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Achtzehntes Kapitel.

Und hurra, hussa, hopp, hopp, hopp,
Ging's fort im sausenden Galopp
– – – – – – – –
Ich und die Todten reiten schnelle,
Willst Liebchen mit zur Hölle?

Bürgers Lenore.

 

Es liegt ein Vortheil in dem Zusammentreffen von Umständen mancherlei Art: die Zerstreuung, welche durch ihre entgegengesetzte Wirkung entsteht, hindert den Leidenden, von einem überwältigt zu werden. Die Trennung von Miß Vernon schmerzte mich tief, allein nicht so sehr, daß nicht auch das Mißgeschick, welches meinem Vater drohte, meine Aufmerksamkeit beschäftigt hätte, und die erhaltenen Nachrichten bekümmerten mich weniger, weil sie nicht allein meine Seele erfüllten. Ich war weder ein treuloser Liebhaber, noch ein gefühlloser Sohn, aber der Schmerz kann unsere Empfindungen nur bis zu einem gewissen Grad erregen, und wenn zwei Veranlassungen denselben zugleich in Anspruch nehmen, wird der Antheil zwischen sie getheilt, wie die Summen bei einem Bankerote. Das waren die Betrachtungen, mit denen ich mein Zimmer erreichte, und sie schienen schon etwas nach dem Handel zu schmecken.

Sorgfältig überlegte ich deines Vaters Brief. Er war nicht ganz deutlich, und verwies wegen verschiedener Umstände auf Owen, den ich so bald als möglich in einer schottischen Stadt, Namens Glasgow, zu treffen gebeten wurde; überdieß erhielt ich die Nachricht, daß mein alter Freund bei den Herren Mac-Vittie, Macfin und Comp., Kaufleute in dieser Stadt, zu erfragen sei. Er bezog sich gleichfalls auf mehrere Briefe, die verloren gegangen oder unterschlagen worden sein mußten, und klagte über mein hartnäckiges Schweigen in Ausdrücken, die höchst ungerecht gewesen sein würden, wenn meine Briefe ihr bestimmtes Ziel erreicht gehabt hätten. Ich war sehr verwundert. Nicht einen Augenblick konnte ich zweifeln, daß Rashleighs Geist mich umschwebte, und die Zweifel und die Gefahren heraufbeschwor, die mich umringten; dennoch erwog ich mit Entsetzen, wie viel Büberei und Macht er zur Ausführung seiner Entwürfe angewendet haben müsse. So sehr die Trennung von Miß Vernon mich in anderer Beziehung und zu einer andern Zeit bekümmert haben würde, erwog ich sie jetzt weniger, wenn ich der Gefahren dachte, die meinem Vater drohten. Ich selbst setzte keinen großen Werth auf den Reichthum, und wähnte, wie die meisten jungen Leute von lebhafter Einbildungskraft, daß ich den Besitz des Geldes leichter entbehren, als der Arbeit, durch die es erworben werden muß, Zeit und Fähigkeiten widmen könne. Aber was meinen Vater betraf, so wußte ich, daß er einen Bankerot für den höchsten und nicht zu vergütenden Schimpf halten würde, wogegen das Leben keinen Trost gewähren und nur der Tod schnelle Hilfe bringen konnte.

Meine Seele war daher auf Abwendung dieses Unglücks mit einer Kraft gerichtet, welche der Eigennutz nie bewirkt haben würde, wenn es mein eigenes Vermögen gegolten hätte, und der Erfolg meiner Erwägungen war der feste Entschluß, am nächsten Tage Osbaldiston-Hall zu verlassen, und Owen in Glasgow aufzusuchen. Ich hielt es nicht für rathsam, meinem Oheim diesen Vorsatz anders mitzutheilen, als durch einen Brief, in welchem ich ihm für seine Gastfreundschaft dankte, und ihn versicherte, daß eine dringende und wichtige Angelegenheit mich abhalte, ihm persönlich meinen Dank zu sagen. Ich wußte, der schlichte alte Ritter würde mich leicht entschuldigen, und ich glaubte so fest an Rashleighs weit verbreitete, entschiedene Ränke, daß ich besorgte, wenn ich meine Abreise öffentlich bekannt machte, werde er Mittel finden, ein Unternehmen zu verhindern, das auf die Störung seiner Anschläge berechnet war.

Ich beschloß daher, mit Tagesanbruch mich zu entfernen, um das nahe Schottland zu erreichen, ehe ich im Schlosse vermißt wurde; doch ein wichtiges Hinderniß konnte leicht die Eile hemmen, von der mein Vorhaben abhing. Ich kannte weder den kürzesten, noch überhaupt einen Weg nach Glasgow, und da in meinem Falle Beschleunigung von höchster Wichtigkeit war, beschloß ich, den Gärtner zu befragen, der mir die nächste und sicherste Auskunft geben konnte. So spät es auch war, machte ich mich wegen dieser Sache doch auf den Weg, und erreichte nach wenig Minuten des Gärtners Wohnung.

Andrew's Behausung, nicht weit von der äußeren Mauer des Gartens gelegen, war eine gemächliche northumberländische Hütte, von trockenen Steinen erbaut, die Fenster und Thüren mit schweren, steinernen Einfassungen verziert. Ein Birnbaum an der einen Seite, ein Bach an der andern, das Blumenbeet und der Küchengarten, der umzäunte Platz für eine Kuh, und das kleine Feld für den Hausbedarf, bezeichneten die Gemächlichkeiten, welche Alt-England, selbst an der nördlichsten Gränze, seinen geringsten Bewohnern bietet.

Als ich mich dem Aufenthalte des weisen Andrew näherte, hörte ich Töne, die so besonders feierlich und gezogen waren, daß ich glaubte, der Gärtner habe, nach der löblichen Gewohnheit seiner Landsleute, einige Nachbarn zu einer Familienübung versammelt, wie er den Abendgottesdienst nannte. Andrew hatte weder Weib noch Kind, noch sonst weibliche Hausgenossen; dennoch suchte er sich zuweilen unter den benachbarten Papisten und Männern der alten Kirche von England Zuhörer zu verschaffen, gegen die er seine geistlichen Gaben ausübte, trotz eines Vaters Vaugham, Vaters Docharty, Rashleighs und aller Katholiken um ihn her, die seine Einmischung bei solchen Gelegenheiten für eine Ketzerei erklärten. Als ich indeß genauer auf die Töne hörte, schienen sie lediglich aus Andrews Lunge zu kommen, und bei meinem Eintritt in's Haus fand ich ihn allein, so gut er konnte, die langen Worte und schweren Namen bekämpfend, indem er, zu seiner eigenen Erbauung, laut in einem theologischen Buche las.

Als ich eintrat, legte er den schweren Folianten bei Seite, indem er sagte: »Ich las eben einen mächtigen Zauberspruch des würdigen Doktor Leichtfuß.«

»Leichtfuß!« wiederholte ich, und sah mit einigem Staunen auf den schweren Band. »Wahrlich, Euer Autor war nicht glücklich benannt.«

»Leichtfuß war sein Name, Sir; und er war ein Gottesgelahrter, und zwar eine andere Art von Gottesgelahrten, als es heutzutage gibt. – Uebrigens bitte ich Euch um Verzeihung, daß ich Euch habe an der Thüre warten lassen, aber ich wurde an diesem Abend schon einmal – Gott behüt' uns, durch einen Kobold erschreckt, und wollte nicht eher öffnen, bis ich mein Abendgebet beendet hätte; und eben schloß ich das fünfte Kapitel des Nehemiah – wenn sie das nicht fern hält, dann weiß ich nicht, was 's thut.«

»Durch einen Kobold erschreckt, Andrew?« fragte ich. »Was wollt Ihr damit sagen?«

»Damit wollte ich sagen,« entgegnete Andrew, »daß ich vor 'nem Geiste geflohen bin. – Gott behüt' uns davor, daß ich 'n wiedersehe.«

»Nun, ich bitte Euch, jetzt Euern Schreck zu vergessen, Andrew, und mir zu sagen, ob Ihr mir den nächsten Weg nach einem Orte in Eurem Vaterlande Schottland sagen könnt, einem Orte, Namens Glasgow.«

»Nach dem Orte Glasgow?« wiederholte er. »Glasgow ist 'ne Stadt, Sire. – Den Weg nach Glasgow wollt Ihr wissen? Warum sollt' ich ihn nicht kennen? – Es ist nicht weit von meinem eigenen Kirchspiel Dreepdaily, das liegt ein bischen mehr nach Abend. Aber was kann Ew. Gnaden in Glasgow wollen?«

»Besondere Geschäfte,« entgegnete ich.

»Das heißt so viel, als: Fragt nicht und ich lüg' Euch nichts vor. – Nach Glasgow?« – er schwieg ein wenig – »Ich dächte, Ihr nähmet lieber einen Wegweiser.«

»Freilich, wenn ich Jemand finden könnte, der des Weges ginge.«

»Und Ihr gebt ohne Zweifel Etwas für Zeit und Mühe?«

»Unstreitig. – Mein Geschäft ist dringend, und wenn Ihr einen Burschen schaffen könnt, der mich begleitet, so will ich ihn gut bezahlen.«

»Heut ist kein Tag, von weltlichen Sachen zu sprechen,« sagte der Gärtner, und richtete die Augen empor; »aber wenn es nicht Sonntagabend wäre, möcht' ich Euch fragen, was Ihr der Person geben wollt, die Euch während des Wegs angenehme Gesellschaft leistet, und Euch die Namen der Schlösser und Sitze der Herren und Edelleute nennt, und Euch ihre Sippschaft angibt?«

»Ich sage Euch, Alles was ich brauche, ist, den Weg zu kennen, den ich zu nehmen habe. Ich will den Menschen zu seiner Zufriedenheit bezahlen – ich geb' ihm Alles, was billig ist.«

»Alles ist nichts,« erwiderte er; »und der Bursche, den ich meine, kennt die kürzesten Pfade und Nebenwege durch die Gebirge –«

»Ich habe keine Zeit, deßhalb zu sprechen; schließt den Handel für mich ab, wie Ihr wollt.«

»Aha, das ist ein Wort zum Zwecke!« versetzte Andrew. »Ich denke, da es so ist, will ich selbst der Bursche sein, der Euch den Weg zeigt.«

»Ihr, Andrew? Wie könnt Ihr denn Euern Dienst verlassen?«

»Ich hab' Euch schon gesagt, Sir, daß ich lange habe abgehen wollen, wohl seit dem ersten Jahre, daß ich hier bin; und nun soll's Ernst werden.«

»Ihr verlaßt also Euern Dienst? – Aber werdet Ihr nicht Euern Lohn verlieren?«

»Etwas wird freilich verloren gehen; aber da ich das Geld für die Aepfel im alten Baumgarten und dann für die Sämereien in Händen habe, so denk' ich, wird der Lohn sich ausgleichen; – und wann wollt Ihr fort?«

»Mit Tagesanbruch.«

»Das ist etwas rasch – wo werd' ich ein Pferd finden? – Halt, ich weiß gerade ein Thier, wie ich's brauche.«

»Also morgen früh um fünf Uhr treffen wir uns vor dem Hause.«

»Wenn ich rathen sollte,« erwiderte der Gärtner, »so brächen wir zwei Stunden früher auf. Ich kenne den Weg bei Tag und Nacht, so gut wie der blinde Ralph Ronaldson, der über jeden Sumpf im Lande wandert.«

Ich war damit gern zufrieden, und wir wollten uns um drei Uhr an dem bestimmten Orte treffen. Plötzlich aber fuhr meinem künftigen Reisegefährten ein Gedanke durch den Kopf. »Das Gespenst! das Gespenst!« rief er; »wenn das über uns käme? Ich mag nicht zweimal in vierundzwanzig Stunden mit solchen Dingen zusammentreffen.«

»Pah! pah!« rief ich, und machte mich von ihm los. [den eigentlichen Inhalt der Antwort spart sich der Übersetzer hier: fear nothing from the next world – the earth contains lieving fiends who can act for themselves without assistance, were the whole host that fell with Lucifer to return to aid and abet them.]

Mit diesen Worten, welche meine eigene Lage mir einflößte, verließ ich Andrew's Wohnung und kehrte nach der Halle zurück.

Ich machte die wenigen nöthigen Vorbereitungen zur Reise, untersuchte und ladete meine Pistolen, und warf mich dann auf's Bett, um wo möglich vor einer langen und unruhigen Reise eines kurzen Schlummers zu genießen. Erschöpft von den heftigen Bewegungen des Tages war die Natur gütiger gegen mich, als ich erwartete, und ich sank in einen tiefen Schlaf, aus welchem ich indeß emporfuhr, als die alte Glocke auf dem Thurme, nahe an meinem Zimmer, Zwei schlug. Ich stand sogleich auf, schlug Licht an, schrieb den Brief an meinen Oheim, und indem ich das zurückließ, was zu viel Raum erforderte, packte ich die nöthigsten Sachen in meinen Mantelsack, ging die Treppen hinab, und erreichte ohne Hinderniß den Stall. Ohne ein solcher Stallknecht zu sein, wie meine Vettern, hatte ich doch gelernt, mein Pferd selbst zu satteln und zu zäumen, und in wenig Minuten war ich reisefertig.

Als ich die Allee, welche das Licht des abnehmenden Mondes mit einem bleichen Schimmer beschien, hinabritt, blickte ich mit einem tiefen Seufzer nach den Mauern zurück, in denen Diana wohnte, und empfand auf das Schmerzlichste, daß wir uns wahrscheinlich nie wieder sahen. Unter den langen und unregelmäßigen Reihen der gothischen Fenster, die jetzt geisterbleich im Mondschein blinkten, war es unmöglich, die des Zimmers zu entdecken, das sie bewohnte. »Sie ist bereits für mich verloren,« dachte ich, indem mein Auge die trüben und verworrenen Massen des Gebäudes überschaute. »Sie ist für mich verloren, ehe ich den Ort ihres Aufenthalts verlassen habe. Wie könnte ich hoffen, mit ihr eine Verbindung zu unterhalten, wenn viele Meilen zwischen uns liegen?«

Während ich bei meiner trüben Träumerei verweilte, verkündete die eiserne Zunge der Zeit dem trägen Ohre der Nacht Drei, und erinnerte mich an die Nothwendigkeit, mein Versprechen einem weniger anziehenden Wesen zu halten – Andrew Fairservice.

Am Thore des Eingangs fand ich im Schatten der Mauer einen Reiter, aber erst, nachdem ich zweimal gehustet, und dann »Andrew« gerufen hatte, erwiderte der Gartenbauer: »Es ist Andrew!«

»Zeigt den Weg!« gebot ich, »und schweigt, wenn Ihr könnt, bis wir durch das Dorf im Thale sind.«

Der Gärtner ritt voran, und weit schneller, als ich es empfohlen haben würde; gehorchte auch meinem Gebote, zu schweigen, so genau, daß er auf die wiederholten Fragen nach dem Grunde dieser unnöthigen Eile keine Antwort ertheilte.

Nachdem wir uns durch kurze Pfade, die Andrew kannte, aus den vielen steinigen Wegen in der Nähe der Halle herausgewunden hatten, ritten wir rasch über eine offene Haide, und kamen zu den nackten Hügeln, welche Schottland von England trennen, und die Mittelgränze genannt werden. Andrew verminderte seine Eile noch immer nicht, sondern trabte tüchtig zu. Ich war erstaunt und entrüstet über des Menschen Halsstarrigkeit; denn wir ritten bergab, bergauf über einen Boden von sehr halsbrechender Art, und kamen an Abgründen vorbei, wo ein falscher Tritt des Pferdes dem Reiter unfehlbar den Tod gebracht haben würde. Der Mond gewährte nur ein schwaches und unsicheres Licht, und an einigen Stellen befanden wir uns unter dem Schatten der Gebirge in so dichter Finsterniß, daß nur der Hufschlag des Pferdes und die Funken, die es aus dem Felsen schlug, mir Andrew's Spur verriethen. Diese rasche Bewegung und die Aufmerksamkeit, welche ich, meiner eigenen Sicherheit wegen, der Lenkung meines Pferdes widmen mußte, dienten Anfangs, meine Seele gewaltsam von den vielen schmerzlichen Gedanken abzulenken, die mich sonst erfüllt haben würden. Endlich aber, nachdem ich dem Gärtner wiederholt zugerufen hatte, langsamer zu reiten, wurde ich ernstlich aufgebracht über seine unverschämte Beharrlichkeit, mir weder zu gehorchen, noch zu antworten. Mein Zorn war indeß ganz ohnmächtig. Ich versuchte es einige Male, ihn einzuholen, um ihm eins mit meiner Peitsche zu versetzen, allein er war besser beritten als ich; und entweder der Geist seines Rosses, oder wahrscheinlich einige Ahnung von meiner Absicht trieb ihn an, noch schneller zu reiten, so oft ich ihn einzuholen versuchte. Auf der andern Seite war ich genöthigt, meine Sporen zu brauchen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren; denn ohne seine Leitung konnte ich, wie ich nur zu gut einsah, nie den Weg durch die Wildniß finden, die wir jetzt in so ungewöhnlichem Trabe durchritten. Endlich war ich so aufgebracht, daß ich drohte, nach meinen Pistolen zu greifen, und diesem Heißsporn eine Kugel nachzujagen. Diese Drohung machte sichtlich einigen Eindruck auf sein Trommelfell, so taub er bei allen meinen mildern Ermahnungen gewesen war; denn er ritt langsamer, und bemerkte, als ich ihm nahe war: »Man ist nicht recht klug, einen solchen Weg wie rasend zu reiten.«

»Und warum rittest du überhaupt so schnell, du Schurke?« erwiderte ich in heftiger Aufregung.

»Was ist Ew. Gnaden Wille?« fragte Andrew mit unerschütterter Ernsthaftigkeit.

»Was ich will, du Schelm? – Ich habe dir seit einer Stunde zugerufen, langsamer zu reiten, und du hast mir nicht einmal geantwortet. Bist du betrunken oder toll?«

»Ich hör' etwas schwer, und will nicht läugnen, daß ich 'nen Schluck gethan habe, ehe ich die alte Hütte verließ, in der ich so lange wohnte, und da ich Niemand hatte, der mir zutrank, mußt' ich mir selbst Bescheid thun, oder den Rest des Branntweins den Papisten zurücklassen, und das wäre Verschwendung gewesen, wie Ew. Gnaden wissen.«

Das konnte wahr sein, und da es meine Lage erforderte, mit meinem Wegweiser auf gutem Fuße zu stehen, so begnügte ich mich, ihm anzudeuten, sich künftig nach meinen Vorschriften zu richten.

Dreister gemacht durch meinen milden Ton stimmte er den seinigen höher hinauf, pedantisch und eingebildet, wie er sich meistens zeigte.

»Niemand wird mich überreden,« sagte er, »daß es gesund und klug ist, in der Nachtluft über ein Moor zu gehen, ohne vorher eine Herzstärkung von Nelkenwasser oder dergleichen zu nehmen. Ich bin hundert Mal über Otterscope-Rigg, bei Tag und bei Nacht, gewandert, und habe nie meinen Weg finden können, als wenn ich meinen Morgenschluck getrunken hatte, mehr als ein Zeichen, daß ich zwei Fäßchen Branntwein an jeder Seite hatte.« –

»Mit andern Worten, Andrew, Ihr waret ein Schleichhändler – wie kann ein Mann von Euren strengen Grundsätzen sich damit aussöhnen, den königlichen Zoll zu betrügen?«

»Es ist nur zum Verderben der Aegypther,« erwiderte er. »Das arme Alt-Schottland leidet genug von den Taugenichtsen, den Zöllnern, die seit der leidigen Union wie Heuschrecken darüber herfallen, und es ziemt sich für einen guten Sohn, daß er ihm zuweilen etwas bringt, um das alte Herz zu stärken, was die Diebe ihm nicht gönnen.«

Bei genauerer Erkundigung fand ich, daß Andrew vor und während seiner Anstellung als Gärtner im Schlosse diese Gebirgspfade oft als Schleichhändler durchwandert hatte, was mir in so fern wichtig war, da, ungeachtet seines anfänglichen Ausreißens, es seine Fähigkeit zum Wegweiser bewies. Selbst jetzt schien der Frühtrunk, oder was sonst auf des Gärtners Bewegungen wirkte, seinen Einfluß nicht ganz verloren zu haben, obgleich er langsamer trabte. Er warf oft einen stieren ängstlichen Blick hinter sich, und wenn der Weg ebener schien, zeigte er das Verlangen, schneller zu reiten, als ob er Verfolgung befürchtete. Dieser Anschein von Besorgniß verminderte sich allmählig, als wir auf den Rücken einer Hügelreihe kamen, welche sich östlich und westlich weit hinzog und auf beiden Seiten steil hinabsenkte. Die bleichen Strahlen des Mondes erleuchteten jetzt den Rand des Himmels, und als Andrew, rückwärts blickend, keine Gestalt eines menschlichen Wesens auf dem Moor sah, erheiterten sich nach und nach seine rauhen Züge, und er fing zuerst an zu pfeifen, dann sang er mit vieler Lust, aber wenigem Wohllaut, die letzten Zeilen eines schottischen Liedes:

Jenny, die Dirne, hab' ich sie,
Ueber Moor und Haide,
Bekömmt ihr ganzer Clan sie nie.

Dabei klopfte er den Hals des Pferdes, das ihn so wacker getragen hatte, und als meine Aufmerksamkeit dadurch erregt wurde, erkannte ich sogleich Thorncliff's Lieblingspferd. »Was ist das?« sagte ich streng; »diese Stute gehört Mr. Thorncliff!«

»Ich will nicht läugnen, daß sie Sr. Gnaden, dem Mr. Thorncliff, ihrer Zeit gehört hat, aber jetzt ist sie mein.«

»Du hast sie gestohlen, Schurke!«

»Nein, nein, Sir! Niemand kann mich des Diebstahls beschuldigen. Die Sache steht so, seht Ihr: – Mr. Thorncliff borgte mir zehn Pfund ab, als er zum Pferderennen nach York ging, und da ich mein Eigenthum wieder verlangte, wollte er mir nichts geben und sprach davon, mir die Knochen zu schütteln, wie er's nannte. Jetzt, denk' ich, wird es ihn schütteln, will er seine Mähre wiederhaben. Wenn er mich nicht von Heller zu Pfennig bezahlt, bekömmt er nie wieder ein Haar von ihrem Schwanze zu sehen. Ich kenne einen Schreiber in Lochmaben, der mir zu einem Vergleich mit ihm helfen wird. – Das Pferd gestohlen! nein, nein; fern sei die Sünde von mir – ich hab' es nur genommen, jurisdictiones fandandy causey. Das sind gute Advokatenworte, die fast klingen, wie die Sprache der Gärtner und anderer gelehrten Männer, nur Schade, daß sie so theuer sind. Diese drei Worte waren Alles, was Andrew für einen langen Rechtshandel und vier Anker des besten Branntweins gewann – aber das Gesetz, Sir, ist eine theure Sache.«

»Ihr könnt es leicht theurer finden, als Ihr's vermuthet, wenn Ihr auf diese Weise fortfahrt, Euch ohne gesetzliche Hülfe selbst bezahlt zu machen.«

»Gott sei Dank, wir sind nun in Schottland und können leicht Freunde und Rechtsgelehrte finden und Richter dazu, so gut, wie irgend ein Osbaldistone. Meiner Großmutter Vetter im dritten Grade war mit dem Schultheiß von Dumfries verwandt, und er wird keinem Tropfen ihres Blutes Unrecht geschehen lassen. Das Gesetz wird hier anders verwaltet, gleich für Alle; es ist nicht so, wie dort, wo Schreiber Jobson einen ehrlichen Kerl in's Gefängniß schicken kann, eh' er sich's versieht. Aber sie werden dort bald wenig vom Gesetze haben, und das ist ein wichtiger Grund, warum ich ihnen Lebewohl gesagt habe.«

Ich war höchst entrüstet über Andrew's That, und betrachtete es als ein hartes Schicksal, mich zum zweiten Male mit einem Menschen von so ungeregelter Handlungsweise in Verbindung zu sehen. Ich beschloß indeß, ihm das Pferd, sobald wir das Ende unserer Reise erreicht haben würden, abzukaufen, und es meinem Vetter zurückzuschicken, was ich vorläufig meinem Oheim vom nächsten Postamte aus anzeigen wollte. Mit Andrew länger zu zanken, hielt ich indeß für überflüssig, und meine Empfindlichkeit mildernd, fragte ich ihn, »warum er glaube, daß es mit dem Recht in Northumberland bald vorbei sein würde?«

»Recht!« sagte Andrew; »ei, sie werden Faustrecht genug haben. Die Priester, die irländischen Offiziere und die Menge Papisten, die im Auslande Soldaten gewesen sind, weil sie daheim nicht bleiben durften, schwärmen jetzt dick in Northumberland, und die Raben versammeln sich nur, wenn sie Aas riechen. So wahr ich lebe, der würdige Sir Hildebrand ist bereit, in's Horn zu stoßen. Da sieht man nichts, als Gewehre und Pistolen, Schwerter und Dolche unter ihnen – und sie werden dabei sein, ich stehe dafür; denn die jungen Squires Osbaldistone fürchten sich nicht.«

Diese Aeußerung erinnerte mich an den Verdacht, der auch in mir erregt worden war, daß die Jakobiten auf irgend ein verzweifeltes Unternehmen sännen. Da ich aber fühlte, daß es mir nicht geziemte, meines Oheims Worte und Handlungen auszuspähen, so hatte ich jede Gelegenheit, die sich mir darbot, auf die Zeichen der Zeit zu merken, eher vermieden, als benutzt. Andrew fühlte keine solche Gewissenhaftigkeit und sagte ohne Zweifel die Wahrheit, daß seine Ueberzeugung von irgend einem im Werke begriffenen Unternehmen der Hauptgrund war, warum er die Halle verließ.

»Alle Diener,« versicherte er, »nebst den Lehnsmännern und Andern, wurden regelmäßig eingeschrieben und gemustert, und ich sollte auch die Waffen ergreifen. Aber da kannten sie Andrew schlecht. Ich will nicht unter solchem Haufen mitreiten, und nur fechten, wenn mir's gefällt, aber weder für die babylonische Hure, noch für sonst eine Hure in England.«


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