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Neuntes Kapitel.

Ein Dieb kehrt jetzt zurück. Fest steh' ich hier.
Er wagt es nicht, so nah' an eines Hauses Thür;
Ich rufe nicht, bis er mir droht.

Die Wittwe.

 

»Ein Fremder!« wiederholte der Friedensrichter; »nicht in Geschäften, hoffe ich, denn ich bin –«

Seine Protestation wurde durch die Antwort des Mannes selbst kurz abgeschnitten. »Mein Geschäft ist etwas dringender und eigner Art,« sagte mein Bekannter, der Mr. Campbell, – denn es war eben der Schotte, den ich in Northallerton gesehen hatte, – »und ich muß Ew. Gnaden ersuchen, es augenblicklich und alles Ernstes in Erwägung zu ziehen. – Ich glaube, Mr. Morris,« fügte er hinzu, indem er diesen mit einem besonders festen und beinahe wilden Ausdrucke ansah, – »ich glaube, Ihr wißt, wer ich bin – ich glaube, Ihr könnt noch nicht vergessen haben, was sich bei unserem letzten Zusammentreffen auf der Landstraße zutrug?« Morris ließ das Kinn hängen; sein Gesicht wurde erdfahl – seine Zähne klapperten, und er gab die sichtlichsten Zeichen der höchsten Angst. »Faßt Euch 'n Herz, Mann,« sagte Campbell, »und sitzt nicht so da, und klappert mit den Zähnen, wie mit einem Paar Castagnetten! – Ich denke, es kann keine Schwierigkeit machen, daß Ihr dem Herrn Richter sagt, Ihr habt mich schon früher gesehen, und kennt mich als einen Mann von Vermögen und Ehre. – Ihr wißt wohl, daß Ihr einige Zeit in meiner Nachbarschaft wohnen werdet, wo ich Gelegenheit zur Wiedervergeltung haben werde, wie ich die Neigung dazu habe.«

»Sir – Sir – ich halte Euch für einen Ehrenmann, und, wie Ihr sagt, auch für einen Mann von Vermögen. – Ja, Mr. Inglewood,« sagte er, die Stimme erhebend, »dafür halte ich diesen Herrn.«

»Und was hat dieser Herr mir zu sagen?« antwortete der Friedensrichter etwas mürrisch. »Ein Mann führt einen andern ein, wie die Verse in ›das Haus, das Jack baute‹ und ich bekomme Gesellschaft ohne Ruhe oder Unterhaltung.«

»Beides soll Euch werden, Sir, und in kurzer Zeit,« erwiderte Campbell. »Ich bin gekommen, Euch von einem schweren Stück Arbeit zu befreien, nicht, sie zu vergrößern.«

»Hilf, Himmel, dann seid Ihr willkommen, wie je ein Schotte in England, und das heißt nicht viel; aber geht weiter, Mann, laßt uns hören, was Ihr uns zu sagen habt.«

»Ich vermuthe,« fuhr der Nordbritannier fort, »daß dieser Herr Euch sagte, es sei Jemand Namens Campbell bei ihm gewesen, als er das Mißgeschick hatte, seinen Mantelsack zu verlieren?«

»Er hat von Anfang bis zu Ende der Geschichte einen solchen Namen nicht erwähnt;« sagte der Richter.

»Ha, ich begreife, – ich begreife,« entgegnete Mr. Campbell. »Mr. Morris hegte die freundliche Besorgniß, einen Fremden mit den gesetzlichen Formen des Landes in Collision zu bringen; aber da ich höre, daß mein Zeugniß zu der Freisprechung eines Ehrenmannes, des Mr. Frank Osbaldistone hier, der ungerecht in Verdacht gezogen wurde, nöthig ist, will ich die Vorsicht bei Seite setzen. – Ihr werdet deshalb, Mr. Morris, die Güte haben,« (dabei sah er ihn wieder mit demselben entschieden-festen Blicke an) »dem Herrn Friedensrichter Inglewood zu sagen, ob wir nicht auf der Landstraße mehrere Meilen miteinander reisten, in Folge Eurer eigenen ängstlichen Bitten und Vorstellungen, die Ihr fortwährend wiederholtet, sowohl an dem Abend, den wir zusammen in Northallerton zubrachten, wo ich es ablehnte, als später, wie ich Euch in der Nähe von Cloberry Allers wiedertraf, wo ich es zusagte, und mich durch Euch bewegen ließ, meine beabsichtigte Reise nach Rothbury aufzugeben, und Euch zu meinem Unglück auf Eurem Wege begleitete.«

»Das ist eine traurige Wahrheit,« antwortete Morris, der den Kopf niedergebeugt hielt, als er der langen und leitenden Frage Campbells diese Bestätigung gab, was er nur mit widerstrebendem Gehorsam zu thun schien.

»Und ich setze voraus, Ihr könnt Sr. Gnaden allenfalls die Versicherung geben, daß Niemand besser geeignet ist, als ich, Zeugniß in dieser Sache abzulegen, da ich während des ganzen Ereignisses bei Euch und ganz in Eurer Nähe war?«

»Niemand ist in der That dazu besser geeignet;« sagte Morris mit einem tiefen und schmerzlichen Seufzer.

»Und was Teufel, weshalb leistetet Ihr ihm dann keinen Beistand,« sagte der Friedensrichter, »da, nach Mr. Morris' Aussage, doch nur zwei Räuber waren; Ihr standet also Zwei gegen Zwei, und waret Beide kräftige Männer?«

»Sir, wenn Euer Gnaden erlauben,« entgegnete Campbell, »so bin ich all' mein Lebenlang ein Mann des Friedens und der Ruhe gewesen, Händeln und Zwistigkeiten keineswegs ergeben. Mr. Morris, der, wie ich höre, zur Armee Sr. Majestät gehört oder gehört hat, konnte nach Belieben Widerstand leisten, da er zumal, wie ich höre, bedeutende anvertraute Summen bei sich hatte, aber ich, der ich nur mein eigenes geringes Habe zu vertheidigen hatte, und der ich überdieß ein Mann von friedlicher Beschäftigung bin, ich mochte mich bei der Sache keiner Gefahr aussetzen.«

Ich sah Mr. Campbell an, als er diese Worte sprach, und erinnerte mich nicht, je einen auffallenderen Contrast gesehen zu haben, als der zwischen der kräftigen Kühnheit in den harten Zügen dieses Menschen und dem Wesen der Milde und Friedlichkeit in seiner Sprache war. In seinen Mundwinkeln lagerte sogar ein Zug ironischen Lächelns, welches, so unwillkürlich es auch sein mochte, eine Verachtung des stillen und friedlichen Charakters anzudeuten schien, den er annehmen zu müssen glaubte, und mich zu dem Argwohn brachte, daß er bei der Morris zugefügten Gewaltthat ganz anders betheiligt gewesen sein möchte, wie als Leidensgenosse oder bloßer Zuschauer.

Vielleicht fuhr auch dem Friedensrichter in diesem Augenblicke ein ähnlicher Argwohn durch den Kopf, denn er rief ganz verwundert aus: »Beim Himmel, das ist eine merkwürdige Geschichte!«

Der Nordbritte schien zu errathen, was in seinem Sinne vorging; denn indem er Ton und Wesen änderte, verbannte er aus seinen Zügen einen Theil der erheuchelten Demuth, durch die er einen solchen Verdacht erweckt hatte, und sagte, mit offenerem und ungezwungenerem Wesen: »Die Wahrheit zu sagen, gehöre ich zu den vorsichtigen Leuten, die nicht kämpfen mögen, sie wüßten denn, wofür; und das war zufällig bei mir nicht der Fall, als ich mit diesen Schurken zusammentraf. Damit Euer Gnaden sich aber überzeugen, daß ich ein Mensch von gutem Ruf und Charakter bin, bitte ich Euch, einen Blick auf dieses Papier zu werfen.«

Mr. Inglewood nahm ihm das Papier aus der Hand, und las halblaut: »Hierdurch wird bestätigt, daß der Inhaber, Robert Campbell aus – aus einem Orte, den ich nicht aussprechen kann,« warf der Friedensrichter dazwischen, – »ein Mensch von guter Familie, friedlicher Aufführung, in eignen Geschäften nach England reist etc. etc. Gegeben unter unserer Unterschrift, in unserem Schlosse Inver – Invera – rara Argyle

»Ein geringes Zeugniß, Sir, das ich mir von dem würdigen Edelherrn (hier legte er die Hand an den Kopf, wie um die Mütze zu berühren) Mac Callum Moore zu erbitten für gut fand.«

»Mac Callum wer, Sir?« sagte der Richter.

»Den die Südlichen Herzog von Argyle nennen.«

»Ich kenne den Herzog von Argyle sehr gut als einen Edelmann von hohem Werth und großer Auszeichnung, und einen wahren Freund seines Vaterlandes. Ich war Einer von denen, die 1714 an seiner Seite standen, als er den Herzog von Marlborough in seinem Kommando aus dem Sattel hob. Ich wünschte, wir hätten mehr Edelleute wie er ist. Er war ein redlicher Tory in jenen Zeiten, und ein Herz und eine Seele mit Ormond. Und er ist zu der jetzigen Regierung übergetreten, eben so wie ich, nur für die Ruhe und den Frieden in seinem Vaterlande; denn ich kann nicht glauben, daß der große Mann, wie die Leute behaupten, nur aus Furcht so gehandelt hätte, seine Stellen und sein Kommando zu verlieren. – Sein Zeugniß, wie Ihr es nennt, Mr. Campbell, ist vollkommen befriedigend. – Und was habt Ihr nun über diese Sache von dem Raubanfalle zu sagen?«

»In der Kürze das, wenn es Euer Gnaden gefällt: daß Mr. Morris eben so gut den ungebornen Säugling oder mich selbst anklagen könnte, als diesen jungen Herrn, Mr. Osbaldistone; denn ich bin nicht nur erbötig zu der Aussage, daß der, welchen er für ihn hielt, viel kleiner und viel dicker war, sondern auch, – denn ich erblickte zufällig sein Gesicht, als sich seine Maske verschob, – daß er ein Mensch von andern Zügen war, als dieser junge Mann, Mr. Osbaldistone. Und ich glaube,« fügte er hinzu, indem er sich mit natürlichem, obgleich etwas barscherem Wesen zu Mr. Morris wendete, »ich glaube, daß der Herr gestehen wird, ich hatte weit bessere Gelegenheit, irgend Jemand zu erkennen, da ich, wie ich überzeugt bin, von uns Beiden der Kältere war.«

»Ich gestehe das zu, Sir; – ich gestehe das vollkommen zu,« sagte Morris, und fuhr zurück, als Campbell ihm seinen Stuhl näher rückte, gleichsam um seine Aufforderung noch mehr zu bekräftigen. »Und ich bin geneigt, Sir,« fügte er, gegen Mr. Inglewood gewendet hinzu, »meine Anklage in Bezug auf Mr. Osbaldistone zurückzunehmen. Und ich bitte, Sir, daß Ihr ihm erlaubt, seinen Geschäften nachzugehen, und mir, den meinigen. Euer Gnaden mögen vielleicht mit Mr. Campbell Geschäfte abzumachen haben, und mir thut Eile Noth.«

»Nun, dahin denn mit der Erklärung,« rief der Friedensrichter, indem er sie in das Feuer warf. – »Und jetzt seid Ihr vollkommen frei, Mr. Osbaldistone; – und Ihr, Mr. Morris, werdet zufrieden sein.«

»Ja,« sagte Campbell mit einem Blicke auf Morris, der mit einem Grinsen der Bemerkung des Friedensrichters beipflichtete, »so zufrieden, wie eine Kröte unter einer Egge. – Aber fürchtet nichts, Mr. Morris; Ihr und ich wollen das Haus zusammen verlassen. – Ich will Euch in Sicherheit sehen, – ich hoffe, Ihr werdet meine Ehre nicht in Zweifel ziehen, wenn ich so spreche, – bis zur nächsten Landstraße, und dann trennen wir uns; und wenn wir in Schottland nicht als Freunde zusammentreffen, so ist's nur Eure eigene Schuld.«

Mit einem Blicke des Schreckens, wie der verurtheilte Verbrecher ihn wirft, wenn er die Nachricht erhält, daß der verhängnißvolle Karren wartet, stand Morris auf; als er aber auf den Beinen war, schien er zu zögern. »Ich sage dir, Mann, fürchte nichts,« wiederholte Campbell; »ich halte mein Wort gegen Euch. – Wie, Ihr Lammsherz, wißt Ihr wohl, daß wir vielleicht einige Ueberbleibsel Eures Mantelsacks auftreiben können, wenn Ihr Euch von gutem Rathe leiten laßt? – Unsre Pferde stehen bereit. Sagt dem Richter Lebewohl, Mann, und zeigt Euer südliches Blut.«

So ermahnt und ermuthigt nahm Morris, von Mr. Campbell begleitet, Abschied; allem Anscheine nach aber wurde er von neuen Skrupeln und Schrecken ergriffen, ehe sie das Haus verließen, denn ich hörte, wie Campbell seine Betheuerungen der Sicherheit und des Schutzes wiederholte, indem sie das Vorgemach verließen. »Bei der Seele meines Körpers, Mann, du bist so sicher, wie in deines Vaters Kohlgarten. – Wetter, daß ein Kind mit solchem schwarzen Bart nicht mehr Herz hat, wie ein Rebhuhn! Kommt mit mir, wie 'n aufrichtiger Bursche, ein für alle Mal.«

Die Stimmen verhallten, und das darauf folgende Getrapp ihrer Pferde verkündete uns, daß sie das Haus des Friedensrichters Inglewood verlassen hätten.

Die Freude, welche dieser würdige Beamte über die leichte Beendigung einer Sache empfand, die ihn in seinen richterlichen Fähigkeiten mit einiger Unruhe bedroht hatte, wurde etwas durch den Gedanken getrübt, wie seines Schreibers Ansichten bei dessen Rückkehr dieß betrachten möchten. »Nun werde ich Jobson über diese verdammten Papiere auf dem Halse haben – ich glaube, ich hätte sie nicht vernichten sollen. – Aber, Alles erwogen, ist es ihm doch nur um seine Sporteln zu thun, und die machen Alles wieder gut. – Und nun, Miß Diana Vernon, obgleich ich alle Andern frei gab, fühle ich doch ein Lüstchen, einen Verhaftsbefehl zu schreiben, Euch bis zum Abend nach dem Zimmer der Mutter Blakes, meiner alten Haushälterin, zu bringen. Und ich will dann nach meiner Nachbarin, der Mrs. Musgrave, senden, und den Miß Dawkins, und Euren Vettern, und dem alten Lieb, dem Geiger, und wir wollen so lustig sein, wie die Mädchen; und Frank Osbaldistone und ich, wir wollen ein Turnier halten, das uns in einer halben Stunde zu Eurer Gesellschaft geschickt machen soll.«

»Ich danke, Allerwürdigster,« entgegnete Miß Vernon; »aber wie die Sachen stehen, müssen wir augenblicklich nach Osbaldistone-Hall zurückkehren, wo man nicht weiß, was aus uns geworden ist, und meinen Ohm von seiner Besorgniß um meinen Vetter befreien, die so groß ist, als wäre einer seiner eigenen Söhne betheiligt.«

»Das glaube ich wirklich,« sagte der Richter; »denn als sein ältester Sohn, Archie, in der unglücklichen Geschichte des Sir John Fenwick zu einem bösen Ende kam, pflegte der alte Hildebrand seinen Namen mit dem der übrigen zu nennen, und sich dann darüber zu beklagen, daß er sich nicht daran erinnern könnte, welcher von seinen Söhnen gehangen worden sei. Ich bitte Euch also, eilt nach Hause, und beruhigt seine väterliche Angst, da Ihr doch gehen müßt. – Aber höre, Haideblümchen,« sagte er in dem Tone gutmüthiger Ermahnung, und indem er sie bei der Hand näher zu sich heranzog, »ein andermal laß dem Gesetze seinen Lauf, ohne deinen niedlichen Finger in sein staubiges altes Buch voll gerichtlichen Kauderwälsch zu stecken. – Und Die, meine Schönheit, laß junge Burschen einander den Weg durch das Moor zeigen, damit du nicht selbst von der rechten Straße abkömmst, indem du sie andern weisest, mein prächtiger Eigensinn.«

Mit dieser Ermahnung grüßte und entließ er Miß Vernon, und nahm von mir einen gleich wohlwollenden Abschied.

»Du scheinst ein guter Bursche zu sein, Mr. Frank, und ich erinnere mich auch noch an deinen Vater; – er war mein Spielgefährte in der Schule. Höre, Junge, kehre zur Nacht früh ein, und mach' dir auf des Königs Landstraße keinen Scherz mit zufälligen Reisegenossen. Ei, Mann, nicht alle getreue Unterthanen des Königs sind geneigt, Spaß zu verstehen, und es ist schlecht scherzen mit Straßenraub-Angelegenheiten. – Und hier ist auch die arme Diana Vernon – in gewisser Art allein und verlassen auf der weiten Oberfläche der Erde, daß sie nach ihrem eigenen albernen Belieben umherreiten und laufen kann. Du mußt aufmerksam für Diana sein, oder, alle Wetter, ich werde wieder ein junger Bursche, und schlage mich selbst mit dir, obgleich ich gestehen muß, daß das eine gewaltige Anstrengung wäre. – Und nun geht Beide, und überlaßt mich meiner Pfeife Tabak und meinen Betrachtungen; denn wie das Lied sagt:

Das ind'sche Blatt ist schnell verzehrt; –
So Manneskraft zur Schwäche kehrt,
Verglüht der Jugend Feuer heiß; –
Dann kömmt des Alters Asche, trocken, weiß. –
  Rauchst du Tabak, so denk' daran.«

Ich war sehr erfreut über die Funken von Verstand und Gefühl, welche bei dem Friedensrichter die Hülle der Selbstbehaglichkeit durchbrachen, versicherte ihn meiner Ehrfurcht vor seinen Ermahnungen, und nahm ein freundliches Lebewohl von dem redlichen Beamten und seinem gastlichen Hause.

Wir fanden in dem Vorzimmer eine Mahlzeit für uns bereitet, von der wir etwas genossen, und trafen dann denselben Diener des Sir Hildebrand, der uns beim Kommen die Pferde abgenommen hatte, und dem, wie er Miß Vernon sagte, Mr. Rashleigh den Befehl gab, auf uns zu warten, und uns nach Haus zu begleiten. Wir ritten eine Strecke schweigend neben einander her, denn, die Wahrheit zu sagen, war mein Geist durch die Ereignisse des Morgens zu sehr verstört, als daß ich zuerst hätte sprechen mögen. Endlich rief Miß Vernon aus, als gäbe sie ihren eigenen Betrachtungen Raum: »Ja, Rashleigh ist ein Mann, den man fürchten und bewundern muß, nur nicht lieben; er thut, was er will, und macht alle andere Menschen zu seinen Puppen. – Er hat einen Schauspieler bereit zu jeder Rolle, die er ersinnt, und eine Erfindungsgabe und Geistesgegenwart, welche für jeden dringenden Fall Rath schaffen.«

»Ihr denkt also,« sagte ich, mehr auf ihre Meinung als auf ihre ausdrücklichen Worte antwortend, »daß dieser Mr. Campbell, der zu so gelegener Zeit erschien, und der meinen Ankläger davon führte, wie ein Falke ein Rebhuhn, ein Agent des Mr. Rashleigh Osbaldistone war?«

»Ich vermuthe es,« entgegnete Diana, »und argwöhne überdieß, daß derselbe kaum zu rechter Zeit erschienen sein würde, hätte ich Rashleigh nicht zufällig bei dem Friedensrichter getroffen.«

»In diesem Falle gebührt also mein Dank vorzüglich Euch, meine schöne Retterin?«

»Allerdings,« entgegnete Diana, »ich bitte Euch aber, ihn mit einem freundlichen Lächeln bezahlt und abgemacht zu betrachten, denn ich möchte nicht damit belästigt werden, ihn im Ernst zu hören. Kurz, Mr. Frank, ich wünschte, Euch zu dienen, konnte dieß glücklicherweise, und habe Euch dafür nur um eine Gunst zu bitten: daß Ihr nicht weiter davon sprecht. – Aber wer kommt uns da entgegen, ›blutig gespornt und feuerroth vor Eile‹? Es ist, glaube ich, der untergeordnete Mann des Gesetzes; niemand Geringeres, als Mr. Joseph Jobson.«

Und Mr. Joseph Jobson war es wirklich, in großer Eile, und wie sich bald genug zeigte, in der übelsten Laune. Er kam zu uns heran, und hielt sein Pferd an, als wir mit einem leichten Gruße an ihm vorüberreiten wollten.

»So, Sir – so, Miß Vernon, – oh – ich sehe gut genug, wie es ist – Bürgschaft gestellt während meiner Abwesenheit, vermuthe ich – ich wünschte zu wissen, wer das Erkenntniß aufsetzte, das ist Alles. Wenn Sr. Gnaden diese Art des Verfahrens oft einschlägt, rathe ich ihm, einen andern Schreiber zu suchen, das ist Alles, denn ich würde dann gewiß meine Entlassung nehmen.«

»Oder er müßte sich seinen jetzigen Schreiber an den Aermel nähen lassen, Mr. Jobson,« sagte Diana; »wäre das nicht eben so gut? – Bitte, was macht der Pachter Rutledge, Mr. Jobson? Ich hoffe, Ihr fandet ihn fähig, zu unterzeichnen, untersiegeln und auszuhändigen?«

Diese Frage schien die Wuth des Rechtsmannes bedeutend zu steigern. Er sah Miß Vernon mit einem solchen Ausdrucke des Zornes und Unwillens an, daß ich mich stark versucht fühlte, ihn mit dem Stiele meiner Reitpeitsche vom Pferde zu schlagen, und ich unterdrückte dies Gelüst nur aus Rücksicht auf seine Unbedeutendheit.

»Pächter Rutledge, Miß,« sagte der Schreiber, sobald sein Verdruß es ihm möglich machte, zu sprechen, »Pächter Rutledge freut sich einer eben so vortrefflichen Gesundheit, wie Ihr – es war nichts als ein Scherz – eine Faxe, diese Geschichte seiner Krankheit; und wenn Ihr das vorher noch nicht wußtet, so wißt Ihr es jetzt, Miß.«

»Ei seht da!« erwiderte Miß Vernon mit dem Ausdrucke des größten Staunens; »gewiß, das sagt Ihr nicht, Mr. Jobson?«

»Aber ich sage es, Miß,« entgegnete der zornige Schreiber; »und ich sage noch überdieß, daß der elende alte Dummkopf mich einen Winkeladvokaten nannte – Winkeladvokaten, Miß – und sagte, ich käme, um nach einem Geschäfte zu jagen – was mir mit eben so wenig Recht gesagt werden kann, als irgend einem Ehrenmanne meines Standes, – besonders, da ich Schreiber des Friedensrichters bin, das genannte Amt habend und haltend unter Trigesimo Septimo Henrici Octavi et Primo Gulielmi – dem ersten Statut König Wilhelms, Miß, glorreichen und unsterblichen Andenkens, unseres glorreichen Befreiers von Papisten und Prätendenten, und hölzernen Schuhen und Wärmflaschen, Miß Vernon.«

»Das sind böse Dinge, diese hölzernen Schuhe und Wärmflaschen,« erwiderte die junge Lady, welche ein Vergnügen daran zu finden schien, seine Wuth zu steigern; – »und es ist ein Trost, zu sehen, daß Ihr jetzt keine Wärmflasche nöthig habt, Mr. Jobson. Ich fürchte, Gaffer Rutledge hat seine Ungezogenheit nicht auf Worte beschränkt. – Seid Ihr gewiß, daß er Euch keinen Schlag gegeben hat?«

»Schlag, Miß! – Nein;« – (sehr kurz) »kein lebendiger Mensch soll mir einen Schlag geben, Miß, das versichere ich Euch.«

»Das heißt, je nachdem Ihr es verdient, Sir,« sagte ich; »denn Eure Art, zu dieser jungen Dame zu sprechen, ist so unziemlich, daß ich selbst es der Mühe werth halten könnte, Euch zu züchtigen, wenn Ihr den Ton nicht ändert.«

»Züchtigen, Sir? – Und – mich, Sir? – Wißt Ihr, mit wem Ihr sprecht, Sir?«

»Ja, Sir,« entgegnete ich; – »Ihr sagt selbst, daß Ihr Schreiber des Friedensrichters seid; und Gaffer Rutledge sagt, Ihr seid ein Winkeladvokat; und in keiner dieser beiden Eigenschaften seid Ihr berechtigt, Euch gegen eine junge Dame von Stande unverschämt zu betragen.«

Miß Vernon legte ihre Hand auf meinen Arm, und rief: »Kommt Mr. Osbaldistone, ich will keinen Sturm und keine Batterie gegen Mr. Jobson; ich bin nicht barmherzig genug, um zu erlauben, daß Ihr ihm nur einen einzigen Schlag mit Eurer Reitpeitsche gebt, – denn er würde davon wenigstens einige Zeit leben. Ueberdieß habt Ihr sein Gefühl schon hinlänglich verletzt, denn Ihr habt ihn unverschämt genannt.«

»Ich achte nicht auf seine Sprache, Miß,« sagte der Schreiber, etwas niedergeschlagen; »überdieß ist unverschämt keine Beleidigung. – Aber Winkeladvokat ist eine starke Injurie, und das will ich Gaffer Rutledge zu seinem Schaden zeigen, und Allen, die das Wort zum Bruch des öffentlichen Friedens und dem Raube meines guten Namens boshaft wiederholen.«

»Denkt daran nicht, Mr. Jobson,« sagte Miß Vernon; »Ihr wißt, daß Eure eigenen Gesetze zugeben, der König selbst müßte da sein Recht verlieren, wo nichts ist; und was den Raub Eures guten Namens betrifft, so müßte ich den armen Schelm beneiden, der ihn bekäme, und Euch von Herzen dazu Glück wünschen, ihn los zu sein.«

»Sehr gut, Miß – guten Abend, Miß. – Ich habe Euch weiter nichts zu sagen. Nur gibt es Gesetze gegen die Papisten, und es wäre gut für das Land, würden sie strenger angewendet. Da ist das dritte und vierte von Eduard VI., von Wechselgesängen und Meßbüchern, und Prozessionsgewändern und Rosenkränzen, und Legenden, und die, welche solche Dinge in ihrem Besitz haben, Miß Vernon – und es gibt Aufforderungen an die Papisten, den Eid zu leisten – und das erste des jetzigen Königs verhängt Strafen über papistische Convicte, – und Bußen, für das Anhören der Messe. Siehe 23 der Königin Elisabeth und 3 Jacobs I., Kapitel 25. – Und da sind Besitzungen einzutragen, und Testamente zu registriren, und doppelte Taxen zu erheben, nach den Edicten für diese Fälle –«

»Siehe die neue Ausgabe der Statuten, herausgegeben nach der sorgfältigsten Revision des Joseph Jobson, Gent., Schreiber des Friedensrichters,« sagte Miß Vernon.

»Eben so, und vor Allem,« fuhr Jobson fort, – »denn ich spreche zu Eurer Warnung – Eurer, Diana Vernon, Jungfer, da Ihr keine femme couverte seid; – da Ihr eine überführte Papistin seid, müßt Ihr nach Eurer eigenen Wohnung zurückkehren, und das auf dem nächsten Wege, und bei Strafe der Majestätsbeleidigung – und fleißig nach Ueberfahrt und Fähre zu suchen, und da nur eine Ebbe und Fluth abwarten; – und wenn Ihr die an solchen Orten nicht finden könnt, täglich bis an die Knie in das Wasser zu gehen, um zu versuchen, ob Ihr hinüberkommen könnt.«

»Eine Art protestantischer Büßung für meine katholischen Irrthümer, wie ich vermuthe,« sagte Miß Vernon lachend. »Gut; ich danke Euch für die Nachricht, Mr. Jobson, und will so schnell ich kann, nach Hause eilen, und in Zukunft häuslicher sein. – Gute Nacht, mein theurer Mr. Jobson, du Spiegel schreiberlicher Artigkeit.«

»Gute Nacht, Miß, und erinnert Euch daran, daß die Gesetze nicht mit sich spielen lassen.«

Und wir ritten auf unseren entgegengesetzten Wegen davon.

»Da geht er hin, das lästige, unheilbringende Werkzeug,« sagte Miß Vernon, während sie ihm nachblickte. »Es ist hart, daß Personen von Rang, Geburt und Bildung der gesetzlichen Unverschämtheit eines solchen schmutzigen Fuchsschwänzers lediglich deshalb ausgesetzt sein sollen, weil sie so glauben, wie die ganze Welt vor nicht viel mehr als hundert Jahren glaubte – denn wenigstens hat unser katholischer Glaube ganz gewiß den Vorzug größeren Alters.«

»Ich fühlte mich sehr versucht, dem Schurken den Schädel einzuschlagen,« entgegnete ich.

»Da würdet Ihr ganz wie ein junger Brausekopf gehandelt haben,« sagte Miß Vernon, »und dennoch, – wäre meine eigene Hand nur eine Unze schwerer gewesen, als sie ist, so glaube ich, hätte ich ihn ihr Gewicht fühlen lassen. – Es soll nicht wie eine Klage aussehen, aber es gibt drei Dinge, wegen welcher ich sehr zu bemitleiden bin, wenn irgend Jemand es der Mühe werth hielte, sein Mitleid an mir zu verschwenden.«

»Und was sind das für drei Dinge, Miß Vernon, wenn ich fragen darf?«

»Wollt Ihr mir Eure aufrichtigste Theilnahme versprechen, wenn ich sie Euch nenne?«

»Gewiß – Könnt Ihr daran zweifeln?« erwiderte ich, und trieb mein Pferd näher zu dem ihrigen, und mit einem Ausdrucke der Theilnahme, den ich nicht zu verbergen strebte.

»Nun, es ist doch sehr verführerisch, bemitleidet zu werden; so hört denn meine drei Bekümmernisse. – Zuerst bin ich ein Mädchen und nicht ein junger Bursche, und würde in ein Narrenhaus gesperrt, vollbrächte ich nur die Hälfte der Dinge, zu denen ich mich aufgelegt fühle; und besäße ich das glückliche Vorrecht, so zu handeln, so würde die halbe Welt wahnsinnig werden, um mir nachzuahmen und mich zu bewundern.«

»Dafür kann ich Euch die Theilnahme nicht gewähren, die Ihr erwartet,« entgegnete ich; »das Mißgeschick ist so groß, daß es die Hälfte des ganzen Menschengeschlechtes trifft, und die andre Hälfte –«

»Ist so viel besser versorgt, daß sie auf ihre Vorrechte eifersüchtig ist,« fiel Miß Vernon ein. »Ich vergaß, daß Ihr Partei seid. Nein,« fuhr sie fort, als ich sprechen wollte, »das freundliche Gesicht soll der Vorläufer eines prächtigen Complimentes über die besonderen Vortheile sein, deren sich Diana Vernons Freunde und Verwandte dadurch erfreuen, daß sie als eine ihrer Heloten geboren wurde; aber erspart mir die Aeußerung, mein guter Freund, und laßt uns versuchen, ob wir besser in dem zweiten Punkte meiner Klagen gegen das Schicksal übereinstimmen. – Ich gehöre zu einer unterdrückten Secte und veralteten Religion, und statt wegen meiner Frömmigkeit Glauben zu finden, wie dieß jedem guten Mädchen gebührte, wird mich am Ende mein gütiger Freund, der Friedensrichter Inglewood, in ein Correctionshaus senden, nur weil ich Gott nach der Weise meiner Vorfahren anbete, – und spricht zu mir, wie der alte Pembroke zu der Aebtissin von Wilton, als er ihr Kloster in Besitz nahm: ›Geht spinnen, ihr Nickel, – geht spinnen.‹«

»Das ist kein geringes Uebel,« sagte ich ernst. »Zieht irgend einen gelehrten Theologen zu Rathe, oder Euren eigenen scharfen Verstand, Miß Vernon; und die Punkte, in welchen unser religiöser Glaube von dem abweicht, in dem Ihr erzogen seid, werden gewiß –«

»Still!« sagte Diana, und legte ihren Zeigefinger auf den Mund. »Still; nichts weiter davon. Dem Glauben meiner tapfern Vorfahren ungetreu werden! – Eben so leicht würde ich, wäre ich ein Mann, ihrem Banner ungetreu, wenn die Fluth der Schlacht hart dagegen anstürmt, und schlösse mich, gleich einem feilen Miethlinge, dem siegreichen Heere an.«

»Ich ehre Euren Sinn, Miß Vernon; und was den Uebelstand betrifft, dem er Euch aussetzt, so kann ich nur erwähnen, daß Wunden, für die Sache des Gewissens empfangen, ihren eigenen Balsam mit sich führen.«

»Ja, aber sie sind deshalb doch tief und schmerzvoll. Aber wie ich sehe, seid Ihr so hartherzig, daß meine Aussicht, Hanf zu brechen oder Flachs in wunderbar feine Fäden zu ziehen, Euch eben so wenig rührt, als meine Verurtheilung zu Haube und Unterrock statt Hut und Kokarde. Ich will mir daher die fruchtlose Mühe ersparen, Euch die Ursache meiner dritten Klage zu nennen.«

»Nein, meine liebe Miß Vernon, entzieht mir Euer Vertrauen nicht, und ich will Euch versprechen, daß die dreifache Sympathie, welche Euren ungewöhnlichen Ursachen des Leids gebührt, dann der dritten gezollt werden soll, vorausgesetzt, daß Ihr mir die Versicherung gebt, es weder mit dem ganzen weiblichen Geschlechte zu theilen, noch mit allen Katholiken in England, welche, Gott segne Euch, noch eine weit zahlreichere Secte bilden, als wir Protestanten in unserem Eifer für Kirche und Staat wünschen.«

»Es ist in der That,« sagte Diana mit ganz verändertem Tone und viel mehr Ernst, als ich bisher noch je an ihr bemerkt hatte, »ein Unglück, das Mitgefühl wohl verdient. Ich bin von Natur, wie Ihr bemerkt haben werdet, von offenem, rückhaltslosem Gemüth, ein aufrichtiges, treuherziges Mädchen, welches gern gegen die ganze Welt offen und redlich handeln möchte, und doch hat das Schicksal mich in eine solche Reihe von Netzen verwickelt, daß ich kaum ein Wort sprechen darf, ohne die Folgen zu fürchten – nicht für mich selbst, sondern für Andre.«

»Das ist in der That ein Unglück, Miß Vernon, wegen dessen ich Euch von Herzen bedaure, doch das ich kaum geahnet haben würde.«

»Ach, Mr. Osbaldistone, wüßtet Ihr, – wüßte irgend Jemand, wie schwer es mir zuweilen wird, den Schmerz des Herzens hinter einer heitern Stirn zu verbergen, Ihr würdet mich in der That bemitleiden. Ich thue vielleicht Unrecht, indem ich gegen Euch nur so weit über meine Lage spreche; aber Ihr seid ein junger Mann von Verstand und Scharfsinn – Ihr müßt mich bald hundert Fragen über die Ereignisse des heutigen Tages fragen – über den Antheil, den Rashleigh an Eurer Befreiung aus dieser Schlinge hatte, – über manche andre Punkte, welche Eure Aufmerksamkeit erregen müssen – und ich vermag es nicht, mit der nöthigen Falschheit und Finesse zu antworten; – ich müßte dieß ungeschickt thun, und würde dadurch in Eurer guten Meinung, wenn ich darauf einigen Anspruch habe, eben so wie in meiner eigenen, verlieren. Es ist daher das Beste, ein für alle Mal zu sagen: Fragt mich nicht, denn ich vermag es nicht, Euch zu antworten.«

Miß Vernon sprach diese Worte mit einem Ausdrucke des Gefühles, der bei mir einen entsprechenden Anklang erwecken mußte. Ich gab ihr die Versicherung, sie dürfe weder fürchten, daß ich sie mit zudringlichen Fragen bestürmen, noch daß ich es mißdeuten würde, wenn sie es ablehnte, Fragen zu beantworten, die an und für sich verständig oder wenigstens natürlich wären.

»Ich bin Euch,« sagte ich ihr, »zu sehr für die Theilnahme verpflichtet, die Ihr mir zeigtet, als daß ich eine Gelegenheit versäumen sollte, die Eure Güte mir bot, Euch zu verpflichten; – und ich bitte und beschwöre Euch nur, ohne Zögern und Bedenken über mich zu gebieten, wenn meine Dienste Euch je nützlich sein können.«

»Ich danke Euch, – ich danke Euch,« erwiderte sie; »Eure Stimme klingt nicht nach Schmeichelei, sondern hat den Ton eines Menschen, der weiß, was er verspricht. Wenn – doch es ist unmöglich – aber dennoch, – wenn sich eine Gelegenheit bieten sollte, so werde ich Euch fragen, ob Ihr Euch dieses Versprechens erinnert; – und ich versichere Euch, daß es mich nicht erzürnen soll, wenn ich finde, daß Ihr es vergessen habt, denn es ist genug, daß Ihr es eben jetzt aufrichtig meint. – Es kann sich viel ereignen, Eure Gesinnungen zu verändern, ehe ich Euch auffordere, sollte der Augenblick je kommen, – Diana Vernon so beizustehen, als ob Ihr Diana Vernons Bruder wäret.«

»Und wenn ich Diana Vernons Bruder wäre,« entgegnete ich, »könnte die Wahrscheinlichkeit, meine Dienste zu versagen, nicht geringer sein. – Jetzt aber darf ich, wie ich fürchte, nicht fragen, ob Rashleigh ein williges Werkzeug meiner Befreiung war?«

»Mich nicht; aber Ihr mögt ihn selbst danach fragen, und, verlaßt Euch darauf, er sagt ja; denn ehe er eine gute Handlung wie ein unbestimmtes Beiwort in einem schlechtgeordneten Redesatze durch die Welt gehen läßt, ist er bereitwillig, sich als das Substantiv dazu zu bekennen.«

»Und ich darf wohl auch nicht fragen, ob dieser Campbell es selbst war, der Mr. Morris die Last seines Mantelsackes abnahm, und ob der Brief, den unser Freund, der Gerichtsschreiber, erhielt, nicht eine List war, ihn von dem Schauplatze der Handlung zu entfernen, damit er das glückliche Ereigniß meiner Freiheit nicht hintertreibe? – Und ich darf auch nicht fragen –?«

»Ihr dürft mich nach gar nichts fragen,« sagte Miß Vernon, »es ist daher nutzlos, daß Ihr Fälle aufstellt. Ihr müßt von mir eben so gut denken, als ob ich diese Fragen, und noch zwanzig andere, so gewandt beantwortet hätte, wie Rashleigh selbst es nur immer vermöchte. – Und merkt Euch: Wenn ich mein Kinn grade so wie jetzt berühre, so ist das ein Zeichen, daß ich über den Gegenstand, welcher zufällig Eure Aufmerksamkeit erregt, nicht sprechen kann. Ich muß Zeichen für den Verkehr mit Euch festsetzen, weil Ihr mein Vertrauter und Rathgeber sein sollt, obgleich Ihr nichts von meinen Angelegenheiten erfahren dürft.«

»Nichts kann verständiger sein,« erwiderte ich lachend, »und der Ausdehnung Eures Vertrauens wird – darauf dürft Ihr Euch verlassen – nichts gleich kommen, als die Weisheit meiner Rathschläge.«

Diese Unterhaltung brachte uns, miteinander gegenseitig sehr zufrieden, nach Osbaldistone-Hall, wo wir die Familie in den Lustbarkeiten des Abends schon weit vorgerückt fanden.

»Bringt für Mr. Osbaldistone und mich etwas Essen nach der Bibliothek,« sagte Miß Vernon zu einem Diener. »Ich muß einiges Mitleid mit Euch haben,« sagte sie, zu mir sich wendend, »und Euch davor schützen, in diesem Hause rohen Ueberflusses vor Hunger zu sterben; außerdem glaube ich kaum, daß ich Euch meinen geheimen Aufenthaltsort zeigen würde. – Diese Bibliothek ist meine Höhle, der einzige Winkel des ganzen Gebäudes, in welchem ich gegen diese Orang-Utangs, meine Vettern, sicher bin. Sie wagen sich nie dorthin, wie ich glaube, aus Furcht, daß die Folianten herunterfallen und ihnen den Schädel einschlagen möchten; denn auf andere Weise werden ihre Köpfe mit denselben nie in Berührung kommen. – Und nun folgt mir.«

Ich folgte durch Hallen und Gemächer, gewölbte Gänge und über Wendeltreppen, bis wir das Gemach erreichten, wohin sie unsere Mahlzeit zu bringen befohlen hatte.


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