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Fünftes Kapitel.

Nach seinem Schlosse der Ritter nun floh,
Nach Barnard Castle er eilig floh;
Doch bald hat der Grafen vereinte Macht
Die äußeren Mauern zum Fallen gebracht,
Doch, ob sie auch leichten Kampfs sie besiegt,
Die nur aus Ziegeln und Steinen zusammengefügt,
So bieten die Innern doch trotzig die Stirn,
Da sie in starre Felsen gehauen,
Gewaltig und hoch gen Himmel schauen.

Percy's Ueberreste der alten Dichtkunst.

Der unglückliche Ausgang der Schlacht war den angsterfüllten Zuschauern auf den Wachthürmen von Garde doloureuse (ein Name, den die Burg an diesem Tage nur zu gut verdiente) bald klar. Nur mit Mühe gelang es dem Beichtvater, seine eigenen Empfindungen zu meistern, um die seiner wehklagenden Begleiterinnen, in deren lautes Jammern bald auch ein Haufen von Frauen, Kindern und Greisen einstimmte, einigermaßen zu beherrschen. Diese hülflosen Geschöpfe hatte man, ihrer Sicherheit wegen, in die Burg eingelassen, und sie erfüllten nun die Zinnen, von denen Vater Aldrovand sie auf jede mögliche Weise zu entfernen suchte, weil er wohl wußte, daß ihre Gegenwart auf den Thürmen, die mit Bewaffneten hätten besetzt sein sollen, den Muth der Belagerer nothwendig erhöhen müsse. Er bat daher Lady Eveline dringend, den hülflosen aber eigensinnigen Unglücklichen mit ihrem Beispiele voranzugehen.

Selbst im höchsten Unglücke jene Fassung behauptend, oder wenigstens zu behaupten suchend, welche die Sitten der Zeit geboten – denn der Rittergeist hatte eben so wohl seinen Stoicismus, als die Philosophie – antwortete Eveline mit einer Stimme, der sie vergebens Festigkeit zu ertheilen suchte, und die trotz ihrer Anstrengung bebte: »Ja Vater! Ihr habt Recht! Hier gibt es für Jungfrauen nichts mehr zu sehen. Kriegerische Ehre und ruhmvolle Thaten sanken unter, als jene weiße Feder den blutigen Boden berührte. Kommt, Mädchen, hier ist nichts mehr für uns zu sehen. – Zur Messe – zur Messe – das Tournier ist vorbei.« Es lag etwas Wildes in ihrem Tone, und als sie sich erhob, als wolle sie eine Prozession anführen, so wankte sie und würde gefallen sein, wenn ihr Beichtvater ihr nicht zu Hülfe gekommen wäre. Ihr Haupt hastig in ihren Mantel hüllend, als schäme sie sich des Ausdrucks des Schmerzes, über den sie nicht Herr werden konnte, und von dessen Uebermaaß ihre Seufzer und die wehklagenden Töne zeugten, die aus den Falten des ihr Gesicht umhüllenden Mantels drangen, erlaubte sie dem Vater Aldrovand, sie zu führen, wohin er wollte.

»Unser Gold,« sagte er, »hat sich in Messing, unser Silber in Schlacken, und unsere Weisheit in Narrheit verwandelt – es ist der Wille dessen, der den Rath der Weisen zu Schanden macht, und den Arm des Mächtigen verkürzt. In die Kapelle, Lady Eveline! Statt des vergeblichen Jammerns laßt uns zu Gott und den Heiligen beten, daß sie ihren Zorn von uns wenden, und die schwachen Ueberreste vor dem Rachen des reißenden Wolfes bewahren.«

Während dieses Gespräches hatte er Evelinen, welche in diesem Augenblicke weder zu denken noch zu handeln im Stande war, in die Schloßkapelle halb geführt und halb getragen. Hier sank sie vor dem Altare nieder, und nahm wenigstens eine betende und andächtige Stellung an, obschon ihre Gedanken, trotz der frommen Worte, die ihre Zunge mechanisch stammelte, auf dem Schlachtfelde neben dem Leichname ihres erschlagenen Vaters waren. Die übrigen Wehklagenden ahmten ihre junge Gebieterin in ihrer andächtigen Stellung, so wie in ihrer Geistesabwesenheit nach. Das Bewußtsein, daß so Viele von der Besatzung durch Raymonds unkluges Unternehmen umgekommen waren, fügte ihrem Kummer noch das Gefühl der persönlichen Unsicherheit bei, das durch die Kenntniß der unmenschlichen Grausamkeit des Feindes, der in der Hitze des Sieges weder Geschlecht noch Alter verschonte, noch gesteigert wurde.

Der Mönch jedoch nahm einen gebieterischen Ton, zu dem ihn sein Charakter berechtigte, gegen sie an, und verwies ihnen ihre fruchtlosen Klagen. Nachdem er sie nun, wie er glaubte, in einen Gemüthszustand versetzt hatte, der sich besser für ihre Lage schickte, überließ er sie ihren Andachtsübungen, und entfernte sich eilig, um zu untersuchen, wie es um die Vertheidigung der Burg stehe. Auf den Außenwerken traf er Wilkin Flammock, der, nachdem er sich als tapferer und geschickter Befehlshaber durch die Art, auf welche er, wie wir bereits gesehen haben, den Vortrab des Feindes zurückschlug, bewiesen hatte, seiner kleinen Besatzung eigenhändig kleine sparsame Portionen Wein austheilte.

»Nimm dich in Acht, guter Wilkin,« sagte der Pater, »daß du in dieser Sache das Maaß nicht überschreitest; der Wein ist, wie du wohl weißt, gleich Feuer und Wasser, ein guter Diener, aber ein schlechter Herr.«

»Es wird lange anstehen, bis er das tiefe und feste Gehirn meiner Landsleute überfüllt,« sagte Wilkin Flammock. »Unser flamändischer Muth gleicht unsern flandrischen Pferden – die letztern bedürfen der Sporen, und die Flamänder müssen den Weinkrug wittern; aber glaubt mir, Vater, sie sind ein ausdauerndes Geschlecht, und werden durchs Waschen nicht eingehen. Allein wenn ich auch den Leuten einen Becher zu viel gäbe, so würde dieß doch auch sein Gutes haben, weil sie wahrscheinlich bald eine Schüssel weniger bekommen werden.«

»Was wollt Ihr damit sagen?« rief der erschrockene Mönch aus. »Bei allen Heiligen! Ich glaube, für Mundvorrath ist gesorgt worden.«

»Nicht so gut, als in Eurem Kloster,« erwiederte Wilkin mit unerschütterlichem Gleichmuthe. »Wir haben, wie Ihr wisset werdet, zu üppige Weihnachten gehabt, als daß wir recht fette Ostern bekommen könnten. Jene walliser Hunde, welche uns unsere Vorräthe verzehren halfen, werden nun wahrscheinlich, weil es uns an ihnen mangelt, in unsere Veste kommen.«

»Du sprichst baren Unsinn,« entgegnete der Mönch. »Gestern Abend ertheilte unser Herr, dessen Seele Gott gnädig sein möge, den Befehl, die nöthigen Vorräthe aus der Gegend herbeizuschaffen.«

»Ja, aber die Walliser waren uns zu nahe auf der Haube, als daß wir diesen Morgen gemächlich hätten thun können, was schon vor Monaten hätte gethan werden sollen. Unser verstorbener Herr, wenn er je verstorben ist, war Einer von denen, die sich auf die Schärfe ihres Schwertes verließen, und das sind nun die Folgen davon. Ich muß eine Armbrust und eine wohlverproviantirte Burg haben, wenn ich durchaus fechten soll. – Ihr werdet blaß, mein guter Vater! – Ein Becher Wein würde Euch wieder stärken.«

Der Mönch drängte den Becher, den ihm Wilkin mit bäurischer Höflichkeit an den Mund hielt, zurück und sagte: »Wir haben jetzt keine andere Zuflucht mehr, als das Gebet.«

»Sehr wahr, guter Vater,« bemerkte ihm der unerschütterliche Flamänder; »betet Ihr so lang Ihr wollt; ich will mich mit dem Fasten begnügen, zu dem ich mich bald werde verstehen müssen, ich mag wollen oder nicht.« In diesem Augenblicke hörte man ein Horn vor den Thoren der Festung ertönen. – »Schaut nach dem Fallgatter und dem Thore, ihr Leute. – Was gibt's Neues, Neil Hansen?«

»Ein Abgesandter der Walliser harret an dem Mühlenhügel, genau in der Schußweite einer Armbrust; er hat eine weiße Fahne und verlangt eingelassen zu werden.«

»Wenn dir dein Leben lieb ist,« sagte Wilkin in seiner Landessprache, »so laß ihn nicht ein, bevor wir uns auf seinen Empfang vorbereitet haben. Richte die große Steinschleuder nach dem Orte, wo er steht, und schieß ihn nieder, wenn er von der Stelle zu gehen wagt, ehe wir Alles gehörig angeordnet haben. Und Neil, du Hundsfott, rege dich. Laß alle Piken, Lanzen und Spieße in der Burg auf die Zinnen bringen und in die Schießscharten stecken. – Nimm ein paar alte Tapeten und mache Paniere daraus, und pflanze sie auf den höchsten Thürmen auf. – Laß, wenn ich dir ein Zeichen gebe, die Trommeln rühren, und in die Trompeten stoßen, wenn wir nämlich noch welche haben; und wenn dieß nicht der Fall ist, so sieh' dich nach einigen Kuhhörnern um, – gleichviel – wenn es nur Lärmen macht. Und höre du, Hansen, gehe du mit vier oder fünf Andern von euch in die Rüstkammer, und lege dort Rüstungen an. Unsere niederländischen Kürasse treiben ihnen das Blut nicht so aus dem Gesichte. Wenn dieß geschehen ist, dann verbindet dem Walliser Dieb die Augen und führet ihn herein. – Verhaltet euch ruhig und schweigend, und überlasset es mir, mit dem Walliser zu unterhandeln. – Nur sorgt dafür, daß sich kein Engländer unter euch einschleicht.«

Der Mönch, der sich auf seinen Reisen einigermaßen mit der flamändischen Sprache bekannt gemacht hatte, wäre beinahe aufgefahren, als er den letzten Punkt der Instruktionen vernahm, die Wilkin seinen Landsleuten ertheilte; allein er beherrschte seine innern Bewegungen, obschon er nicht wenig sowohl über diesen verdachterregenden Umstand, als auch über die Fertigkeit und Gewandtheit erstaunt war, mit der der ungehobelte Flamänder seine Anordnungen den Regeln der Kriegskunst und der Klugheit anzupassen schien.

Wilkin seinerseits war nicht ganz überzeugt, ob der Mönch von dem, was er seinen Landsleuten gesagt, nicht mehr gehört und verstanden hatte, als ihm lieb war. Um daher jeden Verdacht, den Vater Aldrovand nähren mochte, in den Schlaf zu lullen, wiederholte er ihm in englischer Sprache die meisten Befehle, die er ertheilt hatte, und fügte noch hinzu: »Nun, guter Vater, was haltet Ihr davon?«

»Alles vortrefflich gut,« antwortete der Mönch. »Ihr benehmt Euch, als ob Ihr von Kindesbeinen an das Kriegshandwerk getrieben, nicht aber das Weberschifflein regiert hättet.«

»Ja, Vater, spart Euren Spott nicht,« sagte Wilkin. »Ich weiß wohl, daß ihr Engländer glaubt, die Flamänder haben nichts in ihrer Hirnschale als Kohl und gesottenes Rindfleisch; nun seht Ihr aber, daß sich Weisheit auch mit dem Weberhandwerke verträgt.«

»Gut, Meister Wilkin Flammock,« antwortete der Pater; »allein, ehrlicher Flamänder, willst du mir sagen, wie du die Aufforderungen des walliser Fürsten zu beantworten gesonnen bist?«

»Ehrwürdiger Vater,« entgegnete der Flamänder, »sagt mir zuerst, welcher Art diese Aufforderungen sein werden?«

»Sie werden dahin lauten, daß das Schloß augenblicklich übergeben werden soll,« antwortete der Mönch. »Was wird Eure Antwort sein?«

»Meine Antwort wird sein – Nein, es wäre denn, daß die Bedingungen günstig lauteten.«

»Wie, Herr Flamänder! Ihr wagt es, das Schloß Garde doloureuse und das Wort Uebergabe in einem Athem auszusprechen?«

»In keinem Falle, wenn ich etwas Besseres thun kann. Allein kann wohl Euer Hochwürden wünschen, daß ich so lange zaudere, bis unter der Besatzung die Frage aufgeworfen wird, ob ein wohlbeleibter Priester oder ein fetter Flamänder das beste Fleisch für ihre Schlachtbank liefern?«

»Pah!« erwiederte Vater Aldrovand, »was sind das für Narrheiten! Höchstens in 24 Stunden muß uns Entsatz werden. Raymond Berenger erwartete ihn mit Gewißheit bis zu dieser Zeit.«

»Raymond Berenger hat sich diesen Morgen in mehr als einer Sache getäuscht,« antwortete der Flamänder.

»Höre, Flamänder,« sagte jetzt der Mönch, der sich in der Einsamkeit seines Klosters seiner kriegerischen Gewohnheiten und Neigungen noch nicht ganz entwöhnt hatte, »ich rathe dir, aufrichtig und redlich in dieser Sache zu verfahren, wenn dir anders dein Leben lieb ist; denn es sind hier, des heutigen Blutbads ungeachtet, noch Engländer genug am Leben, um die starrköpfigen flamändischen Frösche in den Burggraben zu schleudern, falls du bei der Vertheidigung des Schlosses und der Beschützung der Lady Eveline treulos zu Werke gehen solltest.«

»Euer Hochwürden mögen sich doch durch keine unnöthige und eitle Furcht beunruhigen,« antwortete Wilkin Flammock – »ich bin Kastellan dieser Burg, auf Befehl ihres Herrn, und was mir in Sachen meines Amtes vortheilhaft däucht, das werde ich thun.«

»Aber ich,« sagte der verdrießliche Mönch, »bin ein Diener des Papstes – der Kaplan dieses Schlosses, und habe die Macht zu binden und zu lösen. Ich fürchte, du bist kein ächter Christ, Wilkin Flammock, sondern neigst dich zur Ketzerei der Bergbewohner hin. Du hast dich geweigert, das heilige Kreuz zu nehmen – du hast gefrühstückt und Wein und Bier getrunken, ehe du die Messe gehört hast. Du bist kein Mann, dem man trauen kann, und ich werde dir nicht trauen: – ich verlange zu deiner Unterredung mit dem Walliser zugelassen zu werden.«

»Das kann nicht sein, guter Vater,« sagte Wilkin mit demselben Lächeln und derselben ausdruckslosen Miene, die er bei allen, wenn auch noch so ernsten, Vorfällen seines Lebens beibehielt. »Es ist wahr, wie du sagst, guter Vater, daß ich meine eigenen Gründe habe, für jetzt nicht bis zu den Thoren von Jericho zu ziehen; und gut ist's, daß ich solche Gründe habe, sonst würde ich nicht hier sein, und folglich auch nicht die Thore von Garde doloureuse vertheidigen. Ebenso wahr ist es auch, daß ich manchmal meine Mühlen früher besuchen mußte, als den Kaplan sein Eifer zum Altare rief, und daß sich das Arbeiten nicht mit meinem Magen verträgt, ehe ich gefrühstückt habe. Allein dafür habe ich ja Eurer Ehrwürden eine Geldstrafe bezahlt; und ich meine, ihr solltet, da Ihr Euch so genau an die Beichte erinnert, auch die Buße und die Freisprechung nicht vergessen.«

Der Mönch war bei seiner Anspielung auf die Geheimnisse der Beichte einen Schritt weiter gegangen, als er nach den Regeln seines Ordens und der Kirche gehen durfte. Er fühlte sich durch Flammocks Antwort beschämt, und da er sah, daß ihn der Vorwurf der Ketzerei nicht im Mindesten anfocht, so konnte er bloß die Worte vorbringen: »Ihr wollt also nicht zugeben, daß ich Eurer Unterredung mit dem Walliser beiwohne?«

»Ehrwürdiger Vater,« sagte Wilkin, »sie betrifft bloß weltliche Dinge; sollte aber irgend ein die Religion betreffender Gegenstand zur Sprache kommen, so werde ich Euch unverzüglich rufen lassen.«

»Trotz deiner Halsstarrigkeit werde ich dabei sein, du flamändischer Ochse,« murmelte der Mönch, jedoch in einem den Umstehenden unvernehmlichen Tone, vor sich hin, und verließ hierauf die Zinnen.

Einige Augenblicke nachher stieg Wilkin Flammock, als er sah, daß alle Anordnungen getroffen waren, um dem Abgesandten der Walliser eine imponirende Idee von einer Macht beizubringen, die nicht vorhanden war, in ein kleines Wachtzimmer hinab, das sich zwischen dem äußern und dem innern Thore befand. Er war von einem halben Dutzend seiner Landsleute begleitet; diese hatten die normännischen Rüstungen, die sie in der Rüstkammer der Burg gefunden hatten, angelegt, und in Betracht ihres hohen riesenmäßigen Körperbaus, so wie ihrer regungslosen Haltung glichen sie mehr Trophäen vergangener Zeiten, als wirklich lebenden Kriegern. Von diesen ungeheuren und leblosen Gestalten umgeben, empfing Flammock den walliser Boten in einem kleinen gewölbten Zimmer, in das das Tageslicht nur einen matten Schein werfen konnte.

Der Walliser wurde mit verbundenen Augen hereingeführt; jedoch aber absichtlich nicht so strenge bewacht, daß er nicht die auf den Zinnen getroffenen Vorkehrungen einigermaßen hätte bemerken können. Auch hörte man von Außen ein großes Waffengeräusch und laute Stimmen, als ob Offiziere die Runde machten – kurz, Alles schien anzudeuten, daß eine zahlreiche und regelmäßige Besatzung sich mit der größten Thätigkeit auf einen Angriff von Außen vorbereite.

Als die Binde von Jorworths Augen genommen war – denn derselbe Bote, welcher früher Gwenwyns Heirathsantrag nach Garde doloureuse gebracht hatte, überbrachte jetzt seine Aufforderung zur Uebergabe – blickte er stolz umher und fragte, »wem er die Befehle seines Herrn, des Fürsten von Powys, zu überbringen habe.«

»Se. Hoheit,« antwortete Flammock mit seinem gewöhnlichen gleichgültigen Lächeln, »muß sich damit begnügen, mit Wilkin Flammock von den Walkmühlen, dem rechtmäßig ernannten Befehlshaber der Burg Garde doloureuse, zu unterhandeln.«

»Du, ein Befehlshaber!« rief Jorworth aus, »du! – ein gemeiner niederländischer Weber! – das ist unmöglich. So gemeinen Sinnes auch die englischen Schufte sind, so können sie doch nicht so tief gesunken sein, daß sie sich von dir befehlen lassen. – Diese Leute sind, wie es scheint, Engländer, an sie will ich mich wenden.«

»Das könnt Ihr, wenn Ihr wollt,« antwortete Wilkin; »allein, wenn sie Euch anders als durch Zeichen antworten, so sollt Ihr mich einen Schelm heißen.«

»Ist dieß wahr,« redete der Walliser die Flammock umgebenden Gewappneten an, »ist es wirklich so weit mit euch gekommen? Ihr seid zwar ein Räubergeschlecht, allein doch hätte ich geglaubt, ihr würdet euch, als Kinder der freien brittischen Erde, schämen, das Joch eines gemeinen Handwerkers zu tragen, oder warum seid ihr nicht wenigstens vorsichtig, wenn ihr auch keinen Muth besitzt? Wahr sagt das Sprichwort: ›Uebel wird es dem ergehen, der auf den Fremdling baut!‹ Noch immer stumm – noch immer keine Antwort? Antwortet mir durch Worte oder durch Zeichen, wie es euch beliebt – Erkennet ihr ihn wirklich als euern Anführer an?«

Die Gewappneten nickten als Antwort auf Jorworths Frage mit ihren Helmen, und nahmen hierauf wieder ihre vorige regungslose Haltung an.

Der Walliser argwohnte mit der seinen Landsleuten eigenen Scharfsicht, es müsse hier etwas im Spiele sein, das er nicht ganz zu durchschauen vermöge; er beschloß daher, auf seiner Hut zu sein, und sagte Folgendes: »Sei dem, wie ihm wolle; mir gilt es gleich, wer die Botschaft meines Herrn hört, dieweil sie den Bewohnern des Felsenschlosses, dem ihr den Namen Garde doloureuse gegeben habt, um durch eine Namensveränderung eure Raubsucht zu beschönigen, Verzeihung und Gnade verheißt; falls das Schloß mit allen dazu gehörenden Güterstücken und den in demselben befindlichen Waffen, nebst dem Fräulein Eveline Berenger übergeben wird, soll Keinem, der sich in der Burg befindet, ein Haar gekrümmt, und Jeder unter sicherem Geleit über die cymrischen Gränzen, wohin er nur immer will, geführt werden.«

»Und was geschieht, wenn wir dieser Aufforderung nicht Folge leisten?« sagte der gleichmüthige Wilkin Flammock.

»Dann werdet ihr Raymond Berengers Schicksal theilen!« antwortete Jorworth mit rachefunkelnden Augen. – »So viele Fremdlinge hier sind, so viele Leichname für die Raben, so viele Köpfe für den Galgen! Es ist schon lange, daß die schelmischen Flamänder und die falschen Sachsen den Geiern keinen so herrlichen Fraß mehr geliefert haben.«

»Freund Jorworth,« sagte Wilkin, »wenn du sonst keine andere Botschaft mehr zu überbringen hast, so sage deinem Herrn, daß kluge Leute ihre Sicherheit nicht den Worten Anderer anvertrauen, wenn sie sich dieselbe durch ihre Handlungen verschaffen können. Wir haben hohe und starke Mauern, tiefe Gräben, und Ueberfluß an Munition. Wir wollen das Schloß vertheidigen, hoffend, daß Gott uns bald Hülfe schicken wird.«

»Macht euer Leben nicht von einer so ungewissen Sache abhängig,« sagte der Abgesandte der Walliser in der flamändischen Sprache, die er durch seinen langen Verkehr mit den Flamändern in Pembrokeshire gründlich erlernt hatte; »höre, guter Flamänder,« fuhr er, ihm näher tretend, fort, »weißt du nicht, daß dem, auf dessen Hülfe ihr bauet, dem Constabel von Lacy, sein Gelübde verbietet, sich in einen Kampf einzulassen, bevor er das Meer durchsegelt hat, und daß er euch folglich nicht beistehen kann, ohne sich eines Meineids schuldig zu machen? Er und die andern Gränzritter sind weit von dannen gezogen, um mit dem Feinde des heiligen Kreuzes zu kämpfen. Was nützt es euch, wenn ihr uns mit der Mühe einer langen Belagerung belästigt, da ihr doch auf keine Rettung hoffen dürft?«

»Und was nützt es mich,« sagte Wilkin, in seiner Landessprache antwortend, und den Walliser fest und scharf, jedoch aber mit einer Miene, aus der jeder Ausdruck absichtlich verbannt schien, und die auf sonst leidlichen Gesichtszügen eine merkwürdige Mischung von Dummheit und Einfalt zeigte, in's Auge fassend, »was hilft es mich, ob eure Mühe groß oder klein ist?«

»Komm, Freund Flammock,« sagte der Walliser, »stelle dich nicht einfältiger an, als die Natur dich erschaffen hat. Das Thal ist dunkel, allein ein Sonnenstrahl kann eine Seite desselben erleuchten. Die höchsten Anstrengungen können den Fall dieser Veste nicht verhüten, allein du kannst ihn beschleunigen, und das würde dir sehr viel nützen.« Hierauf stellte er sich dicht neben Wilkin, und den Ton seiner Stimme in ein trauliches Geflüster umwandelnd, sagte er zu ihm: »Niemals brachte das Zurückschieben eines Riegels, oder das Aufziehen eines Fallgatters einem Flamänder so großen Nutzen, als es dir bringen kann, wenn du willst.«

»Ich weiß bloß,« sagte Wilkin, »daß das Vorschieben des einen und das Herablassen des andern mich mein ganzes zeitliches Vermögen gekostet hat.«

»Flamänder! es soll dir in einem überreichlichen Maaße wieder ersetzt werden. Gwenwyns Freigebigkeit gleicht dem Sommerregen.«

»Alle meine Mühlen und Häuser sind heute Morgen niedergebrannt worden.«

»Du sollst,« sagte der Walliser, »tausend Mark Silber als Ersatz für deine verlornen Güter haben;« allein der Flamänder that, als ob er ihn nicht höre, und fuhr fort, seine Verluste herzuzählen.

»Meine Felder hat man mir verwüstet, zwanzig Kühe weggetrieben, und« – –

»Du sollst sechzig der schönsten dafür erhalten,« unterbrach ihn Jorworth.

»Allein meine Tochter – und Lady Eveline« – sagte der Flamänder, seine eintönige Stimme ein wenig verändernd, und ihr den Ausdruck des Zweifels und der Besorgniß gebend – »Ihr seid grausame Eroberer und« –

»Denen, welche uns Widerstand leisten, sind wir furchtbar,« sagte Jorworth, »nicht aber denen, die sich durch ihre Nachgiebigkeit ein Recht auf unsere Gnade erwerben. Gwenwyn will die von Raymond ihm angethane Schmach vergessen, und seine Tochter zu hoher Ehre unter den Töchtern von Cymry erheben. Was dein eigenes Kind betrifft, so darfst du bloß deine Wünsche hinsichtlich ihrer aussprechen, und auf der Stelle sollen sie erfüllt werden. Jetzt, Flamänder, verstehen wir uns doch, meine ich.«

»Wenigstens verstehe ich dich,« sagte Flammock.

»Und ich dich, glaube ich,« entgegnete Jorworth, sein scharfes und wildes blaues Auge auf das einfältige und ausdruckslose Gesicht des Niederländers heftend, gleich einem eifrigen Studenten, der einen verborgenen und geheimen Sinn in einer Stelle zu entdecken sucht, deren direkte Bedeutung gemein und alltäglich zu sein scheint.

»Ihr glaubt,« sagte Wilkin, »daß Ihr mich versteht; aber das ist gerade der Knoten – Welcher von uns soll dem Andern trauen?«

»Wagst du es, eine solche Frage zu thun?« antwortete Jorworth. »Kommt es dir oder einem Deinesgleichen zu, die Vorsätze des Fürsten von Powys in Zweifel zu ziehen?«

»Guter Jorworth, ich kenne sie bloß durch dich; und nur zu gut weiß ich, daß du nicht der Mann bist, der seinen Handel aus Mangel an schönen Worten mißlingen läßt.«

»So wahr ich ein Christ bin,« sagte Jorworth, Betheuerung auf Betheuerung häufend, »bei der Seele meines Vaters, bei dem Glauben meiner Mutter – bei dem Kreuze« –

»Still, guter Jorworth – du häufst deine Eide zu dicht auf einander, als daß sie gehörig geschätzt werden könnten. Das, was man so leicht verpfändet, hält man oft des Einlösens nicht für würdig. Der Besitz eines Theils des versprochenen Lohns wäre mir einstweilen lieber als hundert Eide.«

»Argwöhnischer Schurke, wagst du es, an meinem Worte zu zweifeln?«

»Nein, durchaus nicht,« antwortete Wilkin, »gleichwohl aber wurde ich deinen Thaten lieber glauben.«

»Wohlan denn, Flamänder,« sagte Jorworth – »was verlangst du von mir?«

»Zeige mir einen Theil des versprochenen Geldes, so will ich deinen übrigen Versprechungen Glauben schenken.«

»Gemeiner Geldjude,« rief Jorworth aus, »glaubst du, der Fürst von Powys habe so viele Geldsäcke, als die Schächer deines Krämerlandes? – Er sammelt sich Schätze durch seine Eroberungen, wie die Wasserhose durch ihre Kraft Wasser an sich zieht; allein er sammelt sie nur, um sie unter seine Anhänger zu vertheilen, so wie die Wolkensäule ihren Inhalt der Erde und dem Meere wieder zustellt. Das Silber, das ich dir versprochen habe, muß noch aus den Kisten der Sachsen zusammengesucht werden. Ja selbst Berengers Schätze müssen geplündert werden, um die Zahl voll zu machen.«

»Das kann ich, glaube ich, selbst thun, da ich unumschränkter Herr im Schlosse bin, und Euch so eine Mühe ersparen.«

»Wohl wahr,« erwiederte Jorworth, »allein du würdest dir dadurch in jedem Falle eine Schlinge legen, sei es nun, daß die Walliser den Platz einnehmen, oder die Normannen euch Entsatz schicken – die ersteren würden die ganze Beute haben wollen – und die andern verlangen, daß ihnen die Schätze ihres Landsmanns ungeschmälert übergeben werden.«

»Das will ich gerade nicht bestreiten,« sagte der Flamänder; »allein wenn ich Euch nun in soweit traue, warum gebt Ihr mir mein Vieh nicht zurück, das Ihr in Euren Händen habt, und über das Ihr frei verfügen könnt? wenn Ihr mir nicht vor der Hand einen kleinen Gefallen erweisen wollt, was kann ich sodann nachher von Euch erwarten?«

»Selbst in weit wichtigeren Dingen würde ich Euch willfährig sein,« entgegnete der gleichfalls argwöhnische Walliser; »allein was hilft es dich, wenn du dein Vieh in der Festung hast? Auf der Ebene da unten kann besser dafür gesorgt werden.«

»Wahrlich,« erwiederte der Flamänder, »du hast Recht – es wird uns hier nur belästigen, da wir dessen bereits genug zum Gebrauche der Besatzung haben. – Und doch, wenn ich die Sache näher betrachte, so sehe ich, daß wir Futter genug haben, um alles Vieh, das wir besitzen, zu erhalten, und auch noch mehr. Auch ist mein Vieh von einer vorzüglichen Gattung und von den reichen flandrischen Heerden herbeigeschafft worden; ich wünschte daher, daß es mir wieder zugestellt würde, ehe eure Aexte und walliser Beile sich mit dem Felle desselben etwas zu schaffen machen.«

»Du sollst es diese Nacht noch mit Horn und Klaue erhalten,« sagte Jorworth, »und zwar als ein bloßes Handgeld von einem großen Guthaben.«

»Ich danke Euch,« sagte der Flamänder, »für Eure Freigebigkeit. – Ich bin ein einfacher Mann und beschränke meine Wünsche auf die Wiedererlangung meines Eigenthums.«

»Bist du alsdann bereit, das Schloß zu übergeben?« fragte Jorworth.

»Davon wollen wir morgen weiter sprechen,« sagte Wilkin Flammock; »diese Engländer und Normänner würden uns nicht wenig zu schaffen machen, wenn sie von einem solchen Plane etwas merkten – sie müssen zerstreut werden, ehe ich weiter über diesen Gegenstand sprechen kann. Entferne dich daher schleunigst, ich bitte dich, und stelle dich, als ob du über den Erfolg unserer Unterredung höchlich erzürnt wärest.«

»Ich wünschte aber etwas Bestimmteres und Unbedingteres in dieser Hinsicht zu wissen,« bemerkte Jorworth.

»Unmöglich – unmöglich,« sagte der Flamänder. »Siehst du nicht, wie jener handfeste Kerl bereits nach dem Dolche greift. – Gehe eiligst und mit erzürnter Miene von dannen – und vergiß das Vieh nicht.«

»Ich will es nicht vergessen,« entgegnete Jorworth; »allein wenn du uns nicht Wort hältst –«

So sprechend verließ er das Zimmer mit einer drohenden Geberde, die theils wirklich Wilkin selbst galt, theils aber auch auf seinen Rath angenommen worden war. Flammock aber rief dem Walliser laut und in englischer Sprache, als geschähe es, damit alle Umstehenden es hören möchten, die Worte zu:

»Thue dein Schlimmstes, Herr Walliser! ich bin ein ehrlicher Mann; ich verachte deine Vorschläge zur Uebergabe, und will dieses Schloß zu deiner und deines Herrn Schande vertheidigen! Wie, ihr da, verbindet ihm die Augen wieder und geleitet ihn in Sicherheit zu seinen Begleitern zurück, die draußen seiner harren; der nächste Walliser, der vor den Thoren von Garde doloureuse erscheint, wird ein wenig unfreundlicher empfangen werden.«

Der Walliser wurde in Folge dessen mit verbundenen Augen hinausgeführt. Als aber Wilkin Flammock selbst das Wachtzimmer verließ, näherte sich ihm einer der anscheinenden Gewappneten, die der Unterredung mit dem Walliser beigewohnt hatten und sagte ihm auf englisch die Worte in's Ohr: »Du bist ein falscher Verräther, Flammock, und sollst den Tod eines Verräthers sterben!«

Hierüber erstaunt wollte der Flamänder eben den Mann weiter ausfragen; allein er war bereits verschwunden. Flammock gerieth über diesen Umstand in große Bestürzung; denn er bewies ihm, daß seine Unterredung mit Jorworth von irgend Jemand, der mit seinen Absichten nicht bekannt war und sie vielleicht vereiteln konnte, belauert, und der Gegenstand derselben erkannt oder verrathen worden war; bald sollte er erfahren, daß dieß wirklich der Fall war.



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