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Zwölftes Kapitel.


»Wär Wilhelm nur, mein Sohn, jetzt hier,
       Er brach noch nie sein Wort!«
Mit wildem Blick trat an die Thür
       Ein Pag', rief zeigend: »Dort,
»Dort sahn wir sie, o Herr, wir sahn,
       »Am Dorngebüsch sie zieh'n,
»Wie schwarzgepanzert sie sich nahn
       »Und eilend »Rache!« schrien!«

Heinrich Mackenzie.

Die kleine Gesellschaft im Jagdschlosse war um acht Uhr zum Abendessen versammelt. Sir Heinrich Lee stand, ohne das Essen zu berühren, das auf den Tisch gestellt war, bei einer Lampe am Kamin, und las mit trauriger Aufmerksamkeit einen Brief.

»Schreibt Ihnen mein Sohn ausführlicher als mir, Doktor Rochecliffe?« sagte der Ritter. »Hier schreibt er blos, er würde wahrscheinlich heute Abend zurückkommen, und Herr Kerneguy müsse bereit seyn, gleich mit ihm aufzubrechen. Was kann diese Eile bedeuten? Haben Sie von abermaligen Nachsuchungen nach unserer duldenden Parthei gehört? Ich wollte doch, Sie ließen mich meines Sohnes Gesellschaft nur einen Tag lang in Ruhe genießen.«

»Die Ruhe, die davon abhängt, daß die Gottlosen aufhören, Störungen zu verursachen,« sagte Doktor Rochecliffe, »hängt nicht an Tagen und Stunden, sondern an Minuten. Ihr Gemetzel bei Worcester hatte sie auf einen Augenblick gesättigt, aber ihre Blutgier ist, glaube ich, wieder erwacht.«

»Sie haben also deshalb Nachrichten?« sagte Sir Heinrich.

»Ihr Sohn,« erwiederte der Doktor, »schrieb mir durch denselben Boten. Er versäumt es selten, da er weiß, wie wichtig es ist, daß ich alles erfahre, was vorgeht. Für Mittel zum Entkommen ist an der Küste schon gesorgt, und Herr Kerneguy muß zum Aufbruch mit Ihrem Sohne bereit seyn, sobald derselbe ankommt.«

»Es ist doch sonderbar,« sagte der Ritter, »vierzig Jahre lang habe ich in diesem Hause gewohnt, als Kind und als Mann, nur darauf bedacht, wie wir den Tag hinbringen sollten; denn wenn ich nicht eine Jagd oder dergleichen vorhatte, so hätte ich hier so ungestört wie ein schlafender Hamster von einem Ende des Jahres bis zum andern in meinem Armsessel sitzen können. Jetzt aber bin ich wie ein Hase im Lager, der nicht anders schlafen darf, als mit offenen Augen, und davon jagt, sobald der Wind im Farrenkraute rasselt.«

»Es ist eigen,« sagte Alexia mit einem Blick auf Doktor Rochecliffe, »das der rundköpfige Sekretär Ihnen nichts davon gesagt hat, er ist doch sonst geschwätzig genug über die Bewegungen seiner Parthei, und ich sah Sie heute Morgen doch dicht bei ihm.«

»Ich muß heut Abend noch mehr in seine Nähe,« sagte der Doktor düster, »aber der plaudert nicht.«

»Wenn Sie ihm nur nicht zu sehr trauen,« entgegnete Alexia. »Mir hat dieses Mannes Gesicht bei all' seiner Schlauigkeit einen so finstern Ausdruck, daß mir es ist, als läs ich den Verrath schon in seinem Auge.«

»Seyn Sie überzeugt, dafür ist gesorgt,« antwortete der Doktor in demselben Unglück weissagenden Tone, wie zuvor. Niemand erwiederte etwas, und ein ängstlich schauerliches Gefühl der Besorgniß schien die Gesellschaft auf einmal zu überfallen, gleich jener Empfindung, in der solche Constitutionen, die dem electrischen Einflusse besonders unterworfen sind, sich eines herannahenden Ungewitters bewußt werden.

Der verkleidete Monarch, der benachrichtigt war, schnell seinen bisherigen Zufluchtsort zu verlassen, fühlte auch seinen Antheil an den trüben Empfindungen, welche die kleine Gesellschaft ergriffen hatten. Aber er war der Erste, der es abschüttelte, indem es weder seinem Charakter noch seiner Lage zusagte. Frohsinn war der Hauptzug des Ersteren, und Letztere forderte Geistesgegenwart, nicht Niedergeschlagenheit.

»Wir machen uns durch Schwermuth die Stunde nur noch schwerer,« sagte er, »wär es nicht besser, Fräulein Alexia, Sie vereinten sich mit mir, um Patrick Carey's lustiges Lebewohl zu singen? – Ach! Sie kennen Carey nicht – einen jüngeren Bruder von Lord Falkland?«

»Ein Bruder des unsterblichen Lord Falkland, und schreibt Lieder?« sagte der Doktor.

»O Doktor, die Musen nehmen den Zehnten so, gut als die Kirche,« sagte Karl, »und haben ihren Antheil an jeder Familie von Stande. Sie kennen die Worte nicht, Fräulein Alexia, aber Sie können doch wenigstens beim Chor mit einstimmen:

Kommt jetzt, eh' wir scheiden: Eins wett' ich statt Zehn,
Nie werd ich von Woodstock den Thurm wieder sehn,
Laßt trinkend und scherzend als Männer uns stehn,
Froh gehe der Becher ringsum.

Der Gesang hub an, aber ohne Feuer. Es war eine jener Bemühungen nach erzwungener Fröhlichkeit, die mehr als jede andere Weise des Ausdrucks, den Mangel an wahrem Frohsinn recht deutlich zu erkennen giebt. Karl hielt inne, und schalt die Sänger des Chors.

»Sie singen ja, liebes Fräulein Alexia, als wären es die sieben Bußpsalme, und Sie, guter Doktor, als wenn Sie die Seelenmesse hersagten.«

Der Doktor stand hastig vom Tische auf, und wandte sich zum Fenster, denn der Ausdruck stimmte sonderbar mit dem Geschäft überein, was er den Abend vorhatte. Karl sah ihn mit einigem Erstaunen an; denn die Gefahr, in der er lebte, machte ihn aufmerksam auf die geringsten Bewegungen derer, die ihn umgaben – dann wandte er sich zu Sir Heinrich und sagte: »mein geehrter Wirth! können Sie mir irgend einen Grund für diese düstere Laune angeben, die uns Alle so seltsam überfallen hat?«

»Ich nicht, lieber Louis,« erwiederte der Ritter, »ich verstehe mich nicht auf diese feinen philosophischen Spitzfindigkeiten. Eben so leicht könnte ich's unternehmen, Ihnen den Grund anzugeben, warum sich Bevis dreimal herumdreht, ehe er sich hinlegt. Ich kann nur, was mich betrifft, sagen, daß wenn Alter und Sorge und Ungewißheit hinreichend sind, den Frohsinn zu zerbrechen, oder ihn wenigstens dann und wann zu biegen, so habe ich meinen Antheil daran, so daß ich wenigstens nicht sagen kann, daß ich traurig bin, blos weil ich nicht lustig bin. Ich habe nur zu viel Ursache zur Traurigkeit. Ich wollte, ich hätte meinen Sohn da, wäre es auch nur auf eine Minute.«

»Das Schicksal schien für dasmal geneigt, dem alten Manne den Wunsch zu gewähren; denn in dem Augenblick trat Albert Lee hinein. Er hatte ein Reisekleid an, und schien einen starken Ritt gemacht zu haben. Beim Eintritt sah er sich eilig um, eine Sekunde ruhte sein Auge auf dem des verkleideten Prinzen, und zufrieden mit dem Blick, den er als Antwort erhielt, eilte er nach der Sitte jener Zeit, vor seinem Vater niederzuknien, und ihn um seinen Segen zu bitten.

»Er ist Dein, mein Sohn,« sagte der alte Mann, indem ihm eine Thräne ins Auge kam, wie er seine Hand auf die langen Locken legte, die des jungen Cavaliers Rang und Grundsätze auszeichneten, und die, gewöhnlich mit einiger Sorgfalt gekämmt und gekräuselt, ihm jetzt wild und unordentlich um die Schulter hingen. Sie blieben einen Augenblick in dieser Stellung, als der alte Mann plötzlich auffuhr, wie wenn er sich der Bewegung schämte, die er vor so vielen Zeugen geäußert hatte, und schnell mit der Hand über die Augen fahrend, Alberten aufstehen und an sein Abendessen denken hieß, »denn Du bist gewiß,« sagte er, »stark und weit geritten, seitdem Du zuletzt einkehrtest, und wir wollen einen Becher auf seine Gesundheit leeren, wenns dem Doktor Rochecliffe und der Gesellschaft gefällig ist. – Josselin, Du Schurke, schenk ein – Du siehst ja aus, als wäre Dir ein Geist erschienen?«

»Josselin,« sagte Alexia, »ist krank aus Mitgefühl – einer von den Hirschen ist heute auf Phöbe Maiblume angelaufen, und Josselin mußte ihr zu Hülfe kommen, um das Thier abzuwehren – das Mädchen hat Krämpfe, seitdem sie zu Hause gekommen ist.«

»Die alberne Dirne,« sagte der alte Ritter – »Und ist doch eines Jägers Tochter! – Aber Josselin, wenn der Hirsch bös wird, mußt Du nach ihm schießen.«

»Es ist nicht mehr nöthig, Sir Heinrich,« sagte Josselin, der die Worte mit Mühe herausbrachte, »er ist jetzt ruhig genug – er wird auf die Weise Niemanden wieder etwas zu leide thun.«

»Sieh ja darauf,« erwiederte der Ritter, »bedenke, daß Fräulein Alexia oft im Jagdgehege spazieren geht. – Und nun schenk Allen ein, und schenk Dir auch einen Becher ein, daß Du deine Furcht roth übermalst. – Laß es gut seyn, Phöbe wird schon wieder gesund werden – sie schrie und lief nur, daß Du das Vergnügen haben solltest, ihr zu Hülfe zu eilen. – Sieh doch was Du thust, und verschütte nicht so den Wein. – Kommt, auf die Gesundheit unsres Wanderers, der zu uns zurückgekehrt ist. «

»Niemand wird da lieber anstoßen, als ich,« sagte der verkleidete Prinz, indem er so ohne daran zu denken, eine Wichtigkeit annahm, wozu ihn die Rolle, die er spielte, eben nicht berechtigte, aber Sir Heinrich, der den vermeintlichen Pagen mit allen seinen Eigenheiten lieb gewonnen hatte, sprach nur einen leisen Tadel über seine Beweglichkeit aus. »Du bist ein lustiger, gutmüthiger junger Mensch, Louis,« sagte er, »aber es ist doch zum Verwundern, wenn man sieht, wie die Vorschnelligkeit des jetzigen Geschlechts den Ernst und die Ehrerbietung bei Seite geschoben hat, die man in meiner Jugend so regelmäßig gegen die von höherem Rang und Stand beachtete – ich hätte eben so wenig meiner eigenen Zunge den Zügel schießen lassen dürfen, wenn ich mich in der Gesellschaft eines Doktors der Theologie befand, als ich in der Kirche während des Gottesdienstes reden durfte.«

»Wohl wahr,« sagte Albert eilig einfallend, »aber Herr Kerneguy hatte jetzt um so eher ein Recht zu sprechen, da ich sowohl seine Geschäfte als meine besorgt, mehrere seiner Freunde gesehen habe, und ihm wichtige Nachrichten bringe.«

Eben wollte Karl aufstehen und Alberten bei Seite rufen, da er natürlich ungeduldig war, zu erfahren, was er ihm für Nachrichten mitgebracht, oder was für ein Plan zum sicheren Entkommen nun für ihn entworfen worden sey. Aber Doktor Rochecliffe zupfte ihn am Mantel, um ihn durch diesen Wink zum Stillschweigen zu vermögen, und keinen außerordentlichen Anlaß zur Unruhe zu zeigen, indem im Fall der plötzlichen Entdeckung seines wahren Ranges Sir Heinrich Lee's heftige Empfindungen zu viel Aufmerksamkeit hätten erregen können.

Karl erwiederte daher nur auf des Ritters Verweis, er habe ein besonderes Recht, dem Oberst Lee seinen Dank rasch – und ohne Umstände auszudrücken – Dankbarkeit sey dem unterworfen, sich zu vergessen – er sey Sir Heinrich sehr für seine Ermahnung verbunden, und er möchte nun Woodstock verlassen, wenn er wollte, »so wäre er überzeugt, daß er es als ein besserer Mensch verließe.«

Seine Rede war natürlich, dem Anschein nach, an den Vater gerichtet; aber ein Blick auf Alexia versicherte dieser, daß sie ihren vollen Antheil an dem Complimente habe.

»Ich fürchte,« schloß er, sich zu Albert wendend, »Sie sind gekommen, um uns zu sagen, daß unser Aufenthalt hier nur noch sehr kurze Zeit dauert.«

Nur wenige Stunden,« sagte Albert – »nur eben so viel zur nöthigen Ruhe für uns und unsre Pferde. Ich habe mir zwei gute, erprobte Thiere verschafft, aber Doktor Rochecliffe hielt mir nicht Wort; ich erwartete unten in Josselins Hütte, wo ich die Pferde gelassen habe, Jemanden zu finden, und da Niemand da war, so hielt es mich wohl eine Stunde auf, sie selber zu besorgen, damit sie zum Morgen bereit seyn möchten – denn wir müssen noch vor Tagesanbruch fort.«

»Ich – ich – gedachte Tomkins zu schicken – aber – aber –« stotterte der Doktor. –

»Der rundköpfige Schurke war vermuthlich betrunken, oder nicht bei der Hand?« antwortete Albert. – »Es ist mir lieb – Sie könnten ihm leicht zu sehr trauen.«

»Bis jetzt war er treu,« sagte der Doktor, »und ich glaube kaum, daß er mir jetzt noch untreu werden wird. Aber Josselin kann hinuntergehen, und die Pferde zum Morgen bereit halten.«

Josselin's Gesicht war gewöhnlich die Munterkeit selbst bei jedem außerordentlichen Falle. Jetzt aber schien er zu zögern.

»Sie werden doch ein Stückchen mit mir gehen,« sagte er, indem er sich dicht an Rochecliffe drängte.

»Was? Du Narr! Du Tölpel!« sagte der Ritter, »verlangst Du, der Doktor soll Dir um diese Zeit Gesellschaft leisten? – Den Augenblick geh' hinunter in die Hütte, oder ich schlage Dir den Bubenschädel ein.«

Josselin sah mit Angst auf den Geistlichen, als wollte er ihn bitten, sich für ihn zu verwenden. Aber als dieser eben sprechen wollte, erhob sich ein höchst melancholisches Heulen an der Thür der Halle, und man hörte einen Hund kratzen, als wenn er hereinwollte.

»Was ficht denn Bevis an?« sagte der alte Ritter, »ich glaube, das muß aller Narren Tag seyn; denn Alles um mich her wird verrückt.«

Derselbe Ton schreckte auch Alberten und Karln aus einem Privatgespräch auf, das sie miteinander hatten, und Albert lief zur Thür der Halle, um – selbst die Ursach des Lärmens zu untersuchen.

»Das Heulen ist kein Lärmschlagen,« sagte der alte Ritter zu Kerneguy, »denn in solchen Fällen bellt der Hund in kurzen, scharfen und wüthenden Tönen. Dieses lange und gedehnte Heulen soll Unglück bedeuten. So heulte Bevis Großvater die ganze lange Nacht hindurch, in der mein Vater starb. Wenn es jetzt als eine Vorbedeutung kommt, so gebe nur Gott, daß es die Alten und Nutzlosen treffe, und nicht die Jungen, die noch dem Könige und dem Vaterlande dienen können.«

Der Hund hatte sich beim Oberst Lee vorbeigedrängt, der eine Welle an der Thür der Halle stehen blieb, um zu horchen, ob sich draußen etwas regte, indeß Bevis in das Zimmer kam, wo die Gesellschaft sich versammelt hatte, etwas im Maule trug, und in einem ungewöhnlichen Grade das Gefühl der Pflicht und Theilnahme äußerte, das ein Hund zu zeigen pflegt, wenn er meint, daß ihm etwas Wichtiges übertragen ist. Er trat daher mit hängendem Schwanze, Kopf und Ohren heran, und ging mit der stattlichen, aber melancholischen Würde eines Kriegsrosses bei dem Leichenbegängnisse seines Herrn. Auf diese Weise ging er durch das Zimmer gerade auf Josselin zu, der ihn erstaunt angesehen hatte, und ein kurzes, melancholisches Geheul ausstoßend, legte er das, was er im Maule trug, zu seinen Füßen. Josselin bückte sich, und nahm von dem Boden einen Männerhandschuh auf, von der Art, wie die Reiter sie trugen, und die einigermaßen den alten Fechthandschuhen glichen, indem dickes Leder von dem Handgelenke aus fast bis zum Ellenbogen hinauf ging, und so den Arm gegen einen Hieb sicherte. Aber Josselin hatte kaum das angeblickt, was an sich selbst ein sehr gewöhnlicher Gegenstand schien, als er es aus der Hand fallen ließ, zurücktaumelte und ächzend beinah niederstürzte.

»Nun so komme der Fluch der Memmen über Dich, Dummkopf,« sagte der Ritter, der den Handschuh aufgehoben hatte und ihn ansah. – »Du solltest in die Schule zurückgeschickt und durchgepeitscht werden, bis Dir das feige Blut ausgetrieben wäre. – Was siehst Du denn da weiter, als einen Handschuh, Du armselige Memme, und noch dazu einen sehr schmutzigen Handschuh? – Halt, hier ist Geschriebenes! – Joseph Tomkins? – Je, das ist ja der rundköpfige Bursch – wenn dem nur nicht ein Unglück widerfahren ist – denn das ist kein Schmutz auf dem Leder, das ist Blut – Bevis mag den Burschen gebissen haben, und doch schien der Hund ihm auch nicht feind zu seyn – oder der Hirsch kann ihn gestoßen haben. – Geh gleich, Josselin, sieh, wo er ist – stoß in's Horn,«

»Ich kann nicht gehen,« sagte Joliff, »wenn nicht,« und abermals sah er mit einem Jammergesicht auf Doktor Rochecliffe, der wohl merkte, daß er keine Zeit verlieren dürfe, des Försters Entsetzen zu beschwichtigen, da sein Dienst unter den jetzigen Umständen höchst nöthig war. – »Schaffe eine Hacke, einen Spaten und eine Blendlaterne,« flüsterte er ihm zu, »und erwarte mich in der Wildniß.«

Josselin verließ das Zimmer, und der Doktor erklärte erst die Sache dem Obersten Lee, ehe er ihm nachfolgte. Sein eigener Muth, weit entfernt, ihn bei dieser Gelegenheit zu verlassen, erhob sich vielmehr höher, denn Intriguen und Gefahr waren gewissermaßen sein natürliches Element. »Es hat hier einen garstigen Handel gegeben,« sagte er, »seit Sie fort sind. Tomkins benahm sich roh gegen das Mädchen, die Phöbe – Josselin und er kamen darüber zusammen, und Tomkins liegt nun todt im Dickicht, nicht weit vom Rosamundensbrunnen. Es wird nöthig seyn, daß Josselin und ich gleich hingehen, den Körper zu begraben, denn außerdem, daß einer darüber stolpern und Lärm machen könnte, wird der Bursch, der Josselin, nimmermehr zu etwas tauglich seyn, bis er unter die Erde ist. Obwohl der Förster sonst so kräftig wie ein Löwe ist, so hat er doch auch seine schwache Seite, und fürchtet sich vor einem todten Menschen mehr, als vor einem lebenden. Wann gedenken Sie morgen aufzubrechen?«

»Mit Tages Anbruch, oder auch noch früher,« sagte der Oberst Lee, »aber wir sehen uns schon noch wieder. – Ein Schiff ist besorgt, und ich habe an mehr als einem Orte Rastpferde stehen. – Wir gehen von der Küste von Sussex ab, und ich finde einen Brief in –, der mir den Ort, wo das Schiff liegt, genau angiebt.«

»Warum gehen Sie nicht lieber gleich?« sagte der Doktor. -

»Die Pferde würden drauf gehen, « erwiederte Albert, »sie sind heute scharf mitgenommen worden.«

»Leben Sie wohl,« sagte Rochecliffe, »ich muß zu meinem Geschäft. – Ruhen Sie unterdessen aus. – Einen erschlagenen Menschen zu verbergen, und in derselben Nacht einen König aus Gefahr und Gefangenschaft fortzubringen, sind zwei Dinge, die wenigen Leuten außer mir zu Theil geworden sind. Doch darf ich wohl nicht jetzt, da ich erst den Harnisch anlege, mich schon rühmen, als wenn ich ihn nach dem Siege schon wieder ablegte.« Hiermit verließ er das Zimmer, wickelte sich in seinen Mantel, und ging in die sogenannte Wildniß hinaus.

Es hatte stark gefroren. Nebel lag in einzelnen Haufen über den Niederungen, doch war die Nacht, ungeachtet es nicht sternhelle war, doch auch nicht sehr dunkel, Doktor Rochecliffe konnte jedoch den Förster nirgends wahrnehmen, bis er ein oder zweimal sich geräuspert hatte, welches Signal Josselin dadurch beantwortete, daß er einen Schimmer aus seiner Blendlaterne sehen ließ. Hierdurch geleitet fand ihn der Geistliche an einen Strebepfeiler gelehnt, der früher eine jetzt eingestürzte Terrasse getragen hatte. Er hatte eine Haue und Schaufel in der Hand, und eine Rehhaut hing ihm über die Schulter.

»Was willst Du mit der Haut, Josselin,« sagte Doktor Rochecliffe, »daß Du sie bei einem solchen Vorhaben um Dich hängst?«

»Ja, sehen Sie, Doktor,« antwortete er, »es ist wohl am beßten, daß ich Ihnen erzähle, wie das zusammenhängt. Der Mann und ich – der da – Sie wissen wohl, wen ich meine – hatten vor manchen Jahren einen Streit über dies Reh; denn ob wir gleich große Freunde waren, und Philipp mir zuweilen mit meines Herrn Erlaubniß bei meinen Amtsverrichtungen helfen durfte, so wußte ich doch bei dem allen, daß Philipp zuweilen ein Spitzbube war. Die Wilddiebe waren um die Zeit sehr verwegen geworden; denn das war gerade vor Ausbruch des Kriegs, wo die Menschen sich nicht mehr wollten behandeln lassen. – Und so traf sich's denn einmal, daß ich zwei Kerl mit schwarz bemalten Gesichtern und Hemden über den Kleidern im Jagdgehege fand, wie sie eben einen der schönsten Rehböcke, wie sie nur im Parke zu finden waren, fortschleppten. Ich fuhr gleich über sie her – der eine entwischte, den andern Burschen aber hielt ich fest, und wer war es anders, als der getreue Philipp Hazeldine? Ich weiß nicht, ob ich recht oder unrecht that, aber er war mein alter Freund und Zechbruder, und so ließ ich mir denn sein Wort gefallen, daß er's nicht wieder thun wollte. Er half mir nun den Bock an einen Baum aufhängen, und ich holte mir ein Pferd, um ihn ins Jagdschloß zu schaffen, und dem Ritter die ganze Geschichte zu erzählen, ohne Philipp's Namen dabei zu nennen. Aber die Spitzbuben waren mir zu fein gewesen; denn sie hatten das Reh abgezogen, zertheilt und fortgeschleppt, und hatten die Haut und die Hörner mit einem Reime dagelassen:

»Die Keulen Dir,
Der Ziemer mir,
Hörner und Haut dem Förster hier.«

Daran erkannte ich einen von den tollen Streichen Philipp's, die er jedem jungen Burschen im Lande spielte; aber ich war so erbittert, daß ich die Rehhaut von einem Lohgerber zurichten ließ, und schwur, sie sollte mein oder sein Leichentuch werden, und ob mich nun gleich mein unbesonnener Schwur gereut hat, so sehen Sie doch, Doktor, was endlich daraus geworden ist – der Teufel vergaß ihn nicht, wenn ich auch nicht weiter daran dachte.«

»Es war sehr unrecht, ein so sündliches Gelübde zu thun,« sagte Rochecliffe, »aber es wäre noch viel schlimmer gewesen, wenn Du versucht hättest, es zu halten. Darum sey nur gutes Muths; denn in diesem unglücklichen Falle hätte ich, nachdem was ich von Phöbe und Dir gehört habe, nicht gewünscht, daß Du Dich ruhig verhieltest, obwohl ich bedauere, daß der Streich tödtlich war. Demungeachtet hast Du nur das gethan, was der große, begeisterte Gesetzgeber that, als er den Aegypter einen Hebräer mißhandeln sah. Nur daß es in dem gegenwärtigen Falle ein Frauenzimmer war, wo, sagt die Septuaginta: Percussum Egyptium abscondit sabulo; was es bedeutet, will ich Dir ein Andermal erklären. Darum ermahne ich Dich, nicht über die Maßen bekümmert zu seyn, denn obwohl der Umstand an sich unglücklich ist, hinsichtlich der Zeit und des Orts, so ist doch, nachdem was mir Phöbe von des Elenden Meinungen gesagt hat, sehr zu bedauern, daß ihm der Schädel nicht schon lieber in der Wiege eingeschlagen worden ist, ehe er aufwuchs, um einer von den Grindlestonianern oder Muggletonianern zu werden, in denen jede schändliche und lästerliche Ketzerei bis zur Vollkommenheit mit einer so allgemeinen Ausübung heuchlerischer Gleißnerei vereint ist, daß sie selbst Satan, ihren Herrn, betrügen könnten.«

»Demungeachtet, Herr,« sagte der Förster, »hoffe ich doch, Sie werben ein Paar Kirchengebete über den armen Mann halten, wie es sein letzter Wunsch war, wobei er Sie, Herr, zugleich nannte. Wenn das nicht geschieht, so wage ich es in meinem ganzen Leben, nicht wieder, im Dunkeln allein heraus zu gehen.«

»Du bist ein alberner Bursch – aber,« fuhr der Doktor fort, »wenn er mich im Sterben nannte, und nach den Kirchengebräuchen verlangte, so war es vielleicht, weil er in seinen – letzten Augenblicken noch sich vom Bösen wandte und das Gute suchte, und wenn der Himmel ihm die Gnade erwies, eine so schickliche Bitte zu thun, warum sollte der Mensch es ihm versagen? Ich fürchte nur, wir werden nicht Zeit genug dazu haben.«

»Je nun, Ew, Hochehrwürden können's ja ein bischen kurz machen. Das Ganze verdient er freilich nicht, nur wenn gar nichts geschieht, so glaube ich, laufe ich davon. Es waren seine letzten Worte, und ich denke immer, er schickte mir Bevis mit seinem Handschuh, um mich daran zu erinnern.«

»Je pfui, Du Narr – meinst Du,« sagte der Doktor, »todte Leute schicken den Lebenden Handschuhe, wie die Ritter bei einer Ausforderung in einem Romane? Ich sage Dir, Narr, die Sache war natürlich genug. Bevis, der umherspürte, fand den Leichnam, und brachte Dir den Handschuh, um anzuzeigen, wo er läge, und Hülfe zu holen; denn so ist der hohe Instinkt dieser Thiere gegen einen, der sich in Gefahr befindet.«

»Nun, wenn Sie so meinen, Doktor,« sagte Josselin – »und freilich muß ich sagen, Bevis nahm Theil an dem Manne – wenn es nicht vielleicht etwas Schlimmeres in Bevis Gestalt war; denn mir ist's, als wären seine Augen wild und feurig gewesen, wie wenn er sprechen wollte. «

Während Josselin so sprach, blieb er zurück, und der Doktor, dem das mißfiel, rief aus: »Mach fort, Du saumseliger Faullenzer – bist Du ein braver Soldat, und fürchtest Dich vor einem todten Menschen! – Du wirst doch ganz gewiß Menschen in der Schlacht und beim Nachsetzen todtgeschlagen haben.«

»Ja, aber die kehrten mir den Rücken zu,« sagte Josselin – »nie hab' ich einen gesehen, der den Kopf umdrehte, und mich so anstarrte, wie der Bursch da, wobei ihm noch Haß in den Augen lag, mit Entsetzen und Vorwurf gemischt, bis das Auge starr und gebrochen war. – Und wären Sie nicht bei mir, und meines Herrn und noch eines andern Menschen Sicherheit so tief damit verflochten, so stehe ich Ihnen dafür, ich möchte um ganz Woodstock ihn nicht wieder ansehen. «

»Das mußt Du aber doch,« sagte der Doktor, plötzlich stillstehend – »denn hier ist der Ort, wo er liegt. Komm hieher tief ins Gebüsch – nimm Dich in Acht, daß Du nicht fällst. – Hier der Platz ist gerade recht, wir wollen dann die Dornenbüsche über das Grab ziehen.«

Während der Doktor so seine Anordnung schloß, half er ihm auch sie auszuführen, und während sein Begleiter arbeitete, um ein flaches und unförmliches Grab zu höhlen, eine Arbeit, die der mit Wurzeln durchwachsene und hart gefrorne Boden sehr schwierig machte, las der Geistliche einige kirchliche Gebete, theils um Josselins abergläubische Furcht zu beschwichtigen, theils auch, weil er es für Gewissenssache hielt, einem, der im Sterben um die kirchlichen Gebräuche gebeten hatte, die Hülfe derselben nicht zu versagen.


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