Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

Die Tochter des erschlagenen Raymond war von dem erhabenen Standpunkte, von welchem aus sie das Schlachtfeld übersehen hatte, in der Seelenangst herabgestiegen, die bei einem Kinde, dessen Augen den Tod eines geehrten und geliebten Vaters gesehen haben, so natürlich ist. Allein ihr Stand und die Grundsätze der Ritterlichkeit, in denen sie erzogen worden war, erlaubten ihr nicht, einem unthätigen und nutzlosen Kummer lange nachzuhängen. Der Geist dieses sonderbaren Systems erhob die jüngern und schönern des weiblichen Geschlechts zu dem Range der Fürstinnen oder vielmehr Göttinnen; allein dagegen verlangte er auch von ihnen eine Charakterstärke und eine Art des Benehmens, die bloß menschliche und natürliche Gefühle überstiegen und selbst einigermaßen mit ihnen im Widerspruche standen. Die Heldinnen, die dieses System schuf, glichen nicht selten Gemälden, die in einem künstlichen Lichte gezeigt werden, das – stark und hell – die Gegenstände, auf welche es fällt, ungemein hervorhebt, das aber doch einen gewissen unwesentlichen Glanz hat, und deßwegen, mit dem natürlichen Lichte in Vergleichung gebracht, als blendend und übertrieben erscheint.

Nicht durfte die Waise von Garde doloureuse, die aus einem Heldengeschlechte entsprossen war, das einen Thor, Balder, Odin und andere zu Gottheiten erhobene Krieger des Nordens zu seinen Stammherrn zählte, – sie, deren Schönheit unzählige Barden priesen, und deren Augen der Leitstern der gesammten Ritterschaft an den Gränzen von Wales waren, ihren Vater mit den fruchtlosen Thränen eines Landmädchens beweinen.

Trotz ihrer Jugend hatte auch der klägliche Vorfall, von dem sie so eben Zeuge gewesen war, nicht so viel Schreckliches für sie, als er für ein Mädchen gehabt haben würde, dessen Augen nicht an die rauhen und oft unheilvollen Uebungen der Ritterlichkeit gewöhnt gewesen wären, das nicht unter Menschen gelebt hätte, bei denen Krieg und Tod das unauflösliche Thema jeder Zunge waren, dessen Einbildungskraft nicht mit wilden und blutigen Vorfällen vertraut gewesen wäre, oder das man endlich nicht gelehrt hätte, einen ehrenvollen »Tod unter dem Schilde,« – wie man damals den Tod auf dem Schlachtfelde nannte, – für ein wünschenswertheres Lebensende eines Kriegers zu halten, als jenes allmählige und ruhmlose Dahinsterben, das die freud- und hülflose Unthätigkeit eines langen Alters langsam beschließt. Während Eveline ihren Vater beweinte, glühte ihr der Busen bei der Erinnerung, daß er in dem Glanze seines Ruhmes und unter den aufgethürmten Haufen seiner erschlagenen Feinde gestorben sei; und wenn sie an ihre bedrängte Lage dachte, so geschah es mit dem festen Entschlusse, durch alle ihr von dem Himmel verliehenen Mittel ihre Freiheit zu vertheidigen und den Tod ihres Vaters zu rächen.

Die Hülfe der Religion wurde nicht verschmäht. Gemäß der Sitte jener Zeit und den Lehren der römischen Kirche suchte sie sich die Gunst des Himmels durch Gelübde sowohl als durch Gebete zu erwerben. In einer kleinen Betkapelle, die an die größere Kapelle anstieß, hing über einem Altare, auf welchem beständig eine Lampe brannte, ein kleines Gemälde der Jungfrau Maria, die von der Berenger'schen Familie als eine besondere Hausgöttin verehrt wurde. Einer der Vorfahren Berengers hatte dieses Bild aus dem heiligen Lande, wohin er eine Pilgerfahrt unternommen hatte, zurückgebracht; es gehörte in die letzten Zeiten des römischen Reichs, war von der Hand eines griechischen Künstlers, und denjenigen, welche oft in katholischen Ländern dem Evangelisten Lukas zugeschrieben werden, nicht unähnlich.

Der Kapelle, in der es sich befand, wurde der Charakter einer außergewöhnlichen Heiligkeit beigelegt, ja man glaubte sogar, sie habe zuweilen Wunderkräfte geoffenbart, und Eveline war durch die Blumenkränze, die sie hier täglich darbot, so wie durch die beständigen Gebete, mit denen sie sie begleitete, zur besondern Verehrerin unserer lieben Frau von Garde doloureuse (denn so wurde das Bildniß genannt) geworden. Sie fiel daher jetzt, ganz allein, in dem Uebermaaße ihres Kummers, vor der Blende ihrer Beschirmerin nieder, flehte um den Schutz der ihr verwandten Unschuld zur Vertheidigung ihrer Freiheit und Ehre, und schrie um Rache gegen den wilden und verrätherischen Häuptling, der ihren Vater erschlagen hatte und nun ihre Veste belagerte. Nicht nur gelobte sie der Kapelle der Schutzheiligen, um deren Hülfe sie flehte, ein reiches Geschenk an Ländereien, sondern es ging ein Schwur über ihre Lippen (obwohl diese bebten und eine gewisse innere Stimme sich gegen dieses Gelübde empörte), daß jedweder Ritter, den unsere liebe Frau von Garde doloureuse zu ihrer Rettung werde gebrauchen wollen, als Lohn für seine Dienste jedes Gut, das sie in Ehren gewähren könne, sollte es selbst ihre jungfräuliche Hand am Hochaltar sein, erlangen solle. Durch die Versicherungen der Ritter auf den Glauben gebracht, eine solche Bewilligung sei das höchste Gut, das der Himmel verleihen könne, glaubte sie eine Schuld der Dankbarkeit abzutragen, als sie sich ganz der reinen und gebenedeiten Jungfrau, auf deren Hülfe sie baute, zur Verfügung stellte. Vielleicht lag in dieser Hingebung eine irdische Hoffnung versteckt, der sie wahrscheinlich selbst nicht bewußt war, und die sie für die unbestimmte Aufopferung, zu der sie sich entschlossen hatte, einigermaßen entschädigte. Sie schmeichelte sich vielleicht mit der Hoffnung, die heilige Jungfrau, diese gütige und wohlwollende Beschützerin, werde von der ihr zugestandenen Macht einen schonenden Gebrauch machen, und den zu ihrem Retter erwählen, dem sie am liebsten die gelobte Gunst erweisen würde.

Allein, wenn auch eine solche Hoffnung vorhanden war, wie ja oft unsern edelsten und reinsten Gefühlen etwas Selbstsüchtiges anhängt, so hatte doch Eveline selbst keine Ahnung davon. In der vollen Zuversicht eines unbedingten Glaubens die betenden Hände gen Himmel erhebend, und auf das sichtbare Bild ihrer Anbetung Blicke heftend, in denen das inbrünstigste Flehen und die demüthigste Hingebung mit unwillkührlichen Thränen rangen, war sie vielleicht noch schöner, als zu der Zeit, wo sie den Preis der Ritterlichkeit in den Schranken von Chester hatte ertheilen dürfen. Kein Wunder war es daher, daß Lady Eveline in einem solchen Augenblicke hehrer Gemüthserhebung, in dem sie in tiefe Andacht hingegossen, vor einer Beschützerin lag, an deren Macht, sie zu beschützen und ihr ihren Schutz durch ein sichtbares Zeichen kund zu thun, sie nicht im mindesten zweifelte, in der Meinung stand, sie gewahre mit ihren eigenen Augen die Genehmigung ihres Gelübdes. Als sie mit begeistertem Auge und einer von Enthusiasmus glühenden Einbildungskraft auf das Gemälde blickte, so schienen ihr die groben, von dem griechischen Maler gezogenen Umrisse einen andern Ausdruck anzunehmen; die Augen wurden, so wähnte sie, belebt und beantworteten die demüthigen Bitten der Flehenden durch Blicke, in denen das reinste Mitleid glänzte, ja der Mund gestaltete sich sichtbarlich zu einem unaussprechlich süßen Lächeln. Es schien ihr sogar, das Haupt mache eine sanfte Verbeugung.

Ueberwältigt von der ihr inwohnenden übernatürlichen Scheu vor Erscheinungen, an deren Realität sie ihr Glaube nicht im mindesten zweifeln ließ, kreuzte Lady Eveline ihre Arme über ihrem Busen und warf sich, die Stirne gegen den Boden gekehrt nieder, als der geeignetsten Stellung zur Anhörung einer göttlichen Mittheilung.

Allein so weit ging ihre Erscheinung nicht; sie vernahm nicht den leisesten Laut einer Stimme, und als sie ihre Blicke, nachdem sie sie in der ganzen Kapelle verstohlen umhergeworfen hatte, wieder zu dem Bilde Unserer lieben Frau erhob, so schienen ihr die Gesichtszüge wieder denselben Ausdruck zu haben, den ihnen der Maler gegeben hatte, mit dem einzigen Unterschiede, daß sie, für Evelinens Einbildungskraft, immer noch eine gewisse Würde und Anmuth beibehielten, die sie früher nicht an ihnen bemerkt hatte. Mit einer tiefen, fast an Furcht gränzenden Scheu, jedoch aber durch das Gesicht, das sie so eben gesehen hatte, einigermaßen getröstet und aufgerichtet, wiederholte Eveline unaufhörlich die Gebete, von denen sie glaubte, daß ihre Wohlthäterin sie am wohlwollendsten und gütigsten aufnehmen werde. Endlich erhob sie sich, und zog sich nach der äußern Kapelle zurück. Hier knieeten noch immer einige weibliche Wesen vor den Heiligenbildern, die die Mauern und Nischen der Anbetung darboten. Die übrigen Bittenden hatten sich, zu bekümmert, um ihre Andachtsübungen länger fortsetzen zu können, auf der Burg zerstreut, um Erkundigungen über ihre Freunde einzuziehen, und sich einigermaßen zu erfrischen, oder doch wenigstens ein Ruheplätzchen für sich und ihre Familien zu verschaffen.

Mit gesenktem Haupte und vor jedem Heiligenbilde ein Ave Maria murmelnd (denn drohende Gefahren muntern den Menschen zur Beobachtung religiöser Gebräuche auf) hatte Lady Eveline bereits schon die Thüre der Kapelle erreicht, als ein anscheinender Gewappneter in aller Eile eintrat und mit lauterer Stimme, als sich's an einem so heiligen Orte geziemte, nach Lady Evelinen fragte. Angeregt durch die Gefühle der Ehrfurcht, die ihr der Vorfall in der Betkapelle eingeflößt hatte, stand sie gerade im Begriff, ihm seine militärische Rohheit zu verweisen, als der Gewappnete in ängstlicher Hast sie mit den Worten anredete: »Tochter, wir sind verrathen.« Trotz seiner kriegerischen Rüstung und seines kriegerischen Aussehens war Vater Aldrovand doch an seiner Stimme kenntlich; auch nahm er ungestüm und ängstlich zugleich seine Stahlhaube ab, und enthüllte so sein Gesicht.

»Vater,« sagte Eveline, »was soll das heißen? Habt Ihr das Vertrauen auf den Himmel, das Ihr stets anzuempfehlen pflegt, vergessen, daß Ihr andere Waffen, als diejenigen anlegt, die Euch Euer Orden anweist?«

»Nächstens kann es hierzu kommen,« sagte Vater Aldrovand; »denn ich war Soldat, ehe ich Mönch war. Allein dießmal habe ich diese Rüstung angelegt, um Verrath zu entdecken, nicht aber, um der Gewalt Widerstand zu leisten. Ach! meine geliebte Tochter! wir sind in einer schrecklichen Bedrängniß – Feinde draußen – Verräther von innen! der falsche Flamänder, Wilkin Flammock, unterhandelt wegen der Uebergabe der Burg.«

»Wer wagt es, so zu sprechen?« rief eine verschleierte weibliche Gestalt aus, die bisher unbemerkt in einer abgelegenen Ecke der Kapelle gekniet hatte, nun aber plötzlich auffuhr und sich kühn zwischen Lady Eveline und den Mönch stellte.

»Gehe von dannen, du vorwitziges Geschöpfchen,« sagte der Mönch, über diese kühne Unterbrechung erstaunt; »die Sache geht dich nichts an.«

»Ja sie geht mich an,« sagte das Fräulein, ihren Schleier zurückschlagend, und das jugendliche Gesicht Rosa's, der Tochter Wilkin Flammock's enthüllend. Ihre Augen funkelten und ihre Wangen waren von Zorn entflammt, dessen Heftigkeit einen auffallenden Contrast mit der höchst schönen Gesichtsbildung und den beinahe kindlichen Zügen der Sprecherin bildete, deren ganzes Aussehen das eines kaum erst aus der Kindheit herausgetretenen Mädchens war, und deren Benehmen im Allgemeinen eben so sanft und schüchtern war, als es jetzt als kühn, leidenschaftlich und unerschrocken erschien. »Geht es mich nichts an,« sagte sie, »wenn man meines Vaters ehrlichen Namen mit Verrätherei befleckt? Geht es den Strom nichts an, wenn die Quelle getrübt wird? Es geht mich sehr nahe an, und ich will wissen, wer der Urheber der Verläumdung ist.«

»Rosa,« sagte Eveline, »zügle deine unnütze Leidenschaft; der gute Vater kann deinen Vater nicht vorsätzlich verläumden wollen, obschon er vielleicht falsch berichtet worden ist.«

»Ich will ein unwürdiger Priester sein, wenn ich nicht spreche, was meine eigenen Ohren gehört haben. Bei dem Eide meines Ordens, ich hörte diesen Wilkin Flammock selbst mit dem Walliser wegen der Uebergabe von Garde doloureuse unterhandeln. Durch Hülfe dieses Panzers und dieser Stahlhaube wohnte ich einer Unterredung bei, bei der er keine englische Ohren vermuthete. Auch sprachen sie flamändisch, allein ich verstehe dieses Kauderwälsch schon längst.«

»Das Flamändische,« sagte das erzürnte Mädchen, dessen heftige Leidenschaft sie bewog, zuerst auf die ihr zuletzt zugefügte Beleidigung zu antworten, »ist kein Kauderwelsch, wie Euer buntscheckiges Englisch, das halb normännisch, halb sächsisch ist, sondern eine edle gothische Sprache, die von den tapfern Kriegern gesprochen wurde, welche gegen die römischen Kaiser Krieg führten, als Britannien den Nacken unter ihr Joch bog« – und in Beziehung auf das, was der Mönch von Flammock gesagt hatte, fuhr sie, ihre Ideen mehr ordnend, fort: »Glaubet es nicht, meine theuerste Lady; sondern wenn Ihr die Ehre Eures edlen Vaters werth haltet, so vertraut auf die Ehrlichkeit des meinigen, wie auf die Evangelisten.« Sie sprach diese Worte mit flehender Stimme, und stieß mitunter tiefe Seufzer aus, als ob ihr das Herz brechen wollte.

Eveline suchte sie zu besänftigen und sagte zu ihr: »Rosa, in dieser bösen Zeit können die besten Menschen in Verdacht gerathen, und unter den besten Freunden Mißverständnisse entstehen. Laßt uns ruhig die Anklagen anhören, die der ehrwürdige Kaplan gegen deinen Vater vorzubringen hat. Fürchte nicht, daß man ihm nicht gestatten werde, sich zu vertheidigen. Du bist ja sonst immer ruhig und vernünftig.«

»In solchen Dingen bin ich weder ruhig noch vernünftig,« sagte Rosa, mit verdoppeltem Unwillen, »und es ist nicht schön von Euch, Lady, daß Ihr auf die falschen Angebereien dieses ehrwürdigen Vermummten hört, der weder ein wahrer Priester, noch ein wahrer Soldat ist. Allein ich will Einen herbeirufen, der sich ihm, mag er den Helm oder die Mönchskappe auf dem Haupte haben, furchtlos gegenüberstellen wird.« Nachdem sie dieses gesprochen hatte, verließ sie eiligst die Kapelle.



 << zurück weiter >>