Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.

»O Nacht des Weh's!« spricht sie und weint.
»Die du verkündest bittere Sorgen!«
»O Nacht des Weh's!« spricht sie und weint;
»Doch mehr noch schrecket mich der Morgen.«

Sir Gilbert Elliot.

Die Müdigkeit und Ermattung, der Wilkin und der Mönch unterlegen waren, blieb den zwei angsterfüllten Mädchen fremd, die noch immer auf den Zinnen blieben, ihre Augen bald auf die dunkle Landschaft, bald auf die flimmernden Sterne, die diese, obwohl nur schwach, beleuchteten, richtend, als ob sie da die Ereignisse, die der morgende Tag bringen sollte, hätten lesen können.

Es war ein ruhiges und melancholisches Schauspiel. Baum und Feld, Hügel und Thal lagen in einem zweifelhaften Lichte vor ihren Blicken, während in einer größeren Entfernung ihr Auge nur mit Mühe ein paar Punkte unterscheiden konnte, da wo der Fluß, beinahe überall durch Hügel und Bäume verborgen, seinen ausgedehnteren Busen den Sternen und der blassen Mondsichel zeigte.

Ueberall herrschte tiefe Stille, außer daß die Wasser des Flusses mit feierlichem Klange dahinrauschten, und hie und da der schrillende Ton einer Harfe, aus einer Entfernung von mehr als einer Stunde durch die mitternächtliche Stille erklingend, verkündete, daß einige Walliser immer noch ihrem Lieblingsvergnügen nachhingen. Die wilden, nur theilweise gehörten, Klänge glichen den Stimmen vorüberschwebender Geister, und da sie an die rauhe Wildheit und unerbittliche Feindseligkeit der Walliser mahnten, so durchfuhren sie schaudernd Evelinens Seele, als ob sie Krieg und Wehe, Gefangenschaft und Tod verkündeten. Außer diesen Tönen wurde die tiefe Stille der Nacht nur noch zuweilen durch den Tritt einer Schildwache oder das Klaggeheul der Eulen unterbrochen, die den herannahenden Sturz der mondbeleuchteten Thürme, auf denen sie schon so lange Zeit ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatten, zu bejammern schienen. Die ringsumher herrschende Ruhe schien mit schwerem Gewichte auf dem beängstigten Busen Evelinens zu lasten; denn sie erweckte in ihm ein tieferes Gefühl ihres gegenwärtigen Leidens, und eine geschärftere Furcht vor zukünftigen Schrecknissen, als sie während des Lärms, des Blutbads und der Verwirrung des verflossenen Tages empfunden hatte. Sie stand auf – setzte sich nieder – ging auf der Plattform auf und ab, und blieb dann wieder plötzlich, gleich einer Bildsäule, regungslos auf einem Flecke stehen; so schien es, als wolle sie durch die Veränderung ihrer Stellung den Kummer und die Furcht ihres Herzens beschwichtigen. Als sie endlich auf den Mönch und den Flamänder blickte, die im Schatten der Ballustrade ruhig schliefen, so konnte sie sich nicht länger enthalten, die herrschende Stille zu unterbrechen. »Die Männer sind glücklich,« sagte sie, »meine theure Rosa, ihre Gedanken und Sorgen werden entweder durch angestrengte Arbeiten zerstreut oder durch die Fühllosigkeit, welche darauf folgt, erstickt. Zwar können sie Wunden erhalten oder selbst den Tod erleiden; allein unser Geist empfindet eine peinigendere Qual, als der Körper kennt; und in dem nagenden Gefühle gegenwärtiger Leiden so wie in der Furcht vor zukommendem Elende erleiden wir einen lebenden Tod, der weit grausamer ist, als jener, der unsern Leiden mit einem Schlage ein Ziel setzt.«

»Seid nicht so niedergeschlagen und traurig, meine edle Lady,« sagte Rosa; »seid vielmehr, was Ihr gestern wart, da Ihr für den Verwundeten, für den Altersschwachen, kurz für Jeden, nur für Euch nicht, Sorge trugt, ja sogar Euer edles Leben dem Pfeilregen der Walliser aussetztet, nur um andern Muth einflößen zu können, während ich – o Schande über mich – nur zittern, schluchzen und weinen konnte, und das ganze Bischen Geisteskraft, das ich besitze, zusammennehmen mußte, nur damit ich nicht in das wilde Geschrei der Walliser einstimmte, oder mit denen unserer Freunde, die rings um mich her fielen, schrie und ächzte.«

»Ach Rosa,« antwortete ihre Gebieterin, »du magst nach Belieben deinem Kummer selbst bis zum Wahnsinne nachhängen – du hast einen Vater, der für dich fechten und sorgen kann. Aber der meinige – mein gütiger, edler und geehrter Vater liegt todt dort auf jenem Schlachtfelde, und es bleibt mir nun nichts übrig, als auf eine Art zu handeln, die seines Andenkens am würdigsten ist. Allein dieser Augenblick wenigstens gehört mein, mein, um an ihn zu denken, und um ihn zu weinen.«

So sprechend und überwältigt von dem lange unterdrückten kindlichen Kummer, sank sie auf die Bank nieder, die sich an dem innern Theile der Brustwehr auf der Plattform hinzog, und die Worte vor sich hinmurmelnd: »er ist dahin, auf ewig dahin!« gab sie sich ganz ihrem tiefen Schmerzgefühle hin. Eine ihrer Hände hielt mechanisch noch die Waffe, die sie ergriffen hatte, und die jetzt auch zugleich ihrer Stirne zur Stütze diente, während ihre Thränen, die jetzt zum ersten Male ihr Herz erleichterten, in Strömen aus ihren Augen floßen, und ihr Schluchzen so krampfhafter Art war, daß Rosa zu befürchten begann, das Herz möchte ihr brechen. Liebe und Mitgefühl lehrten sie das mildeste und schonendste Verfahren, das Evelinens Lage gestattete. Ohne den Strom ihres Kummers in seinem vollen Laufe aufhalten zu wollen, setzte sie sich sanft neben die Trauernde, bemächtigte sich der Hand, die regungslos zu ihrer Seite niedergesunken war, und drückte sie abwechslungsweise an ihre Lippen, ihren Busen und ihre Stirne – bedeckte sie bald mit ihren Thränen; und ihr diese Beweise der innigsten und tiefsten Theilnahme verschwendend, verschob sie die Anwendung des kleinen Vorraths ihrer Trostgründe auf einen ruhigern Augenblick. Sie verharrten indessen in einer so tiefen und leblosen Stille, daß wenn der bleiche Strahl des Mondes auf die zwei schönen und jungen weiblichen Gestalten fiel, er eher Bildsäulen – das Werk irgend eines ausgezeichneten Bildhauers – zu beleuchten schien, als Wesen, deren Augen noch weinten, und deren Herzen noch schlugen. Die in geringer Entfernung auf den steinernen Bänken hingestreckten Gestalten des Flamänders und des Vater Aldrovand mit dem glänzenden Brustharnisch und dem schwarzen Mönchsgewande konnten die Körper derer darstellen, um die die Hauptfiguren trauerten.

Nachdem dieser gewaltige Ausbruch ihres Schmerzes einige Minuten gedauert hatte, schien ihr Kummer einen ruhigern Charakter anzunehmen; ihr krampfhaftes Schluchzen verwandelte sich in lange und tiefe Seufzer, und minder stürmisch und heftig entfloßen die obwohl noch heißen Thränen ihren Augen. Ihre zärtliche Begleiterin benützte diese sanftern Symptome und versuchte es, ihrer Gebieterin den Speer sanft aus der Hand zu winden. »Laßt mich ein Weilchen Schildwache sein, meine theure Lady,« sagte sie, »ich will wenigstens lauter schreien, als Ihr, wenn wo Gefahr drohen sollte.« Während sie so sprach, wagte sie es, ihre Wange zu küssen und ihre Arme um ihren Nacken zu schlingen; allein eine stumme Liebkosung, die Evelinens Dankbarkeit für die wohlwollende Bestrebung des treuen Mädchens, sie wo möglich zu beruhigen, ausdrückte, war die einzige Antwort, die sie erhielt. Lange verharrten sie noch schweigend in derselben Stellung – Eveline der geraden und schlanken Pappel – die ihre Gebieterin mit ihren Armen umschlingende Rosa der Waldweide gleich, welche sich um die Pappel rankt. Endlich schrak die in Rosa's Armen liegende Eveline plötzlich auf, und sie hart am Arme fassend, flüsterte sie ihr die Worte zu: »Hörst du nichts?«

»Nein, – Nichts, als das Heulen der Eule,« antwortete die furchtsame Rosa.

»Ich hörte einen fernen Klang, ich meinte ihn wenigstens zu hören. – Horch! horch! es kömmt wieder – sieh von den Zinnen hinab, Rosa; ich will indessen den Priester und deinen Vater aufwecken.«

»Theuerste Lady,« sagte Rosa, »ich wage es nicht – was kann wohl dieser Klang sein, der nur von einem einzigen Menschen vernommen worden ist?« –

»Das Rauschen des Flusses hat dich getäuscht.«

»Ich möchte die Burg nicht unnöthigerweise in Bestürzung setzen,« sagte Eveline, ein wenig inne haltend und dann wieder fortfahrend, »oder auch nur Eures Vaters nöthigen Schlummer einer Grille wegen unterbrechen – aber horch, horch! ich höre es wieder – deutlich kann ich es von dem Klange der dazwischen rauschenden Wogen des Flusses unterscheiden – ein leiser, zitternder Klang, mit einem Geklingel untermischt, gerade als ob Waffenschmiede auf ihren Ambossen arbeiteten.«

Rosa war indessen auf die Bank gesprungen und hatte, ihre schönen Haarflechten zurückwerfend, die Hand hinter ihr Ohr gehalten, um den fernen Schall zu vernehmen. »Ich höre es,« rief sie aus; »es wird immer stärker – weckt sie auf, um's Himmelswillen, weckt sie auf, ohne einen Augenblick zu zögern.«

Eveline schreckte dem zu Folge die Schläfer mit dem umgekehrten Ende der Lanze auf, und als sie hastig sich erhuben, flüsterte sie ihnen mit geflügelter, jedoch aber behutsamer Stimme die Worte zu: »Zu den Waffen, die Walliser sind nahe!«

»Was – wo –« rief Wilkin Flammock aus, »wo sind sie?«

»Merket auf, und Ihr werdet hören, wie sie sich waffnen,« antwortete Eveline.

»Nur in Eurer Einbildung, Lady, ist das Geräusch,« sagte der Flamänder, dessen Organe eben so schwerfällig waren, als seine Gestalt und seine Gemüthsart. Ich hätte mich gar nicht schlafen gelegt, wenn ich gewußt hätte, daß man mich so bald wieder aufwecken würde.«

»So hört doch, guter Flamänder, – das Geräusch der Rüstungen kommt von Nordwesten.«

»Die Walliser liegen nicht in dieser Gegend, Lady,« sagte Wilkin, »und überdieß tragen sie keine Rüstungen.«

»Ich höre es,« sagte Vater Aldrovand, der eine Zeitlang gelauscht hatte. – »Gelobt sei der heilige Benedikt. – Unsere Frau von Garde doloureuse ist, wie immer, gütig gegen ihre Diener gewesen. Es ist Pferdehufschlag – das Gerassel der Rüstungen. Die Gränzritter kommen uns zu Hülfe. – Kyrie Eleison.«

»Ich höre auch etwas,« – sagte Flammock – »etwas wie das hohle Brausen der hohen See, als sie in das Waarenlager meines Nachbars Klinkermann drang, und seine Töpfe und Pfannen untereinander warf. Allein es wäre ein schlimmer Irrthum, Vater, wenn wir Feinde für Freunde hielten. – Es wird das beste sein, wir wecken das Volk auf.«

»Pah,« sagte der Priester, »du sprichst mir da von Töpfen und Kesseln. – War ich nicht 20 Jahre lang der Leibknappe des Grafen Stephen Mauleverer, und muß ich nicht das Stampfen eines Schlachtrosses, oder das Gerassel eines Panzers kennen? – Allein ruft immerhin die Leute auf die Mauern, und befehlt, daß sich die Besten im Hofe aufstellen; – wir können ihnen vielleicht durch einen Ausfall beistehen.«

»Dazu werde ich meine Einwilligung nicht so schnell geben,« murmelte der Flamänder; »doch auf die Mauern soll es gehen, und zwar zu guter Zeit. Doch sorgt dafür, daß Eure Normänner und Engländer sich ruhig verhalten, Herr Priester, sonst würde ihr unbändiges Freudengeschrei die Walliser aufwecken, und sie auf ihre unwillkommenen Gäste vorbereiten.«

Zum Zeichen, daß er mit ihm einverstanden sei, legte der Mönch den Finger auf seine Lippen. Sie gingen nun nach verschiedenen Richtungen ab, Jeder um die Vertheidiger der Veste aufzuwecken. Auch hörte man diese bald von allen Seiten auf die Mauern in einer ganz andern Stimmung, als sie sie den Abend zuvor verlassen hatten, eilen. Da man die äußerste Vorsicht anwandte, um jedes Geräusch zu verhüten, so wurden die Mauern ganz in der Stille besetzt, und die Besatzung harrte in athemloser Erwartung auf die weitern Unternehmungen der Streitkräfte, die jetzt so schnell zu ihrem Entsatze herbeieilten.

Ueber die Natur der Klänge, die nun laut die Stille dieser erfolgreichen Nacht unterbrachen, konnte jetzt kein Zweifel mehr obwalten. Deutlich konnte man sie von dem Gebrüll eines mächtigen Stromes oder von dem lauten Murren eines in der Ferne rollenden Donners, durch die scharfen und gellenden Töne unterscheiden, die das Klappern der Rüstungen der Reiter mit dem tiefen Basse der raschen Hufschläge der Pferde vermischte. Das lange Anhalten der Töne, ihr lauter Schall und die weite Ausdehnung des Horizontes, von welchem sie zu kommen schienen, überzeugten bald Alle, die sich auf der Burg befanden, daß die herannahende Hülfsmacht aus mehreren ziemlich starken Abtheilungen Reiterei bestand. Plötzlich hörte der gewaltige Schall auf, als ob die Erde die gewappneten Reiterschaaren verschlungen hätte oder unfähig geworden wäre, die Tritte der Pferde ertönen zu machen. Die Vertheidiger von Garde doloureuse schloßen hieraus, daß ihre Freunde plötzlich Halt gemacht haben, um ihre Pferde Athem schöpfen zu lassen, das Lager des Feindes zu besichtigen und die Art des Angriffes zu bestimmen. Die Pause dauerte jedoch nur einige Augenblicke.

Die Britten, welche ihre Feinde oft mit so großer Gewandtheit überraschten, waren gleichwohl selbst bei manchen Gelegenheiten leicht zu überfallen. Ihre Leute waren undisciplinirt, und vernachlässigten manchmal die langweiligen Pflichten der Wache. Zudem hatten ihre Fouragirer und Streifcorps, die während des verflossenen Tages das Land durchschwärmt hatten, dem Hauptcorps Nachrichten gebracht, die dasselbe in eine unheilvolle Sorglosigkeit lullten. Ihr Lager wurde daher nachlässig bewacht und sie hatten die wichtige militärische Pflicht, Streifwachen und Vorposten in einer gehörigen Entfernung von dem Hauptcorps aufzustellen, gänzlich vernachlässigt. So war die Reiterei der Gränzritter, ungeachtet des Geräusches, das ihr Vorrücken begleitete, dem brittischen Lager sehr nahe gekommen, ohne dort die geringste Unruhe zu erregen. Allein während sie ihre Streitkräfte, zum Behufe des Angriffs, in verschiedene Colonnen theilten, verkündete ein lautes und schnell wachsendes Geräusch unter den Wallisern, daß sie endlich von der ihnen drohenden Gefahr in Kenntniß gesetzt seien.

Weithin hallte aus ihrem Lager das brüllende und mißtönende Geschrei, mit dem sie jeden ihrer Leute unter das Banner seines Häuptlings zu versammeln suchten. Allein diese Sammelrufe wurden bald in ein grauses Klage- und Angstgeschrei verwandelt, als der donnernde Angriff der gepanzerten Rosse und der schwer bewaffneten Reiterei der Anglo-Normannen ihr unbeschütztes Lager überraschte.

Doch auch unter so traurigen Umständen waren die Abkömmlinge der alten Britten weit entfernt, ihre Vertheidigung aufzugeben, oder ihrem alten angeerbten Privilegium, die Tapfersten unter den Sterblichen genannt zu werden, zu entsagen. Ihr herausforderndes, trotzbietendes Geschrei übertönte das Aechzen der Verwundeten, die Siegesrufe der triumphirenden Angreifer und den allgemeinen Tumult des nächtlichen Kampfes. Erst als das Morgenlicht hervorzubrechen begann, war die Niederlage und Zerstreuung der Streitkräfte Gwenwyns vollständig und erhob sich die »erderschütternde Stimme des Sieges« Der Ausdruck: die erderschütternde Stimme des Sieges » earthquake voice of victory« ist Lord Byrons bekannter Ode an Bonaparte entnommen und deßwegen im Originale cursiv gedruckt. A. d. U. in der vollen Kraft eines ungezähmten und ungemischten Jubels.

Jetzt gewahrten die Belagerten, wenn man sie noch so nennen konnte, von ihren Thürmen auf die weit ausgedehnte Gegend schauend, überall nur das Schauspiel einer zügellosen Flucht und einer unermüdlichen Verfolgung. Der Umstand, daß man den Wallisern erlaubt hatte, sich in ihrer eingebildeten Sicherheit an den diesseitigen Ufern des Flusses zu lagern, machte jetzt ihre Niederlage nur noch vollständiger und schrecklicher. Bald war der einzige Paß, durch den sie auf das jenseitige Ufer gelangen konnten, ganz mit Flüchtlingen vollgedrängt, in deren Rücken das Schwert der siegreichen Normannen wüthete. Viele warfen sich in den Fluß in der unsichern Hoffnung, das jenseitige Ufer zu erreichen, und einige wenige ausgenommen, die ungemein stark, geschickt und thätig waren, wurden alle eine Beute der Felsen oder des reißenden Stromes. Andere, glücklicher als sie, entkamen durch geheime Furthen; viele flohen zerstreut oder in kleine Haufen getheilt, in sorgloser Verzweiflung nach dem Schlosse, als ob die Festung, die sie, als sie noch Sieger waren, zurückgeschlagen hatte, ein Zufluchtsort für sie in ihrer hülflosen Lage hätte sein können; und andere endlich rannten in wilder Unbesonnenheit über die Ebene, indem sie bloß einer augenblicklichen Gefahr zu entgehen suchten, ohne zu wissen, wohin sie ihre Tritte lenkten.

Mittlerweile verfolgten und metzelten die Normänner, in kleine Haufen getheilt, die Walliser nach Herzenslust nieder, während das Banner des Hugo von Lacy, als ein Vereinigungspunkt für die Sieger, auf einer kleinen Anhöhe wehte, auf der Gwenwyn kurz zuvor sein eigenes aufgepflanzt hatte; es war von einem zulänglichen, theils aus Fußvolk, theils aus Reiterei bestehenden Truppencorps umringt, dem der Baron den Befehl ertheilt hatte, es unter keinerlei Umständen zu verlassen.

Die Uebrigen beschäftigten sich, wie wir bereits gesagt haben, mit der Verfolgung der Walliser unter einem donnernden Jubel- und Rachegeschrei, und rings um die Zinnen tönte der Ruf: »Ha, St. Eduard – ha, St. Denis! – Schlagt zu – haut auf sie ein – gebt den walliser Wölfen kein Pardon, denkt an Raymond Berenger!«

Die Krieger auf den Mauern stimmten in diese Ausrufe der Rache und des Sieges ein, und begrüßten diejenigen Flüchtlinge, welche in ihrer Noth der Burg zu nahe kamen, mit einem kräftigen Pfeilregen. Gerne würden sie einen Ausfall gemacht haben, um thätiger zu dem Zerstörungswerke mitzuwirken; allein da jetzt die Verbindung mit den Streitkräften des Constabel von Chester eröffnet war, so nahm Wilkin Flammock an, er und die Besatzung stehen jetzt unter den Befehlen dieses berühmten Anführers, und weigerte sich daher, den dringenden Aufmunterungen des Vaters Aldrovand Gehör zu schenken, der, trotz seiner geistlichen Würde, gerne den Ausfall, auf den er antrug, selbst angeführt haben würde.

Endlich schien die Mordscene beendigt zu sein. Aus manchem Horn ertönte das Zeichen zum Rückzuge und die Ritter machten auf der Ebene Halt, um ihre persönlichen Begleiter unter ihre besondern Fähnlein zu sammeln. Hierauf zogen sie sich nach dem großen Banner ihres Anführers, um welches das Hauptcorps wieder versammelt werden sollte, langsam zurück, den Wolken gleich, die sich um die Abendsonne lagern – ein sinniges Gleichniß, das sich leicht noch weiter ausspinnen ließe, in Betracht der starken blaßgelben Lichtstreifen, die von diesen dunkeln Heereshaufen abschossen, wenn die Sonnenstrahlen von ihren glänzenden Rüstungen abprallten.

Auf diese Art war die Ebene bald von Reitern leer und blieb nur noch von den Leichnamen der erschlagenen Walliser bedeckt. Auch die Banden, welche den Feind weiterhin verfolgt hatten, sah man jetzt zurückkehren, niedergeschlagene, unglückliche Gefangene, die sie nach gestilltem Blutdurste begnadigt hatten, vor sich her treibend, oder nach sich schleppend.

Jetzt gab Wilkin Flammock, der die Aufmerksamkeit seiner Befreier zu erregen wünschte, den Befehl, alle Banner des Schlosses unter einem lauten Bravorufen auf den Zinnen wehen zu lassen. Das Heer des Constabel von Chester beantwortete ihren Jubelruf durch ein allgemeines Freudengeschrei, das so weithin erschallte, daß es vielleicht sogar diejenigen wallisischen Flüchtlinge, welche, schon ziemlich weit von dem unheilvollen Schlachtfelde entfernt, Halt gemacht haben mochten, um ein wenig Athem zu holen, in Schrecken setzte und zum eiligen Weiterfliehen antrieb.

Unmittelbar nachdem dieser Gruß gewechselt war, näherte sich ein einzelner Reiter vom Heere des Constabel dem Schlosse, selbst in der Ferne schon eine ungewöhnliche Gewandtheit im Reiten, und eine große Anmuth der Haltung zeigend. Sobald er an der Zugbrücke ankam, ward diese herabgelassen, und Wilkin und der Mönch (denn dieser suchte, so weit es sich thun ließ, alle bedeutenden Geschäfte mit dem Flamänder zu theilen) beeilten sich, den Abgesandten ihres Befreiers zu empfangen. Sie fanden ihn, als er gerade von dem rabenschwarzen Pferde abgestiegen war, das hin und wieder mit Blut und Schaum bespritzt, von den Anstrengungen der Nacht noch keuchte, obwohl es, der kosenden Hand seines jugendlichen Gebieters antwortend, stolz seinen Nacken bog, die stählerne Decke schüttelte und wild schnaubte, zum Zeichen seines ungebeugten Muthes und seiner unermüdeten Kampfeslust. Des jungen Mannes Adlerblick sprach eine gleich ungeschwächte Vollkraft aus, die jedoch mit den Spuren einer kurz vorangegangenen Anstrengung untermischt war. Da sein Helm an seinem Sattelbogen hing, so konnte man deutlich sein schönes Angesicht gewahren, das hoch geröthet, jedoch aber nicht entflammt, aus einer reichen Fülle kurzer kastanienbrauner Locken hervorsah; und obschon seine Rüstung ziemlich plump und schwerfällig war, so bewegte er sich doch unter ihr mit einer solchen Leichtigkeit und Elasticität, daß sie nicht sowohl als eine Bürde oder als ein Hinderniß, sondern vielmehr als ein zierlicher Schmuck erschien. Ein Pelzmantel würde ihn nicht anmuthiger gekleidet haben, als der schwere Küraß, der sich allen Bewegungen seiner edlen Gestalt geschmeidig fügte. Doch war sein Gesicht noch so jugendlich, daß bloß der Pflaum auf seiner Oberlippe seinen Eintritt in's männliche Alter mit Bestimmtheit verkündete. Die Frauen, die sich in den Hof drängten, um den ersten Abgesandten ihrer Befreier zu sehen, konnten sich nicht enthalten, den Segenssprüchen, die sie seiner Tapferkeit ertheilten, das Lob seiner Schönheit beizumischen; ja eine hübsche Frau von mittlerem Alter, die sich besonders durch die Straffheit, mit der ihre scharlachrothen Strümpfe eine gutgeformte Wade und ein zierliches Knöchel umschlossen, so wie durch ihren reinlichen und geschmackvollen Kopfputz auszeichnete, drängte sich ganz nahe an den jungen Krieger, und verdoppelte, kühner als die Uebrigen, das über seine Wangen ausgegossene Hochroth durch den lauten Ausruf: »Unsere Frau von Garde doloureuse hat uns die Nachricht von unserer Befreiung durch einen Engel aus dem Allerheiligsten zugesandt;« – ihre Rede wurde, ungeachtet Vater Aldrovand den Kopf dabei schüttelte, von ihren Gefährtinnen mit einem so allgemeinen Beifallsrufe aufgenommen, daß sie die Bescheidenheit des jungen Mannes in die größte Verlegenheit brachte.

»Still, ihr Alle,« rief Wilkin Flammock aus; »wißt ihr nichts von Ehrerbietung, oder habt ihr noch nie einen jungen Edelmann gesehen, daß ihr euch an ihn, wie Fliegen an eine Honigscheibe, hängt? – Tretet zurück, sage ich, und laßt uns ruhig die Befehle des Lords von Lacy vernehmen.«

»Ich kann diese,« sagte der junge Mann, »nur in Gegenwart des edlen Fräuleins Eveline Berenger ausrichten, wenn ich je einer solchen Ehre für würdig erachtet werde.«

»Das wirst du auch, edler Herr,« rief dieselbe kecke Frau, die kurz zuvor ihre Verwunderung über die Schönheit des Ritters auf eine so energische Weise ausgesprochen hatte; »vor Jedermann will ich behaupten, daß du ihrer Gegenwart, so wie jeder andern Gunst, die dir eine Dame erzeigen kann, würdig bist.«

»Zügle doch deine freche Zunge,« schrie der Mönch, während ihr der Flamänder in demselben Augenblicke zurief: »Hüte dich vor dem Tauchschemel Auf einem solchen Schemel wurden unzüchtige Weiber in's Wasser getaucht. A. d. U., du schamloses Ding.« So sprechend führte er den edlen Jüngling über den Hofraum.

»Seid ja recht für mein gutes Pferd besorgt,« sagte der Edelmann, als er einem Diener den Zaum in die Hand gab. Zugleich wurde er dadurch eines Theils seiner weiblichen Begleiterinnen los, die jetzt das Pferd zu streicheln und nicht minder zu loben begannen, als kurz zuvor den Reiter; ja einige konnten sich im Taumel der Freude kaum enthalten, die Steigbügel und das Sattelzeug des Pferdes zu küssen.

Allein Frau Gillian ließ sich nicht so kurz abfertigen, wie mehrere ihrer Gefährtinnen. Sie wiederholte das Wort Tauchschemel so lange, bis sie der Flamänder nicht mehr hören konnte, dann wurde sie specifischer in ihren Vorwürfen. – »Und weßhalb den Tauchschemel, Herr Wilkin Butterfäßchen? Sprich, ich bitte dich. – Wahrhaftig, Ihr seid mir der Mann dazu, der einen englischen Mund mit einer flamändischen Damastserviette stopfen kann. Ei! Ei! seht mir doch einmal meinen Herrn Vetter, den Weber! Und weßhalb den Tauchschemel, ich bitte dich, sprich! – etwa weil meine junge Lady schön, und der junge Ritter ein Mann ist, der Muth im Leibe hat, seinen Bart in Ehren gelassen, der erst noch kommen muß. Haben wir nicht Augen, um zu sehen, haben wir nicht einen Mund und eine Zunge?«

»In der That, Dame Gillian,« sagte Evelinens Amme, die zufällig neben ihr stand, »diejenigen thun Euch unrecht, die daran zweifeln, allein ich bitte Euch, höret jetzt auf, wäre es auch nur der weiblichen Sittsamkeit zu Ehren.«

»Wie? meine sittsame Jungfer Margery?« entgegnete die unverbesserliche Gillian; »steht Euch der Kamm so hoch, weil Ihr Eure junge Lady vor 15 Jahren auf den Knieen geschaukelt habt? Laßt mich Euch sagen, daß die Katze den Weg zum Rahm findet, und wäre sie selbst auf dem Schooße einer Aebtissin auferzogen worden.«

»Fort! Hausweib – fort!« rief ihr Ehemann, der alte Jäger, der endlich dieser öffentlichen Ausstellung der Zanksucht seiner Ehehälfte überdrüssig war – »fort, oder ich lasse dich meine Hundspeitsche fühlen. – Sowohl der Beichtvater als Wilkin Flammock verwundern sich über deine Unverschämtheit.«

»Wirklich?« erwiederte Gillian; »und können denn zwei Narren sich nicht genug verwundern, daß auch du noch mit deinem Tölpelskopfe kommen, und aus zwei Eseln drei machen mußt?«

Alsbald erschallte aus aller Munde ein gellendes Gelächter auf Kosten des Jägers, der nun während desselben seine Frau klüglich mit sich fortzog, ohne den Zungenkrieg, in welchem sie eine so entschiedene Ueberlegenheit gezeigt hatte, fortsetzen zu wollen.

Und so sehr ist das menschliche Gemüth, besonders unter den niedern Klassen, dem Wechsel unterworfen, daß dieser Streit tobende Ausbrüche einer ungezügelten Freude unter Leuten erzeugte, die so eben erst den Klauen der dringendsten Gefahr, wo nicht der gänzlichen Verzweiflung entrissen worden waren.



 << zurück weiter >>