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Fünfzehntes Kapitel.

Woher und wer bist du?

Milton.

 

Nachdem ich eine schlaflose Nacht unter dem Nachdenken über die empfangenen Nachrichten hingebracht hatte, hielt ich es Anfangs für nothwendig, so schnell als möglich nach London zurückzukehren und durch meine öffentliche Erscheinung die Verleumdung zu widerlegen, die man gegen mich verbreitet hatte. Bei der Erwägung aber, wie streng mein Vater in seinen Entscheidungen bei Allem war, was seine Angehörigen betraf, gab ich diesen Gedanken wieder auf. Seine Erfahrung machte ihn gewiß sehr geschickt, mein Verhalten zu bestimmen, und durch seine Bekanntschaft mit den ausgezeichnetsten Whigs, die damals im Ansehen standen, war es ihm leicht, in meiner Angelegenheit Gehör zu erlangen. Ich hielt es daher für das Sicherste, ihm meine ganze Geschichte schriftlich mitzutheilen, und da nur selten zwischen dem Schlosse und der Post ein Verkehr stattfand, nahm ich mir vor, selbst zur nächsten Station zu reiten und meinen Brief abzugeben.

In der That fing es an, mich zu befremden, daß ich nach einer Abwesenheit von mehreren Wochen weder von meinem Vater, noch von Owen einen Brief erhalten hatte, obgleich Rashleigh seine glückliche Ankunft in London und den freundlichen Empfang im Hause seines Oheims gemeldet hatte. Wenn ich auch zugab, tadelnswerth gehandelt zu haben, so verdiente ich doch nicht, wenigstens meiner Meinung nach, von meinem Vater ganz vergessen zu werden, und ich hoffte, mein jetziger Ausflug würde mir einen Brief von ihm früher in die Hände bringen, als es sonst geschehen möchte. Ehe ich meinen Brief, welcher den Vorfall mit Morris enthielt, schloß, sprach ich meine ernstlichen Wünsche und Hoffnungen aus, mit einigen Zeilen von ihm erfreut zu werden, wäre es auch nur, um mir seinen Rath und seine Vorschriften in einer etwas schwierigen Sache zu ertheilen, in der meine Lebenserfahrung zu meiner eigenen Leitung nicht hinreichend sein dürfte. Ich konnte nicht über mich gewinnen, auf meine baldige Rückkehr nach London, als Aufenthaltsort, zu dringen, und verbarg meine Abneigung dagegen unter der vorgeblichen Unterwürfigkeit gegen meines Vaters Willen, was, wie ich glaubte, auch bei meinem Vater als Grund gelten würde. Jedoch bat ich um die Erlaubniß, wenigstens auf kurze Zeit nach London kommen zu dürfen, um die schändlichen Lästerungen zu widerlegen, die so öffentlich gegen mich verbreitet waren. Nachdem ich meinen Brief vollendet hatte, ritt ich zu der Poststation, ihn abzugeben, und fand dort folgendes Schreiben von meinem Freund Owen vor:

 

»Theurer Mr. Frank!

Habe Dero Zuschrift durch Güte des Herrn R. Osbaldistone erhalten und den Inhalt bemerkt. Werde dem Herrn R. O. alle Höflichkeiten erweisen und habe ihm die Bank und das Zollhaus gezeigt. Er scheint ein verständiger, wackrer junger Mann zu sein und ergreift das Geschäft; wird daher der Firma von Nutzen sein. Würde gewünscht haben, eine andere Person hätte ihren Sinn auf diesen Weg gelenkt; aber des Herrn Wille geschehe! Da in dortiger Gegend Cassa selten sein möchte, so verhoffe, Ihr werdet entschuldigen, daß ich einen Wechsel, zahlbar sechs Tage nach Sicht, auf die Herren Hooper und Girder in Newcastle für 100 Pf. einschließe, der ohne Zweifel gebührend honorirt werden wird. – Verbleibe pflichtgemäß, theurer Mr. Frank, Euer ehrerbietiger und gehorsamer Diener

Joseph Owen.«

 

» Postscriptum: Verhoffe, Ihr wollet richtigen Empfang des Obigen melden. Bedaure, daß wir so wenig von Euch hören. Euer Vater sagt: Er befinde sich wie gewöhnlich! sieht aber übel aus.«

In diesem Briefe, der in des alten Owen eigenthümlichem Style geschrieben war, vermißte ich mit Befremden die Erwähnung des vertraulichen Briefes, den ich an Owen in der Absicht geschrieben hatte, ihn mit Rashleighs Sinnesart bekannt zu machen, und doch mußte er denselben, dem Postenlaufe nach, empfangen haben. Aber ich hatte ihn mit der gewöhnlichen Gelegenheit vom Schlosse abgeschickt und keinen Grund, zu fürchten, daß er unterwegs verloren gehen könne. Da dessen Inhalt sowohl für meinen Vater, als für mich, von großer Wichtigkeit war, so schrieb ich sogleich im Posthause von Neuem an Owen, wiederholte die Hauptsachen des früheren Briefes, und bat, mit Nächstem mir zu melden, ob er ihn erhalten hätte. Ich bescheinigte auch den Empfang des Wechsels, und hielt es in der That für seltsam, daß mein Vater es seinem Buchhalter überließ, für meine Bedürfnisse zu sorgen; allein ich schloß, es wäre so unter ihnen ausgemacht. Owen war unverheirathet, in seiner Art reich, und mir herzlich ergeben, so daß ich kein Bedenken trug, ihm für eine kleine Summe verbunden zu sein, die ich als ein Darlehen betrachtete und, sobald es mir möglich, zurückgeben wollte, wenn es nicht früher, durch meinen Vater geschehen würde. Ich erklärte mich deßhalb gegen Owen. Ein Kaufmann in der kleinen Stadt, an den mich der Postmeister wies, zahlte mir willig den Betrag des Wechsels in Golde aus, und ich kehrte weit reicher nach dem Schlosse zurück, als ich es verlassen hatte. Diese Ergänzung meiner Einnahme war mir keineswegs gleichgültig, da ich nothwendig einige Ausgaben hatte, und nicht ohne Unruhe die Summe, welche die Kosten der Reise übrig gelassen, nach und nach abnehmen sah. Bei meiner Ankunft im Schlosse war Sir Hildebrand mit allen seinen Söhnen nach dem kleinen Dorfe Trinlay-Knowe hinabgegangen, um, nach des Gärtners Ausdruck, zuzusehen, wie ein paar arme Hähne einander das Hirn aushackten.

»Es ist wirklich ein grausames Vergnügen, Andrew,« sagte ich. »Vermuthlich habt Ihr dergleichen in Schottland nicht?«

»Nein, nein,« antwortete der Gärtner dreist, und hob dann die Verneinung wieder auf, indem er sagte: »ausgenommen am Osterabend, oder dergleichen. – Aber 's liegt auch nicht viel daran, was die Leute mit dem Hahnenvieh machen, denn sie kratzen und scharren in den Gärten, daß man keine Bohne oder Erbse vor ihnen erhalten kann. – Aber ich möchte wissen, wer die Thurmthüre offen gelassen hat? Jetzt, da Mr. Rashleigh fort ist, kann er es doch nicht gewesen sein.«

Die Thurmthüre, auf die er deutete, ging in den Garten, und zwar vom Fuße einer Wendeltreppe aus, die zu Rashleighs abgelegenem Zimmer führte, das, wie ich bereits erwähnte, durch eine geheime Thüre mit der Bibliothek und durch einen dunkeln, gewölbten Gang mit dem übrigen Hause zusammenhing. Ein langer, schmaler Rasenweg leitete zwischen zwei hohen Stechpalmenhecken von der Thurmthüre zu einer kleinen Hinterpforte in der Gartenmauer. Auf diese Weise konnte Rashleigh, dessen Schritte von seinen Angehörigen sehr unabhängig waren, nach Gefallen das Schloß verlassen, oder dahin zurückkehren, ohne bemerkt zu werden. In seiner Abwesenheit wurde aber Treppe und Thurmthüre gar nicht gebraucht, und dieser Umstand machte Andrew's Bemerkung wichtig.

»Habt Ihr diese Thüre öfters offen gesehen?« – fragte ich ihn.

»Eben nicht oft; aber doch ein- oder zweimal. Ich denke, es muß der Priester gewesen sein, Vater Vaughan, wie sie ihn nennen. Kein Diener geht, aus Furcht vor Gespenstern und Kobolden, diese Treppe hinauf. Aber Vater Vaughan glaubt ein Vorrecht zu haben. Ich stehe dafür, der geringste Seelenhirt, der je in Schottland eine Predigt hielt, würde einen Geist zweimal so schnell bannen, als der Priester mit seinem Weihwasser und seinem abgött'schen Tand. Er mag wohl auch nicht gut Latein sprechen; wenigstens versteht er mich kaum, wenn ich ihm die gelehrten Namen der Pflanzen sage.«

Von Vater Vaughan, der seine Zeit und seine geistliche Sorgfalt zwischen dem Schlosse und den Häusern von einem halben Dutzend katholischer Edelleute in der Umgegend theilte, habe ich noch nichts gesagt, weil ich ihn nur wenig gesehen hatte. Er war ungefähr 60 Jahr alt, und, wie man mir zu verstehen gab, aus einem guten Hause in Schottland, von einem auffallenden Aeußern, ernst im Betragen, und unter den Katholiken in Northumberland als ein würdiger und redlicher Mann sehr geschätzt. Dennoch fehlten ihm jene Eigenheiten, welche seinen Stand auszuzeichnen pflegen, nicht ganz. Es umgab ihn ein Wesen der Heimlichkeit, das in den Augen eines Protestanten wie Priesterbetrug aussah. Die Bewohner des Schlosses betrachteten ihn weit mehr mit Furcht, oder wenigstens Ehrfurcht, als mit Zuneigung. Er verdammte offenbar ihre Gelage, die etwas beschränkt wurden, wenn sich der Priester im Schlosse aufhielt. Selbst Sir Hildebrand legte seinem Betragen einen Zwang auf, der ihm des Paters Gegenwart vielleicht eher lästig als erfreulich machte. Er besaß jenes wohlerzogene, einnehmende und einschmeichelnde Benehmen, das den Priestern seines Glaubens, besonders in England, eigen ist, wo der katholische Laie, gehemmt durch Strafgesetze, durch Beschränkung seines Glaubens und die Ermahnungen seines Seelsorgers, im Umgange mit Protestanten oft ein zurückhaltendes und beinahe furchtsames Wesen zeigt, während der Priester, durch seinen Stand bevorrechtet, mit Leuten jedes Standes umzugehen, offen, munter und freisinnig im Verkehr mit ihnen ist und sich beliebt zu machen sucht, was ihm auch gewöhnlich glücklich gelingt.

Vater Vaughan war ein vertrauter Bekannter von Rashleigh, sonst würde er sich schwerlich im Schlosse erhalten haben. Aus diesem Grunde fand ich kein Verlangen, seine Freundschaft zu suchen, und da er eben so wenig nach der meinigen zu streben schien, beschränkte sich unser gelegentlicher Verkehr nur auf gegenseitige Höflichkeiten. Ich hielt es für höchst wahrscheinlich, daß der Pater bei seinem Aufenthalte im Schlosse Rashleighs Zimmer bewohnte, und nach seinem Stande ließ sich vermuthen, daß er auch wohl die Bibliothek besuchte. Nichts war daher wahrscheinlicher, als daß sein Schatten am vorhergehenden Abende meine Aufmerksamkeit erregt hatte. Ich erinnerte mich dabei unwillkürlich, daß Diana's Umgang mit dem Priester ebenfalls etwas von dem Geheimnißvollen hatte, was in ihrer Verbindung mit Rashleigh lag. Nie hatte sie mir Vaughans Namen genannt, oder nur auf ihn hingedeutet, außer bei unserm ersten Zusammentreffen, wo sie den alten Priester und Rashleigh als die einzigen umgänglichen Wesen im Schlosse, außer ihr selbst, bezeichnete. Ungeachtet dieses Schweigens verursachte ihr seine Ankunft doch ein ängstliches Beben, welches so lange anhielt, bis Beide einige bedeutungsvolle Blicke gewechselt hatten.

Welcher Art auch das Geheimniß sein mochte, das dieses schönen und anziehenden Mädchens Schicksal umhüllte, so war doch Vater Vaughan offenbar darin verwickelt, ich hätte denn annehmen müssen, daß er beauftragt war, sie in das Kloster zu bringen, wenn sie die Verbindung mit einem meiner Vettern ausschlug. – In diesem Falle ließ sich ihre unverkennbare Bewegung bei seiner Ankunft hinlänglich erklären. Uebrigens schienen Beide wenig miteinander zu verkehren, sich auch nie aufzusuchen. Bestand ein Bündniß zwischen ihnen, so war es von stiller, bedeutungsvoller Art und leitete ihre Handlungen, ohne Worte nöthig zu machen. Ich erinnere mich, ein oder zwei Zeichen bemerkt zu haben, die ich damals für Winke über die Beobachtung irgend einer Religionspflicht hielt, weil ich wußte, wie schlau die katholischen Priester überall und zu allen Zeiten ihren Einfluß auf die Gemüther ihrer Anhänger behaupten. Jetzt aber war ich geneigt, diesen Mittheilungen eine tiefere und geheimnißvollere Bedeutung beizulegen. Hatte er mit Miß Vernon geheime Zusammenkünfte in der Bibliothek? Das war eine Frage, die mich stark beschäftigte. Und wenn es war, in welcher Absicht? Und weßhalb hatte sie dem Vertrauten des treulosen Rashleigh so inniges Zutrauen geschenkt?

Diese Fragen und Zweifel wurden durch die Möglichkeit, sie zu lösen, noch gesteigert. Ich hatte bereits angefangen, zu argwöhnen, daß meine Freundschaft für Diana nicht ganz so uneigennützig war, wie sie, der Klugheit gemäß, hätte sein sollen. Ich fühlte mich schon eifersüchtig auf den verächtlichen Thorncliff, und hatte seine einfältigen Versuche, mich zu reizen, mehr beachtet, als es sich für die Vernunft und die Würde des Gefühls ziemte. Und nun beobachtete ich Miß Vernons Betragen mit der sorgfältigsten Genauigkeit, die ich mir indeß vergebens als die Wirkung müssiger Neugier vorzuspiegeln suchte. Das Alles waren Zeichen, daß der süße Jüngling verliebt war, und während mein Verstand noch immer läugnete, daß ich mich einer unklugen Neigung hingäbe, glich er jenen unwissenden Wegweisern, welche, wenn sie die Reisenden und sich selbst auf einen Irrweg geleitet haben, hartnäckig behaupten, es sei unmöglich, daß sie die rechte Straße verfehlten.


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