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Achtes Kapitel.

»Sir,« sagt' der Rechtsmann, »ohne Schmeichelei
Behaupte ich, daß schön und gut die Batt'rie sei,
Wie nur das Herz sie immer wünschen kann;
Und schämen dürft' sich ihrer nicht der stolz'ste Mann.«

Butler.

 

Unsere Pferde wurden uns von einem Diener in Sir Hildebrands Livree abgenommen, den wir auf dem Hofe fanden; dann traten wir in das Haus. In der Eingangshalle staunte ich etwas, und meine schöne Begleiterin weit mehr, als wir Rashleigh Osbaldistone erblickten, der über das Zusammentreffen mit uns gleiche Verwunderung äußerte.

»Rashleigh,« sagte Miß Vernon, ohne ihm Zeit zu einer Frage zu lassen, »Ihr habt von der Angelegenheit des Mr. Frank gehört, und mit dem Friedensrichter davon gesprochen?«

»Gewiß,« sagte Rashleigh gelassen; »das war mein Geschäft hier. »Ich war bemüht,« fügte er mit einer Verbeugung gegen mich hinzu, »meinem Vetter einen solchen Dienst zu erweisen, als ich ihn vermochte. Aber ich bin bekümmert, ihn hier zu treffen.«

»Als Freund und Verwandter, Mr. Osbaldistone, hättet Ihr betrübt sein sollen, mich irgend wo anders zu treffen, da die Beschuldigung meines Rufes es mir zur Pflicht machte, so bald als möglich an diesem Orte zu erscheinen.«

»Freilich; aber nach dem, was mein Vater sagte, hätte ich eine kurze Entfernung nach Schottland – bis die Sachen auf gütlichem Wege ausgeglichen gewesen« –

Ich antwortete ihm mit Wärme: Daß ich keine Klugheitsregeln zu beobachten, und nichts auf gütlichem Wege auszugleichen hätte; daß ich im Gegentheil gekommen sei, mich nach der schurkischen Anklage zu erkundigen, und sie bis in den Boden hinein zu Schanden zu machen.

»Mr. Frank Osbaldistone ist unschuldig, Rashleigh,« sagte Miß Vernon, »und fordert eine Untersuchung der Anklage gegen ihn; und ich denke ihn dabei zu unterstützen.«

»Thut Ihr das, meine schöne Cousine? – Ich glaube aber, Mr. Frank Osbaldistone könnte jetzt eben so wirksam, und wahrscheinlich passender, durch meine Anwesenheit als durch die Eure unterstützt werden.«

»Oh, gewiß, aber zwei Köpfe sind, wie Ihr wißt, besser als einer.«

»Besonders solch' ein Kopf, wie der Eure, meine prächtige Diana,« sagte er, indem er auf sie zutrat, und ihre Hand mit einer zutraulichen Zärtlichkeit ergriff, die ihn in meinen Augen noch fünfzigmal häßlicher machte, als er ohnehin schon war. Sie führte ihn aber einige Schritte seitwärts; sie sprachen leise mit einander, und sie schien auf einer Forderung zu bestehen, die er nicht erfüllen mochte, oder nicht erfüllen konnte. Ich sah nie einen so grellen Widerspruch in dem Ausdrucke von zwei Gesichtern. Miß Vernon war anfangs ernst, wurde aber allmählig zornig. Ihre Augen und Wangen wurden belebter, ihre Röthe stieg, sie ballte ihre kleine Hand, und mit ihrem zierlichen Fuße den Boden stampfend, schien sie mit einer Mischung von Geringschätzung und Unwillen auf die Entschuldigungen zu hören, welche er vorbrachte, wie ich aus seinem Aussehen artiger Unterwürfigkeit, seinem achtungsvollen Lächeln, seinem Zurückweichen, und anderen Zeichen des Blickes und Körpers, schloß. Endlich entfernte sie sich heftig von ihm mit einem: »Ich will es so haben.«

»Es ist nicht in meiner Macht – es ist unmöglich. – Solltet Ihr es glauben, Mr. Osbaldistone?« sagte er, mich anredend –

»Seid Ihr wahnsinnig!« rief sie, ihn unterbrechend.

»Solltet Ihr es glauben,« fuhr er fort, ohne auf ihren Wink zu achten, »daß Miß Vernon darauf besteht, ich kennte nicht nur Eure Unschuld (von der in der That Niemand inniger überzeugt sein kann), sondern ich müßte auch die wirklichen Urheber von dem Raube wissen, der an diesem Kerl begangen wurde, wenn in der That eine Beraubung stattfand? – Ist das wohl vernünftig, Mr. Osbaldistone?«

»Ich gestattete keine Berufung auf Osbaldistone, Rashleigh;« sagte das junge Mädchen heftig. »Er kennt nicht so wie ich die unglaubliche Ausdehnung und Genauigkeit Eurer Nachrichten in jeder Beziehung.«

»So wahr ich ein Edelmann bin, Ihr erzeigt mir mehr Ehre, als ich verdiene.«

»Gerechtigkeit, Rashleigh, nur Gerechtigkeit; – und es ist auch nur Gerechtigkeit, die ich von Euch erwarte.«

»Ihr seid ein Tyrann, Diana,« antwortete er mit einer Art von Seufzer, »ein eigensinniger Tyrann, und beherrscht Eure Freunde mit eisernem Scepter. Dennoch soll es sein, wie Ihr wünschet. Aber Ihr dürft nicht hier sein; Ihr wißt, daß Ihr das nicht dürft. Ihr müßt mit mir zurückkehren.«

Sich hierauf von Diana abwendend, die unentschlossen dazustehen schien, kam er mit dem freundschaftlichsten Wesen auf mich zu, und sagte: »Zweifelt nicht an meiner Theilnahme bei alle dem, was Euch betrifft, Mr. Osbaldistone. Wenn ich Euch in diesem Augenblicke verlasse, so geschieht es nur, um zu Eurem Besten zu handeln. Aber Ihr müßt Euren Einfluß auf meine Cousine aufbieten, sie zur Rückkehr zu bewegen. Ihre Anwesenheit kann Euch nicht nützen, und muß ihr selbst schaden.«

»Ich versichere Euch, Sir,« entgegnete ich, »daß Ihr davon nicht mehr überzeugt sein könnt, als ich; ich habe um Miß Vernons Rückkehr bereits so eifrig gebeten, als sie mir gestattete, es zu thun.«

»Ich habe mir die Sache überlegt,« sagte Miß Vernon nach einer Pause, »und werde nicht eher gehen, als bis ich Euch aus den Händen der Philister befreit sehe. Vetter Rashleigh meint es, wie ich behaupten darf, gut; aber er und ich kennen einander wohl. – Rashleigh, ich gehe nicht; – ich weiß,« fügte sie im besänftigenden Tone hinzu, »daß es Euch zu mehr Eile und gutem Willen antreibt, wenn ich bleibe.«

»So bleibt denn, unüberlegtes, eigensinniges Mädchen;« sagte Rashleigh; »Ihr wißt nur zu gut, wem Ihr vertraut.« Damit eilte er aus der Halle, und bald darauf hörten sie sein Pferd über den Hof sprengen.

»Gott sei Dank, daß er fort ist!« sagte Diana. »Und nun laßt uns den Richter aufsuchen.«

»Thäten wir nicht besser, einen Diener zu rufen?«

»Keineswegs; ich kenne den Weg zu seiner Höhle – wir müssen ihn plötzlich überfallen – folgt mir.«

Ich folgte ihr demgemäß, als sie einige dunkle Stufen hinantrippelte, über einen finstern Gang ging, und in eine Art von Vorzimmer trat, das mit alten Karten, architektonischen Zeichnungen und Stammbäumen behangen war. Eine Flügelthür führte von hier in Mr. Inglewoods Geschäftszimmer, aus dem der Refrain eines alten Liedes mit einer Stimme erschallte, die zu ihrer Zeit zu einem lustigen Trinkliede ganz geeignet sein mochte.

In Skipton-in-Craven
Ist nimmer ein Hafen,
  Doch oftmals schlecht Wetter; –
Wer nein könnte sagen,
Wenn Schöne ihn fragen,
  'Nen Strick wollt' ich, hätt' er.

»Ha,« sagte Miß Vernon, »der muntere Richter muß schon zu Mittag gegessen haben. Ich glaubte nicht, daß es so spät wäre.«

Aber es war so. Da Mr. Inglewoods Appetit durch seine amtlichen Untersuchungen geschärft worden war, hatte er seine Mahlzeit vordatirt, und schon um zwölf, statt um ein Uhr, gegessen, welches damals in England die allgemeine Speisestunde war. Die verschiedenen Ereignisse des Morgens waren Schuld, daß wir einige Zeit nach dieser Stunde eintrafen, für den Richter die wichtigste von allen vier und zwanzig; und er hatte es auch nicht versäumt, sie zu benutzen.

»Bleibt hier,« sagte Diana. »Ich kenne das Haus, und will einen Diener rufen. Eure plötzliche Erscheinung möchte den alten Herrn zu unangenehm erschrecken.« – Und sie entfloh mir, und ließ mich allein, ungewiß, ob ich vorwärts oder zurückgehen sollte. Es war mir unmöglich, Nichts von dem zu hören, was in dem Eßzimmer vorging, und namentlich mehrere Entschuldigungen über das Ablehnen des Singens, die in einer krächzenden Stimme gemacht wurden, deren Töne, wie mir es vorkam, nicht ganz unbekannt waren.

»Nicht singen, Sir? Bei unsrer lieben Frau, Ihr müßt. – Was, Ihr habt meinen großen, silber-gefaßten Kokos-Nuß-Pokal geleert, und sagt mir, daß Ihr nicht singen könnt? Sir, Sekt bringt eine Katze zum Singen, und sogar zum Sprechen; heraus also mit einem lustigen Liede, oder packt Euch aus meiner Thür. – Glaubt Ihr, daß Ihr all' meine Zeit mit Euren verdammten Erklärungen in Anspruch nehmen, und dann mir sagen dürft, daß Ihr nicht singen könnt?«

»Euer Gnaden habt vollkommen Recht,« sagte eine andere Stimme, welche, nach dem scharfen Accent zu schließen, die des Schreibers war; »und die Aufgabe muß zu leisten sein; er hat in leserlicher Schrift caret auf seinem Gesichte geschrieben.«

»Heraus denn damit,« rief der Richter, »oder, bei St. Christoph, Ihr müßt den [Kokos-Nuß-Pokal] voll Salzwasser verschlucken, nach dem Gesetze, das für einen solchen Fall erlassen ist.«

So ermahnt und bedroht, ließ mein ehemaliger Reisegefährte, denn ich konnte nicht länger daran zweifeln, daß er es sei, mit einer Stimme, der ähnlich, mit welcher ein Verbrecher den letzten Psalm auf dem Blutgerüste singt, das folgende Lied an:

Ihr lieben Leute leiht das Ohr
Der Trauerkund', die ich erkohr,
Von einem Räuber, kühn, wie je,
Nur einer rief: »Halt, Wandrer, steh'!«
  Mit seiner fuddle do fa luddlo.

Der Schurke, der, des Stricks wohl werth,
Bewaffnet mit Pistol und Schwert,
Bei Kensington und Brenntford dann
Keck hielt sechs Ehrenmänner an.
  Mit seiner fuddle do fa luddlo.

Die Männer kehrten in Brenntford ein,
Wo Jeder trank sein Fläschchen Wein,
Und fluchend an der Dieb sie hält,
Schreit: »Hunde, Leben oder Geld!«
  Mit seiner fuddle do fa luddlo.

Es ist die Frage, ob der Ehrenmann, dessen Mißgeschick in diesem pathetischen Klagegesange erzählt wird, über die Erscheinung des kühnen Diebes mehr erschrak, als der Sänger über die meinige; denn müde, auf Jemand zu warten, der mich melden konnte, und da mir meine Lage als Horcher etwas bedenklich vorkam, trat ich zu der Gesellschaft ein, als eben mein Freund, Mr. Morris, denn das schien sein Name zu sein, die fünfte Strophe seiner Trauerballade begann. Der hohe Ton, mit dem die Melodie anfing, erstarb in einem Beben der Verwirrung, als er sich so nahe einem Menschen erblickte, dessen Charakter seiner Meinung nach kaum weniger verdächtig war, als der des Helden seines Gedichtes; und er schwieg mit weit aufgerissenem Munde, als hätte er das Gorgonenhaupt in meiner Hand erblickt.

Der Richter, dessen Augen sich bei der schlaferweckenden Melodie des Liedes geschlossen hatten, fuhr in seinem Stuhle in die Höhe, als er plötzlich verstummte, und starrte verwundert auf die unerwartete Vermehrung, welche die Gesellschaft erhalten hatte, während seine Gesichtsorgane herrenlos waren. Der Schreiber, denn dafür nahm ich ihn nach seinem Aeußern, war ebenfalls erregt; denn da er Mr. Morris gerade gegenüber saß, theilte sich ihm dieses Ehrenmannes Schrecken mit, obgleich er nicht wußte, weßhalb.

Ich unterbrach das Schweigen der Ueberraschung, welches mein plötzlicher Eintritt hervorgerufen hatte. »Mein Name, Mr. Inglewood,« sagte ich, »ist Frank Osbaldistone; ich höre, daß irgend ein Schurke bei Euch eine Anklage vorgebracht hat, indem er mich eines Verlustes beschuldigt, den er erlitten zu haben behauptet.«

»Sir,« sagte der Richter etwas mürrisch, »das sind Geschäfte, in die ich mich nie nach Tische einlasse; jedes Ding hat seine Zeit, und ein Friedensrichter muß eben so gut essen, als andere Menschen.«

Die wohlgenährte Person des Mr. Inglewood schien, beiläufig gesagt, durch Fasten nicht gelitten zu haben, mochten sie nun in Angelegenheiten der Gesetze oder der Religion erduldet worden sein.

»Ich bitte um Verzeihung wegen eines unzeitigen Besuches, Sir; aber da mein Ruf gefährdet ist, und da die Mahlzeit beendigt zu sein scheint« –

»Sie ist nicht beendigt, Sir,« erwiderte der Beamte; »der Mensch braucht sowohl Verdauung als Nahrung, und ich versichere, daß mir meine Speisen nichts nützen können, wenn mir nicht zwei Stunden voller Muße gegönnt werden, gemischt mit harmloser Heiterkeit und einer mäßigen Zirkulation der Flasche.«

»Wollen Ew. Gnaden mir verzeihen,« sagte Mr. Jobson, welcher seine Schreibgeräthschaften in der kurzen Zeit unserer Unterhaltung herbeigeholt und geordnet hatte, »da hier ein Fall von tadelswürdigem Verbrechen ist, da der Herr etwas ungeduldig scheint, und die Anklage contra pacem domini regis geht« –

»Verdammt die dominie regis!« sagte der ungeduldige Richter. »Ich hoffe, es ist kein Verrath, so zu sprechen; – aber es ist genug, um Einen wahnsinnig zu machen, wenn man so gequält wird; – habe ich wohl nur einen Augenblick Ruhe vor Verhaftsbefehlen, Geboten, Vorschriften, Weisungen, Acten, Bürgschaften, Verschreibungen und Recognitionen? – Ich sage Euch, Mr. Jobson, daß ich Euch und das Rechtsschiff nächstens zum Teufel schicken werde.«

»Euer Gnaden werden die Würde des Amtes bedenken, quorum et custos rotulorum, – ein Amt, von dem Sir Edward Coke sehr weise sagt, daß die ganze Christenheit seines Gleichen nicht hat, so es würdig verwaltet wird.«

»Gut,« sagte der Richter, durch diese Lobpreisung seiner Würde etwas beschwichtigt, und den Rest seines Unwillens mit einem tüchtigen Glase Claret hinunterspülend, »so laßt uns denn an das Geschäft gehen, um sobald als möglich davon loszukommen. – Hört, Sir, – Ihr, Morris, – Ihr Ritter von der traurigen Gestalt – ist dieß der Mr. Frank Osbaldistone, den Ihr der Schuld und Theilnahme des Raubes anklagt?«

»Ich, Sir?« entgegnete Morris, der seinen Verstand noch nicht wieder gesammelt hatte, – »ich klage diesen Herrn wegen nichts an – ich gebe ihm nichts Schuld.«

»So weisen wir Eure Klage zurück, Sir, das ist Alles, und eine gute Erledigung. – Greift zur Flasche; – Mr. Osbaldistone, bedient Euch selbst.«

Jobson aber war entschlossen, Morris nicht sobald aus der Schlinge zu lassen. »Was meint Ihr, Mr. Morris?« sagte er. »Hier ist Eure eigene Erklärung – die Dinte kaum getrocknet – und Ihr wollt sie auf eine so ärgerliche Weise zurücknehmen?«

»Wie kann ich wissen,« flüsterte Jener mit bebender Stimme, »wie viele Schufte er noch im Hause im Hinterhalt hat. Ich habe von solchen Dingen in Johnsons Lebensbeschreibungen der Straßenräuber gelesen. Die Thür öffnet sich schon« –

Sie öffnete sich wirklich, und Diana Vernon trat ein. »Ihr haltet schöne Ordnung hier, Friedensrichter; – nicht ein Diener ist zu sehen oder zu hören.«

»Ah,« rief der Richter, indem er mit einer Behendigkeit aufsprang, welche zeigte, daß Themis oder Comus ihn nicht so sehr einnahmen, um darüber zu vergessen, was der Schönheit gebührte, »ah, Die Vernon, das Haideblümchen von Cheviot, die Blume der Gränze, kommt Ihr, zu sehen, wie ein alter Hagestolz Haus hält? – Bist willkommen, Mädchen, wie die Blumen im Mai.«

»Ein schönes, offenes, gastfreundliches Haus haltet Ihr, Friedensrichter, das muß man gestehen – keine Seele, die einem Besuche Antwort gäbe.«

»Ha, die Schurken; sie hielten sich einige Stunden vor mir sicher. – Aber weßhalb kommt Ihr nicht eher? – Euer Vetter Rashleigh aß hier, und lief wie eine Memme davon, als die erste Flasche geleert war. – Aber Ihr habt noch nicht gegessen – wir werden für was Zierliches und Damenhaftes sorgen – süß und schön, wie Ihr selbst. – Es soll im Nu fertig sein.«

»Ich esse wohl im Vorzimmer einen Bissen, ehe ich aufbreche,« antwortete Miß Vernon; »ich habe diesen Morgen schon einen weiten Ritt gehabt; aber ich kann nicht lange bleiben, Richter – ich kam mit meinem Vetter, Frank Osbaldistone, und muß ihm den Weg zurück nach der Halle zeigen, sonst verirrt er sich im Walde.«

»Ei, weht der Wind von da her?« fragte der Richter.

›Sie zeigt' ihm den Weg, und sie zeigt' ihm den Weg,
Sie zeigt' ihm den Weg zum Freien.‹

So gibt's also kein Glück für einen alten Burschen, meine süße Blume der Wildniß?«

»Keines, Squire Inglewood, aber wenn Ihr ein guter, freundlicher Richter sein wollt, und das Geschäft des Mr. Frank bald abmacht, und uns nach Haus traben laßt, dann bringe ich meinen Onkel die nächste Woche zum Essen, und wir können lustige Dinge erwarten.«

»Und die sollt Ihr finden, meine Perle der Tyne. – Wahrlich, Dirne, ich beneide den jungen Burschen ihre Ritte nie, als wenn Ihr zu mir herüber kommt. – Aber ich darf Euch jetzt wohl nicht aufhalten? – Ich bin ganz zufrieden mit Mr. Frank Osbaldistone's Erklärung – hier hat irgend ein Irrthum stattgefunden, der später mit größerer Muße aufgeklärt werden kann.«

»Verzeiht mir, Sir,« sagte ich, »aber ich habe die Anklage noch nicht gehört.«

»Ja, Sir,« rief der Schreiber, welcher bei dem Eintritt der Miß Vernon die Sache verzweifelnd aufgegeben hatte, jetzt aber neuen Muth schöpfte, die Untersuchung weiter zu treiben, als er sich von einer Seite unterstützt sah, von der er wahrlich keinen Rückenhalt erwartet hatte; »ja, Sir, und Dalton sagt, daß der, welcher als Staatsverräther festgenommen wird, auf keines Menschen Fürwort freigesprochen werden, sondern gezwungen sein soll, Bürgschaft zu stellen, oder zur Haft gebracht wird, auch dem Schreiber des Friedensrichters die üblichen Gebühren zu zahlen hat.«

Als der Friedensrichter sich so angetrieben sah, gab er mir endlich einige Worte der Erklärung.

Es scheint, als hätten die Streiche, die ich diesem Morris spielte, auf seine Einbildungskraft einen starken Eindruck gemacht; denn ich fand, daß sie in seiner Anklage gegen mich mit all' der Uebertreibung aufgeführt waren, welche eine ängstliche und erhitzte Einbildungskraft ersinnen konnte. Es zeigte sich daraus ferner, daß er an dem Tage, an welchem wir uns trennten, an einem einsamen Orte angehalten, und von seinem theuren Reisegefährten, dem Mantelsacke, durch zwei Personen befreit worden war, die wohl beritten und bewaffnet waren, und die Gesichter mit Larven verhüllt hatten.

Einer dieser Menschen, fand er, hatte viel von meinem Wuchs und Benehmen, und in einem Geflüster, welches zwischen den beiden Freibeutern stattfand, hörte er ihn von dem Andern Osbaldistone nennen. Die Erklärung sagte ferner, bei der Erkundigung nach den Grundsätzen dieser Familie hätte er, der Kläger, vernommen, daß sie von der schlimmsten Art wären, da alle ihre Glieder von je her Papisten und Jakobiten gewesen, wie ihm ein Geistlicher zu verstehen gegeben, bei dessen Hause er nach dem Unfalle angehalten hätte.

Auf alle diese wichtigen Gründe und auf jeden einzelnen derselben, beschuldigte er mich nun der Theilnahme der an ihm begangenen Staatsverrätherei, da er, der Kläger, in besonderem Auftrage der Regierung gereist sei, und gewisse wichtige Papiere, so wie eine starke Summe baaren Geldes bei sich gehabt hätte, das, seinen Instructionen zu Folge, an gewisse hochgestellte und wichtige Personen in Schottland ausgezahlt werden sollte.

Als ich diese außerordentliche Anklage gehört hatte, erklärte ich, die Umstände, auf welche sie sich stützte, wären der Art, daß sie keinen Friedensrichter oder Beamten zu irgend einem Angriffe auf meine persönliche Freiheit befugten. Ich gestand, daß ich den Morris, während wir zusammen reisten, zuweilen in Angst gesetzt hätte, aber durch solche Kleinigkeiten, daß dadurch nur bei einem so feigen Menschen, wie er, Furcht erweckt werden konnte. Aber ich fügte hinzu, ich hätte ihn nicht wieder gesehen, seitdem wir uns trennten, und wenn das, was er befürchtete, wirklich über ihn gekommen sei, so wäre ich keineswegs Theilnehmer einer Handlung, die meines Charakters, wie meiner Stellung im Leben gleich unwürdig sei. Daß einer der Räuber Osbaldistone genannt, oder dieser Name in ihrem Gespräche ausgesprochen worden sei, wäre ein zu unbedeutender Umstand, um darauf das geringste Gewicht zu legen. Und was die gegen mich vorgebrachte Beschuldigung beträfe, daß ich ein Feind der Regierung sei, so wäre ich bereit, zur Zufriedenheit des Richters, des Schreibers und des Klägers selbst, zu beweisen, daß ich die Gesinnungen jenes Geistlichen theile, als ein getreuer Unterthan nach den Grundsätzen der Revolution erzogen worden sei, und als solcher jetzt den persönlichen Schutz der Gesetze in Anspruch nähme, die durch jenes große Ereigniß gesichert worden wären.

Der Friedensrichter wurde ungeduldig, nahm eine Prise, und schien in großer Verlegenheit zu sein, während der Herr Anwalt Jobson mit aller Zungengeläufigkeit seines Amtes das Statut 34 von Eduard III. überflog, durch welches Friedensrichter berechtigt werden, alle Die, welche sie strafbar oder verdächtig finden, zu verhaften, und in das Gefängniß zu bringen. Der Schuft wendete sogar meine eigenen Gründe gegen mich, indem er anführte: »Da ich nach meinem eigenen Geständnisse das Wesen und Benehmen eines Räubers oder Bösewichtes angenommen, hätte ich mich freiwillig dem Verdachte ausgesetzt, über den ich mich jetzt beklagte, und mich in den Bereich jener Acte gebracht, indem ich absichtlich den Schein und das Aeußere der Schuld auf mich geladen.«

Ich bekämpfte seine Gründe wie sein Geschwätz mit Unwillen und Zorn, und bemerkte, ich würde, wenn es nöthig wäre, die Bürgschaft meiner Verwandten beibringen, welche, wie ich hoffte, nicht verweigert werden könnte, ohne den Beamten in den Verdacht der Ungerechtigkeit zu bringen.

»Verzeiht, mein werther Sir, verzeiht,« sagte der unersättliche Schreiber, »das ist ein Fall, in welchem weder Bürgschaft noch Handgelöbniß angenommen werden können. Der Dieb, der auf Grund schweren Verdachtes verhaftet werden kann, darf nach dem 3. Statute König Eduards nicht auf Bürgschaft freigelassen werden, da durch das Statut alle Die ausgenommen sind, welche bei einem gewaltsamen Raube befohlen, oder selbst mit Gewalt angewendet haben;« und er deutete an, daß Se. Gnaden gut thun würden, sich daran zu erinnern, wie dergleichen durch gewöhnliche Schrift oder ohne alle Schrift, nicht zu lösen wäre.

So stand die Unterhaltung, als ein Diener eintrat, und dem Mr. Jobson einen Brief übergab. Kaum hatte er ihn hastig überflogen, als er mit dem Wesen eines Menschen, der über die Unterbrechung sehr bös aussehen wollte, und die Wichtigkeit eines Mannes von vielfältigem Berufe fühlt, ausrief: »Guter Gott, auf diese Weise habe ich weder Zeit zu den öffentlichen Geschäften noch zu meinen eigenen – keine Ruhe – keine Rast. Ich wünschte, beim Himmel, daß ein anderer Mann unseres Standes die Sache hier abmachte.«

»Gott behüte!« sagte der Friedensrichter sotto voce; »Mancher von uns hat schon an Einem der Gattung genug.«

»Das ist eine Sache über Leben und Tod, wenn es Ew. Gnaden gefällt.«

»In Gottes Namen! Nur keine Rechtsangelegenheit mehr, will ich hoffen,« sagte der erschrockene Richter.

»Nein, nein,« entgegnete der Schreiber mit vieler Wichtigkeit. »Der alte Gaffer Rutledge von Grime's-Hill ist seinem Ende nahe, und hat einen Boten an Mr. Killdowe abgeschickt, und einen zweiten an mich, um seine weltlichen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.«

»Fort denn mit Euch,« sagte Mr. Inglewood hastig; »diese Sache möchte nicht unter die gehören, welche nach dem Statute mit Geld abzumachen sind, und der Friedensrichter Tod dürfte leicht den Doctor nicht als genügenden Bürgen annehmen.«

»Und dennoch,« sagte Jobson zögernd, indem er der Thür zuschritt, »wenn meine Gegenwart hier nothwendig wäre – ich könnte den Verhaftsbefehl in einem Augenblicke aufsetzen, und der Gerichtsbote ist unten. – Und Ihr habt gehört,« sagte er die Stimme dämpfend, »daß nach Mr. Rashleighs Meinung« – das Uebrige ging in einem leisen Geflüster verloren.

Der Richter antwortete laut: »Ich sage dir, nein, Mensch, nein; – wir wollen nichts thun, bis du zurückkehrst, Mann. Es ist nur ein Ritt von vier Meilen. – Kommt, schiebt die Flasche her, Mr. Morris; – seid nicht niedergeschlagen, Mr. Osbaldistone. – Und Ihr, meine Rose der Wildniß – einen Becher Claret, die Blüthe Eurer Wangen zu erfrischen.«

Diana fuhr auf, wie aus einer Träumerei, in welche sie versunken gewesen zu sein schien, während wir jenes Gespräch führten. »Nein, Richter; ich würde mich fürchten, die Blüthe in einen Theil meines Gesichtes zu treiben, wo sie sich wenig zum Vortheil zeigte. Aber ich will Euch mit einem kühleren Getränke Bescheid thun;« damit füllte sie ein Glas mit Wasser, und trank es hastig aus, während ihr heftiges Wesen ihre angenommene Lustigkeit Lügen strafte.

Ich hatte indeß nicht viel Muße, Bemerkungen über ihr Benehmen zu machen, da ich sehr verdrießlich über die neue Verzögerung einer augenblicklichen Untersuchung der unverschämten und beschimpfenden Anklage gegen mich war. Aber es war nicht möglich, den Richter zu bewegen, die Sache in Abwesenheit seines Schreibers vorzunehmen, ein Umstand, der ihm offenbar so viel Vergnügen machte, wie ein Feiertag einem Schulknaben. Er beharrte in seinen Bemühungen, seine Gesellschaft heiter zu stimmen, deren Mitglieder, sowohl in ihrem Verhältniß gegen einander, als in ihrer eigenen Lage betrachtet, keineswegs zur Lustigkeit aufgelegt waren. »Kommt, Mr. Morris; Ihr seid gewiß nicht der erste Mensch, der beraubt wurde, und der Kummer brachte den Verlust noch nie zurück, Mann. – Und Ihr, Mr. Frank Osbaldistone, seid nicht der erste Wildfang, der einem ehrlichen Manne zurief: Steh! Da war in meiner Jugendzeit Jack Winterfield, der beste Gesellschafter im Lande; – bei Pferderennen und Hahnenkämpfen that's ihm Niemand zuvor; – ein Herz und eine Seele war ich mit ihm. – Schiebt die Flasche her, Mr. Morris; man spricht sich die Kehle trocken. – Manche Flasche habe ich mit dem armen Jack geleert, manchen lustigen Streich mit ihm ausgeführt. – Gute Familie – scharfer Verstand – schnelles Auge – ein ehrlicher Bursche, bis auf die That, für die er starb – wir wollen auf sein Andenken trinken, Ihr Herren – der arme Jack Winterfield. – Und da wir von ihm sprechen, und von dergleichen Dingen, und da mein verdammter Schreiber sein Kauderwälsch anderwärts hingetragen hat, und da wir so unter uns sind, – Mr. Osbaldistone, wenn Ihr meinen besten Rath befolgen wollt – ich möchte die Sache beendigt sehen – das Gesetz ist hart – sehr strenge – der arme Jack Winterfield wurde in York gehangen, trotz Familienverbindungen und wichtiger Fürsprache – nur weil er einen fetten Viehmäster um den Preis für einige Mastochsen leichter machte. – Nun ist hier der ehrliche Mr. Morris in Furcht gesetzt worden, und so weiter, – verdammt, Mann, laßt den armen Menschen seinen Mantelsack wiederhaben, und macht mit eins dem Scherze ein Ende.«

Morris' Augen blitzten freudig bei dieser Aufforderung, und er stotterte eine Versicherung heraus, daß er nach keines Menschen Blut dürste; doch ich schnitt die vorgeschlagene Ausgleichung kurz ab, indem ich des Richters Antrag für eine Beleidigung erklärte, indem er mich offenbar des Verbrechens für schuldig hielt, zu dessen ausdrücklicher Widerlegung ich in sein Haus gekommen war. Wir stritten noch über diesen unangenehmen Punkt, als ein Diener, die Thür öffnend, meldete: »Ein fremder Herr, der Ew. Gnaden zu sprechen wünscht!« Und ohne weitere Umstände trat der so Gemeldete in das Zimmer.


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