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Fünfzehntes Kapitel.

Zuweilen, däucht mir's, hör' ich Geister ächzen,
Dann dumpfen Klang und klägliches Gewimmer;
Und wie ein sterbend Echo ruft die Stimme
Der Mutter: o Almeyda freie nicht,
Dein Freien, o Almeyda, ist Verbrechen.

Don Sebastian.

Der Abend zu Baldringham würde ungeheuer und unerträglich lang geschienen haben, hätte es sich nicht bewährt, daß die Furcht vor einer drohenden Gefahr die Zeit zwischen uns und der gefürchteten Stunde rasch entrinnen läßt. Wenn daher Evelinen die Unterhaltung ihrer Tante und Berwinens, welche von der langen Abkunft ihrer Vorfahren von dem kriegerischen Horsa, so wie von den Thaten der sächsischen Kriegshelden und den Wundern der sächsischen Mönche handelte, wenig interessirte oder ergötzte, so wollte sie doch noch lieber diese Legenden anhören, als an das gefürchtete Gemach denken, in welchem sie die Nacht zubringen sollte. Jedoch fehlte es nicht an solchen Vergnügungen, welche das Haus Baldringham gewähren konnte. Ein kostbares Mahl, das für zwanzig hungrige Personen hingereicht haben würde, von einem ernsten, sächsischen Mönche eingesegnet, wurde vor Ermengarde und ihrer Nichte aufgetragen. Außer dem ehrwürdigen Manne wohnten ihm nur noch Berwine und Rosa Flammock bei.

Eveline war um so weniger geneigt, diesem Uebermaaße von Gastfreundschaft Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, als die Gerichte insgesammt von der groben und nahrhaften Gattung waren, welche die Sachsen bewunderten, die aber mit der verfeinerten und ausgesuchten Kochkunst der Normannen unvortheilhaft contrastirte, gleichwie der mäßige Becher des leichten schmackhaften Gascognerweins, über die Hälfte mit dem reinsten Wasser gemischt, mit dem kräftigen Ale, dem starkgewürzten Hippocras und andern berauschenden Getränken, die Evelinen abwechslungsweise von dem Haushofmeister Hundwolf, der Gastfreundschaft des Hauses Baldringham zu Ehren, vergebens angeboten wurden.

Eben so wenig als die Ueppigkeit des nahrhaften Mahles war die im Hause Baldringham gebräuchliche Abendunterhaltung nach Evelinens Geschmacke. Nachdem die Tische, auf denen das Essen aufgetragen worden war, aus dem Zimmer entfernt waren, begannen die Diener unter Anleitung des Haushofmeisters verschiedene lange Wachskerzen anzuzünden, von denen eine in Grade abgetheilt war, um die vorübereilende Zeit zu bezeichnen, und sie in Theile abzusondern. Diese wurden vermittelst erzener Kugeln angezeigt, die mit Fäden an die Kerze befestigt waren. Die Zwischenräume zwischen ihnen waren darauf berechnet, eine gewisse bestimmte Zeit bis zu ihrem Abbrennen einzunehmen, so, daß wenn die Flamme den Faden erreichte und die Kugeln nacheinander in ein erzenes Becken fielen, das zu ihrem Empfange aufgestellt war, gewissermaßen der Dienst einer modernen Uhr dadurch versehen ward. Um dieses Licht setzte sich die Gesellschaft für den Abend.

Der hohe und geräumige Stuhl der alten Ermengarde wurde, dem Herkommen gemäß, aus der Mitte des Zimmers an die wärmste Seite eines großen Rostes gestellt, der mit Holzkohlen angefüllt war. Ihrem Gaste wurde der Ehrensitz zu ihrer rechten Seite angewiesen. Berwine stellte jetzt die weibliche Dienerschaft in die gebührende Ordnung, und als sie sah, daß jede mit der ihr angewiesenen Arbeit beschäftigt war, setzte sie sich selbst nieder, um Spindel und Rocken zu gebrauchen. In einem entfernteren Kreise waren die Männer mit der Ausbesserung ihrer landwirthschaftlichen Werkzeuge, oder mit dem Putzen ihres Jagdgeräths, unter der Aufsicht des Haushofmeisters Hundwolf, beschäftigt. Zur Unterhaltung der so versammelten Familie sang ein alter Spielmann zu einer, bloß mit vier Saiten bezogenen Harfe, eine lange und dem Anscheine nach endlose Legende über einen religiösen Gegenstand. Für Evelinen war diese Legende fast ganz unverständlich durch die ungewöhnliche und verwirrende Künstelei des Dichters, der um der Alliteration willen, die für eine große Zierde der sächsischen Poesie galt, den Sinn dem Klange aufgeopfert, und Wörter in der gezwungensten und fernsten Bedeutung gebraucht hatte. Die Dunkelheit ihres Sinnes ward noch durch häufige Elisionen und die ungeräumtesten und übertriebensten Beiwörter verstärkt.

Obgleich Eveline mit der sächsischen Sprache wohl bekannt war, so hörte sie doch bald auf, dem Sänger zuzuhören, um einen Augenblick an die frohen Fabliaux und die phantasiereichen Lais der normännischen Minstrels zu denken, dann aber mit ängstlicher Besorgniß verschiedene Muthmaßungen über das anzustellen, was ihr wohl in dem geheimnißvollen Zimmer, in dem sie die Nacht zuzubringen verurtheilt war, begegnen werde.

Endlich kam die Stunde der Trennung. Eine halbe Stunde vor Mitternacht, – ein Zeitpunkt, den die Verzehrung der ungeheuern Wachskerze vergewisserte, – fiel die Kugel, die daran befestigt war, klingend in das erzne Becken und kündigte Allen die Stunde der Ruhe an. Der alte Spielmann hemmte augenblicklich, und zwar in der Mitte einer Stanze, den Strom seines Gesanges, und die ganze Dienerschaft war eben so schnell auf den Füßen, als sie das Zeichen vernahm. Ein Theil derselben zog sich in seine Kammern zurück, ein anderer zündete Fackeln an, oder nahm Lampen zur Hand, um die Gäste zu ihren Ruhestätten zu geleiten. Unter diesen Letztern befand sich auch eine Schaar Kammerfrauen, denen die Pflicht auferlegt war, Lady Evelinen in ihr Schlafgemach zu führen. Ihre Tante nahm einen feierlichen Abschied von ihr, bekreuzte ihr die Stirne, küßte diese, und flüsterte ihr sodann die Worte in's Ohr: »sei muthig und sei glücklich.«

»Kann mein Kammermädchen, Rosa Flammock, oder meine Putzfrau, Dame Gillian, Raouls Weib, nicht diese Nacht bei mir in meinem Zimmer bleiben?« fragte Eveline.

»Flammock – Raoul!« wiederholte Ermengarde ärgerlich; »besteht dein Haushalt aus solchen Leuten? Die Flamänder sind für die Britten der kalte Schlagfluß, die Normannen das hitzige Fieber.«

»Und die armen Walliser,« sagte Rosa, deren Unwille ihre Ehrfurcht vor der alten sächsischen Dame zu überwiegen begann, »werden hinzufügen, daß die Angelsachsen die ursprüngliche Krankheit waren, und einer verwüstenden Pestilenz gleichen.«

»Du bist zu kühn, Schätzchen,« sagte Lady Ermengarde, auf das flamändische Mädchen unter ihren schwarzen Brauen hervorblickend; »und doch ist Verstand und Witz in deinen Worten. Sachsen, Dänen und Normannen haben das Land gleich hintereinander hertobenden Wogen überfallen. Alle hatten Kraft genug, das zu unterwerfen, was sie zu erhalten nicht Weisheit genug besaßen. Wann wird es anders sein?«

»Wenn Sachsen, Britten, Normannen und Flamänder,« antwortete Rosa kühn, »lernen werden, sich bei Einem Namen zu nennen, und sich als Kinder des Landes, in welchem sie geboren worden sind, zu betrachten.«

»Ha!« rief Lady Baldringham, halb erstaunt und halb ergötzt aus. Dann setzte sie, an ihre Verwandte sich wendend, hinzu, »das Mädchen hat Witz und Beredtsamkeit, sorge dafür, daß sie diese Gaben gebraucht, nicht aber mißbraucht.«

»Sie ist so gutmüthig und treu als rasch und schnellbesonnen,« sagte Eveline. »Ich bitte Euch, theuerste Tante, erlaubt, daß sie mir diese Nacht Gesellschaft leistet.«

»Das kann nicht sein – es würde Beide in Gefahr bringen. Allein mußt du dein Geschick erfahren, wie alle Frauen unseres Geschlechtes, deine Großmutter ausgenommen; und was waren die Folgen davon, daß sie die Regeln unseres Hauses vernachlässigte? Seht! ihre Enkelin steht jetzt vor mir, eine Waise, in der Blüthe ihrer Jugend.«

»So will ich denn gehen,« sagte Eveline, mit einem Ergebung ausdrückenden Seufzer. »Man soll nie von mir sagen, ich habe aus Furcht vor gegenwärtigem Schrecken zukünftiges Weh bereitet.«

»Eure Dienerinnen,« sagte Lady Ermengarde, »mögen das Vorzimmer einnehmen, wo Euer Ruf sie fast erreichen kann. Berwine wird Euch das Zimmer zeigen – ich kann es nicht; denn wir, wie du wohl wissen wirst, die wir es einmal betreten haben, kehren nicht mehr dahin zurück. Lebe wohl, mein Kind, und möge der Himmel dich segnen!«

Mit mehr menschlicher Rührung und Sympathie, als sie bisher gezeigt hatte, grüßte sie Lady Evelinen noch einmal und gab ihr ein Zeichen, Berwinen zu folgen, die sie, von zwei fackelntragenden Dienerinnen begleitet, in das gefürchtete Gemach zu führen bereit war.

Ihre Fackeln funkelten längs der rauhgebauten Mauern und der dunkelgewölbten Decken einiger langgewundener Gänge hin. Dann setzte sie ihr Licht in den Stand, die Stufen einer Wendeltreppe hinabzusteigen, deren Ungleichheit und Holperigkeit ihr Alterthum verriethen; und endlich gelangte man in ein ziemlich geräumiges Gemach, in dem untern Geschoße des Gebäudes, dem einige alte Tapeten, ein hochflackerndes Feuer auf dem Herde, des Mondes Strahlen, die durch ein vergittertes Fenster verstohlen drangen, und die Zweige eines Myrtenbaums, der an den Fenstern heraufwuchs, kein unfreundliches Aussehen gaben.

»Dieß ist der Ruheort Eurer Dienerinnen,« sagte Berwine, auf die Lagerstätten deutend, welche für Rosa und Dame Gillian bereitet worden. »Wir,« setzte sie hinzu, gehen weiter.«

Sie nahm hierauf eine Fackel von den beiden Dienerinnen, die angstvoll zurückzubeben schienen, worin sie Dame Gillian nachahmte, obwohl sie wahrscheinlich den Grund davon nicht kannte. Allein Rosa Flammock folgte ungeheißen und ohne Zögerung ihrer Gebieterin, als Berwine sie durch ein enges Pförtchen, am obern Ende des Gemaches, in ein zweites aber kleineres Vorzimmer – oder Kleiderkammer (Garderobe) – führte, an dessen Ende sich eine ähnliche Thüre befand. Die Fenster dieser Garderobe waren mit Immergrün umrankt, und wie das erstere war es durch ein schwaches Mondlicht erhellt.

Berwine blieb jetzt stehen, und auf Rosa deutend, fragte sie Evelinen, »warum folgt sie

»Meiner Gebieterin Gefahr zu theilen, welcher Art sie auch sein mag,« antwortete Rosa mit der ihr eigenen Entschlossenheit in Rede und Handlung. »Sprecht,« sagte sie, »meine theuerste Lady,« Evelinens Hand ergreifend, indem sie sie anredete: »Ihr wollt Eure Rosa nicht von Euch stoßen? Wenn ich auch minder hochherzig bin, als ein Mädchen Eures gepriesenen Stammes, so bin ich doch bei jedem ehrlichen Dienste kühn und schnell besonnen. – Ihr zittert wie Espenlaub! geht nicht in dieses Gemach – laßt Euch nicht durch alle die prunkenden und geheimnißvollen Vorkehrungen verführen; bietet diesem verjährten, und wie ich meine, halbheidnischen Aberglauben Trotz!«

»Lady Eveline muß gehen!« entgegnete Berwine in ernstem Tone; »und sie muß gehen ohne irgend eine vorlaute Rathgeberin oder Gefährtin.«

»Muß gehen« – wiederholte Rosa. »Redet man eine solche Sprache mit einem freien und edlen Mädchen? – Theuerste Lady, gebt mir nur den geringsten Wink, daß Ihr es wünscht, und ihr Mußgehen soll auf die Probe gestellt werden; ich will vom Fenster aus den normännischen Reitern rufen, und ihnen sagen, daß wir in eine Hexenhöhle, nicht aber in ein gastliches Haus, gerathen sind.«

»Still! Unsinnige,« sagte Berwine mit vor Aerger und Furcht zitternder Stimme; »Ihr wißt nicht, wer in dem nächsten Zimmer wohnt.«

»Ich will Leute herbeirufen, die dieß bald untersucht haben werden,« sagte Rosa an's Fenster fliegend, allein Eveline hielt sie, ihren Arm ergreifend, zurück.

»Ich danke dir für deine Güte, Rosa,« sagte sie, »allein sie kann mir in dieser Sache nichts helfen; die, welche in jene Thüre tritt, muß allein hineintreten.«

»So will ich denn statt Eurer hineintreten, meine theuerste Gebieterin,« sagte Rosa. »Ihr seid blaß – Ihr seid kalt – Ihr werdet vor Schrecken sterben, wenn Ihr hineingeht. Es mag eben so viel List und Betrug, als übernatürliche Einwirkung bei dieser Sache im Spiele sein. – Mich werden sie nicht betrügen, oder wenn irgend ein böser Geist ein Opfer fordert, – besser Rosa, als ihre Gebieterin.«

»Nein! Nein!« sagte Eveline, sich muthig sammelnd; »du machst, daß ich über mich selbst erröthe. Dieser Gebrauch ist ein altes Gottesurtheil, dem sich die weiblichen Sprößlinge des Hauses Baldringham bis in das dritte Glied, aber auch nur sie, unterwerfen müssen. In der That, ich erwartete nicht, es in meiner gegenwärtigen Lage bestehen zu müssen; aber da mich der Augenblick so gebieterisch mahnt, so will ich mich ihm so freiwillig unterwerfen, als irgend eine meiner Vorgängerinnen.«

So sprechend nahm sie Berwinen die Fackel aus der Hand, und ihr und Rosa gute Nacht wünschend, entwand sie sich sanft dem Arme der Letzteren, und näherte sich dem geheimnißvollen Zimmer. Rosa folgte ihr weit genug, um gewahren zu können, daß es ein Zimmer von mittlerer Größe war, dem ähnlich, durch das sie zuletzt gegangen waren, und durch die Strahlen des Mondes erleuchtet, der durch ein Fenster drang, das mit den Fenstern der Vorzimmer eine und dieselbe Reihe bildete.

Weiter konnte sie nicht sehen; denn Eveline kehrte sich auf der Thürschwelle um, und sie zu gleicher Zeit küssend, schob sie sie sanft in das kleinere Gemach zurück, das sie so eben verlassen hatte, schlug die Mittelthüre zu und verriegelte sie, als wollte sie sich gegen Rosa's wohlgemeinte Zudringlichkeit schützen.

Berwine forderte nun Rosa auf, sich, wenn ihr ihr Leben lieb sei, in das Vorzimmer zurückzuziehen, wo die Betten bereit seien, und wenn auch nicht der Ruhe, doch wenigstens der Stille und dem Gebete nachzuhängen; allein das treue flamändische Mädchen achtete ihre Aufforderungen nicht und widerstand ihren Befehlen.

»Sprecht mir nicht von Gefahr,« sagte sie; »hier bleibe ich, damit ich wenigstens Zeuge der Gefahr meiner Gebieterin sein kann, und wehe denen, die ihr ein Leid zufügen! – Bedenkt, daß zwanzig normännische Speere diese ungastliche Wohnung umringen, und bereit sind, jede Kränkung zu rächen, die der Tochter Raymond Berengers zugefügt worden ist.«

»Spare deine Drohungen für diejenigen, welche sterblich sind,« sagte Berwine mit leisem aber durchdringenden Flüstern; »der Eigenthümer jenes Zimmers fürchtet sie nicht. – Lebe wohl – deine Gefahr komme über dein eigenes Haupt.«

Sie entfernte sich, Rosa in sonderbarer Bewegung über das Vorgefallene, und durch ihre letzten Worte etwas erschreckt, zurücklassend. »Diese Sachsen,« sagte das Mädchen bei sich selbst, »sind, Alles genau überlegt, nur halb bekehrt, und halten noch an manchen ihrer alten höllischen Gebräuche, hinsichtlich der Anbetung der Elementargeister. Selbst ihre Heiligen sind den Heiligen aller christlicher Länder unähnlich, und haben, so zu sagen, einen Anstrich von Wildheit und Teufelmäßigkeit. Es hat etwas Furchtbares, allein hier zu sein – und eine tiefe Todtenstille herrscht in dem Gemache, das meine Gebieterin so sonderbarerweise zu betreten gezwungen worden ist. Soll ich Dame Gillian aufwecken? – doch nein! sie hat weder Verstand, noch Muth, noch Grundsätze, um mir bei einer solchen Gelegenheit behülflich zu sein, – besser allein, als einen falschen Freund neben sich zu haben. Ich will sehen, ob die Normannen auf ihrem Posten sind, da ich mich auf sie verlassen muß, falls Gefahr drohen sollte.«

Dieses in ihrer Seele bewegend trat Rosa Flammock an das Fenster des kleinen Gemachs, um sich von der Wachsamkeit der Schildwache zu überzeugen, und die Stellung des Corps de Garde genau zu erspähen. Der Mond, dessen volle Scheibe sichtbar war, setzte sie in den Stand, die Beschaffenheit des vor ihr liegenden Bodens genau zu erforschen. Sie fand sich allererst sehr getäuscht, als sie bemerkte, daß die Reihe Fenster, die sowohl den zwei Vorzimmern, als dem geheimnißvollen Gemache selbst, Licht ertheilte, statt dem Erdboden so nahe zu sein, als sie geglaubt hatte, auf einen alten Graben hinabsah, durch den sie von dem jenseitigen ebenen Grunde getrennt war. Die Vertheidigung, welche dieser Graben gewährte, schien schon seit langer Zeit unbeachtet worden zu sein, und sein vollkommen ausgetrockneter Grund war an vielen Orten mit Büschen und niedrigen Bäumen bedeckt, die gegen die Mauer des Schlosses emporstiegen, und vermittelst welcher, wie es Rosa schien, die Fenster leicht erstiegen und in die Wohnung eingedrungen werden konnte. Der an das Schloß angränzende Raum war in einem beträchtlichen Grade licht und offen, und die bleichen Strahlen des Mondes schlummerten auf seinem dichten und schönen Rasen, mit den langen Schatten der Thürme und Bäume vermischt. Jenseits dieser Esplanade lag die Waldung mit wenigen gigantischen Eichen, die einzeln längs der Gränze ihres finstern und weiten Gebiets hingestreuet waren, gleich Kriegshelden, die vor einem in Schlachtordnung stehenden Heere kampfbegierig festen Fuß fassen.

Die milde und ruhige Schönheit einer so herrlichen Scene, die rings umher herrschende Stille, und die reifern Ueberlegungen, zu welchen das Ganze unwillkürlich führte, stillten einigermaßen die Besorgnisse, mit denen die Ereignisse des Abends Rosa erfüllt hatten. »Warum sollte ich,« dachte sie bei sich selbst, »wenn ich die Sache genauer überlege, für Lady Evelinen so besorgt sein? Es ist unter den stolzen Normannen und den mürrischen Sachsen kaum eine Familie von Auszeichnung, die sich nicht durch eigenthümliche, abergläubische Gebräuche von andern unterschiede, als ob sie es unter ihrer Würde hielten, gleich einer armen einfachen Flamänderin, wie ich bin, in's Himmelreich einzugehen. – Könnte ich nur eine normännische Schildwache sehen, so würde ich mich von der Sicherheit meiner Gebieterin überzeugt halten. – Und sieh! dort schleicht einer im Schatten einher, in seinen langen weißen Mantel gehüllt, und die Spitze seiner Lanze vom Mondlichte versilbert. – He! Da! Herr Kavalier!«

Der Normann lenkte auf diesen Ruf seine Schritte zurück und näherte sich dem Graben.

»Was beliebt Euch, Jungfrau?« fragte er.

»Das Fenster hier, das dem meinigen zunächst steht, ist das der Lady Eveline Berenger, die ihr zu bewachen angewiesen seid. Habt die Gefälligkeit, auf diese Seite des Schlosses Euer vorzüglichstes Augenmerk zu richten.«

»Zweifelt nicht daran, Lady,« antwortete der Ritter, und sich in seinen langen Chappe oder kriegerischen Wachtmantel hüllend, zog er sich unter einen großen, in einiger Entfernung stehenden Eichbaum zurück und blieb hier mit übereinandergeschlagenen Armen, und auf seine Lanze gelehnt, stehen, mehr einer Waffentrophäe als einem lebenden Krieger ähnlich.

Ermuthigt durch das Bewußtsein, daß im Nothfalle Hülfe nahe sei, zog sich Rosa in ihr kleines Zimmer zurück, und nachdem sie eine Zeitlang gelauscht, und sich überzeugt hatte, daß in Evelinens Gemache kein Geräusch zu vernehmen sei, begann sie einige Vorkehrungen zu ihrer eigenen Ruhe zu treffen. Zu diesem Ende ging sie in das äußere Vorzimmer, wo Dame Gillian, deren Besorgnisse den schlafbringenden Wirkungen eines reichlichen Schlucks lithe-alos (Ale von der besten und stärksten Gattung) Platz gemacht hatten, einen so tiefen Schlaf schlief, als dieses edle sächsische Getränk immer nur gewähren konnte.

Einen unwilligen Tadel über ihre Trägheit und Gleichgültigkeit murmelnd, nahm Rosa von dem leeren für sie bereiteten Lager die Decke weg, schleppte sie in das innere Vorzimmer und brachte sie in eine solche Lage, daß sie mit Hülfe der Binsendecken, die sich in dem Gemache befanden, eine Art von Lager bildete, auf dem sie halb sitzend, halb rückgelehnt, die Nacht zuzubringen entschlossen war. In dieser Stellung und ihr Auge auf den blassen Planeten gerichtet, der in voller Glorie den blauen, mitternächtlichen Himmel durchsegelte, beschloß sie, es solle kein Schlaf ihr Augenlied besuchen, bevor der anbrechende Morgen sie von Evelinens Sicherheit überzeugt habe.

Ihre Gedanken verweilten indessen auf der unbegränzten und in Schatten gehüllten Welt, jenseits des Grabes, und auf der großen vielleicht jetzt noch unentschiedenen Frage, ob die Trennung ihrer Bewohner von denen dieser zeitlichen Sphäre absolut und entschieden sei, oder ob sie durch Motive, welche wir nicht würdigen können, angeregt, eine dunkle Verbindung mit denen zu unterhalten fortfahren, die noch in irdischer Realität, d. h. in Fleisch und Blut umherwandeln. Dieß abläugnen würde in dem Zeitalter der Kreuzzüge und der Wunder der Ketzerei schuldig gemacht haben; allein Rosa lehrte ihr fester und gesunder Verstand, wenigstens an der Häufigkeit übernatürlicher Einmischungen zu zweifeln. Sie tröstete sich daher mit der, obwohl durch die unwillkürlichen Schauder, die sie bei jedem sich regenden Blatte anwandelten, widerlegten Meinung, daß Eveline, indem sie sich dem ihr auferlegten Gebrauche unterwerfe, in keine wirkliche Gefahr gerathe, sondern bloß einem verjährten Familienaberglauben huldige. So wie sich diese Ueberzeugung in Rosa's Seele festsetzte, fing ihr Entschluß, die Nacht wachend zuzubringen, zu wanken an – ihre Gedanken verirrten sich zu Gegenständen, auf die sie nicht gerichtet waren, gleich Schafen, die der Aufsicht ihres Hirten entlaufen – ihre Augen brachten ihr kein deutliches Bild von der breiten, runden und silbernen Scheibe mehr zurück, nach der sie noch immer hinstarrten. Endlich schlossen sie sich, und auf dem zusammengefalteten Mantel sitzend, ihren Rücken gegen die Wand des Zimmers gekehrt, und ihre weißen Arme über ihrem Busen gekreuzt, sank Rosa Flammock in tiefen Schlummer.

Furchtbar ward ihre Ruhe durch einen gellenden und durchdringenden Schrei gestört, der aus dem Gemache drang, in welchem ihre Gebieterin ruhte. Auffahren und an die Thüre fliegen, war bei dem edlen Mädchen, das der Furcht nie mit der Liebe oder der Pflicht zu kämpfen gestattete, das Werk eines Augenblicks. Allein die Thüre war verriegelt und verschlossen, und ein anderer, schwächerer und fast ächzender Schrei schien zu sagen: die Hülfe muß augenblicklich sein, oder sie ist vergebens. Eilig stürzte Rosa an's Fenster, und rief nicht, sondern schrie dem normännischen Soldaten zu, der, an den weißen Falten seines Wachtrockes kenntlich, noch immer seine vorige Stellung unter dem alten Eichbaume behauptete. Bei dem Rufe: »Hülfe! Hülfe! Lady Eveline ist ermordet!« stürzte die anscheinende Statue, plötzlich zu lebensvoller Thätigkeit erwachend, mit der Schnelligkeit eines Rennpferdes an den Rand des Grabens, und war eben im Begriffe, über denselben, dem Orte gegenüber, zu setzen, wo Rosa an dem offenen Fenster stand, und ihn durch Stimme und Geberde zur Eile aufforderte.

»Nicht hier – nicht hier!« rief sie mit athemloser Hast aus, als sie sah, daß er ihr zueilte. – »Das Fenster zur Rechten – Um Gotteswillen ersteigt es, und öffnet die Zwischenthür!«

Der Soldat schien sie zu verstehen – denn ohne Zaudern sprang er in den Graben, und ergriff beim Hinabspringen, um sich vor einem Sturze zu bewahren, einige Baumäste. Auf einmal verschwand er unter dem Gesträuche, allein in einem Nu befand er sich, mit Hülfe der Aeste einer Zwergseiche, neben Rosa, und nahe bei dem Fenster des unheilvollen Gemachs. Nur noch eine Furcht blieb – das Fenster war vielleicht gegen einen Eindrang von Außen geschützt – aber nein, es wich dem ersten Stoße des Normannen, und da die Macht der Zeit seine Klammern mürbe gemacht hatte, so fiel es mit einem Geräusch, dem selbst Dame Gillians Schlummer nicht zu widerstehen im Stande war, in's Zimmer nieder.

Schrei auf Schrei häufend, nach der gewöhnlichen Sitte der Narren und Memmen, stürzte Gillian aus dem Vorzimmer in das Kabinet, gerade als sich Evelinens Zimmerthüre öffnete, und der Soldat, die halbentkleidete und leblose Gestalt des normännischen Mädchens auf seinen Armen tragend, erschien. Ohne ein Wort zu sprechen, legte er sie in Rosa's Arme, und mit eben der Eile, mit der er hereingekommen war, stürzte er zu dem offenen Fenster hinaus, von welchem aus ihn Rosa herbeigerufen hatte.

Gillian, von Furcht und Verwunderung halb außer sich, häufte Ausrufungen auf Fragen, und vermischte Fragen mit Hülfsrufen, bis sie Rosa ernst und in einem Tone zurechtwies, der ihre zerstreuten Sinne wieder zu sammeln schien. Sie faßte sich endlich in so weit, daß sie eine Lampe holte, die in dem Zimmer, das sie so eben verlassen hatte, brannte, und sich wenigstens einigermaßen durch die Anrathung und Anwendung der gewöhnlichen Mittel, durch die das entflohene Bewußtsein wieder zurückgerufen wird, brauchbar machte. Ihre Mühe ward endlich belohnt, denn Eveline seufzte tief auf, und öffnete ihre Augen, allein sie schloß sie alsbald wieder, und ihr Haupt auf Rosa's Busen niedersenkend, ward sie von einem starken, fieberhaften Schaudern ergriffen. Ihre treue Dienerin rieb indessen ihre Hände und Schläfe abwechslungsweise mit liebevoller Emsigkeit, und verband häufige Liebkosungen mit diesen Bemühungen, bis sie endlich laut ausrief: »sie lebt! – sie erholt sich wieder; gelobt sei Gott!«

»Gelobt sei Gott!« wiederhallte es in einem feierlichen Tone vom Fenster des Gemachs, und als sich Rosa erschreckt nach demselben umwandte, gewahrte sie das bewehrte und bebuschte Haupt des Kriegers, der ihnen zu so gelegener Zeit zu Hülfe gekommen war, und sich nun auf seine Waffen gestützt so weit erhoben hatte, daß er in das Innere des Gemachs sehen konnte.

Augenblicklich rannte Rosa zu ihm hin. »Geht – geht, guter Freund,« sagte sie, »Ihr sollt Euren Lohn zu einer andern Zeit erhalten. Geht, hurtig geht – doch bleibt dort auf Eurem Posten, ich will Euch herbeirufen, wenn es noch ferner nöthig ist. Geht – seid treu und verschwiegen.«

Der Soldat gehorchte, ohne ein Wort zu erwiedern, und Rosa sah ihn alsbald in den Graben hinabsteigen. Sie kehrte sodann wieder zu ihrer Gebieterin zurück, die, von Gillian gehalten, leise wimmerte, und schnelle und unverständige Ausrufe murmelte, kurz durch Alles andeutete, daß sie an den Nachwehen einer heftigen Erschütterung leide, die durch irgend eine erschreckende Ursache herbeigeführt worden sein mußte.

In dem Grade, in welchem Dame Gillians Bewußtsein erwachte, wurde ihre Neugierde thätig. »Was bedeutet alles das?« fragte sie Rosa. »Was ist unter euch vorgefallen?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete Rosa.

»Ihr wißt es nicht? wer sollte es dann wissen? – soll ich die andern Dienerinnen herbeirufen, und das Haus aufwecken?«

»Nein! bei Eurem Leben nicht,« sagte Rosa, »bis meine Gebieterin im Stande ist, ihre Befehle zu ertheilen; und was dieses Gemach betrifft, so will ich, so wahr mir Gott hilft, mein Möglichstes thun, um seine Geheimnisse zu entdecken. Unterstützt indessen meine Gebieterin!« Mit diesen Worten ergriff sie die Lampe, überschritt, ihre Stirn bekreuzend, kühn die geheimnißvolle Schwelle, und das Licht emporhaltend, blickte sie im ganzen Gemache umher.

Es war nichts weiter, als ein altes gewölbtes Zimmer von sehr mäßigem Umfange. In einer Ecke befand sich ein rohgeschnitztes Bild der heiligen Jungfrau auf einem sächsischen Taufsteine von merkwürdiger Arbeit. Auch erblickte man zwei Sitze, und ein mit groben Teppichen bedecktes Lager, auf welchem Eveline geruht zu haben schien. Die Trümmer des zerschmetterten Fensters lagen auf dem Fußboden; allein die Oeffnung war sichtlich nur durch den gewaltvollen Einbruch des Soldaten entstanden, und sie sah keinen andern Zugang, durch den ein Fremder in das Gemach hätte dringen können, dessen gewöhnlicher Eingang verriegelt und verschlossen war.

Rosa fühlte den Einfluß jener Schrecken, die sie bisher überwunden hatte; sie warf ihren Mantel hastig um ihr Haupt, als ob sie ihr Gesicht vor einer furchtbaren Erscheinung hätte bedecken wollen, und in das Kabinet mit eiligerem und minder festem Tritte, als sie es verlassen hatte, zurückkehrend, forderte sie Dame Gillian auf, ihr Evelinen in das nächste Zimmer bringen zu helfen. Nachdem dies geschehen war, verschloß sie die Verbindungsthür sorgfältig, als ob sie zwischen ihnen und der gefürchteten Gefahr eine Verschanzung hätte errichten wollen.

Lady Eveline hatte sich jetzt wieder so weit erholt, daß sie sich aufrecht halten konnte, und, wiewohl nur leise, zu reden versuchte. »Rosa,« sagte sie endlich, »ich habe sie gesehen, – mein Schicksal ist entschieden.«

Rosa bedachte sogleich, wie unklug es sei, Dame Gillian hören zu lassen, was ihre Gebieterin in einem so schrecklichen Augenblicke sagen würde. Sie nahm daher schnell den Vorschlag an, den sie vorher abgelehnt hatte, und ersuchte sie fortzugehen, und noch zwei andere Dienerinnen der Lady herbei zu rufen.

»Und wo soll ich sie finden in diesem Hause,« sagte Dame Gillian, »wo fremde Männer um Mitternacht durch ein Zimmer rennen, und Teufel, so viel ich weiß, sich im übrigen Hause herumtreiben?«

»Findet sie, wo Ihr könnt,« sagte Rosa in scharfem Tone, »aber geht augenblicklich fort!«

Gillian entfernte sich zögernd, und murmelte zu gleicher Zeit etwas vor sich hin, das jedoch nicht deutlich verstanden werden konnte. Kaum hatte sie sich entfernt, so ließ Rosa der enthusiastischen Zuneigung, die sie für ihre Gebieterin fühlte, freien Lauf, und beschwor sie in den zärtlichsten Ausdrücken, ihre Augen zu öffnen (denn sie hatte sie wieder geschlossen) und mit ihrer Rosa zu sprechen, die, wenn es Noth thue, bereit sei, an der Seite ihrer Gebieterin zu sterben.

»Morgen, morgen, Rosa!« flüsterte Eveline – »jetzt kann ich nicht sprechen.«

»Entlastet Euer Herz nur durch ein Wort – sagt, was Euch so erschreckt hat – was für eine Gefahr Ihr befürchtet.«

»Ich habe sie gesehen,« antwortete Eveline – »ich habe die Bewohnerin jenes Zimmers gesehen – die für mein Geschlecht so unheilvolle Erscheinung! – dringe nicht weiter in mich, morgen sollst du Alles erfahren.«

Als Gillian mit zwei Dienerinnen Evelinens hereingetreten war, so trugen sie Evelinen, nach Rosa's Anweisung, in ein in einiger Entfernung sich befindendes Zimmer, welches die herbeigeholten Dienerinnen bewohnt hatten, und legten sie in eines ihrer Betten. Hierauf entließ Rosa die Dienerinnen, Gillian ausgenommen, damit sie sich einen Ruheplatz finden möchten, wo sie könnten, und fuhr fort, neben ihrer Gebieterin zu wachen. Eine Zeitlang blieb sie noch ziemlich unruhig und aufgeregt, allein allmählig schien die Ermüdung und der Einfluß eines gewissen schlafbringenden Mittels, das Gillian zu bereiten und anzuempfehlen verständig genug gewesen war, ihr Gemüth zu beruhigen. Sie fiel in einen tiefen Schlummer, aus dem sie nicht eher erwachte, als bis die Sonne schon hoch über den fernen Hügeln stund.



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