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Achtes Kapitel.

O trübe scheint die Morgensonne
Auf der berennten Veste Wall,
Wenn Bollwerk, Mauer und Thurm und Zinnen
Sich neigen ihrem nahen Fall.

Alte Ballade.

Getreu seinem Entschlusse und während des Gehens seinen Rosenkranz betend, begann Vater Aldrovand die Runde auf der Burg, sobald die Sonne am östlichen Horizonte emporgestiegen war. Ein natürlicher Instinkt führte ihn zuerst zu den Ställen, die, wenn die Festung gehörig verproviantirt gewesen wäre, mit Vieh hätten angefüllt sein müssen. Wie groß war sein Erstaunen, als er über zwanzig fette Kühe und Ochsen an dem Orte fand, der in der vorigen Nacht noch leer gewesen war. Eines dieser Thiere war bereits zur Schlachtbank geführt worden, und ein paar Flamänder, welche bei dieser Gelegenheit den Dienst des Fleischers versahen, zertheilten es für den Koch. Der gute Vater hätte beinahe laut verkündigt, daß ein Wunder geschehen sei, allein, um nicht zu voreilig zu sein, machte er seinem Entzücken bloß durch einen Ausruf zur Ehre unserer lieben Frau von Garde doloureuse Luft.

»Wer spricht von Mangel an Lebensmitteln? – Wer spricht jetzt von Uebergabe? Hier ist so viel da, daß wir uns gar wohl halten können, bis Hugo von Lacy kommt, und müßte er selbst aus Cypern zurücksegeln. Ich hatte mir vorgenommen, diesen Morgen zu fasten, theils um Lebensmittel zu ersparen, theils aber auch aus religiösen Gründen, allein der Segen der Heiligen darf nicht verschmäht werden. – Koch, gib mir sogleich ein Stück Rindsbraten und befiehl dem Bäcker, mir ein Semmelbrod, und dem Kellner, mir einen Becher Wein zu bringen. Ich will auf den westlichen Zinnen ein stehendes Frühstück einnehmen.« An diesem Orte, der bei weitem der schwächste Punkt von Garde doloureuse war, fand der gute Vater Wilkin Flammock eifrig damit beschäftigt, die nöthigen Vorkehrungen zur Vertheidigung der Burg anzuordnen. Er grüßte ihn höflich, wünschte ihm zu dem Mundvorrathe Glück, der während der Nacht herbeigeschafft worden sei, und fragte ihn, wie man das Vieh so glücklicherweise durch die Schaaren der Belagerer in die Burg gebracht habe.

»Von allem dem ein anderes Mal! guter Vater,« begann Wilkin; »denn ich möchte Euch, ehe wir uns über etwas Anderes besprechen, über eine Sache befragen, die mir schwer auf dem Herzen liegt, und die mein zeitliches Wohlsein sehr nahe angeht.«

»Sprich, mein vortrefflicher Sohn,« sagte der Vater, hoffend, daß er hiedurch den Schlüssel zu Wilkins wahren Absichten bekommen werde. »O ein zartes Gewissen ist ein köstliches Kleinod! und der, welcher nicht gehorcht, wenn es zu ihm sagt: schütte deine Zweifel in das Ohr des Priesters aus, wird einst die Pein erleben, daß Feuer und Schwefel seine Schmerzensrufe ersticken werden. Du hattest stets ein zartes Gewissen, Sohn Wilkin, obschon dein Benehmen rauh und ungeschliffen ist.«

»Nun, so wisset denn,« sagte Wilkin, »daß ich mit meinem Nachbar, Jan Vanwelt, einen Handel, meine Tochter Rosa betreffend, gehabt habe, und daß er mir gewisse Gelder unter der Bedingung bezahlt hat, daß ich ihm meine Tochter zur Frau geben soll.«

»Pah! Pah! mein guter Sohn,« sagte der getäuschte Beichtvater, »diese Sache kann aufgeschoben werden. Es ist jetzt, wo wir Alle nahe daran sind, von den walliser Beilen niedergehauen zu werden, keine Zeit zum Heirathen oder zum Verheirathen.«

»So hört mich doch an, guter Vater,« sagte der Flamänder; »denn dieser Gewissenspunkt geht unsere gegenwärtige Lage weit näher an, als Ihr glaubt. – Ihr müßt wissen, daß ich nicht gesonnen bin, meine Tochter diesem Jan Vanwelt, der alt und ungesittet ist, zu geben, und ich möchte nun von Euch wissen, ob ich es vor meinem Gewissen verantworten kann, wenn ich ihm meine Einwilligung verweigere?«

»In der That,« sagte Aldrovand, »Rosa ist ein hübsches Mädchen, nur etwas zu voreilig, und ich glaube, daß Ihr Eure Einwilligung, unbeschadet Eurer Rechtschaffenheit, zurücknehmen könnt, wenn Ihr ihm die empfangenen Gelder wieder zurückbezahlt.«

»Ja, aber darin liegt gerade die Schwierigkeit, guter Vater,« sagte der Flamänder, – »die Zurückzahlung dieser Gelder würde mich an den Bettelstab bringen. Die Walliser haben mein Eigenthum geraubt oder zerstört, und diese Hand voll Geld ist, Gott helfe mir, Alles, was mir noch geblieben ist, und das einzige Mittel, womit ich wieder gleichsam ein neues Leben beginnen könnte.«

»Und dennoch, Sohn Wilkin,« sagte Aldrovand, »mußt du dein Wort halten, oder das Geld wieder zurückgeben; denn sagt nicht die Schrift: Quis habitabit in tabernaculo, quis requiescet in monte sancto? Wer wird im Tabernakel wohnen, wer ausruhen auf dem heiligen Berge? Und lautet nicht die Antwort hierauf: Qui jurat proximo et non decipit? Auf also, mein Sohn! – brich dein gegebenes Wort nicht eines armseligen und schmutzigen Gewinns wegen, – besser ist ein leerer Magen und ein hungriges Herz mit einem reinen Gewissen, als ein gemästeter Ochs mit Ungerechtigkeit und Wortbruch. – Sahst du nicht, wie unser edler Gebieter (Gott sei seiner Seele gnädig!) lieber in ungleichem Kampfe den Tod eines tapfern und biedern Ritters sterben, denn als ein meineidiger Mann leben wollte, ob er schon nur ein paar übereilte Worte bei der Weinflasche zu einem Walliser gesprochen hatte?«

»Ach!« sagte der Flamänder, »das ist es eben, was ich fürchtete! Wir müssen nun entweder die Festung übergeben, oder dem Walliser Jorworth das Vieh, mit dessen Hülfe ich sie hatte vertheidigen wollen, wieder zustellen.«

»Wie – weßwegen – was soll das heißen?« rief der erstaunte Mönch aus; »ich rede mit Euch von Rosa Flammock und Jan Van-Devil (Van-Teufel) oder wie Ihr ihn sonst nennen mögt, und Ihr sprecht mir da von Vieh und Schlössern und wer weiß von was sonst noch.«

»Mit Eurer Erlaubniß, heiliger Vater, ich sprach bloß in Gleichnissen. Diese Burg war die Tochter, die ich wegzugeben versprochen hatte – der Walliser ist Vanwelt, und die Gelder sind das Vieh, das er mir als eine einstweilige Abschlagszahlung an meinem großen Guthaben geschickt hat.«

»Gleichnisse!« rief der Mönch, vor Aerger über den ihm gespielten Streich erröthend, aus; »was hat ein Bauer, wie du, mit Gleichnissen zu schaffen? – Allein ich verzeihe dir, ich verzeihe dir!!« –

»Ich muß also dem Walliser das Schloß übergeben, oder ihm sein Vieh wieder zustellen?« fragte der unerschütterliche Flamänder.

»Lieber gieb deine Seele dem Satan,« erwiederte der Mönch.

»Ich fürchte, es gibt nur diese zwei Auswege,« – sagte der Flamänder; »denn das Beispiel unseres ehrenwerthen Herrn –«

»Das Beispiel eines ehrenwerthen Narren« – antwortete der Mönch; dann fügte er jedoch sogleich hinzu: »Unsere Frau sei mit ihrem Diener – dieser belgische Bauer macht mich vergessen, was ich sagen wollte.«

»Ja, und dann der heilige Text, den Eure Ehrwürden mir so eben angeführt haben« – fuhr der Flamänder fort.

»Geh zum –« sagte der Mönch, »kommt es dir wohl zu, Betrachtungen über die heiligen Texte anzustellen? weißt du nicht, daß der Buchstabe der heiligen Schrift tödtet, und daß die Auslegung allein lebendig macht. – Gleichst du nicht einem Menschen, der dem Arzte, von dem er doch Hülfe und Rettung erwartet, die Hälfte der Anzeichen der Krankheit verhehlt? – Ich sage dir, du thörichter Flamänder, daß die Schrift bloß von Versprechungen, die Christen gegeben worden sind, spricht, und daß eine besondere Clausel da ist, die alle die Versprechungen ausnimmt, die den Wallisern gegeben worden sind.«

Bei dieser Erklärung riß der Flamänder den Mund so weit auf, daß die beiden Reihen seiner breiten schneeweißen Zähne sichtbar wurden. Vater Aldrovand grinste sympathetisch mit, und fuhr dann in seiner Rede also fort. – »Komm, komm, ich sehe schon, wie es um die Sache steht. Du hast eine kleine List ausgedacht, um mich einigermaßen dafür zu züchtigen, daß ich deine Redlichkeit in Zweifel gezogen habe; und ich muß es gestehen, du hast dich ziemlich witzig gerächt. Allein, warum weihtest du mich nicht gleich anfangs in das Geheimniß ein? Ich bekenne dir, daß ich bösen Argwohn gegen dich gehegt habe.«

»Wie?« sagte der Flamänder, »hätte es mir wohl je in den Sinn kommen dürfen, Eure Ehrwürden in einen kleinen Betrug zu verwickeln? Sicherlich hat mir der Himmel mehr Verstand und Gefühl für Schicklichkeit verliehen. – Horch! ich höre Jorworth's Horn vor dem Thore.«

»Er bläst wie ein städtischer Schweinhirte,« sagte Aldrovand höhnend.

»Eure Ehrwürden wollen also nicht, daß ich ihm das Vieh zurückgebe?« fragte Flammock.

»Ich bitte dich, schütte geradeswegs über die Mauern einen solchen Kessel voll siedenden Wassers auf ihn hinab, daß die Haare von seinem ziegenledernen Mantel dadurch weggebrüht werden. Und höre, tauche vorher deinen Zeigefinger in den Kessel, um die Temperatur des Wassers zu untersuchen; das soll deine Strafe für den Streich sein, den du mir gespielt hast.«

Der Flamänder antwortete ihm durch ein abermaliges Zähnefletschen. Sie begaben sich nun nach dem äußern Thore, zu welchem Jorworth allein gekommen war. Sich an das Pförtchen stellend, das jedoch sorgfältig verriegelt gelassen wurde, und durch eine kleine zu diesem Ende angebrachte Oeffnung sprechend, fragte Wilkin Flammock den Walliser, was er begehre.

»Deinem Versprechen gemäß, die Uebergabe der Burg,« erwiederte Jorworth.

»So? und bist du in einer solchen Absicht ganz allein gekommen?« fragte Wilkin.

»Nein, keineswegs,« antwortete Jorworth; »ich habe einige zwanzig Mann hinter jene Büsche dort versteckt.«

»Dann thust du am besten daran,« entgegnete Wilkin, »wenn du sie schnell hinwegführst, ehe unsere Bogenschützen einen Hagel von Pfeilen auf sie abschießen.«

»Wie, Schurke! Bist du nicht gesonnen, dein Wort zu halten?« rief der Walliser aus.

»Ich gab dir keines,« sagte der Flamänder; »ich versprach dir bloß, über dein Anerbieten nachzudenken. Dies habe ich auch gethan, und mich mit meinem Beichtvater darüber besprochen; dieser will aber durchaus nicht haben, daß ich auf deinen Vorschlag achte.«

»Und willst du,« sagte Jorworth, »das Vieh behalten, das ich dir im Vertrauen auf unsere gegenseitige Uebereinkunft zugestellt habe?«

»Ich werde ihn in den Bann thun, und seine Seele dem Teufel überliefern,« sagte der Mönch, der die phlegmatische und zögernde Antwort des Flamänders nicht abzuwarten vermochte, »wenn er nur ein Horn, eine Klaue oder ein Haar davon so unbeschnittenen Philistern, wir ihr seid, überliefert.«

»Schon gut, geschorener Pfaffe,« antwortete Jorworth wuthentbrannt. »Aber bei meiner Seele, deine Mönchskutte soll dich nicht schützen. Wenn Gwenwyn diese Burg eingenommen hat, die einer so treulosen Lügnerbrut wahrlich nicht mehr lange Schutz verleihen wird, so werde ich dafür sorgen, daß ein Jeder von euch in die Haut eines jener Thiere, um derenwillen dein Beichtkind meineidig geworden ist, eingenäht und an einen Ort gebracht wird, wo nur Wölfe und Adler eure Gefährten sein werden.«

»Das kannst du thun, wenn du die Macht dazu hast,« sagte der gelassene Niederländer.

»Falscher Walliser!« rief zu gleicher Zeit der reizbarere Mönch. »Ich werde die Hunde deine Knochen abnagen sehen, ehe jener Tag kommt, von welchem du so prahlerisch sprichst.«

Als Antwort auf die Bemerkungen Beider erfaßte Jorworth seinen Wurfspieß, schwang ihn rückwärts, und den Schaft desselben so lange erschütternd, bis er eine gewisse Schwingung erlangt hatte, schleuderte er ihn mit eben so viel Kraft als Gewandtheit gegen die in der Pforte befindliche Oeffnung. Zischend fuhr er durch das ihm gegebene Ziel und flog (jedoch ohne Schaden anzurichten) zwischen den Köpfen des Mönchs und des Flamänders vorbei; der Erstere fuhr zurück, während der Letztere auf den Wurfspieß blickend, der zitternd an der Thüre des Wachtzimmers hing, bloß sagte: »Das war gut gezielt und glücklicherweise verfehlt.«

Sobald Jorworth seinen Spieß geworfen hatte, eilte er zu seinem Hinterhalte und gab ihm das Zeichen zum schleunigen Rückzuge. Gerne würde ihnen Vater Aldrovand einen Pfeilregen nachgeschickt haben, allein der Flamänder bemerkte ihm, die Munition müsse ihnen zu kostbar sein, als daß sie sie an einige Flüchtlinge verschwenden dürften. Vielleicht erinnerte er sich, daß sie einigermaßen durch seine Versicherungen in die Gefahr, auf eine solche Art begrüßt zu werden, gerathen waren.

Als das durch die eilige Rückkehr Jorworth's und seiner Gefährten verursachte Geräusch erstorben war, trat eine Todtenstille ein, die in vollkommenem Einklange mit der Kühle und der Ruhe der frühen Morgenstunde stand.

»So wird es nicht lange bleiben,« sagte Wilkin zu dem Mönch mit einem ahnungsvollen Ernste, der in der Brust des guten Vaters einen Wiederhall fand.

»Es wird und kann nicht,« antwortete Aldrovand. »Wir haben einen hitzigen Angriff zu erwarten; ich würde mich gleichwohl wenig darum kümmern, wäre die Ueberzahl nicht in einem so furchtbaren Grade auf ihrer Seite, die Ausdehnung der Mauern so beträchtlich und die Hartnäckigkeit jener walliser Teufel beinahe so groß als ihre Wuth. Allein wir wollen unser Möglichstes thun. Ich will zur Lady Eveline gehen – sie muß sich auf den Zinnen zeigen. Ihre Schönheit ist bezaubernd und in der That auch zu groß, als daß ein Mann meines Standes sich in eine nähere Schilderung derselben einlassen dürfte; zudem hat sie einen Anflug von dem stolzen Geiste ihres Vaters. Blick und Worte einer solchen Jungfrau verleihen einem Manne in der Stunde der Gefahr doppelte Kraft.«

»Das mögt Ihr thun,« sagte der Flamänder; »ich will gehen und dafür sorgen, daß das gute Frühstück, das ich habe bereiten lassen, jetzt aufgetragen wird; es wird meinen Flamändern mehr Kraft verleihen, als der Anblick der zehntausend Jungfrauen – mögen sie uns ihren Beistand schenken! – wenn sie auch alle auf einem Flecke versammelt wären.«



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