Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Bardolph.
Der Sheriff ist mit einer ungeheuern
Wache vor der Thür.

Heinrich IV. Erster Theil.

 

Ich fand mit einiger Schwierigkeit das Zimmer, das zu meiner Bequemlichkeit bestimmt war; nachdem ich mir den nöthigen guten Willen und die Aufmerksamkeit der Bedienten meines Oheims durch die Mittel verschafft hatte, die sie am besten verstehen konnten, schloß ich mich für den Rest des Tages ein, indem ich aus dem schönen Wege, auf dem ich meine neuen Verwandten verlassen hatte, sowie aus dem fernen Lärmen, den das Echo der Steinhalle (wie das Bankettzimmer genannt wurde), fortpflanzte, den Schluß zog, daß sie schwerlich eine passende Gesellschaft für einen nüchternen Menschen wären.

Was konnte mein Vater dabei beabsichtigen, daß er mich zu dieser merkwürdigen Familie schickte? Das war mein erster und natürlichster Gedanke. Mein Onkel empfing mich, das war klar, wie einen Menschen, der einige Zeit bei ihm bleiben sollte, und seine rohe Gastfreundschaft machte ihn eben so gleichgültig, wie König Hal gegen die Zahl der Gäste, die sich auf seine Kosten nährten. Aber es war deutlich, daß meine Anwesenheit oder Abwesenheit in seinen Augen von eben so geringer Wichtigkeit sein würde, wie die eines seiner blaugekleideten Bedienten. Meine Vettern waren ungebildete Menschen, in deren Gesellschaft ich, wenn ich wollte, jedes anständige Wesen, jede elegante Vollkommenheit verlernen konnte, die ich mir erworben hatte, doch durch die ich nichts lernen konnte, als den Hunden den Wurm zu nehmen, Pferden Pillen einzugeben und den Fuchs zu hetzen. Ich konnte mir nur einen Grund denken, der mir als wahrscheinlich erschien. Mein Vater hielt das Leben, welches in Osbaldistone-Hall geführt wurde, für das natürliche und unvermeidliche aller Landedelleute, und wünschte, indem er mir eine Gelegenheit bot, das zu sehen, was mich, wie er wußte, anwidern mußte, mich, wo möglich, mit dem Gedanken auszusöhnen, thätigen Antheil an seinem Geschäfte zu nehmen. Zugleich nahm er Rashleigh Osbaldistone in sein Comptoir, aber er hatte hundert Wege, für ihn zu sorgen, und zwar sehr vortheilhaft, wenn er seiner los sein wollte. Wenn ich daher auch einige Beklemmung darüber fühlte, Rashleigh, wenn er so war, wie Miß Vernon ihn beschrieb, in meines Vaters Geschäft, vielleicht in sein Vertrauen, eingeführt zu haben, so beschwichtigte ich sie durch die Ueberzeugung, daß mein Vater vollkommen Herr seiner eigenen Angelegenheiten sei, ein Mann, der sich nicht imponiren ließ, auf den Niemand Einfluß übte, und daß Alles, was ich zu dem Nachtheil des jungen Mannes wußte, von einem sonderbaren, ausgelassenen Mädchen herrührte, dessen Mittheilungen mit unüberlegter Freimüthigkeit gemacht wurden, welche mich argwöhnen ließ, daß ihre Schlüsse übereilt oder unzuverlässig wären. Dann wendeten meine Gedanken sich natürlich auf Miß Vernon selbst; ihre ungewöhnliche Schönheit; ihre wahrhaft eigenthümliche Lage, da sie in Beziehung auf Leitung und Schutz lediglich auf ihren eigenen Verstand und Geist verwiesen war; ihren ganzen Charakter, welcher jene Mannigfaltigkeit und jenes Geistreiche zeigte, was unwillkürlich unsre Neugier reizt und unsre Aufmerksamkeit fesselt. Ich hatte genug gesunden Verstand, um die Nähe dieses sonderbaren jungen Mädchens, und den Zufall, der uns in einen so häufigen und nahen Verkehr brachte, als eine Vermehrung der Gefahren in Osbaldistone-Hall zu betrachten, wenn auch dadurch das Trübe meines Aufenthaltes gemildert wurde; aber ich konnte es mit dem ganzen Aufgebote meiner Vernunft nicht dahin bringen, die neue und eigenthümliche Gefahr, der ich ausgesetzt war, zu beklagen. Diesen Skrupel beseitigte ich, wie junge Leute die meisten Schwierigkeiten der Art beseitigen – ich wollte sehr vorsichtig sein, stets auf meiner Hut, Miß Vernon mehr wie einen Umgang, als wie eine Freundin betrachten; und Alles mußte dann gut genug gehen. Mit diesen Vorsätzen schlief ich ein, und Miß Vernon war daher natürlich der letzte Gegenstand meiner Gedanken.

Ob ich von ihr träumte, oder nicht, kann ich dir nicht sagen, denn ich war ermüdet und schlief sehr gesund. Aber sie war die erste Person, an die ich des Morgens dachte, als ich mit Tagesanbruch durch die heitern Töne des Jagdhornes erweckt wurde. Aufspringen und mein Pferd satteln lassen, war meine erste Bewegung, und nach wenigen Minuten war ich auf dem Hofe, wo ich Menschen, Hunde und Pferde in voller Vorbereitung fand. Mein Oheim, der vielleicht nicht berechtigt war, einen munteren Jägersmann in seinem Neffen zu erwarten, da er in fremden Ländern aufgewachsen war, schien etwas überrascht, mich zu sehen, und es kam mir vor, als mangle seinem Morgengruße etwas von dem herzlichen und gastlichen Tone seines ersten Willkommens. »Bist da, Junge? – Ja, Jugend ist überall; – aber sieh d'ch vor; – denk' an das alte Lied:

Wer keck sein Roß gen Blackstone spornt,
Erwischt gar leicht so einen Fall.«

Ich glaube, es gibt nur wenig junge Leute, und das sind sehr strenge Moralisten, die sich nicht lieber irgend eine kleine Sünde nachsagen ließen, als daß sie für ungeschickte Reiter gälten. Und da es mir weder an Geschicklichkeit, noch Muth mangelte, nahm ich meines Oheims Bemerkung natürlich übel, und gab ihm die Versicherung, er würde mich zunächst hinter den Hunden finden.

»Ich zweifle nicht, Junge,« lautete seine Antwort, »daß du 'n tüchtiger Reiter bist. Ich steh' dafür; – aber sieh dich vor. Dein Vater schickte dich her, daß dir 'n Gebiß angelegt würde; und ich glaube, ich muß dich mit der Kinnkette reiten, sonst würde dir leicht Jemand auf die Halfter reiten, wenn ich die Zügel nicht fester faßte.«

Da diese Rede mir vollkommen unverständlich war, da sie überdieß nicht für mich gehalten zu werden schien, sondern seitwärts gesprochen wurde, und als äußerte mein würdiger Onkel etwas, das ihm durch die Gedanken fuhr, laut, glaubte ich, daß es sich entweder auf meine Desertion von der Flasche am gestrigen Abend bezog, oder daß meines Oheims Morgenstunden durch die Folgen der nächtlichen Schwärmerei etwas gelitten hätten, und seine gute Laune dadurch mit. Ich machte deßhalb nur die flüchtige Bemerkung, wenn er den unfreundlichen Wirth spiele, so würde ich um desto kürzere Zeit sein Gast sein, und eilte dann, Miß Vernon zu begrüßen, die sehr herzlich auf mich zukam. Eine Art von Begrüßung fand auch zwischen meinen Vettern und mir Statt, aber da ich sah, wie sie die Köpfe boshaft zusammensteckten, um meinen Anzug und mein Sattelzeug zu tadeln, von der Mütze bis zum Steigbügel, und über Alles spöttelten, was für sie neu oder fremd aussah, sprach ich mich selbst von der Aufgabe frei, ihnen eine große Aufmerksamkeit zu beweisen; und in Erwiderung ihres Lächelns und Flüsterns ein Wesen der höchsten Gleichgültigkeit und Geringschätzung annehmend, schloß ich mich der Miß Vernon an, als der einzigen Person, die ich für eine passende Gesellschaft betrachten konnte. An ihrer Seite ritt ich daher dem bezeichneten Lager zu, einem Gebüsch am Saume eines ausgedehnten Waldes. Während des Weges dahin bemerkte ich gegen Diana, daß ich meinen Vetter Rashleigh nicht sähe; worauf sie antwortete: »O nein – er ist ein gewaltiger Jäger, aber sein Wild ist der Mensch.«

Die Hunde brachen jetzt in das Gebüsch ein, von den Jägern angefeuert, und Alles war Bewegung, Leben, Thätigkeit. Meine Vettern waren bald zu sehr bei dem Geschäfte des Morgens interessirt, um sich weiter um mich zu bekümmern, nur daß ich Dickon, den Bereiter, Wilfred, dem Narren, zuflüstern hörte: »Sieh zu, ob unser französischer Vetter nicht beim ersten Ansatz vom Pferde fallen wird.«

Worauf Wilfred antwortete: »Natürlich genug, denn er hat ein ausländisches Band an seinem Hute.«

Thorncliff aber, der in seiner rohen Weise nicht ganz fühllos gegen die Schönheit seiner Verwandtin zu sein schien, leistete uns nähere Gesellschaft, als seine Brüder, gleichsam als wollte er bewachen, was zwischen Miß Vernon und mir vorging – vielleicht auch, um sich an meinem erwarteten Mißgeschicke bei der Jagd zu ergötzen. In der letztern Beziehung wurde er getäuscht. Nachdem wir den größern Theil des Morgens vergebens gesucht hatten, wurde endlich ein Fuchs aufgespürt, der uns zwei Stunden lang herumjagte, wobei ich, ungeachtet des verdächtigen Bandes auf meinem Hute, meinen Charakter als Reiter zu der Bewunderung meines Oheims und der Miß Vernon behauptete, so wie zu der geheimen Täuschung derer, die sich auf das Gegentheil gefreut hatten. Reineke aber war zu listig für seine Verfolger, und die Hunde schlecht. Ich konnte dabei in Miß Vernons Benehmen eine Ungeduld über das Anschließen Thorncliffs Osbaldistone bemerken, und da das übersprudelnde junge Mädchen nie zögerte, die besten Mittel zu ergreifen, um irgend einen Wunsch des Augenblickes zu befriedigen, sagte sie zu ihm in einem Tone des Vorwurfs: »Es wundert mich, Thornie, daß Ihr den ganzen Morgen hinter meinem Pferde herzottelt, da Ihr doch wißt, daß der Fuchsbau über der Woolverton-Mühle nicht vermacht ist.«

»Davon weiß ich nichts, Miß Die, denn der Müller schwur sich schwarz wie die Nacht, daß er ihn um zwölf Uhr, gerade um Mitternacht, vermacht hätte.«

»Pfui, Thornie, daß Ihr dem Worte eines Müllers glaubt! – Und der Bau noch dazu, in dem wir während dieser Jagdzeit den Fuchs schon dreimal verloren haben – und Ihr könnt auf Eurem Schimmel in zehn Minuten hin und her galoppiren.«

»Gut, Miß Die, so will ich nach Woolverton, und wenn der Bau nicht vermacht ist, so will ich dem Dick, dem Müller, die Knochen dafür schütteln.«

»Thut das, lieber Thornie; peitscht den Schurken tüchtig – fliegt davon und macht Euch daran.« – Thorncliff sprengte im Galopp davon. – »Oder laßt Euch selbst durchpeitschen, was mir eben so recht ist. – Ich muß sie Alle Disciplin und Gehorsam gegen das Commandowort lehren. Ich errichte ein Regiment, müßt Ihr wissen. Thornie soll mein Wachtmeister sein, Dickon mein Stallmeister, und Wilfred mit seinen tiefen Trommeltönen, der nie mehr als drei Silben auf einmal spricht, mein Kesselpaukenschläger.«

»Und Rashleigh?«

»Rashleigh soll mein erster Spion sein.«

»Und findet Ihr keine Anstellung für mich, mein liebenswürdiger Oberst?«

»Ihr sollt die Wahl haben, Zahlmeister oder Raubmeister zu sein. Aber seht, wie die Hunde da herum suchen. Kommt, Mr. Frank; die Fährte ist kalt; sie finden sie so bald nicht wieder; folgt mir, ich habe Euch eine Aussicht zu zeigen.«

Und in der That ritt sie voran, nach der Spitze eines freundlichen Hügels, der eine weite Aussicht gewährte. Die Augen umherwerfend, zu sehen, daß Niemand uns nahe sei, lenkte sie ihr Pferd unter einige Birken, die uns dem übrigen Theile des Jagdgebietes verbargen. »Seht Ihr jenen braunen waldigen Gipfel, der an der Seite etwas wie einen weißen Fleck hat?« fragte sie.

»Der die lange Reihe moorigen Hochlandes schließt? – Ich sehe ihn deutlich.«

»Der weißliche Fleck ist ein Fels, Hawkesmore-crag genannt, und Hawkesmore-crag liegt in Schottland.«

»Wirklich? Ich glaubte nicht, daß wir Schottland so nahe wären.«

»Dem ist so, ich versichere es Euch, und Euer Pferd trägt Euch in zwei Stunden dahin.«

»Ich werde ihm die Mühe nicht machen; die Entfernung muß achtzehn Meilen sein, wie die Krähen fliegen.«

»Ihr könnt mein Pferd nehmen, wenn Ihr glaubt, daß es schneller ist. Ich sage, daß Ihr binnen zwei Stunden in Schottland sein könnt.«

»Und ich sage, ich wünsche so wenig dort zu sein, daß, wenn meines Pferdes Kopf über der Gränze wäre, ich seinem Schwanze nicht die Mühe machen würde, ihm zu folgen. Was sollte ich in Schottland anfangen?«

»Für Eure Sicherheit sorgen, wenn ich denn doch deutlich sprechen muß. Versteht Ihr mich jetzt, Mr. Frank?«

»Durchaus nicht; Ihr redet immer räthselhafter.«

»Auf mein Wort, so mißtraut Ihr mir entweder höchst ungerecht, und könnt Euch noch besser verstellen, als Rashleigh Osbaldistone, oder Ihr wißt nicht, wessen Ihr beschuldigt seid; und dann ist es freilich kein Wunder, wenn Ihr mich so anstarrt, daß ich Euch kaum ansehen kann, ohne darüber zu lachen.«

»Auf mein Ehrenwort, Miß Vernon,« sagte ich, mit einem Gefühle der Ungeduld über ihre kindische Neigung zur Lustigkeit, »ich habe nicht den geringsten Begriff von dem, was Ihr meint. Es freut mich, Euch eine Veranlassung zur Heiterkeit zu gewähren, aber worin sie besteht, das weiß ich nicht.«

»Nein, es ist übrigens kein Grund zum Scherz vorhanden,« sagte das junge Mädchen, wieder ernst werdend; »es sieht so komisch aus, wenn Jemand so sehr verwundert ist, aber die Sache ist ernsthaft genug. Kennt Ihr einen gewissen Moray oder Morris, oder solch' einen Namen?«

»Nicht, daß ich mich besinnen könnte.«

»Denkt einen Augenblick nach. – Reistet Ihr nicht kürzlich mit einem Menschen dieses Namens?«

»Der einzige Mensch, mit dem ich eine längere Strecke reiste, war Einer, dessen ganze Seele an seinem Mantelsacke zu haften schien.«

»Dann glich sie der Seele des Licentiaten Pedro Garcias, die unter den Dukaten in seinem ledernen Beutel lag. – Dieser Mensch ist beraubt worden, und hat eine Anklage gegen Euch, als mit der Gewaltthat im Zusammenhange, angebracht.«

»Ihr scherzt, Miß Vernon.«

»Das thue ich nicht; die Sache ist ein unbedingtes Factum.«

»Und könnt Ihr,« sagte ich mit einem Unwillen, den ich nicht zu unterdrücken suchte, »könnt Ihr mich fähig halten, eine solche Anklage zu verdienen?«

»Ihr würdet mich, wie ich vermuthe, dafür herausfordern, besäße ich den Vorzug, ein Mann zu sein. – Wenn Ihr wollt, könnt Ihr so handeln, als ob ich es wäre. – Ich schieße so gut den Vogel im Fluge, als ich über eine fünf Fuß hohe Barriere sprenge.«

»Und seid überdieß Oberst eines Reiterregiments,« entgegnete ich, indem ich daran dachte, wie thöricht es sein würde, mit ihr zu zürnen. »Aber erklärt mir den Scherz.«

»Es ist durchaus kein Scherz,« sagte Diana; »Ihr seid angeklagt, den Menschen beraubt zu haben, und mein Onkel glaubt das eben so gut, als ich es that.«

»Auf Ehre, ich bin meinen Verwandten für ihre gute Meinung sehr verpflichtet.«

»Nun, schnaubt nur nicht so, und starrt mich an, und schnauft den Wind ein, und seht grade so aus, wie ein scheugewordenes Pferd. – Darin liegt keine solche Beleidigung, wie Ihr denkt; – Ihr seid keiner Kleinigkeit, keiner gemeinen That angeklagt. Der Mensch brachte Geld von der Regierung, baar und in Wechseln, die Truppen im Norden zu bezahlen; und wie man sagt, sind ihm auch Depeschen von großer Wichtigkeit abgenommen worden.«

»So ist es also Hochverrath, und nicht einfacher Raub, dessen ich angeklagt bin?«

»Allerdings; und das war, wie Ihr wißt, zu allen Zeiten adeliches Verbrechen. Ihr werdet in diesem Lande eine Menge Menschen finden, und eine Person ganz in Eurer Nähe, welche es für ein Verdienst halten, der hannoverischen Regierung auf jede mögliche Weise zu schaden.«

»Weder meine politischen, noch meine moralischen Grundsätze, Miß Vernon, sind so gefälliger Art.«

»Ich fange wirklich an, zu glauben, daß Ihr in allem Ernst ein Presbyterianer und Hannoveraner seid. Aber was denkt Ihr zu thun?«

»Die abscheuliche Verleumdung augenblicklich zu widerlegen. – Vor wem,« fragte ich, »ist diese außerordentliche Anklage angebracht?«

»Vor dem alten Squire Inglewood, der sie mit vielem Unwillen angenommen hat. Er schickte meinem Onkel die Nachricht, wie ich glaube, damit er Euch nach Schottland, außer Bereich des Verhaftsbefehles, schmuggeln möchte. Aber mein Onkel fühlt, daß seine Religion und seine alten Neigungen ihn der Regierung verdächtig machen, und fürchtet, daß er entwaffnet und wahrscheinlich auch als Jacobit, Papist und verdächtige Person unberitten gemacht würde (was das Schlimmste von Allem wäre), machte er sich in einer solchen Sache der Theilnahme schuldig.«

»Ich kann begreifen, daß er lieber seinen Neffen aufgäbe, als seine Jagdpferde verlöre.«

»Seine Neffen und Nichten, Söhne und Töchter, wenn er welche hätte, kurz, die ganze Generation,« sagte Diana; »deßhalb traut ihm nicht, selbst nicht einen einzigen Augenblick, sondern benutzt die Zeit, ehe man sich des Verhaftsbefehls gegen Euch bedienen kann.«

»Das will ich ganz gewiß thun, doch um nach dem Hause dieses Squire Inglewood zu eilen. – In welcher Richtung liegt es?«

»Ungefähr fünf Meilen weit, in dem Grunde hinter jener Pflanzung – Ihr könnt den Kirchthurm von hier sehen.«

»In wenigen Minuten will ich dort sein,« sagte ich, und setzte mein Pferd in Bewegung.

»Und ich will Euch begleiten und Euch den Weg zeigen,« sagte Diana, indem sie ihr Pferd ebenfalls in Trab setzte.

»Denkt nicht daran, Miß Vernon,« entgegnete ich. »Es ist nicht – verzeiht mir die Freiheit eines Freundes – es ist nicht passend, und kaum schicklich, daß Ihr mich auf einem solchen Wege begleitet, wie der ist, den ich jetzt vorhabe.«

»Ich verstehe Eure Absicht,« sagte Miß Vernon, während ein leichtes Erröthen ihre stolze Stirn überflog; »das ist offen gesprochen« – und nach kurzem Besinnen setzte sie hinzu, »und auch aufrichtig gemeint, wie ich glaube.«

»Das ist es in der That, Miß Vernon; könnt Ihr mich für die Theilnahme, die Ihr mir zeigtet, fühllos oder gar undankbar glauben?« sagte ich mit mehr Ernst, als ich auszudrücken wünschte. »Ihr zeigtet mir aufrichtige Theilnahme und in der Stunde der Noth. Aber ich darf um Eurer selbst willen – um Mißdeutung zu verhindern – nicht zugeben, daß Ihr die Absicht Eurer Großmuth noch weiter verfolgt; dieß ist eine öffentliche Sache – beinahe wie das Erscheinen vor einem öffentlichen Gerichtshofe.«

»Und wenn ich nicht beinahe, sondern wirklich vor einem öffentlichen Gerichtshofe erscheinen sollte – glaubt Ihr, ich thäte es nicht, wenn ich es für Recht hielte, und einen Freund vertheidigen wollte? Ihr habt Niemand, der Euch beisteht – Ihr seid ein Fremder; und hier, am Saume des Königreiches, thut die Landgerechtigkeit böse Dinge. Mein Oheim hat keinen Wunsch, sich in Eure Angelegenheit zu mischen; – Rashleigh ist abwesend, und wäre er hier, wüßte man nicht, welche Seite er nehmen würde; von den Uebrigen ist Einer immer dümmer und roher wie der Andere. Ich will mit Euch gehen, und zweifle nicht, daß ich Euch nützen kann. Ich bin keine zierliche Dame, die durch Gesetzbücher, harte Worte oder gewaltige Perücken auf den Tod erschreckt werden kann.«

»Aber meine theure Miß Vernon« –

»Aber mein theurer Mr. Frank, seid ruhig und geduldig, und laßt mich meinen eigenen Weg geben; denn wenn ich das Gebiß zwischen die Zähne nehme, gibt es keinen Zaum, der mich halten könnte.«

Geschmeichelt durch die Theilnahme, welche ein so liebliches Geschöpf an meinem Schicksale zu nehmen schien, aber ärgerlich durch die lächerliche Figur, die ich spielen mußte, wenn ich ein Mädchen von achtzehn Jahren als meinen Advokaten mitbrachte, und ernsthaft besorgt wegen der Mißdeutungen, deren ihre Beweggründe fähig waren, versuchte ich dennoch die Bekämpfung ihres Vorsatzes, mich zu dem Squire Inglewood zu begleiten. Das eigensinnige Mädchen sagte mir rund heraus, daß meine Ueberredungskunst vergebens sei; daß sie eine ächte Vernon wäre, welche keine Rücksicht bewegen könnte, einen Freund im Mißgeschicke zu verlassen, nicht einmal die, vielleicht nur wenig für ihn thun zu können; und daß Alles, was ich über den Gegenstand sagen könnte, ganz gut für zierliche, wohlerzogene und manierliche Mädchen aus einer Stadtschule sein möchte, auf sie aber keine Anwendung fände, weil sie daran gewöhnt wäre, sich um keines Menschen Meinung zu kümmern, als um ihre eigene.

Während sie so sprach, näherten wir uns schnell dem Inglewood-Sitze, und um mich von ferneren Vorstellungen abzubringen, entwarf sie mir ein komisches Bild von dem Friedensrichter und seinem Schreiber. Inglewood war, ihrer Beschreibung nach, ein weißgewaschener Jacobit, d. h. einer, der, gleich den meisten Landedelleuten dieser Gegend, lange Zeit ein Eidweigerer gewesen war, und kürzlich sich zu dem Posten eines Friedensrichters befähigt hatte, indem er der Regierung den Eid leistete. Er that dieß, wie sie sagte, auf die dringenden Bitten der meisten seiner Freunde, welche mit Bedauern sahen, daß das Palladium der Waldfreuden, die Wildgesetze, aus Mangel eines Beamten, der darauf hielt, außer Gebrauch zu kommen drohte. Der nächste Richter war der Lord-Mayor von Newcastle, und da er mehr dazu geneigt war, das gut zubereitete Wild zu verzehren, als das lebende zu erhalten, war er auch natürlich mehr Partei für die Wilddiebe, als für die Jäger. Indem die northumberländischen Landedelleute daher der Meinung waren, daß nothwendigerweise Einer aus ihrer Mitte seine Skrupel jacobitischer Treue dem Gemeinwohl opfern müßte, legten sie diese Pflicht Inglewood auf, der in seinen meisten Neigungen und Gefühlen ziemlich träge war, und sich daher ohne viel Widerwillen in jeden politischen Glauben fügen konnte. »Nachdem sie so für den Körper der Justiz gesorgt hatten, dachten sie daran,« fuhr Miß Vernon fort, »in der Person eines Schreibers demselben die Seele zu verleihen, um dessen Bewegungen zu leiten und zu beleben. Demnach gewannen sie einen tüchtigen Anwalt in Newcastle, Namens Jobson, der unter dem Zeichen des Squire Inglewood die Gerechtigkeit handhabt, und da seine eigenen Sporteln von der Menge der laufenden Geschäfte abhängen, bürdet er seinem Vorgesetzten weit mehr auf, als der ehrliche Landjunker je zu übernehmen gedacht hat, so daß kein Apfelweib im Umkreise von zehn Meilen ihre Rechnung mit ihrem Obsthändler in Ordnung bringen kann, ohne einen Termin vor dem widerstrebenden Friedensrichter und dem bereitwilligen Schreiber, Mr. Jobson, zu haben. Aber die lächerlichsten Auftritte finden Statt, wenn vor ihm Geschäfte, wie unser heutiges, verhandelt werden, die eine politische Farbe tragen. Mr. Joseph Jobson ist (wofür er ohne Zweifel seine eigenen hinreichenden Gründe hat) ein merkwürdig eifriger Zelot für die protestantische Religion, und ein großer Freund der gegenwärtigen Ordnung der Dinge in Kirche und Staat. Sein Vorgesetzter bewahrt eine instinktmäßige Anhänglichkeit für die Meinung, zu der er sich offen bekannte, bis er seinen politischen Glauben in der patriotischen Absicht aufgab, die Gesetze gegen unbefugte Vertilger von Hochwild, Birk- und Rebhühnern und Hasen in Anwendung zu bringen, ist in großer Verlegenheit, wenn der Eifer seines Beistandes ihn in irgend ein gerichtliches Verfahren verwickelt, welches mit seinem früheren politischen Glauben zusammenhängt; und statt dessen Eifer zu unterstützen, unterläßt er es selten, ihm ein doppeltes Maaß der Nachlässigkeit und Trägheit entgegenzusetzen. Diese Unthätigkeit entspringt aber keineswegs aus wirklicher Dummheit. Im Gegentheil, für einen Menschen, dessen höchstes Entzücken in Essen und Trinken besteht, ist er eine muntere und lustige alte Seele, was sein angenommenes mürrisches Wesen um so unterhaltender macht. Bei solchen Gelegenheiten könnt Ihr Jobson daher wie ein altes, abgetriebenes Vollblutpferd sehen, das dazu verurtheilt ist, einen überladenen Karren zu ziehen, das sich keuchend, stampfend, bebend abmüht, den Richter in Bewegung zu setzen, während, obgleich die Räder knacken und langsam vorwärts gehen, die übergroße Schwere des Fuhrwerkes alle Anstrengungen des dienstwilligen Vierfüßlers beinahe gänzlich zu Nichte macht, und verhindert, daß die Sache wirklich in Gang kömmt. Ja, was noch mehr ist, das unglückliche Pferd soll sich sogar bitter darüber beklagen, daß eben dieser Karren der Gerechtigkeit, der bei gewissen Gelegenheiten so schwer in Bewegung zu bringen ist, bei andern ziemlich schnell aus eignem Antriebe bergablaufen und das widerstrebende Thier mit sich fortreißen kann, wenn irgend etwas für den Nutzen von den ehemaligen Freunden des Squire Inglewood zu thun ist. Dann spricht Mr. Jobson sich heiser darüber, daß er seinen Vorgesetzten bei dem Staatssecretariat der innern Angelegenheiten anklagen würde, hegte er nicht eine besondere Rücksicht und Freundschaft für Mr. Inglewood und dessen Familie.«

Indem Miß Vernon diese launige Schilderung schloß, befanden wir uns vor dem Inglewood-Sitze, einem hübschen, obgleich altmodischen Gebäude, welches die Wichtigkeit der alten Familie bezeugte.


 << zurück weiter >>