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Sechstes Kapitel.

Sie kommen, kommen! – tönt die rauhe Halle –
Der Dom erzittert von der Stimmen Schalle;
Die stattlichen Gestalten treten ein, weit
Verschieden so in Rüstung, wie in Kleid; –
Sie gehen All' mit stolzem Schritt – und tragen Alle stolz das Haupt.

Penrose.

 

Wenn Sir Hildebrand Osbaldistone keine große Eile zeigte, seinen Neffen, von dessen Ankunft er längst benachrichtigt sein mußte, zu begrüßen, so hatte er zu seiner Entschuldigung wichtige Gründe. »Hätt' Dich eher gesehen, Junge, mußte aber erst die Hunde in 'n Stall bringen lassen,« sagte er, nachdem er mir die Hände derb geschüttelt, und mich in Osbaldistone-Hall herzlich willkommen geheißen hatte. »Du bist willkommen in der Halle, Junge – da ist dein Vetter Percie, dein Vetter Thornie, und dein Vetter John – Euer Vetter Dick, Euer Vetter Wilfred, und – halt, wo is' Rashleigh – ja, da is' Rashleigh. – Schieb' deinen langen Körper zur Seite, Thornie, und laß uns deinen Bruder 'n bischen sehn; – Euer Vetter Rashleigh. – Also hat dein Vater endlich an die alte Halle und d'n alten Sir Hildebrand gedacht – nun, besser spät, als gar nicht. – Du bist willkommen, Bursche, und das is' genug. – Wo 's meine kleine Die? – Ach, da kömmt sie ja. – Das ist meine Nichte Die, meines Weibes Bruders Tochter, – das reizendste Mädchen in unsern Thälern, mögen die andern sein, wie sie wollen. – So, nun laßt uns zu dem Rinderbraten.«

Um einen Begriff von der Person zu bekommen, welche diese Sprache führte, mußt du dir, mein lieber Tresham, einen Mann von ungefähr sechzig Jahren vorstellen, in einer Jagdkleidung, die einst reich betreßt war, deren Pracht aber mancher November- und December-Sturm getrübt hatte. Ungeachtet seines jetzigen abgestoßenen Wesens hatte Sir Hildebrand zu einer Zeit seines Lebens Höfe und Feldlager gekannt; er diente in der Armee, welche vor der Revolution bei Hounslow-Heath im Lager stand, und war, vielleicht durch seine Religion empfohlen, zu eben der Zeit von dem unglücklichen und schlechtberathenen König Jakob II. zum Ritter geschlagen worden. Aber des Ritters Träume von weiterer Beförderung – wenn er je dergleichen nährte, – verschwanden in der Krisis, welche seinen Beschützer vom Throne stürzte, und seitdem führte er ein einsames Leben auf seinen angestammten Gütern. Seines bäurischen Wesens ungeachtet aber, behielt Sir Hildebrand noch viel von dem Aeußern eines Edelmannes bei, und erschien unter seinen Söhnen, wie die Ueberbleibsel einer corinthischen Säule, verstümmelt und mit Moos bewachsen, sich unter den rohen, unbehauenen Steinen eines Druidentempels ausgenommen haben würden. Die Söhne waren in der That so plumpe, unbehauene Blöcke, wie das Auge sie sich nur wünschen kann. Hoch, kräftig, schön, schien den fünf ältesten gleich sehr der promethische Funke des Geistes und die äußere Politur des Wesens und Benehmens zu fehlen, welche in der feinern Welt die geistigen Mängel zuweilen ersetzt. Ihre beste moralische Eigenschaft schien die Gutmüthigkeit und Zufriedenheit zu sein, die sich in ihren groben Zügen aussprachen, und ihr einziger Anspruch auf Kenntnisse war ihre Erfahrenheit in Jagdangelegenheiten, für die sie allein lebten. Der starke Gyas und der starke Cloanthus werden durch den Dichter nicht schärfer bezeichnet, als der starke Percival, der starke Thorncliff, der starke John, Richard und Wilfred Osbaldistone es durch ihr Aeußeres waren.

Aber wie um sich für eine, bei ihren Produktionen so ungewöhnliche Einförmigkeit schadlos zu halten, hatte Dame Natur Rashleigh Osbaldistone zum auffallenden Kontrast in Person und Wesen gemacht, und, wie ich später erfuhr, auch an Gemüth und Talenten, gegen seine Brüder nicht nur, sondern auch gegen die meisten Menschen, mit denen ich bisher noch zusammentraf. Als Percie, Thornie und Comp. genickt, gegrinst und mir mehr die Schulter wie die Hand geboten hatten, indem ihr Vater sie dem neuen Verwandten nannte, trat Rashleigh vor, und hieß mich mit Ton und Wesen eines Weltmannes in Osbaldistone-Hall willkommen. Seine Erscheinung war an und für sich selbst nicht einnehmend. Er war von kleinem Wuchse, während alle seine Brüder Abkömmlinge Anaks zu sein schienen; jene sämmtlich waren wohlgebaut, Rashleigh aber, obgleich von kräftigem Bau, war dickhalsig und schief, und hatte, in Folge eines Unglückes in früher Jugend, eine Unregelmäßigkeit des Ganges, welche man füglich ein ordentliches Hinken nennen konnte, so daß Viele behaupteten, dieß sei der Grund, weshalb er sich nicht ordiniren ließ; denn die römische Kirche nimmt, wie wohlbekannt ist, Niemand zu dem geistlichen Stande an, der an irgend einem körperlichen Gebrechen leidet. Andere aber schrieben diesen Schritt nur einer üblen Gewohnheit zu, und versicherten, die Sache sei nicht so arg, persönliche Unfähigkeit zu dem heiligen Orden zu begründen.

Rashleighs Züge waren der Art, daß man sie, einmal gesehen, vergebens aus dem Gedächtnisse zu verbannen bemüht war; sie kehrten stets in dasselbe als ein Gegenstand unangenehmer Merkwürdigkeit zurück, obgleich man bei demselben mit Mißfallen, und selbst mit Ekel, verweilt. Nicht gerade die Oberfläche des Gesichtes, von dem Ausdrucke getrennt, war es, welche diesen starken Eindruck machte. Seine Züge waren in der That unregelmäßig, aber keineswegs gemein, und sein feuriges dunkles Auge, seine starken Augenbrauen, schützten ihn gegen den Vorwurf gewöhnlicher Häßlichkeit. Aber es lag in diesen Augen ein Ausdruck der Arglist und Absicht, und, gereizt, der Grausamkeit, gezügelt durch Vorsicht, welchen die Natur selbst dem oberflächlichsten Physiognomiker offenbarte, vielleicht in derselben Absicht, in welcher sie der giftigen Schlange die rasselnden Ringe verlieh. Wie, um ihm für diese äußern Mängel Ersatz zu gewähren, war Rashleigh Osbaldistone mit der wohllautendsten, weichsten, modulationsfähigsten Stimme begabt, die ich je hörte. Seine erste Begrüßung des Willkommens war kaum beendet, als ich auch schon im Innern mit Miß Vernon übereinstimmte, daß mein Vetter leicht ein Mädchenherz erobern würde, das nur allein mit dem Ohre über sein Verdienst zu urtheilen vermöchte. Er wollte sich bei Tische an meine Seite setzen, allein Miß Vernon, die als das einzige Frauenzimmer in der Familie alle solche Angelegenheiten nach ihrem Willen anordnete, bestimmte, daß ich zwischen Thorncliff und ihr selbst sitzen sollte; und es kann wohl kaum bezweifelt werden, daß ich diese vortheilhaftere Anordnung begünstigte.

»Ich muß mit Euch sprechen,« sagte sie, »und ich habe den ehrlichen Thorncliff absichtlich zwischen Euch und Rashleigh gesetzt. Er wird gleichen:

Dem Federbett zwischen Schlosses-Wall
Und der Kanone Eisen-Ball;

während ich, Eure erste Bekanntschaft in dieser geistreichen Familie, Euch frage, wie wir Alle Euch gefallen?«

»Eine vielsagende Frage, Miß Vernon, wenn man bedenkt, wie kurze Zeit ich erst in Osbaldistone-Hall bin.«

»Oh, die Philosophie unserer Familie liegt auf der Oberfläche. Die Individuen werden durch kleine Schattirungen unterschieden, welche das Auge eines scharfen Beobachters erfordern; aber die Species, – wie die Naturforscher, glaube ich, es nennen, – die können mit einem Male unterschieden und bestimmt werden.«

»Meine fünf ältesten Vettern sind dann, wie ich vermuthe, so ziemlich von demselben Charakter.«

»Ja; sie bilden ein glückliches Gemisch von Tölpeln, Hegereitern, Prahlern, Bereitern und Dummköpfen; aber wie man sagt, sind nicht zwei Blätter eines Baumes vollkommen gleich; und so bilden auch diese herrlichen Ingredienzien, in jedem Individuum nach etwas verschiedenem Verhältnisse gemischt, eine angenehme Mannigfaltigkeit für die, welche gern Charaktere studiren.«

»Entwerft mir eine Schilderung, wenn es Euch gefällig ist, Miß Vernon.«

»Ihr sollt die Familienportraits in voller Lebensgröße bekommen. – Diese Gunst läßt sich zu leicht gewähren, um sie abzuschlagen. – Percie, der Sohn und Erbe, hat mehr von dem Tölpel, als von dem Hegereiter, Prahler, Bereiter und Dummkopf. – Mein kostbarer Thornie ist mehr Prahler; – bei John, der oft wochenlang zwischen den Hügeln schläft, herrscht der Hegereiter vor. – Der Bereiter ist mächtig in Dickon, der Tag und Nacht zweihundert Meilen reitet, um bei einem Wettrennen gekauft und verkauft zu werden. – Und der Dummkopf tritt über Wilfreds andre Eigenschaften so sehr hervor, daß er ein positiver Dummkopf genannt werden kann.«

»Eine schöne Sammlung, Miß Vernon, und die einzelnen Exemplare gehören zu einer sehr interessanten Species. Aber ist auf der Leinwand kein Platz für Sir Hildebrand?«

»Ich liebe meinen Oheim,« war die Antwort, »ich verdanke ihm einige Güte, – wenigstens was als solche gemeint war, und ich will es Euch überlassen, sein Bild zu entwerfen, wenn Ihr ihn besser kennt.«

»Es freut mich,« dachte ich bei mir selbst, »daß doch wenigstens einige Nachsicht stattfindet. Wer sollte übrigens bei einem so jungen und so ausgezeichnet schönen Mädchen so viel bittere Satyre erwartet haben?«

»Ihr denkt an mich;« sagte sie, und richtete ihre dunkeln Augen auf mich, als wollte sie meine innerste Seele durchbohren.

»Allerdings,« erwiederte ich mit einiger Verlegenheit über die zuversichtliche Plötzlichkeit der Frage, und suchte dann, meinem offenen Geständnisse eine schmeichelhafte Wendung zu geben. »Wie ist es möglich, an etwas Anderes zu denken, da ich sitze, wie ich so glücklich bin, zu sitzen.«

Sie lächelte mit einem Ausdrucke unterdrückten Hochmuthes, wie nur sie allein ihn in ihr Gesicht zu legen vermochte. »Ich muß Euch ein für alle Mal benachrichtigen, Mr. Osbaldistone, daß Schmeicheleien bei mir gänzlich verloren sind; werft deshalb Eure vortrefflichen Redensarten nicht fort; – sie dienen feinen Herren, welche das Land durchreisen, statt der Tändeleien, Perlen und Armbänder, welche Seefahrer mit sich nehmen, um die wilden Einwohner neu entdeckter Länder zu bestechen. Erschöpft Eure Vorräthe nicht; Ihr werdet in Northumberland Eingeborene finden, denen Eure feinen Dinge Euch empfehlen können; – bei mir wären sie gänzlich fortgeworfen, denn ich kenne zufällig ihren wahren Werth.«

Ich war zum Schweigen gebracht und verwirrt.

»Ihr erinnert mich in diesem Augenblicke,« fuhr das junge Mädchen mit dem gewöhnlichen liebenswürdigen und gleichgültigen Wesen fort, »an das Feenmärchen, in welchem ein Mann all das Geld, das er zum Markt gebracht hat, plötzlich in Schieferstücke verwandelt findet. Ich habe durch eine unglückliche Bemerkung Euren ganzen Vorrath von schmeichelhaften Redensarten vernichtet. Aber kommt, denkt nicht mehr daran. – Ihr seid betrogen, Mr. Osbaldistone, wenn Ihr keine bessere Unterhaltung kennt, als diese fadeurs, die jeder Herr mit einem Toupet gegen ein unglückliches Mädchen auszukramen sich für berechtigt hält, nur weil sie in Seide und Flor gekleidet ist, während er superfeines Tuch mit Stickerei trägt. Eure natürliche Gangart, wie jeder meiner fünf Vettern sagen würde, ist Euren Schmeichelsprüngen bei weitem vorzuziehen. Trachtet, mein unglückliches Geschlecht zu vergessen; nennt mich Tom Vernon, wenn Ihr wollt, aber sprecht zu mir, wie zu einem Freunde und Gefährten; Ihr habt keinen Begriff davon, wie sehr Ihr mir dann gefallen werdet.«

»Das wäre in der That eine Bestechung;« erwiderte ich.

»Schon wieder!« sagte Miß Vernon, und erhob drohend den Finger. »Ich kann nicht den Schatten einer Schmeichelei vertragen. Und hernach, wenn Ihr meinem Onkel Bescheid gethan habt, der Euch mit einem vollen Humpen bedroht, will ich Euch sagen, was Ihr von mir denkt.«

Nachdem ich als ein pflichtgetreuer Neffe den dargereichten Humpen geleert hatte, und nach einigem allgemeinen Gespräch, dienten das Geklapper der Messer und Gabeln, und der Eifer, mit welchem Vetter Thorncliff mir zur Rechten, und Vetter Dickon Miß Vernon zur Linken, sich über die gewaltigen Speisemassen hermachten, mit denen ihre Teller beladen waren, als Scheidewände, uns von der übrigen Gesellschaft zu trennen, und uns unserem tête-à-tête zu überlassen. »Und nun,« sagte ich, »erlaubt mir, Euch offen zu fragen, Miß Vernon, was Ihr vermuthet, daß ich von Euch denke? – Ich könnte Euch sagen, was ich wirklich denke, aber Ihr habt das Lob verboten.«

»Ich bedarf Eures Beistandes nicht. Ich bin genug Beschwörer, Euch auch ohne denselben Eure Gedanken zu sagen. Ihr braucht das Fenster Eures Busens nicht zu öffnen; ich sehe hindurch. Ihr haltet mich für ein sonderbar ausgelassenes Mädchen, halb Kokette, halb wilde Range; begierig, Aufmerksamkeit durch das Freie ihres Wesens und das Laute ihrer Unterhaltung zu erwecken, weil sie mit dem unbekannt ist, was der »Zuschauer« die mildere Anmuth ihres Geschlechtes nennt; und vielleicht glaubt Ihr, ich habe einen besondern Plan, Eure Bewunderung zu erstürmen. Es sollte mir leid thun, Eure gute Meinung von Euch selbst zu verletzen, aber Ihr würdet nie stärker geirrt haben. Das ganze Vertrauen, welches ich Euch zeigte, würde ich eben so bereitwillig Eurem Vater gewährt haben, glaubte ich von ihm verstanden zu werden. Ich bin in dieser glücklichen Familie so weit von verständigen Zuhörern entfernt, wie Sancho in der Sierra Morena, und wenn sich die Gelegenheit zeigt, muß ich sprechen oder sterben. Ich versichere Euch, daß ich von all' den merkwürdigen Mittheilungen nicht ein Wort gesagt haben würde, hätte ich mich nur ein bischen darum gekümmert, wer etwas davon hört und wer nicht.«

»Es ist sehr grausam von Euch, Miß Vernon, Euren Mittheilungen jeden besondern Beweis der Gunst zu rauben, aber ich muß sie unter Euren eigenen Bedingungen hinnehmen. – Ihr habt in Eure häusliche Schilderungen Mr. Rashleigh Osbaldistone nicht eingeschlossen.«

Es kam mir vor, als führe sie bei dieser Aeußerung zurück, und hastig antwortete sie mit viel leiserem Tone: »Kein Wort von Rashleigh! Seine Ohren sind so scharf, wo seine Selbstsucht betheiligt ist, daß die Worte ihn selbst durch die Masse von Thorncliffs Körper erreichen würden, so sehr derselbe auch mit Rindfleisch, Wildpretpastete und Pudding vollgestopft ist.«

»Ja,« entgegnete ich, »aber ich blickte, ehe ich die Frage that, um die lebendige Scheidewand, die uns trennte, und da bemerkte ich, daß Mr. Rashleigh's Stuhl leer ist – er hat die Tafel verlassen.«

»Ich möchte Euch rathen, davon nicht zu fest überzeugt zu sein,« entgegnete Miß Vernon. »Befolgt meinen Rath, und wenn Ihr von Rashleigh sprecht, so geht auf den Gipfel von Otterscope-Hill, wo Ihr zwanzig Meilen weit nach jeder Richtung sehen könnt, tretet auf die höchste Spitze; flüstert nur leise, und seid dann noch nicht zu sicher, daß nicht der Vogel der Luft die Sache weiter getragen hat. Rashleigh ist vier Jahre lang mein Lehrer gewesen; wir sind einander gegenseitig überdrüssig und werden uns über unsre bevorstehende Trennung herzlich freuen.«

»Mr. Rashleigh verläßt also Osbaldistone-Hall?«

»Ja, in wenig Tagen; – wußtet Ihr das nicht? Euer Vater muß seine Beschlüsse viel geheimer halten, als Sir Hildebrand. Als mein Oheim benachrichtigt wurde, daß Ihr für einige Zeit sein Gast sein solltet, und daß Euer Vater wünschte, durch einen seiner hoffnungsvollen Söhne die einträgliche Stelle in seiner Handlung auszufüllen, die Eure Hartnäckigkeit leer ließ, hielt der gute Ritter cour plénière der ganzen Familie, den Haushofmeister, Verwalter und Wildhüter mit eingeschlossen. Diese ehrwürdige Versammlung der Pairs und Hausbeamten von Osbaldistone-Hall wurde, wie Ihr denken könnt, nicht berufen, um Euren Substituten zu erwählen, denn Rashleigh allein besaß mehr Kenntnisse in der Rechenkunst, als nöthig war, den Verlust bei einem Hahnenkampfe auszurechnen. Niemand, als er, konnte für die Lage geeignet gefunden werden. Aber es war eine feierliche Sanktion erforderlich, um Rashleighs Bestimmung, als ein katholischer Priester zu verhungern, in die eines reichen Kaufmanns zu verwandeln; und nicht ohne einiges Widerstreben wurde die Zustimmung der Versammlung zu einer solchen Handlung der Herabwürdigung erlangt.«

»Ich kann die Skrupel begreifen – aber wie wurden sie beseitigt?«

»Durch den allgemeinen Wunsch, glaube ich, Rashleigh aus dem Hause zu bringen,« antwortete Miß Vernon. »Obgleich er der Jüngste in der ganzen Familie ist, hat er auf eine oder die andere Weise die Herrschaft über alle Anderen an sich gerissen; Jeder fühlt den Druck, kann ihn aber nicht abschütteln. Leistet irgend Jemand ihm Widerstand, so kann er gewiß sein, dieß zu bereuen, ehe das Jahr zu Ende ist; und erweist Ihr ihm einen wichtigen Dienst, so mögt Ihr es noch weit mehr bereuen.«

»Wenn das ist,« antwortete ich lächelnd, »so muß ich mich vorsehen, denn ich bin, wenn auch absichtslos, die Ursache seiner veränderten Lage.«

»Ja, und mag er dieß nun als Vortheil oder Nachtheil betrachten, so wird er Euch doch deshalb zürnen. Doch, da kommen Käse, Radischen und ein Humpen für Kirche und König, der Wink für Geistliche und Damen, zu verschwinden, und ich, die einzige Repräsentantin des weiblichen Geschlechtes in Osbaldistone-Hall, ziehe mich in schuldiger Pflicht zurück.« Sie verschwand, indem sie so sprach, und ließ mich staunend über das Gemisch des Charakters von Verschlagenheit, Verwegenheit und Freimüthigkeit zurück, den ihre Unterhaltung mir gezeigt hatte. Ich verzweifle daran, dir nur den geringsten Begriff von ihrem Wesen beizubringen, obgleich ich, so viel ich mich erinnern kann, ihre Sprache nachahmte. Es war in der That eine Mischung ungekünstelter Einfachheit, angeborener List und übermüthiger Kühnheit in ihrem Wesen; doch Alles wurde durch das Spiel der reizendsten Züge, die ich je sah, gemildert. Wie auffallend und ungewöhnlich mir auch ihre freien Mittheilungen vorkommen mochten, ist doch nicht daran zu denken, daß ein junger Mann von 22 Jahren ein reizendes Mädchen von 18 Jahren streng deshalb tadeln sollte, weil es sich nicht in der gehörigen Entfernung von ihm hielt. Im Gegentheil fühlte ich mich durch Miß Vernons Vertrauen gleich sehr unterhalten und geschmeichelt, und das ungeachtet ihrer Erklärung, daß sie es mir nur bewiese, weil ich der erste Zuhörer sei, der sich ihr böte und genug Verstand besäße, sie zu verstehen. Mit der Anmaßung meines Alters, die wahrlich durch meinen Aufenthalt in Frankreich nicht vermindert war, bildete ich mir ein, daß wohlgeformte Züge und eine hübsche Gestalt – Beides zu besitzen schmeichelte ich mir – keine unpassenden Eigenschaften für den Vertrauten einer jungen Schönheit wären. Da meine Eitelkeit so auf der Seite der Miß Vernon stand, war ich weit entfernt, sie mit Strenge zu beurtheilen, nur wegen einer Freimüthigkeit, die, wie ich glaubte, durch mein eigenes persönliches Verdienst einigermaßen gerechtfertigt wurde; und die Gefühle der Parteilichkeit, welche ihre Schönheit und ihre verlassene Lage mir einflößten, wurden durch meine Meinung von ihrem Scharfsinn und ihrem richtigen Urtheil bei der Wahl eines Freundes, noch erhöht.

Nachdem Miß Vernon das Zimmer verlassen hatte, kreiste, oder flog vielmehr die Flasche unablässig um den Tisch. Meine fremde Erziehung hatte mir einen Widerwillen gegen Unmäßigkeit eingeflößt, die damals unter meinen Landsleuten zu gewöhnlich war, und es noch jetzt ist. Die Unterhaltung, die sich zu solchen Orgien paßte, war eben so wenig nach meinem Geschmacke, und wenn sie mir durch irgend etwas noch widerlicher gemacht werden konnte, so war es die Verwandtschaft mit der Gesellschaft. Ich ergriff deshalb eine glückliche Gelegenheit, und entfloh lieber durch eine Seitenthür, die, ich wußte nicht wohin, führte, als daß ich noch länger den Anblick von Vater und Söhnen ertragen hätte, welche dieselbe Unmäßigkeit übten, und dasselbe rohe und ekelhafte Gespräch führten. Ich wurde, wie ich erwartet hatte, verfolgt, um als ein Abtrünniger von dem Altare des Bacchus zurückgeführt zu werden. Als ich das Geschrei und Hallo, und das Getrampel der schweren Stiefel meiner Verfolger hinter mir auf der engen Wendeltreppe hörte, die ich hinabeilte, sah ich deutlich ein, daß ich eingeholt werden würde, wenn es mir nicht glückte, in das Freie zu kommen. Ich stieß deshalb ein Fenster auf, das die Aussicht auf einen altväterischen Garten hatte, und da die Höhe nicht mehr als sechs Fuß betrug, sprang ich ohne Zögern hinaus, und hörte bald weit hinter mir das Ho und Hallo meiner angeführten Verfolger. Ich rannte eine Allee entlang, eilte schnell durch eine andere, und als ich mich dann außer der Gefahr weiterer Verfolgung sah, verkürzte ich meinen Schritt, der frischen Luft genießend, welche die Hitze des Weines, den ich zu trinken gezwungen worden war, so wie die meines schnellen Rückzuges, doppelt angenehm machte.

Als ich weiter schlenderte, fand ich den Gärtner bei seiner Abendbeschäftigung, und indem ich stehen blieb, um ihm zuzusehen, sagte ich: »Guten Abend, mein Freund!«

»Gu'n Ab'nd, – gu'n Ab'nd auch;« antwortete der Mann, ohne aufzusehen, und mit einem Accente, der seine nordische Abkunft verrieth.

»Schönes Wetter zu Eurer Arbeit, mein Freund.«

»'S ist nicht all'z schlecht!« antwortete der Mann, mit jenem beschränkten Grade des Lobes, welches Gärtner und Pächter selbst dem schönsten Wetter zu zollen pflegen. Dann den Kopf erhebend, wie um zu sehen, wer mit ihm spräche, berührte er seine schottische Mütze mit dem Ausdrucke der Ehrfurcht, indem er sagte:

»Ei, Gott helf' es; – 's ist 'n seltner Anblick, einen goldbelitzten Jeistiecor so spät noch in 'n Herrengarten z'sehn.«

»Einen goldbelitzten was, mein guter Freund?«

»Na, 'nen Jeistiecor Vielleicht nach dem französischen Justaucorps.], – das 's 'ne Jacke, wie Eure da! Sie hab'n jetzt andre Dinge z'thun – sich aufz'knöpfen, um Platz für's Rindfleisch, und 'n Pudding, und 'n Claret z' gewinnen, ohne Zweifel. – Das ist's gewöhnliche Abendgebet auf dies'r Seit' von d'r Gränz'.«

»In Eurem Lande gibt es nicht so viel guter Speise, mein guter Freund,« entgegnete ich, »daß Ihr versucht würdet, so spät dabei sitzen zu bleiben.«

»Ei, Sir, Ihr kennt wenig von Schottland; – 's ist nicht aus Mangel an gut'r Speise. – D' besten Fische, Fleisch und Geflüg'l hab'n wir; und d'zu alle Art'n Gartenfrüchte. Aber wir b'sitzen Verstand und Mäß'gung, und sind b'scheiden mit uns'rm Munde; aber hier, – von d'r Küche bis z'r Halle, is 's nichts als essen und trinken, von einem Ende der Vier'nzwanzig zum andern. Selbst ihre Fastentage – S' nennens Fasten, wenn's d' besten Seefische von Hartlepool und Sunderland auf Landwagen krieg'n, und noch dazu Forell'n und Salme, und so machen's selbst ihre Fasten z'r Ueppigkeit und Abscheulichkeit. – Und dann d' entsetzlichen Messen und Metten der arm'n getäuschten Seel'n – aber ich sollt' nich' d'rvon sprech'n, denn 'r Gnaden werd'n 'n Römischer sein, wie d' Uebrigen.«

»Ich nicht, mein Freund; ich bin ein englischer Presbyterianer oder Dissenter.«

»Die rechte Hand der Kameradschaft denn für 'r Gnaden,« sagte der Gärtner mit so viel Freundlichkeit, als seine harten Züge auszudrücken vermochten; und als wollte er zeigen, daß sein guter Wille nicht bei bloßen Worten stehen blieb, zog er eine schwere hörnerne Schnupftabaksdose hervor, und bot mir mit dem brüderlichsten Grinsen eine Priese an.

Nachdem ich seine Artigkeit angenommen hatte, fragte ich ihn, ob er schon lange in Osbaldistone-Hall diente?

»Ich habe mit den wilden Bestien in Ephesus gekämpft,« sagte er, indem er nach dem Gebäude sah, »den besten Theil von vier und zwanzig Jahren, so wahr mein Name Andrew Fairservice ist.«

»Aber mein vortrefflicher Freund Andrew Fairservice, wenn Eure Religion und Eure Mäßigkeit durch katholische Gebräuche und südliche Gastfreundschaft so sehr beleidigt werden, so scheint es mir doch, als hättet Ihr Euch diese lange Zeit eine unnöthige Buße auferlegt, und als hättet Ihr einen Dienst finden können, wo weniger gegessen wird und in dem man orthodoxer ist. Ich darf wohl behaupten, daß nicht Mangel an Geschicklichkeit Euch hinderte, mehr zu Eurer Zufriedenheit unterzukommen.«

»'s ziemt mir nicht, üb'r meine Eig'nschaft'n z'sprechen,« sagte Andrew, indem er mit großer Wohlgefälligkeit umherblickte; »aber 's ist kein Zweif'l, daß 'ch 'n Gartenbau verstehe, denn 'ch bin in Drengdaily aufgewachsen, wo s' Langkohl unter Glas zieh'n, und d' jungen Nesseln für Kohl essen. – Und d' Wahrheit z' sagen, hab' ich jedes Quartal diese vier'nzwanzig Jahr abgeh'n woll'n; aber wenn die Zeit kömmt, gibt's immer was zu säen, was 'ch gern sä'n möchte; – oder was z' mähn, was 'ch gern mäh'n möchte; – oder was z' ernten, was 'ch gern ernten möchte; oder was reif z' werden, was 'ch gern reif seh'n möchte – und so bin ich von einem Jahr zum andern bei d'r Familie geblieb'n. Ich wollt' für g'wiß behaupten, daß 'ch den nächsten Termin abginge, nur daß ich's vor zwanzig Jahren schon eben so gewiß g'wollt habe. Und dann, 'r Gnaden die ganze Wahrheit z' sagen, so hat sich Andrew immer keine bess're Stelle bieten woll'n. Aber wenn 'r Gnaden mir zu 'nem Posten verhelfen könnten, wo 'ch die reine Lehre hörte, und freies Gras für 'ne Kuh hätte, und 'ne Hütte, und 'nen Hof, und mehr als zehn Pfund jährlich, und wo kein Frauenzimmer wäre, die Aepfel nachzuzählen, so würd' ich mich Euch sehr verschuldet fühlen.«

»Bravo, Andrew! wie ich sehe, wird es Euch an Beförderung nicht deshalb mangeln, weil Ihr es unterlaßt, Euch Gönner zu suchen.«

»Ich seh nicht, w'rum ich das sollte,« entgegnete Andrew; »ich denke doch, man muß nicht 'n ganzes Menschenalter warten, bis unser Werth anerkannt wird.«

»Aber, wie ich bemerke, seid Ihr kein Freund der Frauenzimmer?«

»Ne, meiner Treu; ich habe des ersten Gärtners Klage gegen sie. – Sie sind 'n schlimmer Handel. – Immer schreien s' nach Aprikosen, Birnen, Pflaumen und Aepfeln, Sommer und Winter, ohne Unterschied der Jahr'szeit; aber wir haben, Gott sei Dank, kein Stückchen von d'r g'stohlnen Rippe hier, ausgenommen die alte Marthe, und die is' z'frieden mit 'n Stachelbeerbüschen für ihre Schwesterkinder, wenn sie an 'nem Feiertag den Thee in der Stube von der Ausgeberin trinken, und mit 'n paar Kochäpfeln dann und wann zu ihrem eignen Abendessen.«

»Ihr vergeßt Eure junge Herrin.«

»Was für 'ne Herrin vergeß 'ch? – Wer ist das?«

»Eure junge Herrin, Miß Vernon.«

»Was! die Dirne Vernon? – Die ist keine Herrin von mir, Mann. Ich wünscht', sie wär' ihre eigne Herrin; und ich wünscht', sie mag nicht so bald eines andern Menschen Herrin werden. – Das is 'n wildes Stück.«

»Wirklich!« sagte ich, mit mehr Theilnahme, als ich mir selbst gestehen oder dem Menschen zeigen wollte. – »Ei, Andrew, Ihr kennt wohl alle Geheimnisse der Familie?«

»Wenn 'ch sie kenne, weiß ich sie auch zu bewahren,« sagte Andrew. »Ich steh' Euch dafür, daß sie nicht in meinem Leibe wirthschaften, wie d' Hefen in 'nem Fasse. Miß Die ist – aber 's gehört nicht zu meinen Rindern und Kühen.«

Und er fing mit einem scheinbar sehr großen Eifer zu graben an.

»Was ist Miß Vernon, Andrew? ich bin ein Freund der Familie, und möchte das gern wissen.«

»Was Andres, als 'ne Gute, fürchte ich,« sagte Andrew, indem er das eine Auge fest zukniff, und mit einem ernsten, etwas geheimnißvollen Blicke den Kopf schüttelte: – »so'n bischen schielend – 'r Gnaden verstehn mich?«

»Das kann ich nicht sagen,« erwiderte ich, »aber es wäre mir lieb, Andrew, wenn Ihr Euch deutlicher ausdrücktet.« Und dabei ließ ich ein Kronenstück in Andrew's hornharte Hand gleiten. Die Berührung des Silbers machte, daß er grinsend lächelte, während er leise nickte und das Geldstück in seine Hosentasche schob. Und wie ein Mensch, der wohl erkannte, daß er den Werth zurückerstatten mußte, richtete er sich auf, stützte den Arm auf den Spaten, und legte seine Züge in ernste Falten, wie zu wichtiger Mittheilung.

»Ihr müßt also wissen, junger Mann, da 's Euch wichtig ist, daß Miß Vernon eine –«

Hier brach er ab, und blies beide Backen auf, bis er, bei seinem Laternengesichte zu seinem langen Kinne, das Ansehen eines Nußknackers hatte; blinzelte noch einmal, zog die Stirn kraus, schüttelte mit dem Kopfe, und schien zu glauben, daß seine Physiognomie die Nachricht vollendet hätte, welche seine Zunge nicht aussprach.

»Guter Gott,« sagte ich, »so schön, so jung – und schon verloren!«

»Gewiß, das mögt Ihr sagen; sie ist in einer Art verloren, mit Leib und Seele; obgleich ich ihr, da sie 'ne Papistin ist, verzeihn kann, daß –«. Seine nordische Vorsichtigkeit gewann wieder die Ueberhand, und er schwieg abermals.

»Und was?« fragte ich strenge. »Ich bestehe darauf, die Meinung von alle dem zu wissen.«

»Daß sie die eifrigste Jakobitin in der ganzen Grafschaft ist.«

»Eine Jakobitin? – Ist das Alles?«

Andrew sah mich mit einigem Staunen an, als er hörte, daß ich seine Mittheilung so leicht hinnahm; dann brummte er: »Und 's ist doch das Schlimmste, was 'ch von der Dirne weiß!« Und er griff wieder zu seinem Spaten.


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