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Zwölftes Kapitel.

– Des Leichenmahles Speisen waren
Nur kalte Gaben für den Hochzeitstisch.

Hamlet.

Die religiösen Feierlichkeiten, welche auf das Leichenbegängniß Raymond Berengers folgten, dauerten sechs Tage ununterbrochen fort. Während dieser Zeit wurden, auf Kosten der Lady Eveline, Almosen an die Armen vertheilt, und alle diejenigen, welche durch den letzten Einfall gelitten hatten, reichlich unterstützt. Auch wurden sogenannte Leichenmahle, zu Ehren des Verstorbenen, gehalten; allein die Lady selbst, so wie der größte Theil ihrer Umgebung, legte sich strenge Fasten und sonstige Kasteiungen auf, – was die Normannen für eine weit anständigere Art, den Verstorbenen zu ehren, hielten, als das den Sachsen und Flamändern bei solchen Gelegenheiten eigene unordentliche Schmausen und Trinken.

Der Constabel von Chester ließ indessen eine starke Abtheilung seiner Krieger unter den Mauern von Garde doloureuse zurück, um die Burg gegen irgend einen neuen Einfall der Walliser zu schützen. Mit seinen übrigen Truppen brach er, seinen Sieg benützend, auf, und verbreitete unter den Britten Furcht und Schrecken durch mehrere glückliche Streifzüge, die durch fast eben so schreckliche Verheerungen, als sonst die der Britten, bezeichnet waren. Das Unglück der geschlagenen und den Ueberfällen des Constabel preisgegebenen Feinde erhielt noch einen neuen Zuwachs durch die Zwietracht, die unter ihnen herrschte; denn zwei entfernte Verwandte des erschlagenen Gwenwyn stritten sich um den erledigten Thron, und auch diesmal litten die Britten, wie fast immer, nicht minder durch innere Zwistigkeiten, als durch das Schwert der Normannen. Schon ein minder scharfsichtiger Politiker und ein weniger berühmter Krieger, als der kluge und siegreiche de Lacy, würde unter so bewandten Umständen nicht ermangelt haben, einen vortheilhaften Frieden zu unterhandeln, der nicht nur Powys eines Theils seines Gebiets und einiger wichtiger Pässe, in deren Nähe der Constabel Burgen zu erbauen gedachte, beraubte, sondern auch der Burg Garde doloureuse größere Sicherheit und höhern Schutz gegen plötzliche Ueberfälle von Seiten ihrer wilden und rastlosen Nachbarn verlieh. De Lacy trug auch dafür Sorge, daß diejenigen Ansiedler, welche ihre Besitzungen verlassen hatten, wieder dahin zurückkehren konnten, und setzte die ganze Herrschaft, die nun einer schutzlosen Waise anheimgefallen war, in einen so vollkommenen Vertheidigungszustand, als es die Nähe eines feindlichen Gebiets immer nur gestattete.

Während de Lacy auf diese Art eifrig bemüht war, die Angelegenheiten der Waise von Garde doloureuse zu ordnen, suchte er ihren kindlichen Kummer durch keine persönliche Einmischung zu stören. Sein Neffe jedoch ward jeden Morgen frühzeitig abgeschickt, um ihr seines Oheims Ehrfurchtsbezeugungen ( Devoirs), wie man sich in der hochtrabenden Sprache der damaligen Zeit ausdrückte, zu Füßen zu legen, und sie mit den Maßregeln bekannt zu machen, die er in Betreff ihrer Angelegenheiten ergriffen hatte. Aus gebührender Rücksicht für die wichtigen Dienste seines Oheims durfte Damian bei solchen Gelegenheiten jedesmal persönlich vor Evelinen erscheinen, und brachte seinem Oheim jedesmal die innigsten Danksagungen und die unbedingte Genehmigung alles dessen zurück, was er ihr vorgeschlagen hatte. Als aber die Tage der strengen Trauer vorüber waren, berichtete der junge de Lacy im Namen seines Oheims, daß, da jetzt der Vertrag mit den Wallisern zu Stande gekommen, und alles in der ganzen Herrschaft, in so weit es die Umstände erlaubt haben, geordnet sei, der Constabel von Chester im Sinne habe, in sein eigenes Gebiet zurückzukehren, um seine Vorkehrungen zu seinem Zuge nach dem heiligen Lande, welche durch die Pflicht, ihre Feinde zu züchtigen, auf einige Tage unterbrochen worden seien, unverzüglich zu vollenden.

»Und will der edle Constabel,« sagte die dankerfüllte Eveline, »bevor er von hier abzieht, nicht den persönlichen Dank derjenigen empfangen, die er mit so kräftigem Arm beschützte, als sie schon am Rande des Abgrunds stand?«

»Gerade über diesen Punkt soll ich mit Euch sprechen,« erwiederte Damian, »allein mein edler Verwandter wagt es kaum, Euch seinen innigsten Wunsch zu eröffnen – der in der Erlaubniß besteht, mit Euch unter vier Augen über Dinge von der höchsten Wichtigkeit sprechen zu dürfen.«

»Wahrlich,« sagte das verschämte Mädchen, »es kann unmöglich ein Verstoß gegen die jungfräuliche Zucht sein, wenn ich den edeln Constabel empfange, sobald es ihm gefällt.«

»Allein meinen Oheim,« entgegnete Damian, »verpflichtet sein Gelübde, unter kein Dach zu gehen, bevor er nach Palästina absegelt; um ihn daher sprechen zu können, müßt Ihr ihm die Gnade erweisen, ihn in seinem Pavillon zu besuchen; – eine Herablassung, die er als Ritter und normännischer Edler von einem Fräulein von so hohem Range kaum verlangen kann.«

»Und ist das Alles?« sagte Eveline, die in der Zurückgezogenheit erzogen, einigen der kleinlichtern Punkte der Etiquette, welche die Edelfräulein jener Zeit dem andern Geschlechte gegenüber beobachteten, fremd war. »Warum sollte ich nicht gehen, und meinem Befreier persönlich meinen Dank darbringen, da er nicht hieher kommen kann, um ihn zu empfangen? Sagt dem edeln Hugo von Lacy, daß ich nächst dem Himmel ihm und seinen tapfern Waffengefährten den meisten Dank schuldig bin. Ich will zu seinem Zelte wie zu einem Heiligthume wallen; ja – könnte eine solche Huldigung ihm angenehm sein, – ich würde baarfuß kommen, und wäre der Weg auch mit Dornen und Kieseln bedeckt.«

»Mein Oheim,« sagte Damian, »wird sich durch Euren Entschluß eben so geehrt als entzückt fühlen, allein er wird dafür sorgen, daß Euch jede unnöthige Mühe erspart wird; deßhalb soll unverzüglich vor Eurem Schloßthore ein Pavillon errichtet werden, das, wenn Ihr Euch dahin verfügen wollt, der Ort für die gewünschte Zusammenkunft sein soll.«

Bereitwillig nahm Eveline den Vorschlag an; allein in der Einfalt ihres Herzens konnte sie nicht recht begreifen, warum sie nicht unter Damians Schutze augenblicklich und ohne weitere Umstände die kleine, ihr wohlbekannte Ebene durchwandern sollte, auf der sie als Kind Schmetterlinge gejagt und Blumen gepflückt, ja kurz zuvor noch sich mit ihrem Zelter umhergetrieben hatte; besonders da sie ja der einzige und zwar unbedeutende Raum war, der sie vom Lager des Constabels trennte.

Der jugendliche Abgesandte, mit dessen Gegenwart sie nun ziemlich vertraut geworden war, zog sich zurück, um seinen Vetter und Herrn von dem Erfolge seiner Sendung in Kenntniß zu setzen. Zum Erstenmale flößte jetzt Evelinen ihre eigene Lage wieder beängstigende Gefühle ein, seit Gwenwyns Niederlage und Tod ihr erlaubt hatte, ihre Gedanken ausschließlich dem Kummer zu weihen, den ihr der Verlust ihres edlen Vaters verursachte. Jetzt, da dieser Kummer zwar nicht ganz gestillt, allein doch durch die einsame und stete Beschäftigung mit demselben gewissermaßen abgestumpft war – jetzt da sie vor dem erscheinen sollte, von dessen Rufe sie so vieles gehört, und von dessen mächtigem Schutze sie erst kürzlich so kräftige Beweise erhalten hatte, wandte sich ihr Geist unwillkührlich auf die Natur und die Folgen dieser wichtigen Zusammenkunft. Sie hatte zwar Hugo von Lacy auf dem großen Turnier zu Chester, wo seine Tapferkeit und Gewandtheit von jeder Zunge gepriesen wurden, gesehen und die Huldigung, die er ihrer Schönheit durch die Ueberreichung des gewonnenen Preises dargebracht hatte, mit der trunkenen Wonne geschmeichelter jugendlicher Eitelkeit empfangen; allein von seiner Person und Gestalt hatte sie kein klares Bild mehr; sie wußte nur noch, daß er ein Mann von mittlerer Größe war, eine besonders reiche Rüstung trug, und daß das Angesicht, das unter dem aufgezogenen Visir hervorgeblickt hatte, ihrer jugendlichen Beurtheilungskraft fast eben so alt erschienen war, als das ihres Vaters. Diesen Mann, dessen Gestalt ihr nur noch dunkel vorschwebte, hatte ihre Beschützerin zu ihrem Retter und zum Rächer ihres Vaters erkoren, und ihr Gelübde verpflichtete sie, ihn als den Schiedsrichter ihres Schicksals zu betrachten, wenn er es in der That der Mühe werth halten sollte, es zu werden. Vergebens spannte sie ihr Gedächtniß auf die Folter, um sich wenigstens so viel von seinen Gesichtszügen zurückzurufen, daß sie seine Gemüthsart einigermaßen hätte errathen können. Eben so quälte sich ihre Beurtheilungskraft mit Muthmaßungen über das wahrscheinliche Betragen, das er gegen sie annehmen werde.

Der große Baron selbst schien ihrer Zusammenkunft einen hohen Grad von Wichtigkeit beizulegen. Dies bewiesen die großen Vorkehrungen, die er dazu treffen ließ. Eveline hatte sich eingebildet, er werde etwa fünf Minuten brauchen, um bis zum Schloßthore zu reiten, und wenn wirklich der Anstand einen Pavillon zu ihrer Unterredung nothwendig mache, so werde man fast in eben so kurzer Zeit gar wohl ein Zelt von dem Lager nach dem Schloßthore schaffen und daselbst aufrichten können. Allein bald lag es am Tage, daß der Constabel weit mehr Feierlichkeit und Prunk zu ihrer Unterredung für nöthig erachtete; denn ungefähr ein halbe Stunde, nachdem Damian von Lacy das Schloß verlassen hatte, waren nicht weniger als zwanzig Soldaten und Handwerksleute, unter der Leitung eines Herolds, dessen Waffenrock mit dem Wappen des Hauses Lacy geschmückt war, damit beschäftigt, vor dem Thore von Garde doloureuse eines jener prachtvollen Zelte aufzuschlagen, die bei Turnieren und andern öffentlichen Feierlichkeiten gebraucht wurden. Es bestand aus purpurfarbner Seide, an der reiche Stickereien von Gold prangten, und hatte Stricke von demselben reichen Stoffe. Der Eingang war durch sechs Lanzen gebildet, deren Schafte mit Silber eingelegt waren und deren Spitzen ganz aus diesem köstlichen Metalle bestanden. Sie waren paarweise in den Boden gesteckt und oben gekreuzt, so daß sie eine Reihe von Bogen bildeten, die mit meergrüner Seide bedeckt, einen angenehmen Gegensatz gegen den Purpur und das Gold des Zeltes bildeten. Das Innere des Zeltes stand, nach dem Geständniß der Dame Gillian und Anderer, welche die Neugierde in dasselbe gelockt hatte, der Außenseite an Glanz und Pracht nicht nach. Hier sah man orientalische Fußteppiche und Tapeten von Gent und Brügge in üppiger Fülle vereint. Der obere Theil des Zeltes, der aus himmelblauer Seide bestand, stellte das Firmament dar, und war mit Sonne, Mond und Sternen von gediegenem Silber geschmückt. Dieses berühmte Zelt war für den berühmten William von Ypern verfertigt worden, der sich so großen Reichthum als General der Miethtruppen des Königs Stephen erworben hatte, und von ihm zum Grafen von Albemarle erhoben worden war; allein das Kriegsglück hatte es, nach einem jener schrecklichen Gefechte, deren in dem Bürgerkriege zwischen Stephen und der Kaiserin Maude oder Mathilda so viele geliefert wurden, dem Constabel von Chester zuerkannt. De Lacy hatte jedoch bis auf diese Zeit nie davon Gebrauch gemacht; denn obgleich reich und mächtig, war er doch bei den meisten Gelegenheiten einfach und prunklos; umsomehr fiel daher sein gegenwärtiges Betragen denen, welche ihn kannten, auf. Um die Mittagsstunde kam er auf einem edlen Renner vor dem Schloßthore an. Hier ordnete er eine Anzahl Bedienten, Pagen und Bereiter, die ihn in ihrer reichsten Livree begleiteten, stellte sich hierauf an ihre Spitze und trug seinem Neffen auf, der Lady von Garde doloureuse zu berichten, daß der demüthigste ihrer Diener am Schoßthore ihrer Ankunft harre.

Unter den Umstehenden waren Viele der Meinung, es hätte ein Theil der Pracht und des Glanzes, wovon das Zelt und das Gefolge des Ritters strahlte, wohl besser dazu angewendet werden können, die Person des Constabel selbst mehr hervorzuheben, da sein Anzug einfach, ja fast gemein, und seine Gestalt keineswegs so ausgezeichnet einnehmend und würdevoll war, daß sie der Vorteile der Kleidung und des Schmucks gänzlich hätte entbehren können. Diese Meinung wurde noch vorherrschender, als er vom Pferde stieg; denn bis jetzt hatte die meisterhafte Führung seines edlen Renners seiner Person eine Würde verliehen, die er durch das Herabsteigen von seinem stahlbedeckten Sattel verlor. Was die Größe betraf, so erreichte der berühmte Constabel kaum das mittlere Maaß, und seine, obwohl stark gebauten und wohlgeformten Glieder ermangelten der Anmuth und der Leichtigkeit der Bewegung. Seine ein wenig auswärts gekrümmten Beine kamen ihm beim Reiten sehr zu statten, allein wenn er zu Fuß ging, machten sie keinen günstigen Eindruck. Er hinkte auch ein kleinwenig, weil er durch den Sturz eines Schlachtrosses ein Bein gebrochen, und ein ungeschickter Wundarzt dasselbe schlecht wieder eingerichtet hatte. Dieser Umstand wirkte ebenfalls nachtheilig auf seine Haltung, und obschon seine breiten Schultern, seine nervigen Arme und seine hohe Brust die Kraft verkündeten, von der er so viele Beweise gegeben hatte, so trug doch diese Kraft das Gepräge der Plumpheit und Ungefälligkeit. Sprache und Geberde verriethen einen Mann, der selten mit seines Gleichen und noch seltener mit Höheren Umgang zu pflegen gewohnt war; kurz abgebrochen, absprechend, ja fast rauh war seine Sprache. Nach dem Urtheile derer, die sich fortwährend in der Nähe des Constabel befanden, sprach sein scharfes Auge und seine hohe, gewölbte Stirne Würde und Milde aus; allein diejenigen, welche ihn zum Erstenmale sahen, fällten ein minder günstiges Urtheil, und wollten in seiner Gesichtsbildung einen rauhen und leidenschaftlichen Ausdruck entdecken, obwohl sie ihr, im Ganzen, einen kühnen und kriegerischen Charakter zugestanden. Er war in der That nicht älter als 45 Jahre, allein die Beschwerden des Krieges und die ungünstige Einwirkung des Climas hatten dieser Zahl, dem Anscheine nach, wenigstens noch 10 Jahre beigegeben. Bei weitem schlechter gekleidet als der Geringste seines Gefolges, trug er blos einen kurzen normannischen Mantel über der engen gemsledernen Kleidung, die, fast immer von seiner Rüstung bedeckt, an einigen Stellen durch das Reiben derselben ein wenig beschmutzt war. Ein brauner Hut, auf welchem er einen Rosmarinstengel zum Andenken an sein Gelübde trug, diente ihm als Kopfbedeckung. – Sein guter Degen und Dolch hingen an einem Gürtel von Seekalbfell. So angethan und an der Spitze eines glänzenden und schön geschmückten Gefolges, das auf seinen leisesten Wink lauschte, wartete der Constabel von Chester auf die Ankunft der Lady Eveline Berenger an dem Thore ihres Schlosses Garde doloureuse.

Trompetenklang verkündete im Innern der Burg ihre Gegenwart. – Die Brücke fiel, und von Damian de Lacy in seiner prächtigsten Kleidung geführt und umgeben von einem zahlreichen Gefolge, trat sie in ihrer ganzen Liebenswürdigkeit aus dem massiven und alterthümlichen Portale. Ohne allen Schmuck war sie in tiefe Trauer gehüllt, wie es sich für ihre Lage am Besten geziemte. In dieser Hinsicht bildete sie einen starken Contrast mit dem reichen Anzuge ihres Führers, dessen kostbare Kleidung von Juwelen und reicher Stickerei strahlte, während das Alter und die persönliche Schönheit Beider eine so schöne Aehnlichkeit zwischen Beiden begründete – ein Umstand, der wahrscheinlich zu dem beifälligen Geflüster Anlaß gab, das bei ihrer Erscheinung die Umstehenden durchlief, und ohne Zweifel war es nur der Achtung für Evelinens tiefe Trauer zuzuschreiben, daß dieses Gemurmel nicht in ein lautes Beifallsgeschrei ausbrach.

In dem Augenblicke, in welchem Evelinens schöner Fuß einen Schritt jenseits der Pallisaden, welche die Außenwerke des Schlosses bildeten, gethan hatte, trat ihr der Constabel von Lacy entgegen, und bat sie, sein rechtes Knie zur Erde niederbeugend, um Verzeihung für die Unhöflichkeit, zu der ihn sein Gelübde genöthigt habe. Zugleich drückte er ihr seine Dankbarkeit für die Ehre aus, deren sie ihn jetzt würdige, und die so groß sei, daß sein ganzes ihrem Dienste geweihtes Leben nur eine unvollkommene Erkenntlichkeit dafür sein würde.

Ein solches Benehmen, so sehr es auch mit der romantischen Galanterie jener Zeit übereinstimmte, setzte Eveline in Verlegenheit, und zwar um so mehr, als diese Huldigung ihr öffentlich dargebracht wurde. Sie bat daher den Constabel dringend, er möchte aufstehen, und die Verwirrung eines Mädchens nicht noch vergrößern, die bereits nicht mehr wisse, wie sie die große Schuld der Dankbarkeit, zu der sie sich gegen ihn verpflichtet fühle, abtragen solle.

Nachdem der Constabel die ihm von ihr dargebotene Hand geküßt hatte, stand er ihrem Wunsche gemäß auf, und bat sie, sie möchte ihm die Gnade erweisen, in die arme Hütte zu treten, die er für sie habe bereiten lassen, und ihm die Ehre der verlangten Unterredung zu gewähren. Durch eine bloße Verbeugung antwortend, überließ ihm Eveline ihre Hand, gebot sodann ihrem Gefolge an Ort und Stelle zu bleiben, und forderte nur Rosa Flammock auf, sie zu begleiten.

»Lady,« sagte der Constabel, »die Dinge, über die ich mit Euch sprechen möchte, erheischen Geheimniß.«

»Dieses Mädchen,« entgegnete Eveline, »ist meine Kammerfrau, und mit meinen geheimsten Gedanken vertraut. Ich ersuche Euch, ihre Gegenwart bei unserer Unterredung zu gestatten.«

»Anders wäre es besser,« antwortete Hugo von Lacy, nicht ohne eine Verlegenheit, »doch Euer Wunsch soll hier entscheiden.«

Er führte hierauf Lady Eveline in das Zelt, und bat sie, sich auf ein breites, mit reichem venetianischem Seidenzeug bedecktes, Polster niederzulassen.

Rosa stellte sich hinter ihre Gebieterin, auf demselben Polster halb knieend, und beobachtete alle Bewegungen des so vollendeten Kriegers und Staatsmannes, den die Stimme des Ruhms so laut pries; sie freute sich über seine Verlegenheit als über einen Triumph ihres Geschlechtes, und war kaum der Meinung, daß sein gemsledernes Wams und seine viereckige Gestalt sich mit dem Glanze der Scene oder der fast himmlischen Schönheit Evelinens messen dürfe.

»Lady,« sagte der Constabel nach einigem Zögern, »gerne würde ich mein Anliegen in der Sprache eröffnen, die dem Ohr der Damen wohlgefällt, und deren insbesondere Eure makellose Schönheit höchst würdig ist; allein im Lager aufgewachsen weiß ich meine Meinung nicht anders als schlicht und einfach auszudrücken.«

»Um so leichter werde ich Euch verstehen, Mylord,« sagte Eveline unwillkürlich zitternd. –

»Ich will daher einfach und ohne Umschweife reden. Zwischen Eurem verehrten Vater und mir war von einer Vereinigung unserer Häuser die Rede.« Hier hielt er inne, als ob er wünschte oder erwartete, daß Eveline Etwas sagte; allein, als er sah, daß sie beharrlich schwieg, so fuhr er fort: »Ich wünschte es wäre des Himmels Wille gewesen, daß Raymond die Unterhandlung mit seiner gewöhnlichen Weisheit geführt und beendet hätte, wie er auch beim Eröffnen derselben war; allein, was können wir machen? – er ist den Weg gegangen, den wir Alle betreten müssen.«

»Eure Herrlichkeit,« entgegnete Eveline, »haben den Tod Ihres edlen Freundes edel gerächt.«

»Lady, ich habe blos meine Pflicht gethan als guter Ritter, indem ich eine bedrängte Jungfrau beschirmte – als Gränzlord, indem ich die Gränze beschützte – und als Freund, indem ich den Freund rächte; allein zur Sache. Unser altes und edles Haus scheint seinem Ende nahe zu sein. Von Randal Lacy, meinem entfernten Verwandten, will ich nicht sprechen. In ihm erblicke ich nichts Gutes oder Hoffnungsvolles; auch stehen wir seit vielen Jahren in keinem guten Einverständnisse. Mein Neffe Damian erregt schöne Hoffnungen, und kann wohl ein würdiger Zweig unseres alten Baumes werden – allein er ist erst 20 Jahre alt, und hat noch eine lange, an Abentheuern und Gefahren reiche Laufbahn zu durchlaufen, bevor er mit Ehren den Pflichten der Häuslichkeit und des Ehestandes sich unterziehen kann. Zudem ist seine Mutter eine Engländerin, was vielleicht ein Flecken in seinem Wappenschilde ist. Doch hätte er 10 Jahre weiter unter ritterlichen Ehren durchlebt, so würde ich Damian von Lacy zu dem Glücke vorgeschlagen haben, nach welchem ich jetzt selbst strebe.«

»Ihr – Ihr! – Mylord! – Das ist unmöglich!« rief Eveline aus, indem sie zu gleicher Zeit sich bestrebte, dem Erstaunen, das sie unmöglich unterdrücken konnte, alles Beleidigende zu nehmen.

»Ich wundere mich durchaus nicht,« erwiederte der Constabel mit großer Ruhe – denn da das Eis einmal gebrochen war, so nahm er wieder die natürliche Festigkeit seines Charakters an – »daß Ihr über diesen kühnen Vorschlag in Erstaunen gerathet – ich habe vielleicht nicht die Gestalt, an der das Auge einer Dame Wohlgefallen findet, und die Ausdrücke und Phrasen, die das Ohr einer Dame kitzeln, vergessen – vorausgesetzt, daß ich sie je kannte; allein, edle Eveline, die Gattin Hugo's von Lacy wird die erste unter den Frauen Englands sein.«

»Um so mehr wird es,« entgegnete Eveline, »derjenigen, welcher eine so hohe Würde angeboten wird, geziemen zu erwägen, in wie weit sie im Stande ist, die ihr dadurch auferlegten Pflichten zu erfüllen.«

»In dieser Hinsicht fürchte ich nichts,« sagte de Lacy; »die, welche eine so vortreffliche Tochter war, kann in jedem andern Lebensverhältnisse nicht minder achtbar sein.«

»Mylord,« entgegnete das verlegene Mädchen, »ich setze das Zutrauen, das Ihr mir so bereitwillig schenket, nicht in mich, und ich muß Euch – verzeiht mir – um Zeit bitten, um sowohl über mich selbst, als über sonstige Dinge Untersuchungen anstellen zu können.«

»Eurem Vater, edle Dame, lag diese Verbindung sehr am Herzen. Diese von ihm eigenhändig unterschriebene Schrift wird es Euch zeigen.« Knieend überreichte er ihr das Papier. – »Die Gattin Hugo's von Lacy wird, wie Raymond Berengers Tochter es verdient, den Rang einer Fürstin, seine Wittwe das Witthum einer Königin haben.«

»Spottet meiner nicht dadurch, Mylord, daß Ihr Euch vor mir niederbeugt, während Ihr mir die Befehle meines Vaters zu Gemüthe führt. Diese in Verbindung mit andern Umständen –« Hier hielt sie inne, und seufzte tief – »Gönnt mir nur eine kurze Zeit zur freien Entschließung.«

Durch diese Antwort ermuthigt, erhob sich Hugo von Lacy, der bisher vor ihr gekniet hatte, und fuhr, sich neben Eveline setzend, in seiner Bewerbung fort, freilich nicht mit der Sprache der Leidenschaft, sondern als ein freier und offenredender Mann, der einen Antrag, von dem seine Glückseligkeit abhängt, eifrig unterstützt. Die Erinnerung an die wunderbare Erscheinung ihrer Beschützerin herrschte, wie sich wohl denken läßt, in dem Herzen Evelinens vor, die sich durch das feierliche Gelübde, das sie bei jener Gelegenheit abgelegt hatte, genöthigt sah, ausweichende Antworten zu geben, wo sie vielleicht, wenn blos ihr Wunsch über ihre Antworten entschieden hätte, geradezu verneint haben würde.

»Mylord,« sagte sie, »Ihr könnt nicht von mir erwarten, daß ich, das so eben erst zur Waise gewordene Mädchen, in einer Sache von so hoher Wichtigkeit einen plötzlichen Entschluß fasse. Gebt mir, edelmüthiger Mann, Zeit, bei mir selbst über die Sache nachzudenken und meine Freunde darüber zu Rathe zu ziehen.«

»Ach, schöne Eveline!« sagte der Baron, »nehmet mir meine Zudringlichkeit nicht übel. Ich muß unverzüglich eine weite und gefährliche Fahrt antreten, und die kurze Zeit, die mir zum Erbitten Eurer Gunst gelassen ist, muß mein ungestümes Drängen entschuldigen.«

»Und unter solchen Umständen, edler Lacy, wollt Ihr Euch mit Familienbanden belasten?«

»Ich bin Gottes Krieger,« sagte der Constabel, »und er, für dessen Sache ich in Palästina kämpfe, wird mein Weib in England schützen.«

»So hört denn, Mylord, meine gegenwärtige Antwort,« sagte Eveline Berenger, von ihrem Sitze sich erhebend. »Morgen gehe ich in's Kloster der Benedictinerinnen zu Gloucester, wo die Schwester meines geehrten Vaters Aebtissin ist. Ihrem Gutachten will ich mich in dieser Sache unterwerfen.«

»Ein schöner und wahrhaft jungfräulicher Entschluß,« antwortete de Lacy, der seinerseits, wie es schien, sehr damit zufrieden war, daß die Unterredung abgebrochen wurde. »Auch ist er, wie ich hoffe, der Werbung Eures demüthigen Dieners nicht ganz ungünstig, da die gute Aebtissin schon seit langen Jahren meine geehrte Freundin ist.« Hierauf wandte er sich zu Rosa, die im Begriffe stand, mit ihrer Gebieterin das Zelt zu verlassen. –

»Hübsches Mädchen,« sagte er, ihr eine goldene Kette anbietend, »laß dieses Halsgeschmeide deinen Nacken umwinden, und deinen guten Willen erkaufen.«

»Mein guter Wille kann nicht erkauft werden,« sagte Rosa, die ihr angebotene Gabe zurückweisend.

»Nun denn, dein schönes Wort,« sagte der Constabel, ihr das Geschenk wiederum aufdrängend.

»Schöne Worte sind leicht zu erkaufen,« sagte Rosa, die Kette von Neuem zurückweisend, »allein sie sind selten das Kaufgeld werth.«

»Verachtest du also mein Geschenk, Mädchen,« sagte de Lacy, »es hat ehedem den Nacken eines normännischen Grafen geschmückt.«

»So gebt es denn einer normännischen Gräfin,« sagte das Mädchen; »ich bin blos Rosa Flammock, des Webers Tochter; ich spare meine guten Worte und gebe sie blos, wenn mein guter Wille dabei ist; und eine Kette von Messing wird mir, denke ich, so gut stehen, als eine von geschlagenem Golde.«

»Still Rosa,« sagte Eveline, »es ist recht muthwillig von dir, daß du so mit dem Lord Constabel sprichst – und Ihr, Mylord,« fuhr sie fort, »erlaubt mir, mich zu entfernen, da Ihr jetzt meine Antwort auf Euren Antrag vernommen habt. Ich bedaure sehr, daß er nicht minder bedenklicher Art war, damit ich ihn auf der Stelle hätte annehmen und Euch so meine Dankbarkeit für Eure mir geleisteten Dienste bezeugen können.«

Der Constabel von Chester führte hierauf Evelinen mit derselben Umständlichkeit hinaus, mit der er sie in das Zelt geführt hatte, und traurig und bekümmert wegen des Erfolgs dieser wichtigen Unterredung kehrte sie auf ihre Burg zurück. Sie zog ihren großen Trauerschleier dicht um sich her, damit man die Veränderung, die auf ihrem Gesichte vorgegangen war, nicht bemerken könnte, und ohne selbst mit dem Vater Aldrovand zu sprechen, zog sie sich augenblicklich in die Einsamkeit ihres Gemachs zurück.



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