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Zehntes Kapitel.


»Hör' Räuber, auf,
Mich roh und ungeziemend zu berühren.«

Die beiden Veroneser.

Es ist Zeit, daß wir einige Nachricht von den andern handelnden Personen unsres Drama's geben, weil die Hauptpersonen eine Zeitlang unsre Aufmerksamkeit ausschließlich beschäftigt haben.

Wir müssen daher den Leser benachrichtigen, daß die zögernde Sehnsucht der Kommissarien, die aus ihrem Paradiese zu Woodstock freilich nicht durch einen Cherub, aber doch wie sie meinten, durch Geister anderer Art vertrieben worden waren, sie noch immer in der Nähe hielt. Den kleinen Flecken hatten sie freilich unter dem Vorwande der geringen Bequemlichkeiten verlassen. Die handgreiflicheren Gründe aber waren, daß sie einiger Maßen auf Everard böse waren, als den Urheber ihrer getäuschten Hoffnungen, und daß sie nicht gern da wohnen mochten, wo er ein Auge auf ihr Benehmen haben konnte, obwohl sie sich in Ausdrücken der höchsten Achtung ihm empfahlen. Sie gingen indes nicht weiter als bis Oxford, und blieben dort, wie Raben, die gewohnt sind, der Jagd in geringer Entfernung zuzusehn, und auf das Ausweiden des Wildes zu warten, dessen Abwurf ihnen zu Theil wird. Unterdeß gaben die Universität und Stadt, besonders aber erstere, ihnen einige Gelegenheit, ihre verschiedenen Fähigkeiten vortheilhaft anzuwenden, bis zu dem erwarteten Augenblick, da sie, wie sie hofften, nach Windsor berufen, oder Woodstock noch einmal ihnen überlassen werden sollte.

Bletson plagte unterdes, um sich die Zeit zu vertreiben, die Seelen der gelehrten und frommen Geistlichen und Studierenden, denen er seine hassenswerthe Gegenwart aufdringen konnte, durch Sophistereien, atheistische Gespräche und Aufforderungen, die ärgerlichsten Sätze zu bestreiten. Desborough, einer der rohsten und unwissendsten Menschen seiner Zeit, ließ sich zum Oberhaupte eines Kollegiums ernennen, und verlor keine Zeit, Bäume zu fällen und Silbergeschirr zu plündern. Was Harrison betrifft, so predigte er in voller Uniform in der St. Marienkirche, und trug dabei sein Büffelkoller, Stiefel und Sporen, als wollte er zur Schlacht von Armageddon ins Feld ziehen, und es wäre schwer zu entscheiden gewesen, ob dieser Sitz der Gelehrsamkeit, Religiosität und Unterthanstreue, wie ihn Clarendon nennt, mehr von Desboroughs Raubgier oder Bletsons kaltem Skepticismus oder der rasenden Schwärmerei des Kämpfers der fünften Monarchie zu leiden hatte.

Immer gingen Soldaten, unter dem Vorwande, die Wache abzulösen, oder aus andern Gründen, zwischen Woodstock und Oxford hin und her, und unterhielten, wie man denken kann, einen Briefwechsel mit dem getreuen Tomkins, der, obwohl er meistens in der Stadt Woodstock wohnte, doch gelegentlich das Jagdschloß besuchte, und auf den sie sich ohne Zweifel hinsichtlich der Nachrichten von dorther verließen.

Wirklich schien dieser Tomkins durch irgend ein geheimes Mittel, wo nicht ganz, doch wenigstens theilweise das Vertrauen Aller derer gewonnen zu haben, die in diese Intriguen verflochten waren. Alle sprachen mit ihm insgeheim; diejenigen, welche die Mittel dazu hatten, beschenkten ihn, die keine hatten, waren freigebig in Versprechungen. Wenn er einmal in Woodstock erschien, was immer nur zufällig zu seyn schien, und er kam durch die Halle, so sagte ihm der Ritter gewiß, er solle die Rapiere zur Hand nehmen, und war eben so gewiß, nach mehr oder weniger Widerstand, der Sieger im Kampfe, und so verzieh der gute Sir Heinrich, aus Rücksicht für so viele Triumphe, ihm beinah die Sünden der Empörung und des Puritanismus. Ferner kam Doktor Rochecliffe, wenn Herrn Tomkins langsamer und förmlicher Schritt in den Gängen nahe bei der Gallerie vernommen wurde, gewiß zu ihm in irgend einem neutralen Zimmer, obwohl er ihn nie in sein eignes führte, und ließ sich in lange Gespräche mit ihm ein, die, dem Anschein nach, für Beide ein großes Interesse hatten

Auch war der Empfang des Independenten im Bedientenzimmer nicht minder freundlich, als oben bei der Herrschaft. Josselin versäumte nie, ihn mit der herzlichsten Freimüthigkeit willkommen zu heißen. Die Pastete und die Flasche wurden sogleich in Requisition gesetzt, und ein gutes Mahl war das allgemeine Losungswort. Die Mittel hierzu, müssen wir beiläufig bemerken, waren seit Doktor Rochecliffe's Ankunft in Woodstock reichlicher vorhanden, der in seiner Eigenschaft als Agent einiger Royalisten über verschiedene Geldsummen zu verfügen hatte. Von diesem Vorrath mochte wahrscheinlich auch der getreue Tomkins seinen reichlichen Vortheil ziehen.

Wenn er sich gelegentlich dem hingab, was er eine fleischliche Gebrechlichkeit nannte, und wozu er, wie er sagte, das Privilegium hatte, welches in der That nichts anders war, als Liebe zu starken Getränken, und zwar in keinem mäßigen Grade, so wurde seine Sprache, die zu andern Zeiten auffallend anständig und zurückhaltend war, wild und aufgeregt. Zuweilen sprach er mit aller Salbung eines alten Wüstlings von frühern Thaten, als Wild- und Obstdiebereien, lustigen Streichen beim Rausche, und verzweifelten Schlägereien, in die er in den frühern Theilen seines Lebens verwickelt gewesen war, sang Trink- und Liebeslieder, verweilte zuweilen bei Abentheuern, die Phöbe Maiblume aus der Gesellschaft trieben, und sogar in das taube Ohr der alten Mutter Jellicot drangen, so daß die Speisekammer, worin er seine Zechgelage hielt, kein Aufenthalt mehr für die arme alte Frau war.

Mitten in diesem wilden Toben ließ sich Tomkins auch zwei oder dreimal plötzlich auf religiöse Gegenstände ein, und sprach geheimnißvoll, aber mit großem Feuer und überströmender Beredtsamkeit, über die seligen und alles beherrschenden Heiligen, wie er sie nannte, die wirklich Heilige wären – Männer, welche die innerste Schatzkammer des Himmels erstürmt, und sich in Besitz seiner ausgesuchtesten Juwelen gesetzt hätten. Alle- andern Sekten behandelte er mit der äußersten Verachtung, indem sie blos, wie er sich ausdrückte, gleich Schweinen vor einem Troge sich um Trebern und Eicheln zankten, unter welchem verachtenden Ausdrucke er alle gewöhnlichen Gebräuche und Ceremonien der öffentlichen Gottesverehrung, die Verordnungen der bestehenden Kirchen der Christenheit, die Gebote, ja auch die Verbote, die jeder Klasse von Christen auferlegt sind, gemeinschaftlich begriff. Josselin, der ihn kaum anhörte und gar nicht verstand, bei solchen Gelegenheiten aber meistens sein Vertrauter war, führte ihn dann gewöhnlich auf alte Erinnerungen irgend einer rohen Lust oder Thorheit vor dem Bürgerkriege zurück, ohne sich darum weiter zu kümmern oder sich zu bemühen, die Meinung dieses Heiligen übler Art zu zergliedern, doch vollkommen den Schutz fühlend, den sein Aufenthalt Woodstock gewährte, und sich auf die redliche Gesinnung eines so freimüthigen Burschen verlassend, dem Bier und Branntwein, wenn keine bessern Getränke zu haben waren, Hauptgegenstände des Lebens schienen, und der, wenn man es forderte, dem Könige oder wem es auch sonst war, eine Gesundheit brachte, wenn nur der Becher, womit er das Trankopfer verrichten sollte, bis an den Rand voll war.

Diese besondern Lehren, welche eine Sekte unterhielt, die man gewöhnlich die Familie der Liebe, noch gewöhnlicher aber Ranters Die Familisten wurden ursprünglich von David Georg von Delft gegründet, einem Schwärmer, der sich für den Messias hielt. Sie hatten verschiedene Unterabtheilungen von Sekten, als Grindletonianer, Familisten von dem Gebirge, von den Thälern, Familisten vom Cap der Ordnung u. s. w., von der zerstreuten Heerde u s.w. u. s. w. Unter andern Lehren, die zu ausgelassen und schändlich sind, um sie hier, anzuführen, hielten sie ein gelegentliches Anschließen, an eine herrschende Sekte, wenn es ihnen eben zusagte, oder ein Befolgen der Befehle einer Magistratsperson oder höhern Gewalt, wie sündlich es sonst auch seyn möchte, für gesetzlich. Sie läugneten die Hauptlehren des Christenthums, als eines Gesetzes, das durch die Ankunft David Georgs aufgehoben sey. – Ja, sie sollen den ausgelassensten und lockersten Vorschriften böser Leidenschaften gefolgt seyn, und sich unter einander den größten Ausschweifungen hingegeben haben. Man sehe Edwards Gangraena, Pagitts Heresiographia, nebst einem sehr merkwürdigen Werke von Ludwig Clarton, einem der Häupter dieser Sekte geschrieben, unter dem Titel: Das gefundene verlorne Schaf (Lost Sheep found) – klein 4., London, 1666. nannte, hatte einige Fortschritte in Zeiten gemacht, wo eine solche Mannichfaltigkeit religiöser Meinungen herrschte, daß die Menschen ihre widersinnigen Ketzereien bis zur vollkommensten und gottlosesten Verrücktheit trieben.

In einer höchst lästerlichen Lehre war diesen rasenden Gläubigen Verschwiegenheit auferlegt worden, aus Furcht vor den Folgen, wenn dieselbe allgemein verkündet werden sollte, und Herr Tomkins trug Sorge, die geistige Freiheit, die er erworben zu haben behauptete, vor allen denen zu verbergen, deren Empfindlichkeit durch sein öffentliches Eingestehen derselben hätte erregt werden können. Dies war nicht schwer; denn ihr Glaubensbekenntniß erlaubte, ja forderte sogar, daß sie sich gelegentlich den Sektirern oder Bekennern eines Glaubens, der zufällig der herrschende war, fügen sollten.

Tomkins war demnach geschickt genug, sich bei Doktor Rochecliffe noch immer für ein eifriges Mitglied der englischen Kirche auszugeben, obwohl er unter des Feindes Fahnen als Spion in ihrem Lager diente, und da er ihm zuweilen wahre bedeutende Nachrichten gegeben hatte, so wurde der thätige Plänemacher um so leichter vermocht, seinen Betheurungen zu glauben.

Demungeachtet, damit nicht dieses Mannes gelegentlicher Aufenthalt im Jagdschlosse, den man vielleicht nicht Mittel hatte, zu verhindern, ohne Verdacht zu erwecken, dem Könige Gefahr bringen möchte, empfahl Rochecliffe, wie großes Vertrauen er auch sonst auf ihn setzte, der König solle ihm wo möglich nicht zu Gesicht kommen, und wenn er ihn zufällig einmal gewahr würde, so solle er nur als Louis Kerneguy erscheinen. Joseph Tomkins, sagte er, sey wie er glaubte, wirklich der ehrliche Joseph, aber Ehrlichkeit sey ein Pferd, das man nicht überladen müsse, und es sey unnütz, seinen Nächsten in Versuchung zu führen.

Es schien, als ob Tomkins selbst sich in dies beschränkte Vertrauen gefügt hätte, oder blinder als er es wirklich war, gegen das Daseyn dieses Fremden in dem Hause zu scheinen wünschte. Es fiel Josselin, der ein sehr schlauer Bursch war, auf, daß ein oder zweimal, wo durch einen unvermeidlichen Zufall, Tomkins Kerneguy'n begegnet war, er weniger Theil an dem Umstande zu nehmen schien, als man von seinem sonstigen Charakter hätte erwarten sollen, der von Natur lauernd und neugierig war. »Er that gar keine Fragen über den jungen Fremden,« sagte Josselin, »Gott verhüte es, daß er nicht zu viel weiß oder vermuthet.« Aber sein Verdacht hörte auf, als im Laufe des darauf folgenden Gesprächs Joseph Tomkins das Entkommen des Königs aus Bristol als eine ganz gewisse Sache erwähnte, und sowohl das Schiff nannte, in dem er, wie er sagte, fortgegangen sey, als auch den Schiffskapitain, der es befehligte, und dabei von der Wahrheit dieser Nachricht so überzeugt schien, daß Josselin es für unmöglich hielt, daß jener die Wirklichkeit auch nur im Geringsten argwöhnen sollte.

Aber ungeachtet dieser Ueberzeugung und der Kameradschaft, die sich zwischen ihnen gebildet hatte, beschloß doch der treue Förster genaue Wache über seinen Zechbruder Tomkins zu halten, und zum Lärmmachen bereit zu seyn, sobald sich die Gelegenheit zeigen sollte. Er hätte freilich, dachte er, Grund zu glauben, daß sein besagter Freund, ungeachtet seiner betrunkenen und Ranterschen Schwärmereien so viel Vertrauen verdiente, als Doktor Rochecliffe es meinte, indeß war er doch immer ein Abentheurer, der Außenseite und Futter seines Mantels von verschiedenen Farben trug, und eine hohe Belohnung und Verzeihung für vergangne Dinge konnte ihn noch einmal verlocken, das Feldzeichen zu verändern. – Aus diesen Gründen hielt Josselin, ohne sich's merken zu lassen, genaue Wache über den getreuen Tomkins.

Wir haben schon gesagt, daß der kluge Haushofmeister in Woodstock allgemein gut aufgenommen wurde, sowohl in dem Flecken als im Jagdschlosse, und daß selbst Josselin Joliff sorgfältig jeden Verdacht, den er nicht ganz unterdrücken konnte, unter dem äußern Scheine einer herzlichen Gastfreiheit verbarg. Zwei Menschen jedoch hegten, obwohl aus sehr verschiedenen Gründen, persönlichen Widerwillen gegen den so allgemein beliebten Mann.

Der eine war Nehemias Holdenough, der sich mit großer Bitterkeit erinnerte, wie der Independent sich mit Gewalt in seine Kanzel drängte, und der unter Bekannten immer von ihm als einem lügenhaften Missionair sprach, in welchen Satan einen Geist der Täuschung gelegt habe. Er hielt überdies eine feierliche Predigt, über den Text des falschen Propheten, aus dessen Munde Frösche kommen. Die Rede wurde von dem Bürgermeister und den meisten der besseren Klasse hoch geschätzt, und sie meinten, ihr Pastor habe einen schweren Streich gegen die Wurzel des Independentenwesens geführt. Andererseits behaupteten die, welche dem Privatgeiste anhingen, Joseph Tomkins habe einen glücklichen und siegreichen Spott in einer Ermahnungsrede am Abend desselben Tags gehalten, worin er zur Ueberzeugung vieler Handwerker bewies, daß die Stelle im Jeremias »die Propheten lehren falsch und die Priester herrschen in ihrem Amt,« geradezu auf das presbyterianische System der Kirchenherrschaft anwendbar sey. Der Geistliche schickte eine Nachricht von dem Betragen seines Gegners an den ehrwürdigen Herrn Edwards, damit derselbe in der nächsten Ausgabe der Gangräna als ein verpesteter Ketzer angeführt werden möchte, und Tomkins dagegen empfahl den Pfarrer seinem Herrn Desborough, als einen passenden Gegenstand zum Auflegen einer runden Geldbuße, weil er den Privatgeist gehindert habe, wobei er ihm zugleich versicherte, daß wenn auch der Prediger arm scheinen möchte, doch, wenn man ihm einige Reiter als Execution ins Haus legte, bis die Buße bezahlt sey, jedes Krämers-Weib im Flecken lieber den Geldkasten plündern würde, damit es nur nicht an dem Mammon der Ungerechtigkeit fehle, um ihren Priester aus der Noth zu retten, indem sie seinem Ausdruck nach es mit Laban hielten: »Du hast von mir meine Götter genommen, was habe ich mehr?« – Es herrschte daher natürlich sehr wenig Herzlichkeit zwischen den polemischen Streitern.

Aber Joseph Tomkins lag die böse Meinung viel mehr am Herzen, welche eine andere gegen ihn zu hegen schien, deren Wohlwollen er bei weitem mehr zu erlangen wünschte, als das von Nehemias Holdenough. Dies war Niemand anders als die hübsche Jungfer Phöbe Maiblume, zu deren Bekehrung er von dem Augenblicke an einen starken Beruf gefühlt hatte, wo er bei ihrer ersten Zusammenkunft im Jagdschlosse eine Vorlesung über Shakespeare hielt. Er schien jedoch zu wünschen, dies ernstere Werk im geheim durchzuführen, und besonders seine Bemühungen vor seinem Freunde Josselin Joliff zu verbergen, für den Fall, daß dieser vielleicht der Eifersucht ergeben wäre. Aber umsonst setzte er dem treuen Mädchen zuweilen mit Versen aus dem hohen Liede, zuweilen auch mit angeführten Stellen aus Green's Arkadien oder mit kräftigen Worten aus Venus und Adonis, und noch dunklern Lehren aus dem populären Werke zu, das den Titel führte: Des Aristoteles Meisterstücke. Phöbe Maiblume neigte sich zu keiner seiner Bewerbungen, sie mochte nun heilig oder profan, metaphysisch oder physisch seyn.

Einerseits liebte das Mädchen Josselin Joliff, und andererseits, wenn ihr Joseph Tomkins schon mißfiel, da sie ihn zum Erstenmal als einen rebellischen Puritaner sah, so hatte sie sich nicht mit ihm ausgesöhnt, als sie Veranlassung fand, ihn als einen heuchlerischen Wüstling zu betrachten. Sie haßte ihn auf diese und jene Weise, ließ sich nie in ein Gespräch mit ihm ein, wenn sie ihm entkommen konnte, und wenn sie genöthigt war zu bleiben, so hörte sie ihm nur zu, weil sie wußte, man hatte ihm so viel vertraut, daß es die Sicherheit der Familie, in deren Diensten sie geboren und erzogen, und deren Interesse sie ergaben war, gefährden konnte, ihn zu beleidigen. Aus etwas ähnlichen Gründen ließ sie ihr Mißfallen an dem Sekretär Josselin Joliff nicht bekannt werden, dessen Feuer als Förster und Soldat wahrscheinlich die Sache zu einer Entscheidung gebracht haben würde, wobei das Jagdmesser und der Knittel ihres Lieblings einen zu ungleichen Kampf mit dem langen Degen und den Pistolen gehabt haben würden, welche sein gefährlicher Nebenbuhler immer bei sich führte, Aber es ist schwer, Eifersucht blind zu machen, wenn die geringste Ursach zum Zweifel vorhanden ist, und vielleicht wurde die scharfe Wache, die Josselin über seinen Gefährten hielt, ihm nicht blos durch seinen Eifer für des Königs Sicherheit, sondern auch durch den ungewissen Verdacht eingegeben, daß Tomkins nicht abgeneigt sey, ihm ins Gehege zu kommen.

Phöbe schützte sich indeß als ein kluges Mädchen, soviel als möglich durch die Gegenwart der alten Mutter Jellicot. Nun ist es freilich wahr, daß der Independent oder was er sonst seyn mochte, ihr mit seinen Bewerbungen nachzugehen pflegte, ohne daß es viel half, denn Phöbe schien mit Fleiß so taub, als die Alte es von Natur war. Diese Gleichgültigkeit brachte indes ihren neuen Liebhaber auf, und vermochte ihn, ängstlich auf Zeit und Ort zu lauern, wo er seine Bewerbung mit einem Nachdrucke vortragen könnte, der Aufmerksamkeit geböte. Das Glück, diese boshafte Gottheit, die uns oft eben dadurch zu Grunde richtet, daß sie uns den Gegenstand unsrer Wünsche gewährt, verschaffte ihm endlich eine solche Gelegenheit, wie er lange darnach gestrebt hatte.

Es war etwa Sonnenuntergang oder bald darauf, als Phöbe, von deren Thätigkeit vieles in den häuslichen Einrichtungen abhing, hin zu Schön- Rosamundensbrunnen ging, um Wasser zur Abendmahlzeit zu holen, oder vielmehr um dem Vorurtheile des alten Ritters zu schmeicheln, der da glaubte, die berühmte Quelle gewähre dies nöthige Element besser als andere. So groß war die Ehrfurcht, in der er bei der ganzen Familie stand, daß einen seiner Wünsche zu vernachlässigen, wenn er befriedigt werden konnte, auch wenn es ihnen Unbequemlichkeit verursachte, ihrer Meinung nach, fast eben so viel war, als wäre eine religiöse Pflicht verletzt worden.

Den Krug zu füllen, war, wie wir wissen, seit kurzem ein beschwerliches Geschäft, aber Josselin hatte es sehr geschickt dadurch zu erleichtern gewußt, daß er einen Theil der zerstörten Vorderseite des alten Brunnens wieder herstellte, so daß das Wasser sich mehr sammelte, und indem es längs einer hölzernen Röhre hinlief, von einer etwa zwei Fuß hohen Höhe tropfenweis herabfiel. Man brauchte daher nur den Krug unter die langsam tröpfelnde Röhre zu stellen und konnte so, ohne eigne Mühe warten, bis das Gefäß voll war.

Phöbe Maiblume sah am Abend, von dem hier die Rede ist, zum Erstenmal diese kleine Verbesserung, und da sie dieselbe mit Recht für eine Artigkeit ihres Bewunderers hielt, die bestimmt sey, ihr die Mühe zu ersparen, ihr Geschäft auf eine unbequemere Weise zu verrichten, gebrauchte sie dankbar die Minuten der Erholung, über die Gutmüthigkeit und Kunstfertigkeit des geschickten Werkmeisters nachzudenken. Vielleicht auch dachte sie, er würde eben so klug gethan haben, bei der Quelle zu warten, damit er ihren Dank für die Mühe, die er sich gegeben hatte, einernten könne. Indeß wußte sie, daß der verhaßte Tomkins ihn in der Speisekammer aufhielt, und ehe sie den Independenten mit ihm gesehen hätte, würde sie lieber dem Gedanken entsagt haben, Josselin zu begegnen.

Während sie so nachdachte, war das Schicksal boshaft genug, Tomkins nach der Quelle zu schicken, und zwar ohne Josselin. Als sie seine Gestalt den Pfad verdunkeln sah, auf dem er kam, fiel die ängstliche Betrachtung dem armen Mädchen schwer auf's Herz, daß sie allein sey, und mitten in dem Theile des Waldes, wo es im Allgemeinen verboten war, während der Dämmerung hinzukommen, um nicht das Wild zu stören, wenn es sich zur Ruhe begiebt. Sie ermuthigte sich jedoch und beschloß, keine Furcht zu zeigen, obwohl, als der Sekretär sich nahte, in dem Blick und Auge des Mannes etwas lag, das keineswegs geeignet war, ihre Besorgniß zu beschwichtigen.

»Die Segnungen des Abends über dich, mein hübsches Mädchen,« sagte er. »Ich begegne dir gerade, wie Abrahams erster Knecht, der ein Verwalter des Hauses war wie ich, Rebecca'n der Tochter Bethuels, des Sohnes Milka, am Brunnen der Stadt Nahor in Mesopotamien begegnete. Soll ich daher nicht zu Dir sagen, setze deinen Krug nieder, damit ich trinke?«

»Der Krug steht Ihnen zu Diensten, Herr Tomkins,« erwiederte sie, »und Sie können trinken, so viel Sie wollen, aber ich stehe dafür, Sie haben etwas Besseres getrunken, und das vor noch nicht langer Zeit.«

Es war in der That augenscheinlich, daß der Sekretär von einem Trunke herkam; denn er sah sehr erhitzt aus, obwohl nicht gerade berauscht. Aber Phöbe's Unruhe bei seiner ersten Erscheinung wurde noch vermehrt, als sie gewahr wurde, wie er zuletzt seine Zeit hingebracht hatte.

»Ich benutzte nur mein Vorrecht, meine schöne Rebecca; die Erde mit ihrer Fettigkeit ist den Heiligen gegeben, sie sollen sie bewohnen und genießen, sowohl die Reichthümer der Gruben, als die Schätze des Weinstocks, und sie sollen sich freuen und ihre Herzen fröhlich in ihnen seyn. Du mußt erst noch die Vorrechte der Heiligen kennen lernen, meine Rebecca.«

»Mein Name ist Phöbe,« sagte das Mädchen, um das schwärmerische Entzücken, das er entweder fühlte oder heuchelte, zu mäßigen.

»Phöbe nach dem Fleisch,« sagte er, »aber Rebecca im Geist; denn bist Du nicht ein wanderndes und verirrtes Schaf? – und bin ich nicht ausgesandt, Dich in den Schaafstall zu bringen? – Wofür sonst wäre gesagt worden: Du wirst sie sitzend finden am Brunnen in dem Walde, der nach der alten Buhldirne Rosamunde benannt worden ist?«

»Sie haben mich freilich hier sitzend gefunden,« sagte Phöbe, »aber wenn Sie mir Gesellschaft leisten wollen, so müssen Sie mit mir ins Jagdschloß gehen. Sie können mir den Krug tragen, wenn Sie so gut seyn wollen, und ich will unterwegs alle die guten Dinge anhören, die Sie mir zu sagen haben. Sir Heinrich verlangt aber sein Glas Wasser regelmäßig vor dem Gebet.«

»Was!« rief Tomkins, »hat der alte Mann mit der blutigen Hand und dem verdorbenen Herzen Dich hieher gesandt, um das Werk einer Sclavin zu verrichten? – Wahrlich Du sollst befreit zurückkehren! Und das Wasser, das Du für ihn geschöpft hast, soll vergossen werden, so wie David das Wasser aus dem Brunnen von Bethlehem ausschütten ließ.«

Hiermit goß er, trotz Phöbe's Ausrufungen und Bitten, den Wasserkrug aus. Dann stellte er das Gefäß wieder unter die kleine Röhre und fuhr fort: – »Wisse, dies soll Dir ein Zeichen seyn, Das Füllen dieses Kruges soll seyn wie das Rinnen einer Sanduhr, und wenn innerhalb der Zeit, die vergeht, ehe es bis zum Rande steigt, Du auf die Worte hörst, die ich Dir sagen werde, so soll es gut mit Dir stehen, und Dein Platz soll hoch seyn unter denen, welche die Lehre verlassend, die wie Milch für Kinder und Säuglinge ist, die starke Speise, die dem Manne Nahrung gewährt, zu sich nehmen. Aber wenn der Krug überfließt, ehe Dein Ohr hört und versteht, so sollst Du als Beute und Leibeigne denen hingegeben werden, welche das Fett und das Mark der Erde besitzen.«

»Sie erschrecken mich, Herr Tomkins,« sagte Phöbe, »obgleich Sie das gewiß nicht wollten. Ich wundere mich nur, wie Sie Worte sprechen dürfen, die den guten Worten in der Bibel so gleich sind, da Sie doch wissen, wie Sie über Ihren eigenen Herrn und alle übrigen lachten – damals, als Sie bei den Spukereien im Jagdschlosse mithalfen.«

»Meinst Du denn, Du einfältige Thörin, daß ich meine Vorrechte überschritt, als ich Harrison und den Uebrigen diese Täuschungen vormachte! – Nein, wahrlich. – Höre mir zu, thörigtes Mädchen. Da ich in frühern Tagen als der ausgelassenste, boshafteste Höllenbrand in Oxfordshire lebte, nächtliche Gelage und Jahrmärkte besuchte, um die Maie tanzte, und meine Geschicklichkeit beim Ballspiel und Prügeleien zeigte – ja als ich in der Sprache der Unbeschnittenen noch Philipp Hazeldine hieß, und einer der Sänger im Chore und einer der Glockenläuter war, und dem Priester dort, mit Namen Rochecliffe, diente, damals war ich nicht weiter vom geraden Wege entfernt, als da ich nach langem Lesen endlich einen binden Führer nach dem Andern fand, lauter Ziegelbrenner in Egypten. Ich verließ sie alle Einen nach dem Andern, das arme Werkzeug Harrison zuletzt, und durch meine eigne Kraft und ohne fremde Hülfe habe ich mich vorwärts gekämpft, zu dem hellen gesegneten Lichte, was Du, Phöbe, mit mir theilen sollst.«

»Ich danke Ihnen, Herr Tomkins,« sagte Phöbe, einige Furcht unter dem Schein der Gleichgültigkeit verbergend, »aber ich habe Licht genug, um meinen Krug nach Hause zu tragen, wenn Sie mich ihn nur nehmen ließen, und das ist das einzige, wozu ich heute Abend Licht brauche.«

Hiermit bückte sie sich, um den Krug von der Quelle zu nehmen, aber er schleuderte ihren Arm zurück und verhinderte sie, ihren Plan auszuführen. Phöbe war jedoch die Tochter eines kühnen Jägers, der schnell Mittel zur Wehre einfielen, und ob sie nun gleich den Krug verfehlt hatte, so griff sie doch statt dessen einen großen Kieselstein auf, den sie in der rechten Hand verborgen hielt.

»Steh, thörigtes Mädchen und höre,« sagte der Independent ernst, »und wisse, mit einem Worte, daß die Sünde, wofür der Geist des Menschen mit der Rache des Himmels bestraft wird, nicht in der körperlichen Handlung, sondern in den Gedanken des Sünders liegt. Glaube mir, liebliche Phöbe, den Reinen sind alle Handlungen rein, und die Sünde liegt in unsern Gedanken, und nicht in unsrer That – gerade so wie der Strahl des Tages dunkel ist für einen blinden Mann, der aber, dessen Auge ihn aufnimmt, sieht ihn und erfreut sich daran. Dem Neuling in geistigen Dingen ist vieles auferlegt, vieles verboten worden, und er wird mit der Milch ernährt, die sich für Säuglinge schickt. – Für ihn giebt es Verordnungen, Verbote und Gebote. Aber der Heilige ist über diese Verordnungen und Einschränkungen erhaben. Ihm, als dem auserwählten Kinde des Hauses, ist der Hauptschlüssel gegeben, um alle Schlösser zu öffnen, welche ihn von dem Genuß dessen fern halten, was sein Herz sich wünscht. In solche erfreuliche Pfade will ich dich führen, meine liebliche Phöbe, in denen sich in Lust und unschuldiger Freiheit, Freuden vereinen sollen, die dem Unprivilegirten sündlich und verboten sind.«

»Ich wünschte wirklich, Herr Tomkins, Sie ließen mich nach Hause gehen,« sagte Phöbe, welche die Bedeutung seiner Lehre nicht verstand, der aber seine Worte und sein Wesen zugleich mißfielen. Er fuhr jedoch in den fluchwürdigen und lästerlichen Lehren fort, die er zugleich mit andern von den vermeinten Heiligen angenommen hatte, nachdem er lange von einer Sekte zur andern übergegangen war, bis er sich in dem niedrigen Glauben festsetzte, daß da die Sünde einen ausschließlich geistigen Charakter habe, so beruhe sie nur in den Gedanken, und die schlimmsten Handlungen wären denen erlaubt, welche so weit gekommen wären, daß sie sich über Verordnungen erhaben glaubten. »So, meine Phöbe,« fuhr er fort, indem er sich bemühte, sie zu sich zu ziehen, »kann ich Dir mehr bieten, als je einem Weibe versprochen wurde, seitdem Adam zuerst seine Braut bei der Hand nahm. Andere mögen mit trocknen Lippen dastehn, und wie die Papisten durch Enthaltsamkeit Buße thun, wenn die Schaale des Vergnügens ihre Entzückungen ausgießt. Liebst Du Geld? – ich habe es und kann mir mehr verschaffen – es hängt ganz von mir ab, es mir von Jedermann, und durch jedes Mittel zu verschaffen – die Erde und ihre Fülle ist mein. Wünschest du Macht? – welche Güter, die diesen armen betrognen Kommissariats-Burschen gehören, begehrst Du? – ich will sie dir verschaffen, denn ich verkehre mit einem mächtigern Geiste als irgend einer von ihnen. Und nicht umsonst habe ich dem übelgesinnten Rochecliffe und dem Tölpel Joliff geholfen, sie auf die Weise, wie sie es thaten, zu erschrecken und zu hintergehen, Fordere was Du willst, Phöbe, ich kann es Dir geben oder verschaffen. – So beginne denn mit mir ein Leben der Freude in dieser Welt, das sich nur als ein Vorschmack der Freuden des Paradieses erweisen wird.«

Abermals versuchte der fanatische Lüstling, das arme Mädchen zu sich zu ziehen, indeß sie beunruhigt, doch ohne die Geistesgegenwart zu verlieren, durch gütliche Bitten ihn zu vermögen suchte, sie loszulassen. Aber seine an sich nicht auffallenden Züge hatten einen fürchterlichen Ausdruck bekommen, und er rief aus: »Nein, Phöbe – glaube nicht mir zu entkommen – Du bist mir als Gefangene gegeben – Du hast die Stunde der Gnade versäumt, und sie ist vorübergeschwunden. – Siehe, Dein Krug fließt über, und dieß sollte ein Zeichen zwischen uns seyn, – Darum will ich Dich nicht mehr in Worten bitten, deren Du nicht werth bist, sondern Dich behandeln, wie eine, die sich der angebotenen Gnade geweigert hat.«

»Herr Tomkins,« sagte Phöbe in flehendem Tone, »um Gotteswillen bedenken Sie, ich bin eine vaterlose Waise – lassen Sie mich gehen, und thun Sie mir nichts zu leide, es wäre ja eine Schande für einen so starken Mann, – Ihre schönen Worte kann ich nicht verstehen – ich will bis morgen darüber nachdenken.«

Dann fügte sie in vermehrter Empfindlichkeit heftig hinzu: – »Ich will mich nicht so behandeln lassen – lassen Sie mich gehen, oder ich vergreife mich an Ihnen.«

Da er aber mit einer Gewalt in sie drang, deren Zweck nicht zu verkennen war, und sich bemühte, sich ihrer Hand zu bemächtigen, rief sie aus: »So haben Sie's denn, da Sie nicht besser wollen – und versetzte ihm einen fast betäubenden Schlag ins Gesicht, mit dem Steine, den sie für den äußersten Fall bereit gehalten hatte.

Der Schwärmer ließ sie gehen, und taumelte halb betäubt zurück, indeß Phöbe sogleich die Flucht ergriff, und im Laufen nach Hülfe schrie, den siegreichen Kiesel noch in der Hand. Ganz rasend geworden durch den heftigen Schlag, den er erhalten hatte, verfolgte sie Tomkins, jede schwarze Leidenschaft in seiner Seele und in seinem Gesicht, mit Furcht vermischt, daß seine Büberei entdeckt werden möchte. Er rief Phöben laut zu, stehen zu bleiben, und war roh genug, ihr mit seiner Pistole zu drohen, wenn sie fortführe zu laufen. Doch hielten seine Drohungen sie nicht auf, und er hätte sie entweder ausführen oder erwarten müssen, daß Phöbe ins Schloß zurückkam, und dort den Vorfall erzählte, wäre sie nicht unglücklicherweise über eine Kienwurzel gestolpert. – Aber als er eben auf seine Beute losstürzte, erschien Rettung in der Person Josselin Joliffs, der, seinen Knittel auf der Schulter, mit dem Ausruf: »Heda, was soll das bedeuten!« zwischen Phöbe und ihren Verfolger trat. Tomkins, schon bis zur Wuth aufgeregt, antwortete nur dadurch, daß er die Pistole, die er in der Hand hielt, auf Josselin abfeuerte. Die Kugel streifte an des Försters Gesicht hin, der in Erwiederung auf den Angriff, und indem er rief: »So! ei darauf gehört diese Antwort,« seinen Knittel mit solcher Gewalt über des Independenten Kopf schwang, daß der Schlag, der ihn am linken Schlafe traf, fast augenblicklichen Tod zur Folge hatte.

Er zuckte noch ein Paarmal krampfhaft, brachte die gebrochenen Worte heraus – »Josselin – es ist aus – aber ich verzeihe Dir – Doktor Rochecliffe – ich wollte ich hätte mehr – oh! – der Geistliche – die Seelenmesse« – Wie er diese Worte ausstieß, die vielleicht seine Rückkehr zu einem Glauben andeuteten, den er wohl nie so ganz abgeschworen hatte, wie er sich überreden wollte, verlor sich seine Stimme in ein Aechzen, das sich umsonst durch Röcheln Luft zu machen suchte. Dies waren die letzten Spuren von Leben, die geballte Hand wurde schlaff – die geschlossenen Augen öffneten sich und starrten gebrochen zum Himmel – die Glieder streckten sich aus und wurden steif. Der noch vor wenig Augenblicken beseelte Körper war jetzt ein Haufe gefühlloser Staub – die in einem so unheiligen Augenblicke aus ihrer irdischen Hülle entlassene Seele war dahingegangen, um vor dem Richterstuhle zu erscheinen.

»O was hast Du gethan, Josselin!« rief Phöbe, »Du hast den Mann umgebracht.«

»Besser als wenn er mich umgebracht hätte,« antwortete Josselin; »denn er war keiner von den Blinzelnden, die ihr Ziel zweimal hintereinander verfehlen. – Und doch thut mir's leid um ihn – manchen lustigen Schwank haben wir miteinander gehabt, als er noch der ausgelassene Philipp Hazeldine war, und da war er schon schlimm genug; aber seitdem er seine Laster noch mit Heuchelei übertünchte, scheint er ein schlimmerer Teufel denn je geworden zu seyn.«

»O Josselin, komm fort,« sagte die arme Phöbe, »und steh nicht da und starre ihn so an«; denn der Waidmann stand da, auf seine unglückliche Waffe gestützt, und sah, wie halb betäubt von dem Ereignisse, auf den Leichnam hinunter.

»Das kommt vom Bierkruge her,« fuhr sie im wahren weiblichen Tröstertone fort, »wie ich Dir schon so oft gesagt habe – ums Himmelswillen, komm ins Jagdschloß, und laß uns berathen, was zu thun ist.«

»Erst bleibe noch, Mädchen, und hilf mir ihn aus dem Wege ziehn; wir dürfen ihn nicht hier vor aller Menschen Augen liegen lassen. – Willst Du mir nicht helfen, Mädchen?«

»Ich kann nicht, Josselin – ich könnte um ganz Woodstock nicht eine Locke von ihm anrühren.«

»So muß ich denn selbst daran,« sagte Josselin, der, obwohl ein Krieger und ein Waidmann, doch großen Widerwillen gegen das nöthige Geschäft hatte. Etwas in dem Gesicht und den gebrochnen Worten des sterbenden Mannes hatten einen tiefen und fürchterlichen Eindruck auf seine Nerven gemacht, die nicht so leicht zu erschüttern waren. Er vollführte jedoch sein Geschäft insofern, daß er den Leichnam aus dem offenen Pfade wegschaffte, und ihn so in dem Unterholze und den Brombeersträuchen verbarg, daß man ihn nicht anders finden konnte, als wenn ausdrücklich darnach gesucht wurde. Dann kehrte er zu Phöben zurück, welche die ganze Zeit über sprachlos unter dem Baume gesessen hatte, über dessen Wurzeln sie gestolpert war.

»Komm, Mädchen,« sagte er, »komm ins Jagdschloß, und laß uns überlegen, wie dies zu verantworten ist. – Das Unglück, daß er erschlagen ist, wird unsre Gefahr gar sehr vermehren. Was wollte er denn von Dir, Mädchen, daß Du wie eine Rasende vor ihm liefst? – Aber ich kann mir's denken – Philipp war immer ein Teufel unter den Mädchen, und ich denke, wie Doktor Rochecliffe sagt, seitdem er ein Heiliger wurde, wird er wohl sieben Teufel, schlimmer als er selbst, zu sich genommen haben. – Hier ist die Stelle, wo ich ihn sahe, wie er das Schwert gegen den guten alten Ritter erhoben hatte, er, ein Kind der Gemeinde – es war doch wenigstens Hochverrath – aber meiner Treu, er hat dafür gebüßt.«

»Aber, o Josselin,« sagte Phöbe, »wie konntet Ihr einen so gottlosen Mann in Eure Berathungen aufnehmen, und ihn in alle Eure Pläne mit zulassen, um die rundköpfigen Herrn zu verscheuchen?«

»Ja, siehst Du, Mädchen, mir war 's gleich beim ersten Zusammentreffen, als kenne ich ihn durch und durch – besonders als Bevis, der hier gerade aufgezogen wurde, als er Hunde führte, ihn nicht anpacken wollte, und als wir unsre alte Bekanntschaft im Jagdschloß wieder anknüpften, fand sich's, daß er einen genauen Briefwechsel mit Doktor Rochecliffe führte, der überzeugt war, daß er gut königlich gesinnt sey, und daher in recht gutem Vernehmen mit ihm stand. – Der Doktor rühmt sich, viel durch ihn erfahren zu haben; gebe nur der Himmel, daß er seinerseits ihm nicht zu viel mitgetheilt hat.«

»O Josselin,« sagte das Mädchen, »Ihr hättet ihn nimmermehr ins Jagdschloß lassen sollen!«

»Das würde ich auch nicht, hätte ich nur gewußt, wie ich's ändern sollte; aber als er so ehrlich in unsern Plan einging und sagte, ich sollte mich verkleiden wie Robinson der Schauspieler, dessen Geist Harrison erscheint – wenn mir nur kein Geist erscheint! – als er mich belehrte, wie ich's machen müßte, um seinen rechtmäßigen Herrn in Furcht zu jagen – was konnte ich davon denken, Mädchen? – Wenn nur wenigstens der Doktor unser großes Geheimniß ihm nicht mitgetheilt hat. – Doch da sind wir ja am Schlosse. Geh Du in deine Kammer, Mädchen, und fasse Dich. Ich muß den Doktor Rochecliffe aufsuchen; der spricht ja immer von seiner schnellen und allzeit fertigen Erfindungsgabe; jetzt kommt, glaube ich, die Zeit, daß wir sie brauchen werden. «

Phöbe ging demnach in ihr Zimmer; da aber die Kraft, welche die dringende Gefahr ihr gegeben hatte, mit der Gefahr selbst nachließ, verfiel sie bald in Krämpfe, welche die fortdauernde Aufmerksamkeit der alten Mutter Jellicot, und die ruhigere aber verständigere Sorgfalt Fräulein Alexia's erforderten, ehe sie nur ein wenig nachließen,

Der Förster brachte seine Nachrichten dem politischen Doktor, der sehr verlegen, unruhig, ja aufgebracht auf Josselin war, daß er einen Mann erschlagen hatte, auf dessen Mittheilungen er gewohnt war, sich zu verlassen.

Doch gaben seine Blicke einige Besorgniß zu erkennen, ob er sein Vertrauen nicht zu voreilig ertheilt habe – eine Besorgniß, die ihn um so ängstlicher drückte, da er sie nicht gern gestehen wollte, weil sie den Ruf seiner Klugheit, auf den er besondern Werth legte, verminderte.

Doktor Rochecliffe's Vertrauen auf Tomkins Treue hatte, dem Anschein nach, guten Grund. Vor dem Bürgerkriege hatte Tomkins, wie man theilweise aus dem schon Erwähnten abnehmen kann, unter dem Schutze des Pfarrers von Woodstock mit seinem wahren Namen Hazeldine gestanden, gelegentlich seinen Schreiber abgegeben, war ein ausgezeichnetes Mitglied des Singchors daselbst gewesen, und da er ein gewandter und kluger Bursch war, gebrauchte ihn Doktor Rochecliffe, um ihn als Gehülfe bei seinen antiquarischen Forschungen im Innern von Woodstock zu unterstützen. Als er auf die entgegengesetzte Seite im Bürgerkriege trat, blieb er immer noch in Verbindung mit dem Geistlichen, dem er von Zeit zu Zeit wichtig scheinende Nachrichten überbrachte. Vor kurzem hatte er sich höchst nützlich erwiesen, indem er dem Doktor mit Josselin's und Phöben's Hülfe beistand, die verschiedenen Spukereien zu ersinnen und auszuführen, durch welche die Kommissarien des Parlaments aus Woodstock vertrieben worden waren. In der That hatte man seine Dienste in dieser Hinsicht keiner geringeren Belohnung werth gehalten, als eines Geschenks mit dem Silberzeuge, das noch im Jagdschlosse befindlich war, und das man folglich dem Indipendenten versprochen hatte. Indem daher der Doktor zugab, er könnte ein schlechter Mensch seyn, bedauerte er doch seinen Verlust als den eines brauchbaren, und dessen Tod, wenn die Sache untersucht werden sollte, wahrscheinlich noch mehr Gefahr über ein Haus bringen würde, das schon genug Gefahren umringten, und das ein so kostbares Pfand enthielt.


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