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Neuntes Kapitel.

So voller Phantasien
Ist Liebe, daß nur sie phantastisch ist.

Shakespeare.

» Tío Onkel, Vetter; scherzweise werden häufig auch Bauern und Fuhrleute so begrüßt.!« rief das entzückend schöne Kind, das nun, den Schleier weit zurückgeworfen, durch die obere Saaltüre hereinstürzte und dem Grafen in unsäglichem Schmerze an den Hals flog, mehrere Dienerinnen hinter ihr drein: » Tío! Tío!« rief sie, und ihre kastanienbraunen Locken rollten wild um den herrlichsten Alabasternacken, der sich je über einen weiblichen Busen erhob; » Tío! Tío! Por el amor de Dios! Por la santissima madre! Tío! Tío!!« Um der Liebe Gottes, der allerheiligsten Jungfrau willen! rief sie, ihn fester umschlingend, daß Perlen- und Diamantenbänder von dem Halse und den Armen brachen und auf die Estera rollten. » Oh Tío mio! Amigo mio, padre mio, corazon mio!« O mein Oheim, mein Vater, mein Herz.

» Niña!« bat der Graf mit bebend zärtlicher Stimme, sich liebevoll über das herrliche Geschöpf herabneigend, » Niña, Niña mea! Que es este?« Nina, meine Nina, was ist es? Was fehlt dir?

» Tío! Tío!« rief sie wieder, ungestümer schluchzend, indem sie seinen Hals fahren ließ, seine Hände erfaßte und ihm wie wahnsinnig in die Augen stierte.

» Es verdad?« Ist es wahr? flüsterte sie leise, als wäre sie vor dem Tone ihrer eigenen Stimme erschrocken. » Perdido para siempre?« Verloren auf ewig? stöhnte sie aus hohler Brust: » Dedischada Elvira!« Unglückliche Elvira!

Der Conde wandte sein Gesicht in sprachlosem Schmerze weg. » No sé!« flüsterte er.

» Perdido para siempre! Verloren auf ewig! Auf ewig!« rief sie wild, und mit einem Risse war der Schleier von ihrem Haupte, die noch übrigen Geschmeide vom Hals, Arm und Haupt, das herrliche Geschöpf tobte in seiner lieblich wilden Raserei.

»Niña!« rief der Graf im sanft verweisenden Tone, »Niña, fasse dich, Gräfin Elvira, fasse dich!« rief er stärker, sie in seine Arme schließend.

Sie warf sich wieder an seinen Hals, sah ihn starr an; dann ließ sie einen Arm sinken, ihr Köpfchen fing an, sich zu neigen, ihre Gestalt senkte sich, so daß die Finger der einen Hand die Estera berührten; nur die andere hielt sich um den Hals des Grafen krampfhaft verschlungen.

Das herrliche Geschöpf hing reizend in bewußtlosem Jammer um den Nacken des Conde. Ihr dunkelblaues, seelenvolles Auge nun halb geschlossen, nun wieder trostlos zum Grafen aufblickend; ihre Gestalt leicht, luftig, elastisch; ihre Hände, als wenn sie von Alabaster geformt wären, die eine noch immer um den Hals des Grafen geschlungen, die andere die Estera berührend – das wunderliebliche Wesen konnte kaum mehr als dreizehn Jahre zählen; aber in diesem zarten, jugendlichen Busen wohnte bereits die süße Empfindung mit aller Stärke südlicher Glut. Wie sie so hinabging, hatten ihre Frauen einen Kreis um sie gebildet, der Mayordomo mit derselben Delikatesse die sämtliche Dienerschaft zurückgeschoben, der Conde sie in seine Arme erfaßt und, unterstützt von ihren Dienerinnen, sie in eines der anstoßenden Gemächer getragen, wo er sie auf eine Ottomane niederließ. Das holde Geschöpf ließ alles mit sich geschehen; erst als sie auf dem Sofa halb lag, halb saß, rief sie schluchzend, ihre tränenschweren Augen auf den Conde gerichtet: » Tío!«

»Niña!« antwortete dieser.

»Oh, ich wußte es!« lispelte sie in jener süßen, unendlich reizenden Vergessenheit der Töchter ihres Landes: »Niña wußte es! Sie liebt ihn, er ist ihr Corazón Herz., sie sein Estrella Stern., die Morgenröte ihrer Hoffnung.«

»Wen liebt er? Wen liebt sie? Wer ist ihr Corazon?« fragte hastig der Graf.

Sie blickte scheu auf. » Tío! Tío! Was habe ich gesagt? Das Geheimnis seiner Liebe verraten, seiner Liebe? Unglückliche!« flüsterte sie sich schaudernd zu. »Er liebt dich nicht mehr, und du, du willst ihn verraten?«

»Wen liebt er?« rief der Graf heftiger. »Niña, um Gottes willen! Wen liebt er? Sage!«

Das Mädchen blickte ihn erschrocken an, und, als wäre sie von einem Fieberschauer ergriffen, rief sie, am ganzen Körper zitternd: »Nein, nein, Elvira will ihn nicht verraten! Er liebt sie! Virgen Santa! Seine Liebe selbst ist Verrat!« murmelte sie leiser.

»Ich weiß, wen er liebt. Ich weiß, wer ihn liebt«, sprach der Graf, der wechselweise zur Condessa herangetreten und wieder ungestüm im Kabinette auf- und abgeschritten war. »Ruhig, Niña! Ruhig, Condessa! Tochter meines teuersten Freundes! Tor und Elender!« fuhr er mit unterdrückter Stimme fort, »da seine Hoffnungen dort fußen wollen, wo Mexikos Fluch anhebt und endigt! Nein, Elvira,« sprach er, sich stolz erhebend, »die herrliche Tochter eines der edelsten Mexikaner soll nur einen Mexikaner glücklich machen! Niña, ruhig! Ich bitte dich! So er deiner würdig ist, so soll ihn dir die Macht der Hölle selbst nicht entreißen; hat er aber Mexiko verraten, hat er sich mit den unversöhnlichen Feinden Mexikos zu seinem Verderben ins Bündnis begeben, dann, dann wird«, rief er mit heftiger Stimme, »ihn auch Condessa Elvira zu verachten wissen!«

Der Graf hatte in der heftigen Bewegung die Hand des Mädchens erfaßt; sie sah ihn mit tränenschweren Augen an.

»Verachten?« sprach sie leise. »Verachten?« wiederholte sie, das Köpfchen schüttelnd. »So magst du den Popocatepetl verachten, weil er sein Haupt stolz über die Berge Tenochtitlans erhebt? Manuel verachten, den ersten der Söhne Mexikos? Unglückliche Elvira! Wenn du dies könntest, wie müßte dein Herz für alles Edle, Große, Ritterliche erstorben sein! Beweinen will ihn Elvira, beweinen!« schluchzte sie, mit ihren langen Locken spielend, deren künstliches Gerölle sie erfaßte und mit einem Schnitte vom herrlichen Kopfe trennte.

»Niña!« rief der Graf böse.

Sie hörte nicht, sie sah nicht. Sie bemerkte nicht, daß ein Indianer in das Zimmer getreten war, der, zwischen sie und den Grafen schreitend, die Hand des letzteren erfaßte.

Der Conde, erstaunt über diese Erscheinung, war einen Schritt zurückgetreten.

»Gott segne Euch, Conde San Jago, für die Worte, die Ihr soeben gesprochen«, sagte der Indianer mit einer ernsten, feierlichen Stimme. »Gott segne Euch mit seinem stärksten Segen!«

»Wer bist du, Tatlí?« fragte der überraschte Conde mit einigem Unwillen und in heftigem Tone.

Eine zweite Gestalt trat aus demselben verborgenen Gemache.

»Jago!« rief der Conde im Tone des höchsten Erstaunens, »Jago, und du wagst es – –«

»Nach Mexiko zu kommen, Conde,« sprach Jago mit Würde, »und daß ich es wage, bürgt Euch für den hohen Preis, den wir auf Euch setzen; doch, wir haben keine Minute Zeit«, und mit diesen Worten nahm er von dem Kopfe des Indianers die Perücke von langen, straffen, indianischen Haaren, hob die Larve von seinem Gesichte weg und zeigte dem Grafen in dem Indianer einen alten, aber äußerst würdevollen Mann, dessen feuriger Flammenblick mit dem tiefen, wehmütigen Ernst des Gesichtes eine der schönsten Physiognomien bildete.

Der Graf trat zwei Schritte zurück: »Mor –!«

»Ja,« sprach der Greis, »der bin ich; gekommen, um Conde Jago im Namen des unglücklichen Mexiko um seinen Beistand, seinen Rat, seine Hilfe zu bitten.«

Der Graf sah den Greis sprachlos an.

»Und wo ist Hermano Carlos Bruder.?« rief die Condessa, die aufsprang, einen Leuchter vom Tisch riß und die beiden Gestalten beleuchtete, dann, sich auf die Stirne schlagend, wie im Traume murmelte: » Virgen Santa! qué distraida soy! Estoy loca? Heilige Jungfrau, ich habe meinen Verstand verloren! Elvira ist wahnsinnig! Ihn verachten?« lispelte sie, im Kabinette rasch auf- und abrennend und ungeduldig den silbernen Leuchter auf den Tisch schleudernd: »Ihn aus dem Herzen reißen? Arme Törin, das kannst du nicht; aber beten, beten kannst du für ihn!« Und indem sie dieses sprach, eilte sie einem Fußschemel zu, über dem eine Madonna von gediegenem Golde stand, über der Figur eine Lampe von gleichem Metalle; das Bild an ihren Busen drückend, rief sie:

»Lästere nicht Tío! Lästere ihn nicht!« und dann verschmolz ihre Stimme in das süße Flüstern der innigsten, vertrauendsten Andacht zur Trösterin mexikanischer Herzen.

Es wurden draußen Fußtritte hörbar. Der Graf faßte die beiden Männer, riß die Türe des verborgenen Kabinettes auf und schob sie rasch hinein.

»Gäste!« verkündete der Gentilhombre Page. des Grafen, der, gefolgt von der Dueña, in das Kabinett eintrat. »Ihre Herrlichkeiten die Grafen Fagoagos, Istlas, Irún, die Marquis Moncada, Gómez, Iguala.«

»Die Condessa«, bedeutete ihn der Graf, »wird die Honneurs des Hauses machen, sobald sie ihre Andacht verrichtet.«

Die Gräfin betete noch eine Weile; dann stand sie auf und folgte, lieblicher noch durch den Anflug von Schmerz, den beiden Dienern in den Besuchssaal.


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