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Sechszehntes Kapitel.

Ich seh' die Hand, du siehst sie nicht;
Sie winkt mir, wegzugehn;
Ich hör' den Laut, du hörst ihn nicht;
Er sagt: hier bleib nicht stehn.

Mallet.

Als Eveline die Augen aufschlug, schien sie sich anfänglich nicht mehr an die Ereignisse der vergangenen Nacht zu erinnern. Sie blickte in dem Zimmer umher, das, als für den Gebrauch des Gesindes bestimmt, spärlich und schlecht meublirt war, und sagte lächelnd zu Rosa: »Unsere gute Verwandte übt die alte sächsische Gastfreundschaft auf eine unfreundliche Weise aus, was wenigstens die Wohnung betrifft. Gern würde ich das verschwenderische Mahl des gestrigen Abends für ein weicheres Bett hingegeben haben. Meine Glieder thun mir so wehe, als ob alle Flegel einer Dreschtenne über mich hingegangen wären.«

»Es freut mich, daß Ihr so scherzhaft seid,« antwortete Rosa, die sorgfältig jede Anspielung auf die Ereignisse der vorigen Nacht vermied.

Dame Gillian war nicht so gewissenhaft. »Wenn ich nicht sehr irre,« sagte sie, »so legten sich Eure Herrlichkeit gestern Abend auf ein besseres Bett nieder, als dieses hier ist, und Rosa Flammock und Ihr selbst wißt am besten, warum Ihr es verlassen habt.«

Hätte ein Blick zu tödten vermocht, so würde Dame Gillian in Todesgefahr gerathen sein, so gewaltig war der Blick, den Rosa als Strafe für ihre übelangebrachte Bemerkung auf sie losschoß. Ihre Bemerkung brachte auch augenblicklich die Wirkung hervor, die zu befürchten war; denn Lady Eveline schien zuerst erstaunt und verwirrt, dann aber, als sich Erinnerungen an das Vergangene in ihrem Gedächtnisse gestalteten, faltete sie ihre Hände, blickte auf den Boden und weinte in der größten Gemüthsbewegung bitterlich.

Rosa bat sie, sich zu beruhigen, und erbot sich, den alten sächsischen Hauskaplan herbeizurufen, damit er ihr geistlichen Trost reichen könne, wenn ihr Kummer irdischen Beistand verschmähe.

»Nein! rufe ihn nicht,« sagte Eveline, ihr Haupt erhebend und ihre Augen trocknend – »ich habe bereits Beweise genug von der sächsischen Güte erhalten. Wie thöricht war ich doch, daß ich in jenem harten und fühllosen Weibe irgend einiges Mitleid mit meiner Jugend – und meiner verwaisten Lage zu finden hoffte! allein sie soll nicht über das normännische Blut Raymond Berengers triumphiren! Ich will sie nicht merken lassen, wie sehr ich durch ihre Unmenschlichkeit gelitten habe; doch vor Allem, Rosa, sage mir aufrichtig, war irgend ein Bewohner des Hauses Baldringham Zeuge meines ohnmächtigen Zustandes in dieser Nacht?«

Rosa versicherte sie, daß sie ausschließlich von ihren eigenen Leuten, von ihr selbst, von Gillian, Blanche und Ternotte bedient worden sei. »Hört mich, ihr Beide,« sagte sie, »und befolgt meine Worte, wenn ihr mich liebt und fürchtet. Laßt keine Sylbe von dem, was diese Nacht geschehen ist, über Eure Lippen kommen. Denselben Befehl kündigt auch meinen Mädchen an. Leiht mir Euern augenblicklichen Beistand, Gillian, und du, meine theuerste Rosa, diese unordentliche Kleidung zu wechseln, und dieses aufgelöste Haar zu ordnen. Sie suchte eine armselige Rache an mir zu nehmen, und zwar einzig und allein meiner Abkunft wegen. Ich bin fest entschlossen, sie nicht die geringste Spur von den Leiden, die sie mir auferlegt hat, gewahren zu lassen.«

Während sie so sprach, flammten ihre Augen von einem tiefen Unwillen, der die Thränen, die sie zuvor gefüllt hatten, aufzutrocknen schien. Rosa sah die Veränderung ihres Benehmens mit einer Mischung von Freude und Bekümmerniß, da sie gewahr wurde, daß Eveline ihren gewöhnlichen Fehler zeigte, der der eines verwöhnten Kindes war, das gewohnt, von Allen, die in seine Nähe kommen, mit Güte, Nachsicht und Willfährigkeit behandelt zu werden, Alles, was einer Vernachlässigung oder einem Widerspruche ähnlich sieht, mit bitterem Unwillen aufzunehmen geneigt ist.

»Gott weiß,« sagte die getreue Dienerin, »daß ich lieber meine Hand ausstrecken und Tropfen geschmolzenen Blei's auffangen, als Euch weinen sehen wollte; und doch, meine theure Gebieterin, möchte ich Euch lieber betrübt, als erzürnt sehen. Diese alte Lady hat, wie es scheint, bloß irgend einem abergläubischen Gebrauche ihrer Familie, die zum Theile auch die Eurige ist, gemäß gehandelt. Ihr Name ist sowohl ihres Betragens, als ihrer Besitzungen wegen, achtungswerth; und da Ihr von den Normannen so hart bedrängt werdet, und Eure Verwandte, die Priorin, ohne Zweifel ihre Partei ergreifen wird, so hegte ich die Hoffnung, Lady von Baldringham werde Euch einigen Schutz und Beistand gewähren können.«

»Niemals, Rosa, niemals!« antwortete Eveline; »Ihr wißt nicht – Ihr könnt nicht errathen, was sie mich hat erdulden lassen, indem sie mich der Zauberei und den bösen Geistern preisgab. Du selbst sagtest es, und wahr ist es – die Sachsen sind noch halbe Heiden, ohne Christenthum, Menschlichkeit und Bildung.«

»Ja,« antwortete Rosa, »aber ich sagte dieß damals, um Euch einer Gefahr zu entziehen; – jetzt, da die Gefahr vorüber ist, mag ich wohl anders davon urtheilen.«

»Vertheidige sie nicht, Rosa,« antwortete Eveline zürnend. »Nie ist ein unschuldiges Schlachtopfer dem Altare eines bösen Geistes mit größerer Gleichgültigkeit überliefert worden, als meine Verwandte mich preisgegeben hat – mich, eine Waise! beraubt meines natürlichen und mächtigen Beistands. Ich hasse ihre Grausamkeit – ich hasse ihr Haus – ich hasse das Andenken an Alles, was hier geschehen ist – an Alles, Rosa, ausgenommen an deine unvergleichliche Treue und furchtlose Anhänglichkeit. Geh, und befiehl unserem Gefolge, daß es augenblicklich sattelt – ich will mich sogleich von hier entfernen – ich will mich nicht umkleiden,« fügte sie hinzu, den Beistand verwerfend, den sie anfänglich gefordert hatte – »ich will keine Umstände machen – selbst nicht verweilen um Abschied zu nehmen.«

In dem eiligen und leidenschaftlichen Benehmen ihrer Gebieterin erkannte Rosa mit Bedauern einen andern Ausbruch desselben reizbaren und aufgeregten Temperaments, das sich früher durch Thränen und Ohnmachten entladen hatte. Allein da sie zu gleicher Zeit bemerkte, daß Gegenvorstellungen vergeblich seien, so gab sie die nöthigen Befehle zur Versammlung des Gefolges und zur Beschleunigung der Reiseanstalten, hoffend, ihre Gebieterin werde in dem Grade, in welchem sie sich von dem Schauplatze, auf dem ihr Gemüth einen so gewaltigen Stoß erlitten hatte, entfernen werde, ihre vorige Gemüthsruhe wieder erlangen.

Dame Gillian war demzufolge mit der Anordnung des Gepäcks ihrer Gebieterin, und das ganze übrige Gefolge mit den Vorkehrungen zur eiligen Abreise beschäftigt, als unter dem Vortritte des Haushofmeisters, der auch gewissermaßen die Rolle eines Kammerdieners spielte, auf ihre vertraute Dienerin Berwine gelehnt, und noch von zwei oder drei ihrer ersten Hausdiener begleitet, mit dem Ausdrucke des Unmuths auf ihrer betagten, jedoch aber erhabenen Stirne, Lady Ermengarde in's Zimmer trat.

Eveline war mit zitternder, eiliger Hand, mit glühenden Wangen und noch andern ihre Gemüthsbewegung verrathenden Zeichen, selbst mit der Anordnung ihres Gepäcks beschäftigt, als ihre Verwandte erschien. Auf einmal, zu Rosa's großem Erstaunen, übte sie eine ungewöhnliche Herrschaft über sich selbst aus, und trat, jedes äußere Merkmal der Verwirrung unterdrückend, ihrer Verwandten mit einer so ruhigen und stolzen Würde, als sie selbst zu zeigen vermochte, entgegen.

»Ich komme, um Euch einen guten Morgen zu wünschen, Nichte,« sagte Ermengarde, zwar in stolzem Tone, allein doch mit mehr Ehrerbietung, als sie anfänglich im Sinne gehabt zu haben schien: so sehr gebot ihr Evelinens Haltung Achtung. »Ich finde, daß es Euch beliebt hat, das Zimmer, das Euch in Gemäßheit des alten Gebrauchs dieses Hauses angewiesen war, mit einer Bedientenstube zu vertauschen.«

»Seid Ihr darüber erstaunt, Lady?« fragte Eveline, »oder habt Ihr Euch in Eurer Erwartung getäuscht, weil Ihr mich nicht als Leiche in dem Zimmer findet, das Eure Liebe und Gastfreundschaft mir angewiesen hat?«

»Euer Schlaf ist demnach unterbrochen worden,« sagte Ermengarde, Lady Evelinen fest in's Auge fassend.

»Wenn ich mich nicht beklage, Madam, so muß das Uebel als geringfügig betrachtet werden. Was geschehen ist, ist geschehen, und ich habe nicht im Sinne, Euch mit der Erzählung desselben zu belästigen.«

»Die mit dem rothen Finger,« erwiederte Ermengarde triumphirend, »liebt das Blut des Fremdlings nicht.«

»Noch weniger Ursache hatte sie, während sie auf dieser Erde wandelte, das der Sachsen zu lieben,« sagte Eveline, »wofern ihre Legende nicht lügt, und wofern, wie ich argwohne, Euer Haus nicht sowohl von der Seele derjenigen, welche in diesen Mauern gelitten hat, als von den bösen Geistern bewohnt wird, welche die Abkömmlinge des Hengist und Horsa, noch jetzt, wie man sagt, im Geheimen verehren.«

»Ihr scherzt, Fräulein,« antwortete die alte Lady in höhnischem Tone, »oder sind Eure Worte ernstlich gemeint, so hat der Pfeil Eures Tadels sein Ziel verfehlt. Ein Haus, welches der heilige Dunstan und der königliche und heilige Beichtvater gesegnet hat, ist keine Wohnung für böse Geister.«

»Das Haus Baldringham,« antwortete Eveline, »ist keine Wohnung für diejenigen, welche solche Geister fürchten; und da ich mich in aller Demuth unter ihre Zahl rechne, so will ich es unverzüglich der Obhut des heiligen Dunstan überlassen.«

»Doch nicht ehe Ihr gefrühstückt habt,« sagte die Lady, »Ihr werdet doch hoffentlich meinem Alter und meiner Verwandtschaft keine solche Schmach anthun.«

»Verzeiht mir, Madam,« erwiederte Lady Eveline, »diejenigen, welche Eure Gastfreundschaft bei Nacht erprobt haben, haben wenig Grund, am Morgen auch noch nach dem Frühstück zu verlangen – Rosa, sind die lahmen Bursche in dem Hofraume versammelt, oder liegen sie noch auf ihrem Lager, und suchen Ersatz für den Schlaf, den sie durch mitternächtliche Störungen verloren haben?«

Rosa berichtete, daß ihr Gefolge bereits im Hofe zu Pferde sitze. Eveline suchte nun mit einer flüchtigen Verbeugung an ihrer Verwandten vorbeizugehen und das Gemach ohne weitere Umstände zu verlassen. Allein Ermengarde trat ihr im ersten Augenblicke mit einem grimmigen und wüthenden Blicke entgegen, der eine Seele zu verrathen schien, die mit größerer Wuth erfüllt war, als das spärliche Blut und die starren Züge des hohen Alters auszudrücken vermochten; ja sie erhob sogar ihren Stab von Ebenholz, und schien im Begriff zu sein, zu einem Akte persönlicher Gewaltthätigkeit zu schreiten. Allein plötzlich veränderte sie ihren Entschluß, und machte Evelinen Platz, die nun ohne weitere Worte hinwegeilte. Während sie die Treppe, die von dem Gemache in den Thorweg führte, hinunterstieg, hörte sie die Stimme ihrer Tante hinter sich, die gleich einer alten und erzürnten Sibylle, Weh' und Unglück über ihre Unbescheidenheit und ihren Uebermuth herabrief.

»Stolz,« rief sie aus, »kommt vor dem Falle – Sie, welche das Haus ihrer Vorfahren verschmäht – ein Stein seiner Zinnen soll sie zerschmettern. Sie, die der grauen Haare einer Verwandten spottet – nie soll das Alter eine ihrer Locken versilbern. – Sie, die einen Mann des Kriegs und des Blutes heirathet – ruhelos und blutig sei ihr Ende.«

Diesen und ähnlichen Verwünschungen zu entgehen, stürzte Eveline hastig aus dem Hause, bestieg ihren Zelter mit der Eile eines Flüchtlings und sprengte, umgeben von ihren Begleitern, auf die ein Theil ihrer Bestürzung übergegangen war, ob sie schon den Grund davon nicht erriethen, rasch in den Wald; der alte Raoul, der mit der Gegend wohl bekannt war, diente ihnen als Führer.

Mehr, als sie sich selbst gestehen wollte, dadurch beunruhigt, daß sie die Wohnung einer so nahen Verwandten, anstatt der Segnungen, welche scheidenden Verwandten gewöhnlich ertheilt werden, mit Verwünschungen belastet, verließ, eilte Eveline vorwärts, bis die ungeheuern Eichbäume mit ihren weithin sich ausstreckenden Aesten die unheilvolle Wohnung ihrem Anblicke entzogen hatten.

Bald darauf verkündigte lauter Hufschlag das Herannahen der Patrouille, welche der Constabel zum Schutze der Wohnung zurückgelassen hatte, und die jetzt von ihren verschiedenen Stationen herbeieilte, um Evelinen auf ihrem weitern Wege nach Gloucester zu begleiten. Ein großer Theil desselben führte durch den großen Forst von Deane, der damals eine höchst waldige Gegend von großem Umfange war, obwohl er seither des größten Theils seiner Bäume zum Nutzen der Eisengruben beraubt worden ist. Die Reiter nahten sich nun, um zu Evelinens Gefolge zu stoßen, mit in den lichten Strahlen der Morgensonne erglänzenden Rüstungen, schmetternden Trompeten, und bäumenden und wiehernden Rossen, denen ihre ritterlichen Führer die Stellung gaben, die am geeignetsten war, die Schönheit des Pferdes und die Geschicklichkeit des Reiters hervorzuheben. Zu gleicher Zeit sah man sie ihre mit langen Fähnlein geschmückten Lanzen auf die kunstfertigste und muthigste Weise schwingen. Der kriegerische Charakter ihrer normännischen Landsleute flößte Evelinen ein gewisses Gefühl der Sicherheit und des Triumphes ein, das ihre düstern Gedanken und die fieberhafte Unruhe, die ihre Nerven angriff, zerstreuen half. Auch die aufsteigende Sonne – der Gesang der Vögel – das Brüllen der Heerden, die auf die Waide getrieben wurden – der Anblick der Hirschkuh, die, ihr Kalb neben sich, oft über die offenen Plätze der Waldung trippelte – alles trug dazu bei, das grauenvolle Entsetzen, das die nächtliche Erscheinung in Evelinens Seele zurückgelassen hatte, zu verjagen, und die wilderen Leidenschaften, die ihren Busen bei der Abreise von Baldringham durchtobt hatten, zu besänftigen. Sie gestattete ihrem Pferde einen langsamern Schritt und begann, mit weiblicher Beachtung des Anstandes, ihr Reitkleid zurechtzulegen, und ihren durch die eilige Abreise in Unordnung gerathenen Kopfputz sorglicher zu ordnen. Rosa sah ihre Wangen eine blässere aber ruhigere Farbe annehmen, und die zornige Gluth, die sie zuvor geröthet hatten, allmählig verlieren – sah ihr Auge heiterer und milder glänzen, als sie mit einer Art von Triumph auf ihre kriegerischen Begleiter blickte, und verzieh ihr (was sie bei andern Gelegenheiten schwerlich unbeantwortet gelassen haben würde) ihre enthusiastischen Ausrufe zum Lobe ihrer Landsleute.

»Wir reisen,« sagte Eveline, »sicher unter dem Schutze der fürstlichen und siegreichen Normänner. Sie besitzen die edle Wuth des Löwen, der zerstört oder ganz besänftigt ist. – Ihre romantische Zuneigung ist frei von jedem Truge, und ihr edler Unwille kennt keine Tücke. – Sie kennen die Pflichten des Hauses so gut als die der Schlacht; und könnten sie in der Kriegskunst übertroffen werden (was erst dann der Fall sein wird, wenn Plinlimmon aus seiner Grundveste gehoben ist), so würden sie doch noch jedem andern Volke an Großmuth und feiner Lebensart überlegen bleiben.«

»Wenn ich auch ihre Verdienste,« sagte Rosa, »nicht so stark fühle, als wenn ihr Blut in meinen Adern flösse, so freut es mich doch wenigstens, sie in Wäldern, die an Gefahren aller Art so reich sein sollen, zu Begleitern zu haben; und ich gestehe es, mein Herz fühlt sich sehr erleichtert, seit ich keine Spur von jener alten Wohnung mehr gewahre, in der wir eine so unfreundliche Nacht zugebracht haben, und deren Andenken mir stets gehässig sein wird.«

Eveline blickte sie scharf an. »Sei aufrichtig, Rosa, und gestehe, daß du dein bestes Mieder geben würdest, wenn du alle Umstände meines schrecklichen Abenteuers wüßtest.«

»Das hieße,« antwortete Rosa, »bloß eingestehen, daß ich ein Weib bin, und selbst wenn ich ein Mann sagte, so würde wohl die Verschiedenheit des Geschlechtes der Neugierde nur geringen Abbruch thun.«

»Du brüstest dich nicht mit andern Gefühlen, die dich zur Erforschung meines Schicksals antreiben,« sagte Eveline, »allein, theure Rosa, ich schenke ihnen nichts desto weniger Glauben. Glaube mir, du sollst Alles erfahren – allein nur jetzt, denke ich, nicht.«

»Wie es Euch beliebt,« sagte Rosa; »und doch glaube ich, daß, wenn Ihr ein so schreckliches Geheimniß in Eurem Busen verschließt, sein Gewicht nur noch härter auf Euch lasten wird. Auf meine Verschwiegenheit könnt Ihr rechnen, wie auf die des heiligen Bildes, das die Beichte, die wir ihm anvertrauen, nie verräth. Zudem wird unsere Einbildungskraft vertrauter mit solchen Dingen, wenn man davon spricht, und das, womit man vertraut ist, verliert allmählig das Schreckliche, das ihm anhängt.«

»Du hast Recht, meine kluge Rosa, und gewiß, in der Mitte dieser tapfern Schaar, von meinem guten Pferde Yseulte so sanft getragen, als eine Blume, die sich auf dem grünenden Busche wiegt, von frischen und kühlen Winden umweht – beim lieblichen Dufte der Blumen, die ihre Kelche öffnen, und während der Gesang der Vögel unser Ohr ergötzt, und ich dich zu meiner Seite sehe – sollte ich es wohl für die geeignetste Zeit halten, dir das Geheimniß zu eröffnen, dessen Mittheilung du mit so gutem Rechte fordern darfst. Und ja! du sollst Alles erfahren. Du wirst doch wohl die Eigenschaften des von den Sachsen dieses Landes sogenannten Bahrgeistes kennen?«

»Verzeiht mir, Lady!« antwortete Rosa, »mein Vater verbot mir stets, Unterredungen über Dinge dieser Art Gehör zu schenken. Er sagte, ich könne böse Geister genug sehen, ohne daß meine Einbildungskraft gelehrt worden sei, sich deren phantastische zu erschaffen. Das Wort Bahrgeist hörte ich Gillian und andere Sachsen aussprechen, allein in mir erregt es bloß die Idee eines gewissen unbekannten Schreckens, und nie habe ich eine nähere Erklärung weder verlangt noch erhalten.«

»So wisse denn,« sagte Eveline, »es ist ein Gespenst – gewöhnlich das Bild eines Verstorbenen, der entweder wegen eines Unrechts, das ihm während seines Lebens an einem gewissen Orte wiederfahren ist, oder wegen Schätzen, die dort verborgen sind, oder aus irgend einem andern Grunde der Art, von Zeit zu Zeit den Ort besucht, mit denen, welche daselbst wohnen, vertraut wird, und Antheil an ihrem Schicksale nimmt, was manchmal gute, manchmal aber auch böse Folgen hat. Der Bahrgeist wird daher zuweilen als ein guter Genius betrachtet, zuweilen aber auch als ein Rachegeist, der besondere Familien und Klassen von Menschen verfolgt. Es ist das Loos der Familie Baldringham (die in andern Rücksichten von nicht geringer Bedeutung ist) den Besuchen eines solchen Wesens unterworfen zu sein!«

»Darf ich um die Ursache dieses Besuches fragen, vorausgesetzt, daß sie Euch bekannt ist,« sagte Rosa, die soviel als möglich die gesprächige Laune ihrer jungen Gebieterin, die vielleicht nicht lange dauerte, zu benützen suchte.

»Ich kenne die Legende nur unvollkommen,« erwiederte Eveline mit einiger Ruhe, die das Resultat einer mühsamen Beherrschung ihrer Herzens-Beklemmung war. »Allein im Allgemeinen lautete sie also: – Baldrick, der sächsische Held, der zuerst jene Wohnung besaß, verliebte sich in eine schöne Brittin, die von jenen Druiden, von welchen die Walliser so viel sprechen, abgestammt haben soll, und, wie man sagte, nicht unbekannt mit den Zauberkünsten war, welche diese ausübten, wenn sie in jenen Kreisen von unbehauenen Felsen, von denen du so viele gesehen hast, Menschenopfer darbrachten. Nach einer mehr als zweijährigen Ehe wurde Baldrick seiner Frau in einem solchen Grade müde, daß er den grausamen Entschluß faßte, sie zu tödten. Einige sagen, er habe an ihrer Treue gezweifelt. – Andere, die Kirche habe ihn dazu veranlaßt, da sie im Verdachte der Ketzerei gestanden sei, und wieder Andere, er habe sie einer reichern Heirath wegen aus dem Wege geschafft – aber Alle kommen in der Thatsache selbst überein. Er sandte zwei seiner Lehensleute nach dem Hause Baldringham, um die unglückliche Vanda zu tödten, und gebot ihnen, ihm als Zeichen der Vollführung seiner Befehle ihren Hochzeitsring zu bringen. Die Leute vollführten ihren Auftrag mit unbarmherziger Härte. Sie erwürgten die Unglückliche in jenem Zimmer, und da die Hand so aufgeschwollen war, daß keine Anstrengung den Ring abzuziehen vermochte, so setzten sie sich dadurch in den Besitz desselben, daß sie ihr den Finger abschnitten. Allein lange vor der Rückkehr ihrer grausamen Mörder erschien Vanda's Schatten vor dem erblassenden Gemahl, und verkündigte ihm, die blutige Hand hoch emporhaltend, wie getreu man seine unmenschlichen Befehle vollführt habe. Nachdem der Bahrgeist, oder der Geist der ermordeten Vanda, ihn im Frieden und Kriege, in der Oede, am Hofe und im Lager verfolgt hatte, bis er auf einer Pilgerfahrt nach dem heiligen Lande verzweifelnd starb; so wüthete er so sehr in dem Hause Baldringham, daß die Hülfe des heiligen Dunstan selbst seinem Unwesen kaum zu steuern vermochte. Ja, als der gesegnete Heilige endlich so glücklich war, den Geist zu beschwören, so legte er als Sühne für Baldrick's Verbrechen allen weiblichen Abkommen des Hauses bis in das dritte Glied eine harte und strenge Strafe auf. Er verpflichtete sie nämlich, einmal in ihrem Leben, und zwar vor dem einundzwanzigsten Jahr eine Nacht einsam in dem Zimmer der ermordeten Vanda zuzubringen und dort gewisse Gebete sowohl für ihre Ruhe als für die Leiden der Seele ihres Mörders herzusagen. In jener furchtbaren Zeit nun glaubt man allgemein, daß der Geist der Ermordeten der Jungfrau erscheint, welche die Nachtwache hält, und ihr ihr künftiges Glück oder Unglück enthüllt. Ist es günstig, so erscheint sie mit lächelndem Angesicht, und macht über sie das Zeichen des Kreuzes mit der unblutigen Hand, allein Unglück verkündet sie, wenn sie die Hand, von welcher der Finger getrennt wurde, mit einer finstern Miene zeigt, als wolle sie an dem Nachkommen ihres Gatten dessen unmenschliche Grausamkeit rächen. Manchmal soll sie auch sprechen. Diese einzelnen Umstände erfuhr ich schon vor langer Zeit von einer alten sächsischen Frau, der Mutter unserer Majorie, welche bei meiner Großmutter in Diensten stand, und das Haus Baldringham verließ, als diese mit meinem Großvater daraus entfloh.«

»Hat,« sagte Rosa, »Eure Großmutter dem Geiste jemals diese Huldigung erwiesen, die mir – mit Erlaubniß des heiligen Dunstan gesprochen – die Menschheit in eine zu nahe Berührung mit einem Wesen von so zweifelhafter Natur zu bringen scheint?«

»Mein Großvater war auch dieser Meinung, und erlaubte meiner Großmutter nach ihrer Verehelichung nie mehr, das Haus Baldringham zu besuchen; daher entsprang die Zwietracht zwischen ihm und seinem Sohne einerseits. Mehrere Unglücksfälle und insbesondere den Verlust der männlichen Erben, der sie zu dieser Zeit traf, gaben sie dem Umstande Schuld, daß meine Mutter dem Bahrgeiste mit dem blutigen Finger die erbliche Huldigung nicht dargebracht hatte.«

»Und wie konnte es Euch, meine theuerste Lady,« sagte Rosa, »da Ihr doch wußtet, was für eine gräßliche Sitte unter ihnen herrscht, je in den Sinn kommen, die Einladung der Lady Ermengarde anzunehmen?«

»Kaum kann ich dir diese Frage beantworten. Theils fürchtete ich, das Unglück meines Vaters (das ihm, wie ich ihn sagen hörte, einmal von seiner Tante prophezeit wurde), von seinem verachtetsten Feinde erschlagen zu werden, möchte eine Folge der Vernachlässigung dieses Gebrauches sein, und theils hoffte ich, wenn ich vor der nähergekommenen Gefahr erblassen würde, werde man mich aus Menschlichkeit und Höflichkeit nicht zwingen, sie zu bestehen. Du sahst, wie schnell meine hartherzige Verwandte mich dazu zu nöthigen wußte, und wie unmöglich es mir, in der der Name und, wie ich glaube, auch der Geist der Berenger fortlebt, ward, mich von dem Netze zu befreien, in das ich mich selbst verwickelt hatte.«

»Keine Rücksicht auf Stand oder Namen,« antwortete Rosa, »würde mich bewogen haben, mich dahin zu begeben, wo schon die Furcht allein, selbst ohne die Schrecknisse einer wahren Erscheinung, meine Anmaßung mit Wahnsinn hätte bestrafen können; aber in des Himmels Namen, was saht ihr an diesem gräßlichen Orte?«

»Ja, das ist eben die Frage,« – sagte Eveline, die Hand an die Stirne legend, »wie konnte ich Zeuge dessen sein, was ich so deutlich sah, ohne meinen Verstand und meine Besinnung einzubüßen! – Ich hatte die vorgeschriebenen Gebete hergesagt, und auf dem mir angewiesenen Lager sitzend, diejenigen meiner Kleider abgelegt, die mich an meiner Ruhe hätten hindern können – kurz ich hatte die erste Erschütterung überwunden, die mich beim Hereintreten in dieses geheimnißvolle Zimmer überfiel, und ich hoffte die Nacht in einem so gesunden Schlummer, als meine Gedanken unschuldig waren, zuzubringen. Allein meine Erwartung ward schrecklich getäuscht. Ich kann nicht bestimmen, wie lang ich geschlafen hatte, als mein Busen durch ein ungewöhnliches Gewicht niedergedrückt wurde, das meine Stimme zu ersticken, den Schlag meines Herzens zu hemmen, und mir das Athemschöpfen unmöglich zu machen schien; und als ich aufblickte, um die Ursache dieser furchtbaren Beklemmung zu entdecken, so zeigte sich mir über meinem Lager die Gestalt der ermordeten brittischen Matrone in mehr als Lebensgröße, mit einem Gesichte, in welchem würdevolle und schöne Züge mit einem wilden Ausdrucke rächerischer Wonne vereinigt waren. Sie hielt die Hand, welche die blutigen Zeichen der Grausamkeit ihres Gatten an sich trug, über mir, und es schien, als ob sie, mich der Vernichtung weihend, das Zeichen des Kreuzes mache. Zu gleicher Zeit sprach sie in einem überirdischen Tone die Worte:

Als Gattin Wittwe, und als Mädchen Weib,
Verlobt, Verrätherin und verrathen.

Das Gespenst beugte sich bei diesen Worten über mich hin, und senkte seine blutigen Finger, als ob es mein Gesicht berühren wollte. Da gab mir der Schrecken plötzlich die Kraft, deren er mich zuvor beraubt hatte. Ich schrie laut auf – das Fenster des Gemachs wurde mit lautem Geräusch aufgerissen – und – allein warum soll ich dir alles dies erzählen, Rosa, da du durch die Bewegungen deiner Augen und deiner Lippen so deutlich zu verstehen gibst, daß du mich für eine einfältige und kindische Träumerin hältst.«

»Zürnet nicht, meine theure Lady,« sagte Rosa, »ich glaube in der That, daß die Hexe, welche wir Mara Der Alp. nennen, mit Euch zu schaffen gehabt hat; allein sie wird, wie Ihr wißt, von den Aerzten für kein wirkliches Gespenst gehalten, sondern blos für ein Geschöpf unserer durch Ursachen, welche aus körperlicher Unpäßlichkeit entspringen, in Unordnung gerathenen Einbildungskraft.«

»Du bist ein gelehrtes Mädchen,« sagte Eveline ärgerlich; »allein, wenn ich dich versichere, daß mir mein guter Engel in menschlicher Gestalt zu Hülfe kam – daß bei seiner Erscheinung der Feind verschwand, und daß er mich auf seinen Armen aus dem Schreckenszimmer trug, so wirst du wohl als eine gute Christin meiner Erzählung mehr Glauben beimessen.«

»Gewiß! gewiß! meine theuerste Gebieterin, ich kann nicht;« erwiederte Rosa, »gerade der Erscheinung dieses Schutzengels wegen halte ich das Ganze für einen Traum. – Eine normännische Schildwache, die ich selbst zu diesem Ende von ihrem Posten abrief, kam Euch zu Hülfe; sie brach in Euer Gemach ein, und brachte Euch in dasjenige Zimmer, in welchem ich Euch in einem leblosen Zustande aus seinen Armen empfing.«

»Ein normännischer Krieger, ha!« rief Eveline hoch erröthend aus, »und wem, Mädchen, gabst du den Auftrag, in mein Schlafzimmer zu brechen?«

»Eure Augen funkeln vor Zorn. Habt Ihr aber auch Ursache dazu? – Hörte ich nicht Euer Angstgeschrei, und konnte ich mich wohl in einem solchen Augenblicke durch Rücksichten des Anstandes fesseln lassen? – eben so wenig, als wenn das Schloß in Flammen gestanden wäre.«

»Ich frage Euch noch einmal, Rosa,« sagte ihre Gebieterin immer noch mißmuthig, allein doch minder erzürnt, als anfänglich, »wem ertheiltet Ihr den Auftrag, in mein Gemach zu brechen?«

»In der That ich weiß es nicht, Lady,« sagte Rosa, »denn zudem, daß er in seinen Mantel gehüllt war, stand wenig zu erwarten, daß ich seine Züge erkennen würde, selbst wenn ich sie auch offen und unverhüllt erblickt hätte; allein ich kann den Cavalier bald entdecken: und dieß will ich auch sogleich thun, damit ich ihm den verheißenen Lohn geben, und Verschwiegenheit einschärfen kann.«

»Thue es,« sagte Eveline, »und wenn du ihn unter den Kriegern findest, die uns begleiten, so will ich in der That mich zu deiner Meinung bekennen und glauben, daß die Phantasie den größten Antheil an den Uebeln gehabt hat, die ich diese Nacht erduldet habe.«

Rosa gab ihrem Zelter einen Hieb mit ihrer Gerte, und ritt, von ihrer Gebieterin begleitet, zu Philipp Guarine, dem Knappen des Constabels, hin, der für jetzt ihre kleine Bedeckung befehligte.

»Guter Guarine,« sagte sie, »ich habe mit einem von diesen unsern Begleitern in der vorigen Nacht von meinem Fenster aus gesprochen, und er leistete mir einen kleinen Dienst, für den ich ihn zu belohnen versprach – wollt Ihr Euch nach dem Manne erkundigen, damit ich ihm seinen Lohn geben kann?«

»Wahrlich, ich bin ihm auch einen Lohn schuldig, hübsches Mädchen,« antwortete der Knappe, »denn, wenn einer von ihnen dem Hause so nahe kam, daß Jemand von dem Fenster aus mit ihm sprechen konnte, so überschritt er die ihm ertheilten bestimmten Befehle der Wache.«

»Pah! Ihr müßt ihm das um meinetwegen verzeihen. Ich wette, hätte ich Euch selbst angerufen, wackerer Guarine, ich würde Einfluß genug gehabt haben, Euch unter mein Fenster zu bringen.«

Guarine lachte und sagte, die Schultern zuckend: »Wenn Weiber im Spiele sind, ist die Kriegszucht in Gefahr.« Er eilte hierauf hinweg, um die nöthigen Erkundigungen unter seiner Schaar einzuziehen, kam aber mit der Versicherung zurück, seine Krieger haben sammt und sonders geläugnet, daß sie sich in der vergangenen Nacht der Wohnung der Lady Ermengarde genähert haben.

»Du siehst Rosa,« sagte Eveline, mit einem bedeutungsvollen Blicke, zu ihrer Begleiterin.

»Die armen Bursche fürchten Guarine's Strenge und wagen es nicht, die Wahrheit zu sagen – sicherlich wird Einer kommen, und im Geheimen seinen Lohn von mir fordern.«

»Ich wollte, ich hätte das Recht selbst dazu,« sagte Guarine, »allein, was diese Bursche betrifft, so sind sie nicht so furchtsam als Ihr glaubt, ja! sie sind nur zu bereit, sich ihrer Schelmenstreiche zu rühmen, wenn sie noch weniger zu entschuldigen sind – zudem habe ich ihnen Straflosigkeit zugesagt. – Habt Ihr noch sonst etwas zu befehlen?«

»Nichts, guter Guarine,« sagte Eveline, »außer daß Ihr dieses kleine Geschenk annehmen sollt, um Wein für Eure Krieger anzuschaffen, damit sie die nächste Nacht fröhlicher zubringen, als die letztverflossene. – Und jetzt ist er fort – Mädchen, du mußt jetzt, denke ich, wohl einsehen, daß was du sahest, kein irdisches Wesen war?«

»Ich muß meinen eigenen Ohren und Augen glauben, Fräulein,« erwiederte Rosa.

»Wohl – allein gesteht mir dasselbe Privilegium zu,« entgegnete Eveline. »Glaube mir, mein Erretter (denn so muß ich ihn nennen) trug die Züge eines Wesens, das nie in der Nähe von Baldringham war, noch sein konnte. – Sage mir nur Eines. – Was hältst du von dieser sonderbaren Prophezeiung? – ›Als Gattin Wittwe und als Mädchen Weib, vermählt, Betrügerin und betrogen.‹ Du wirst sagen, es sei eine bloße Erfindung meines Gehirns – allein halte es einen Augenblick für den Ausspruch eines ächten Wahrsagers und sage mir, was du davon denkst?«

»Daß du wohl betrogen werden, nie aber selbst betrügen kannst, meine theuerste Lady,« sagte Rosa lebhaft.

Eveline reichte ihrer Freundin die Hand, und als sie die ihr von Rosa ebenfalls gereichte zärtlich drückte, flüsterte sie ihr mit Wärme die Worte zu: »Ich danke dir für das Urtheil, das mein eigenes Herz bestätigt.«

Eine Staubwolke kündigte jetzt die Ankunft des Constabel von Chester und seines Gefolges an, das noch durch die Anwesenheit seines Wirthes Sir William Herbert, und einiger seiner Nachbarn und Verwandten vermehrt war, die der Waise von Garde doloureuse (denn unter diesem Namen war Eveline auf ihrem Durchzuge durch ihr Gebiet bekannt) ihre Ehrfurchtsbezeugungen darbringen wollten.

Eveline bemerkte, daß bei ihrer Begrüßung de Lacy mit unmuthigem Erstaunen auf die in ihrem Anzuge herrschende Unordnung blickte, die ihre eilige Abreise von Baldringham nothwendig herbeigeführt hatte; und sie ward ebenfalls durch einen Ausdruck seines Gesichtes überrascht, der zu sagen schien, ich bin nicht gewohnt, wie eine gewöhnliche Person behandelt zu werden, die man ungestraft nachlässig empfangen und geringschätzig behandeln kann. Zum Erstenmale bemerkte sie, daß des Constabels Gesichtsbildung, obwohl sie stets der Anmuth und Schönheit ermangelte, doch besonders dazu geschaffen war, die wilderen Leidenschaften mit Nachdruck und Lebhaftigkeit auszudrücken, und daß die, welche seinen Rang und Namen theilen wolle, sich entschließen müsse, ihr ganzes Wollen und alle ihre Wünsche denen eines eigenmächtigen Herrn und Gebieters zu unterwerfen.

Allein bald verschwand die Wolke von des Constabels Stirne; und in dem Gespräche, das er nachher mit Herbert und den andern Rittern und Edelleuten führte, die von Zeit zu Zeit kamen, um sie zu begrüßen, und eine kurze Strecke Wegs zu begleiten, hatte Eveline Gelegenheit, seine Ueberlegenheit in Wort und Gedanke zu bewundern, und die Aufmerksamkeit und Achtung zu bemerken, mit der seine Worte von Männern gehört wurden, die zu hohen Ranges und zu stolz waren, als daß sie irgend eine Obergewalt, die nicht auf wirkliches Verdienst gegründet gewesen wäre, anerkannt hätten. Auf das Urtheil, das die Frauen über irgend eine Person fällen, hat im Allgemeinen das Ansehen großen Einfluß, in dem diese Person bei den Menschen steht. Auch Eveline, als sie ihre Reise in dem Benediktiner-Nonnenkloster in Gloucester beendigte, konnte nicht ohne Achtung an den berühmten Krieger und geschätzten Staatsmann denken, dessen anerkannte Fähigkeiten ihn über jeden Andern, den sie sich ihm nahen gesehen hatte, zu erheben schienen. Seine Gattin, dachte Eveline (und sie war nicht ohne Ehrgeiz) wenn sie bei ihrem Gemahle auf einige jener Eigenschaften verzichte, die in der Jugend für die weibliche Einbildungskraft am anziehendsten sind, würde wenigstens allgemein geehrt und geachtet werden, und Zufriedenheit, wenn auch nicht romantisches Glück, erlangen können.



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