedo naseweis genug waren, dem Volke klar und bündig vor Augen zu legen, wie es nur in der Ciudad Mexiko allein hundertmal stärker an Zahl sei als unsere gnädigen Gebieter Diese Volkszählung wurde im Jahre 1790 unternommen und der Vizekönig, einer der wenigen rechtlichen Männer, die diese hohe Stelle bekleideten, sehr deswegen getadelt.. Ei, diese unglückselige Volkszählung! Sagt ja schon die heilige Schrift, daß Don David dafür von Gott bestraft wurde; nicht wahr, Señorias?« fragte der über seine Schriftgelehrsamkeit selbst erstaunte Marquis seine Mitkavaliere.

»Und dann seit der Zeit,« fiel der Mayordomo ein, »wo man das ganze Mexiko zwang, durch Brillen zu sehen. – Ei, Señores, die zweitausend Kisten Brillen, die das Cadixer Consulado von den Holländern erhandelt und weshalb wir und unsere unbehosten und unbeschuhten Indianer auf Anordnung Sr. Exzellenz des Virey Brillen bei hoher Strafe tragen mußten. Señorias! Wenn man das Volk mit Gewalt zwingt, helle zu sehen, dann muß man sich die Folgen gefallen lassen.«

Es entstand wieder eine Pause. Die komisch absurde Tatsache, daß wirklich ein Volk von mehreren Millionen Menschen gezwungen worden war, Brillen zu tragen, weil ein solcher Artikel, von der privilegierten Kaste der Cadixer Kaufleute erhandelt, sonst zu verliegen gedroht hätte, hatte die Kavaliere in ihren Klagen über die Folgen der Aufklärung ganz aus dem Konzepte gebracht.


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