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Viertes Kapitel.


Dort geht er, wie sie sagen, täglich
Mit leichten, lockeren Gesellen um;
Indes der junge und verzogne Knabe,
Bei sich zum höchsten Ehrenpunkte macht,
So ausgelass'ne Rotte zu beschützen.

Richard II.

Das Gespräch, das Albert umsonst versucht hatte, zu unterbrechen, ging auf gleiche Weise fort, nachdem er das Zimmer verlassen hatte. Es unterhielt Louis Kerneguy, denn persönliche Eitelkeit oder zu große Empfindlichkeit bei verdientem Tadel gehörten nicht zu seinen Charakterfehlern, und vertrugen sich in der That nicht mit einem Verstande, der, wenn er mit festeren Grundsätzen, Ausdauer in der Ausübung derselben und Selbstverläugnung verbunden gewesen wäre, Karln einen hohen Platz in der Reihe der englischen Monarchen hätte anweisen können. Andererseits horchte Sir Heinrich mit natürlichem Entzücken auf die edeln Empfindungen, die ein so geliebtes Wesen, wie seine Tochter, äußerte. Seine eigenen Talente waren eher solid als glänzend zu nennen, und er hatte jene Art von Phantasie, die nicht leicht ohne die Einwirkung einer andern aufgeregt wird, so wie die elektrische Kugel nur Funken von sich giebt, wenn sie gerieben wird. Er ließ sich's daher recht gern gefallen, als Kerneguy durch die Bemerkung das Gespräch fortsetzte, Fräulein Alexia habe sich nicht darüber erklärt, ob dieselbe gute Fee, die moralische Eigenschaften ertheile, nicht auch körperlichen Mangel wegschaffen könne.

»Sie irren sich,« sagte Alexia, »ich ertheile nichts, ich versuche nur, unsern König so zu malen, wie ich hoffe, daß er ist – wie ich überzeugt bin, daß er seyn kann, wenn er es will. Dieselbe allgemeine Nachricht, die sein Gesicht für nicht einnehmend erklärt, beschreibt seine Talente als ausgezeichnet. Er besitzt daher die Mittel, Vortrefflichkeit zu gelangen, wenn er sie unverdrossen übt und nützlich anwendet – wenn er seine Leidenschaften beherrscht, und sich von seinen Verstande leiten läßt. Nicht jeder gute Mensch kann weise seyn, aber es steht in der Macht jedes klugen Mannes, wenn er will, sich durch Tugend eben so sehr als durch Talent auszuzeichnen.«

Der junge Kerneguy stand rasch auf, und ging einmal im Zimmer auf und nieder, und ehe noch der Ritter eine Bemerkung über die sonderbare Lebhaftigkeit machen konnte, der er sich überlassen, warf er sich wieder in seinen Stuhl, und sagte in einem fast ganz veränderten Tone: »Es scheint also, Fräulein Alexia Lee, daß die guten Freunde, die Ihnen diesen armen König beschrieben, sich eben so ungünstig über seine Sittlichkeit als über sein Aeußeres ausgedrückt haben.«

»Die Wahrheit muß Ihnen besser bekannt seyn,« sagte Alexia, »als sie es mir seyn kann. Einige Gerüchte haben ihn freilich einer Zügellosigkeit angeklagt, die, wie sehr auch immer Schmeichler sie entschuldigen mögen, dennoch, um es gelind auszudrücken, sich für den Sohn des Märtyrers nicht schickt. – Es wird mich sehr freuen, dies aus guter Quelle bestritten zu hören.«

»Ich wundere mich, wie Du so albern seyn kannst,« sagte Sir Heinrich Lee, »auf solche Dinge anzuspielen, Alexia; Lästerungen, von den Schurken ersonnen, die die Regierung an sich gezogen haben – eine Sache, die der Feind sich ausgedacht.«

»Ei!« sagte Kerneguy lachend, »wir müssen auch nicht zugeben, daß unser Eifer dem Feinde mehr zur Last lege, als er wirklich verdient. Fräulein Alexia hat die Frage an mich gestellt, ich kann nur darauf antworten, daß Niemand dem König mehr ergeben seyn kann, als ich – daß ich sehr partheiisch für seine Verdienste und blind für seine Mängel bin – und kurz, daß ich der letzte Mensch in der Welt seyn würde, der seine Sache aufgäbe, wenn sie sich irgend vertheidigen ließe. Bei dem Allen muß ich doch bekennen, daß wenn alle sittlichen Vorzüge seines Großvaters von Navarra nicht bis auf ihn gekommen sind, der arme König doch so ein wenig von den Flecken geerbt hat, von denen man meinte, daß sie den Glanz jenes großen Fürsten verdunkelten – daß Karl ein wenig weichherzig ist, wo es die Schönheit betrifft. – Tadeln Sie ihn nicht zu streng, schönes Fräulein Alexia, wenn das harte Schicksal eines Menschen ihn unter die Dornen getrieben hat, so wäre es doch wahrlich sehr hart, wenn man ihn hindern wollte, mit den wenigen Rosen zu scherzen, die er etwa darunter findet.«

Alexia, die wohl glauben mochte, das Gespräch sey nun weit genug fortgeführt worden, stand auf, während Kerneguy sprach, und ging aus dem Zimmer, noch ehe er ganz ausgeredet hatte, so daß sie vermuthlich die Frage, mit der er schloß, gar nicht vernahm. Ihr Vater billigte ihr Fortgehen; denn er meinte, die Wendung, die Kerneguy dem Gespräche gegeben habe, schicke sich nicht ganz für ihre Gegenwart, und sagte, indem er es auf eine höfliche Weise abzubrechen wünschte: »Ich sehe, es ist die Zeit, wo, wie Wilhelm sagt, die Geschäfte des Haushalts meine Tochter von hinnen rufen, ich will Sie daher hiermit einladen, junger Herr, sich eine kleine Bewegung mit mir zu machen, entweder mit dem bloßen Rapier, oder mit Rapier und Dolch, Hieber, Stoßdegen oder Ihren National-Waffen, dem breiten Schwerte und der Tartsche; denn Alles dieses werden wir in der Halle finden.«

Herr Kerneguy sagte hierauf, »es würde eine zu große Auszeichnung für einen armen Pagen seyn, daß ihm erlaubt würde, mit einem so berühmten Ritter, wie Sir Heinrich Lee, einen Gang zu versuchen, und er hoffte diese Ehre noch zu genießen, ehe er Woodstock verließe; in dem jetzigen Augenblicke aber schmerze sein lahmes Bein ihn noch so sehr, daß ihm der Versuch nur Schande bringen würde. «

Nun erbot sich Sir Heinrich ein Stück von Shakespeare vorzulesen, und schlug zu diesem Zwecke König Richard II. auf, aber kaum hatte er angefangen,

»Johann von Kent, Lancaster, einst geehrt,«

als der junge Herr so plötzlich vom Krampf befallen wurde, daß er sich nur durch augenblickliche Bewegung Linderung verschaffen konnte. Er bat daher um Erlaubniß, ein wenig draußen herumzuschlendern, wenn Sir Heinrich Lee anders der Meinung sey, daß er sich ohne Gefahr hinaus wagen könne.

»Für die Zwei oder Drei von unsern Leuten, die sich noch hier herum aufhalten, kann ich stehen, und ich weiß, mein Sohn hat sie so gestellt, daß sie beständig auf der Lauer sind. Wenn Sie die Glocke im Jagdschlosse läuten hören, so rathe ich Ihnen bei der Königs-Eiche vorbei, die Sie dort auf jenem Platze vor allen andern Bäumen hervorragen sehen, geradenwegs nach Hause zu kommen. Wir wollen dann schon einen aufstellen, der Sie heimlich hineinschaffen soll.«

Der Page hörte auf diese Vorsichtsmaaßregeln mit der Ungeduld eines Schulknaben, der, voll Verlangen seine Freistunden zu genießen, die Warnung seines Lehrers oder Vaters, sich nicht zu erkälten u. s. f. anhört, ohne darauf zu achten.

Alexia Lee hatte alles mit fortgenommen, was das Innere des Jagdschlosses angenehm machte, und der leicht bewegliche junge Page entfloh aufs Eiligste der Waffenübung und Unterhaltung, die Sir Heinrich vorgeschlagen hatte. Er gürtete seinen Degen um, hüllte sich in seinen Mantel oder vielmehr in den, der zu seinem geborgten Anzuge gehörte, so daß das ganze Gesicht bedeckt war, und nur die Augen heraussahen, die gewöhnliche Art, wie man ihn in jenen Tagen zu tragen pflegte, sowohl auf den Straßen, als auf dem Lande und auf öffentlichen Plätzen, wenn man unbekannt zu bleiben, und den Grüßen auf dem Marktplatze aus dem Wege zu gehen wünschte. Er eilte über den offnen Raum, welcher die Vorderseite des Jagdschlosses vom Walde trennte, mit der Hast eines aus dem Käfig entschlüpften Vogels, der, obwohl er sich seiner Befreiung freut, doch zugleich fühlt, daß er Schutz und Obdach bedarf. Der Wald schien diese dem menschlichen Flüchtlinge zu gewähren, so wie er es auch wohl besagtem Vogel gethan hätte.

Als er im Schatten der Zweige und innerhalb des Waldes vor Beobachtung gesichert, sich befand, von wo er jedoch die Vorderseite des Jagdschlosses und den offnen Platz vor demselben überschauen konnte, stellte der vermeintliche Louis Kerneguy Betrachtungen über sein Entkommen an.

»Was für eine Strafe – mit einem gichtbrüchigen alten Manne zu fechten, der gewiß nicht eine einzige Finte kennt, mit der man nicht schon zu den Zeiten des alten Vincent Saviolo vertraut war, oder als eine Abwechslung des Jammers ihn eine von jenen verwirrten Scenen vorlesen zu hören, welche die Engländer ein Schauspiel nennen, und das vom Prolog bis zum Epilog – vom ersten Auftritte an bis zu dem endlichen Alle ab – ein Gräuel ohne Gleichen – eine wahre Buße ist, die einen Kerker noch düsterer und selbst Woodstock noch langweiliger machen würde. «

Hier hielt er inne und sah sich um, dann setzte er seine Betrachtungen fort – »Hier also verbarg der lebenslustige alte Normanne seine schöne Geliebte! – Ich wollte darauf wetten, ohne sie gesehen zu haben, daß Rosamunde Clifford nicht halb so hübsch war, als die liebliche Alexia Lee. Und was das Mädchen für Seele in den Augen hat! – Mit welcher Hingebung ergoß sie den Strom ihres Enthusiasmus, ohne Rücksicht als auf das Interesse des gegenwärtigen Augenblicks. Wäre ich lange hier, so geriethe ich der Klugheit und einem halben Dutzend ehrwürdiger Hindernisse noch obendrein zum Trotz in Versuchung, sie mit dem mittelmäßigen Gesicht des häßlichen Prinzen auszusöhnen. – Häßlich? – Es ist eine Art von Verrath für eine Person, die auf so viel Unterthanstreue Anspruch macht, das von des Königs Zügen zu sagen, und meiner Meinung nach, verdient das Strafe. – Ei! schönes Fräulein Alexia, manches Fräulein hat vor Ihnen gar gewaltig über die ungeregelten Sitten des Menschengeschlechts und die Gottlosigkeit des Zeitalters geeifert, und war endlich froh, wenn sie nur Entschuldigungen für ihren eigenen Antheil an denselben finden konnte. Aber ihr Vater – der rüstige alte Cavalier – meines Vaters alter Freund – geschähe so etwas, es bräche ihm das Herz. – Ach was Herzbrechen! – dazu hat er zu viel Verstand! Wenn ich seinem Enkel ein Recht gebe, das Englische Wappen zu führen, was thut's, wenn ein Balken von der linken Seite darüber gezogen ist? – Pah! weit entfernt eine Herabwürdigung zu seyn, ist es eine Erhöhung. Die Wappen-Herolde werden ihn bei der nächsten Untersuchung nur um so höher auf ihrer Liste setzen. Und wenn er nun auch Anfangs ein wenig Sprünge machte verdient es denn der alte Verräther nicht? – Erstlich für seine unloyale Absicht, meinen gesalbten Leib mit seinen schändlichen Rapieren braun und blau zu stoßen, und zweitens für seinen abscheulichen Plan, mit Wilhelm Shakespeare, einem Menschen, der gerade so aus der Mode gekommen ist, wie er, mich da zu Tode zu lesen mit fünf Akten eines historischen Stücks, oder der Chronik von dem jämmerlichen Leben und Tode Richards des Zweiten. Potz Fischchen! mein eigenes, Leben ist, glaube ich, schon jämmerlich genug, und mein Tod kann dem gleich kommen, so wie es jetzt das Ansehen hat. Ach! aber dann der Bruder, mein Freund – mein Führer, mein Beschützer – insofern dieser kleine beabsichtigte Liebeshandel ihn betrifft, wär ein solches Benehmen nicht eben ein redliches. Aber die tobenden, polternden, rachsüchtigen Brüder sind nur auf dem Theater zu finden. So eine gräßliche Rache, mit der ein Bruder einen armen Schelm verfolgt, der seine Schwester verführt hat, oder von ihr verführt worden ist, wie der Fall nun eben seyn mag, und das so unbarmherzig, als hätte er ihm auf die Zehen getreten, ohne ihn um Verzeihung zu bitten, die ist ganz aus der Mode gekommen, seitdem Dorset vor manchem langen Jahre den Lord Bruce erschlug. Pah! wenn ein König der Beleidiger ist, so opfert der bravste Mann nichts auf, wenn er einen kleinen Schimpf einsteckt, den er nicht persönlich ahnden kann. Und in Frankreich ist kein adeliges Haus, in dem nicht jeder einzelne seinen Hut noch um einen Zoll höher aufstutzte, wenn er sich einer Verbindung von der linken Hand mit dem grand monarque rühmen könnte.«

Das waren die Gedanken, die Karln durch den Sinn gingen, als er zuerst aus dem Jagdschlosse zu Woodstock in den Forst hinaus wanderte, der dasselbe umgab. Seine lasterhafte Logik war jedoch nicht eine Folge seiner natürlichen Stimmung, noch nahm sein gesunder Verstand sie ohne Gewissenszweifel auf. Es war eine Reihenfolge von Gedanken, an die er sich durch seine zu vertraute Bekanntschaft mit den witzigen und ausschweifenden jungen Leuten von Stande, die ihn umgaben, gewöhnt hatte. Es entstand aus dem bösen Verkehr mit Villiers, Wilmot, Sedley und Andern, deren Geist bestimmt war, das Zeitalter und den Monarchen, der den Charakter desselben nachher bestimmte, zu verderben. Solche Menschen, mitten in der Zügellosigkeit des Bürgerkriegs erzogen, und ohne jenen Zügel, den in gewöhnlichen Zeiten das Ansehen der Eltern und Verwandten den rasenden Leidenschaften der Jugend auferlegt, waren in jeder Art von Lastern geübt, und konnten es eben sowohl durch Vorschrift als Beispiel empfehlen, indem sie alle jene edleren Gefühle, welche die Menschen abhalten, ungesetzliche Leidenschaften zu befriedigen, unbarmherzig lächerlich machten. Die Ereignisse in dem Leben des Königs hatten ebenfalls seine Annahme dieser epicuräischen Lehre begünstigt. Er sah sich mit den höchsten Ansprüchen auf Mitgefühl und Beistand von den Höfen, die er besuchte, kalt behandelt, und nicht wie ein verbannter Monarch, sondern wie ein Bittender, den man duldet. Er sah, wie man mit seinen eigenen Rechten und Ansprüchen verächtlich und gleichgültig umging, und söhnte sich in demselben Maße mit der hartherzig und selbstsüchtig lockeren Lebensart aus, die ihm augenblicklichen Genuß versprach. Wurde dies auch auf Kosten des Glückes Anderer erlangt, sollte denn er allein unter allen Menschen gewissenhaft in dieser Hinsicht seyn, da er doch hierin die Welt nur so behandelte, wie die Welt ihn?

War nun aber auch gleich der Grund zu diesem unglücklichen System schon gelegt, so war der Prinz in dieser frühen Zeit demselben doch noch nicht ganz so ergeben, als sich es später fand, da er ganz unerwarteter Weise Aussicht zur Wiedereinsetzung erhielt. Im Gegentheil, obwohl die Folge lebenslustiger Schlüsse, die wir vorhin anführten, wie wenn er sie wirklich ausgesprochen hätte, allerdings in seinem Gemüthe entstand, wie sie ihm bei solchen Gelegenheiten von seinen Lieblings-Rathgebern würden eingegeben worden seyn, so erinnerte er sich doch, daß das, was in Frankreich oder in den Niederlanden für ein kleines Vergehen gelten würde, oder woraus die Witzlinge seines eigenen wandernden Hofes eine lustige Novelle oder Pasquinade machen würden, unter dem englischen Adel sehr wahrscheinlich für einen abscheulichen Undank und einen schändlichen Verrath gelten, und seinem Interesse unter den älteren und ehrwürdigeren seiner Anhänger eine tiefe, vielleicht unheilbare Wunde schlagen würde. Dann fiel ihm noch ein, denn sein eigener Vortheil entging ihm selbst bei dieser Art den Gegenstand zu betrachten nicht, daß er in der Gewalt der Lee's, des Vaters und Sohnes sey, von denen man wußte, daß sie immer im Puncte der Ehre wenigstens kitzelig genug gewesen waren, und sollten sie einen solchen Schimpf argwöhnen, wie er es sich in seiner Phantasie ausgedachte, so konnte es ihnen an Mitteln zur vollständigsten Rache gar nicht fehlen, entweder von ihren eigenen Händen oder von der herrschenden Parthei.

»Die Gefahr, das unglückliche Fenster zu Whitehall wieder zu eröffnen, und das Trauerspiel von dem Manna in der Maske zu erneuern, wäre denn doch eine schlimmere Buße,« dies war seine Schlußbetrachtung, »als der alte Schottische Buß-Stuhl, und so schön auch Alexia Lee ist, so kann ich mich doch auf diese Gefahr in keinen Liebeshandel einlassen. Also leb wohl, schönes Mädchen! Du müßtest denn, wie sich das bisweilen zugetragen hat, den Einfall bekommen, Dich Deinem König zu Füßen zu werfen, dann bin ich zu großmüthig, um Dir meinen Schutz zu versagen. – Und doch, wenn ich mir das blasse, starre Gesicht des alten Mannes denke, wie er die vorige Nacht davor mir ausgestreckt lag, und denke mir, wie Albert Lee rast und tobt, mit der Hand an dem Schwerte, das nur seine Loyalität ihn hindert, in das Herz seines Königs zu stoßen – nein, das Bild ist zu schrecklich! Karl muß für immer seinen Namen verwandeln und ein Joseph werden, und gerieth er noch so stark in Versuchung, was das Glück aus Barmherzigkeit verhüte!«

Um die Wahrheit von einem Fürsten zu sagen, dessen Unglück mehr in seinen früheren Gefährten und in der Stumpfheit lag, die er durch seine jugendlichen Abentheuer und seine ungeregelte Lebensart erlangte, als in seiner natürlichen Stimmung, kam Karl um so leichter zu diesem verständigen Schlusse, weil er keineswegs jenen heftigen verzehrenden Leidenschaften unterworfen war, um deren Befriedigung man die ganze Welt gern hingiebt. Seine Liebschaften waren, wie so viele der heutigen Zeit, mehr Sache der Gewohnheit und der Mode, als der Leidenschaft und Neigung, und wenn er sich in dieser Hinsicht mit seinem Großvater Heinrich IV. verglich, so ließ er weder diesem noch sich Gerechtigkeit wiederfahren. Er war, um die Worte eines Dichters nachzuahmen, der selbst von den stürmischen Leidenschaften angetrieben wurde, welche ein Liebender oft nur dem Scheine nach hat,

Keiner, die so zärtlich lieben,
Keiner, mit so blinden Trieben. –

Eine Liebschaft war bei ihm eine Sache der Unterhaltung, eine, wie es ihm schien, regelmäßige Folge des gewöhnlichen Laufs der Dinge in der Gesellschaft. Er gab sich nicht die Mühe, Künste des Verführers zu üben, weil er selten Gelegenheit gefunden hatte, sie anzuwenden. Sein hoher Rang und die Verdorbenheit einiger von den Frauen, in deren Gesellschaft er sich gemischt, hatten dies unnöthig gemacht. Dazu kam, daß er aus demselben Grunde selten durch das hartnäckige Dazwischentreten von Verwandten oder sogar von Ehemännern gehindert worden war; denn im Allgemeinen hatten diese nicht abgeneigt geschienen, solchen Dingen ihren Lauf zu lassen.

So war also, ungeachtet seiner ganz lockeren Grundsätze und seines systematischen Unglaubens an die Tugend der Frauen und die Ehre der Männer, insofern diese mit dem Rufe ihrer weiblichen Verwandten in Verbindung steht, Karl nicht der Mann, der mit Fleiß Schande in eine Familie brachte, wo ein Sieg streitig gemacht, nur mit vieler Schwierigkeit erlangt, und mit allgemeiner Noth verbunden seyn konnte, um nicht einmal die Aufregung grimmiger Leidenschaften gegen den Urheber dieses Aergernisses zu erwähnen.

Aber die Gefahr in der Gesellschaft des Königs bestand darin, daß er sehr ungläubig im Punkte des Daseyns solcher Fälle war, die durch Reue von Seiten des Hauptopfers vergiftet, oder durch die heftige Empfindlichkeit ihrer Verwandten gefährlich werden konnten. Er hatte auf dem Continente solche Dinge als gewöhnliche Ereignisse behandeln hören, die in jedem Falle, wo es einen Mann von hohem Einflusse betraf, leicht einzurichten wären, und er war wirklich im Allgemeinen genommen skeptisch, was strenge Tugend des andern Geschlechts betraf, und geneigt, dieselbe als einen Schleier zu betrachten, den die Frauen aus Ziererei annähmen, und die Männer aus Heuchelei, um eine größere Belohnung für ihre Gefälligkeit zu erpressen.

Indeß wir über den Charakter seiner Neigung zur Galanterie sprechen, führte der Weg, den der Wanderer gewählt hatte, ihn durch viele wunderliche Wendungen, endlich unter das Fenster von Victor Lee's Zimmer, wo er Alexia entdeckte, wie sie ihre Blumen begoß und sie auf dem Fenster ordnete, zu welchem man bei Tage leicht gelangen konnte, obwohl er in der Nacht den Versuch gefährlich gefunden hatte. Aber nicht Alexia allein, auch ihr Vater zeigte sich am Fenster und winkte ihm herauf. Die Unterhaltung in der Familie schien jetzt mehr zu versprechen als zuvor, der Prinz war es müde, mit seinem Gewissen Federball zu spielen, und sehr geneigt, die Sachen so gehen zu lassen, wie das Schicksal sie eben bestimmen würde.

Er kletterte an den eingefallenen Wänden leicht hinauf, und wurde von dem alten Ritter, der körperliche Gewandtheit in hohen Ehren hielt, freundlich bewillkommt. Auch Alexia schien froh, den lebhaften jungen Mann zu sehen, und durch ihre Gegenwart und die ungekünstelte Fröhlichkeit, mit der sie sich an seinen Einfällen ergötzte, wurde er angeregt, den Witz und die Laune zu entfalten, die Niemand in einem höheren Grade besaß.

Seine Satyre erfreute den alten Mann, und er lachte, daß ihm die Augen übergingen, als ihn der Jüngling, von dessen Ansprüchen auf seine Ehrfurcht er sich nichts träumen ließ, nach einander Nachahmungen der schottisch presbyterianischen Geistlichen, des stolzen und armen Hidalgo im Norden, des grimmigen, übermüthigen Stolzes, und des celtischen Dialects der nordischen Häuptlinge belustigte, mit welchem Allen sein Aufenthalt in Schottland ihn vertraut gemacht hatte. Auch Alexia lachte beifällig, belustigte sich und freute sich, ihren Vater heiter zu sehen, und die ganze Gesellschaft war äußerst vergnügt, als Albert Lee hereintrat, in großer Hast Louis Kerneguy zu finden, und ihn zu einem Privat-Gespräch zu Doktor Rochecliffe fortzuführen, dessen Eifer, Thätigkeit und wunderbar vielumfassende Bekanntschaft ihn in diesen schwierigen Zeiten zu ihrem Obersteuermann gemacht hatte.

Es ist unnöthig, dem Leser das Einzelne ihres Gesprächs mitzutheilen. Die erhaltene Nachricht war insofern günstig, daß der Feind von des Königs Aufbruch nach Süden keine Kunde zu haben schien und überzeugt blieb, er sey aus Bristol entkommen, wie es geheißen hatte und wie es wirklich Plan gewesen war; aber der Befehlshaber des zur Ueberfahrt des Königs bereitgehaltenen Schiffs war in Angst gerathen, und ohne seine königliche Last fortgeseegelt. Seine Abreise jedoch und der Verdacht, in wessen Dienst er stände, machte den Glauben allgemein, daß der König mit ihm entkommen wäre.

Aber obwohl dies aufmunternd war, so hatte der Doktor auch unerfreulichere Nachrichten von der Küste her, indem es große Schwierigkeit machte, sich eines Schiffs zu versichern, dem man eine so kostbare Last anvertrauen könne, und man ersuchte vor allem Se. Majestät, sich auf keine Weise an die Küste zu wagen, bis man ihm melden würde, daß alle vorzunehmenden Einrichtungen völlig zu Stande gebracht wären.

Niemand war im Stande, einen sicherern Aufenthalt als seinen jetzigen anzugeben. Oberst Everard galt dafür, daß er dem Könige nicht persönlich abgeneigt sey, und Cromwell setzte, wie man vermuthete, ein unbegränztes Vertrauen in Everard. Das Innere bot zahllose Versteckwinkel und geheime Ausgänge dar, die Niemanden als den alten Bewohnern des Jagdschlosses bekannt waren – ja sogar Rochecliffen weit besser als irgend einem von ihnen; denn als er noch Pfarrer in der benachbarten Stadt war, hatte seine antiquarische Neigung, Alles zu durchstöbern, ihn viele Nachforschungen unter den alten Ruinen anstellen lassen – deren Resultat er, wie man vermuthete, in manchen Dingen für sich behalten habe.

Dagegen war es nun allerdings nicht zu läugnen, daß die Commissarien des Parlaments immer nicht weit davon waren, und bei der ersten Gelegenheit wieder bereit seyn würden, ihr Ansehen zu behaupten; aber Niemand hielt es für wahrscheinlich, daß eine solche Störung sich je ereignen könne, und Alle glaubten, da der Einfluß Cromwells und der Armee immer größer wurde, daß die getäuschten Commissarien nichts gegen seinen Willen versuchen, sondern geduldig auf eine Entschädigung ihrer erledigten Commissionen von irgend einer andern Seite her warten würden. Es hieß auch, und dies kam von Herrn Joseph Tomkins her, sie hätten beschlossen, sich nach Oxford zurückzuziehen, und träfen deßhalb Vorkehrungen. Dieß versprach noch mehr für die Sicherheit von Woodstock. Es wurde daher ausgemacht, daß der König, als Louis Kerneguy, ein Bewohner des Schlosses bleiben solle, bis ihm in dem Hafen, der für den sichersten und bequemsten gehalten wurde, ein Schiff ausgemacht sey.


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