Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.

Im weiten Raum, von Andern ungestört,
Sie einen stillen Ort als heilig ehrt,
Und was er birgt, bringt für das Herz
Die Nahrung, heilt des Geistes Schmerz.

Anonymus.

 

Die Bibliothek im Schlosse Osbaldistone war ein finsteres Gemach, dessen veraltete Eichenbretter sich unter der Last jener schweren Folianten beugten, die dem siebzehnten Jahrhunderte so werth waren, aus denen wir, wie wir gestehen wollen, den Stoff zu unsern Quart- und Octavbänden zogen, und die, noch einmal unter den Destillirkolben gebracht, von unsern Söhnen vielleicht in Duodezbändchen und fliegende Blätter verwandelt werden. Die Sammlung bestand größtentheils aus Classikern, fremder und vaterländischer Geschichte, und hauptsächlich theologischen Werken. Alles war in ziemlicher Unordnung. Die Priester, welche nacheinander als Capläne im Schlosse gewesen, waren viele Jahre lang die Einzigen, welche dieses Gebiet betraten, bis Rashleigh, von seinem Durste nach Kenntnissen getrieben, die ehrwürdigen Spinnengewebe zerstörte, welche die äußere Hülle der Bücher umsponnen hatten. Da er für die Kirche bestimmt war, so kam sein Betragen seinem Vater weniger abgeschmackt vor, als wenn einer von den andern Abkömmlingen eine so seltsame Neigung verrathen hätte, und Sir Hildebrand gab zu, daß das Zimmer durch einige Verbesserungen zu einem Aufenthaltsorte in den Stand gesetzt wurde. Noch immer behielt aber das große Gemach ein verödetes Ansehen, das eben so auffallend als unerfreulich war, und die Vernachlässigung andeutete, von der es die Gelehrsamkeit, die seine Schränke enthielten, nicht hatte befreien können. Zerrissene Tapeten, wurmstichige Bücherbreter, ungeheuer große und schwerfällige, aber wackelnde Tische, Pulte und Stühle, und der rostzerfressene Kaminrost, der selten vom Kohlen- oder Reisigfeuer erglühte, zeigten die Verachtung, welche die Herren des Schlosses gegen die Gelehrsamkeit hegten.

»Ihr findet diesen Ort etwas trostlos?« fragte Diana, als ich in dem einsamen Zimmer umherblickte; »aber mir scheint er ein kleines Paradies, denn ich nenn' ihn mein eigen, und fürchte hier keine Störung. Rashleigh war Mitbesitzer, als wir noch Freunde waren.«

»Und Ihr seid es nicht mehr?« fragte ich natürlich.

Sogleich legte sie den Zeigefinger an das Grübchen ihres Kinnes, und warf mir einen schlauen, verweisenden Blick zu.

»Wir sind noch immer Verbündete,« fuhr sie fort, »wie andere verbündete Mächte, durch gegenseitigen Vortheil vereint; aber ich fürchte, es geht auch hier, wie bei andern Gelegenheiten: das Bündniß hat die freundschaftlichen Gesinnungen überlebt, aus denen es entstanden. Auf jeden Fall leben wir weniger zusammen, und wenn er durch jene Thüre hereinkommt, gehe ich durch diese hinaus; so haben wir die Entdeckung gemacht, daß wir Beide nicht Raum genug in diesem Zimmer haben, so groß es auch scheint. Rashleigh, den seine Angelegenheiten oft anderswohin rufen, hat mir seine Rechte großmüthig abgetreten, und ich setze nun allein die Studien fort, bei denen er einst mein Führer war.«

»Und was sind das für Studien, wenn ich fragen darf?«

»Das dürft Ihr in der That, ohne die geringste Furcht, meinen Finger zum Kinn erhoben zu sehen. Wissenschaft und Geschichte sind meine vorzüglichsten Lieblingsbeschäftigungen; aber ich beschäftige mich auch mit der Dichtkunst und den Alten.«

»Und den Alten? Leset Ihr sie in der Ursprache?«

»Unstreitig. Rashleigh, der als Gelehrter nicht zu verachten ist, gab mir Unterricht im Griechischen und Lateinischen und in den meisten Sprachen des neuern Europa. Ich kann Euch versichern, man hat einige Mühe auf meine Erziehung verwendet, obgleich ich weder einen Saum, noch Kreuzstich nähen, noch einen Pudding kochen, oder, wie des Pfarrers dicke Frau eben so wahr, als zierlich, höflich und gutmüthig zu sagen beliebt, irgend etwas Nützliches in der Welt verrichten kann.«

»Und hat Rashleigh, oder Ihr selbst, diese Beschäftigung für Euch gewählt, Miß?«

»Hm!« sagte sie, als trage sie Bedenken, meine Frage zu beantworten – »es ist am Ende nicht der Mühe werth, den Finger zu erheben – nun, theils er, theils ich. Außer dem Hause lernte ich reiten, im Nothfall ein Pferd satteln und zäumen, über einen Schlagbaum setzen, ein Gewehr ohne Blinzeln losschießen, und alle die männlichen Geschicklichkeiten, denen meine rohen Vettern wie toll nachlaufen; aber nun mußte ich auch im Hause, wie mein vernünftiger Vetter, Griechisch und Lateinisch lernen, um mich dem Baume der Erkenntniß zu nähern, den ihr Männer gern für euch allein behalten möchtet, wahrscheinlich aus Rache für den Antheil unserer gemeinschaftlichen Stamm-Mutter am ersten Sündenfalle.«

»Und Rashleigh unterstützte bereitwillig Eure Neigung zur Gelehrsamkeit?«

»Nun, er wünschte mich zu seiner Schülerin zu haben, und konnte mir nur die Kenntnisse mittheilen, die er selbst besaß; – in dem Geheimniß, eine Spitzenmanschette zu waschen, oder ein feines Schnupftuch zu säumen, konnte er mich freilich nicht unterrichten.«

»Ich gebe die Versuchung zu, eine solche Schülerin zu erhalten, und glaube, daß sie viel Einfluß auf den Lehrer üben mochte.«

»O, wenn Ihr Rashleighs Beweggründe zu untersuchen anfangt, so berührt mein Finger wieder das Kinn. Ich kann nur aufrichtig sein, wo von mir die Rede ist. Doch wieder zur Sache. – Er hat mir das Bücherzimmer überlassen, und kommt nie herein, ohne um Erlaubniß zu fragen, und so hab' ich mir die Freiheit genommen, es zum Verwahrungsort einiger meiner Habseligkeiten zu machen, wie Ihr beim Umherblicken sehen könnt.«

»Ich bitte um Verzeihung, Miß Vernon, aber ich sehe innerhalb dieser Wände nichts, was Ihr als Herrin ansprechen könntet.«

»Vermuthlich weil Ihr weder einen Schäfer noch eine Schäferin in Wolle gearbeitet, mit schönem schwarzen Rahmen von Ebenholz erblickt – oder einen ausgestopften Papagei – oder eine Hecke Canarienvögel – oder einen Putztisch mit einer Menge japanischer Büchsen – oder ein zerbrochenes Spinett – oder eine Laute mit drei Saiten – oder Muschelwerk – oder Nadelarbeit, oder Arbeit irgend einer Art – oder ein Schooshündchen mit blinden Jungen. – Keinen von allen diesen Schätzen besitze ich,« fuhr sie nach einer Pause fort, indem sie nach ihrer Aufzählung wieder Athem geschöpft hatte. – »Aber hier steht das Schwert meines Ahnherrn, Richard Vernon, der bei Shrewsbury fiel, von einem losen Gesellen, Namens William Shakspeare, arg verleumdet ward und dessen Parteilichkeit für das Haus Lancaster die Geschichte verdreht hat. Neben dieser furchtbaren Waffe hängt der Panzer eines noch ältern Vernon, welcher Schildträger des schwarzen Prinzen war, dessen Schicksal das Gegenstück zu dem seines Nachkommen darbietet, da er dem Barden mehr verpflichtet ist, der sich die Mühe gab, ihn für guten Willen, statt für Talente zu feiern:

In dem Gewühl ein Ritter wird erkannt,
Mit Pfeifen auf dem Schild, Vernon genannt;
Er donnert wie der Böse über's Feld,
Den Kämpfern nur, nicht Plündrern, zugesellt.

Hier ist das Modell eines neuen Sprungriemens, den ich selbst erfunden habe, und hier die Kappe und die Schelle meines Falken Cheviot, der sich an dem Schnabel eines Reihers spießte – armer Cheviot! Mit dir verglichen, sind die andern Falken nur Geier und Raubvögel. Da steht meine Jagdflinte mit einem verbesserten Schlosse, und zwanzig andere Schätze, immer einer kostbarer wie der andere. – Und das spricht für sich selbst.«

Sie zeigte auf den geschnitzten eichenen Rahmen eines Bildes in Lebensgröße, von Van Dyk gemalt, worauf mit gothischen Buchstaben geschrieben stand: » Vernon semper viret.« Ich sah sie um Erklärung an. – »Kennt Ihr nicht unsern Wahlspruch?« fragte sie überrascht.

»Gleich wie der Ungebühr drohende Stimme
Ein einzig Wort mit doppeltem Sinne.

Und kennt Ihr nicht unser Wappenbild, die Röhren?« wobei sie auf das in den eichenen Rahmen geschnitzte Wappen zeigte, um welches diese Worte standen.

»Pfeifen! – sie sehen mehr wie Pfennigpfeifen aus. – Aber zürnet nicht über meine Unwissenheit,« fuhr ich fort, als ich sie erröthen sah; »ich kann nicht die Absicht haben, Euer Wappen zu schmähen, denn ich kenne mein eigenes nicht einmal.«

»Ihr, ein Osbaldistone, und gesteht das ein!« rief sie aus. »Percival, Thorncliff, John, Dickon – selbst Wilfred könnte Euer Lehrer sein. – Sogar die Unwissenheit würde Euch beschämen.«

»Mit Beschämung gesteh' ich, meine theure Miß Vernon, daß die Geheimnisse, welche unter den grimmigen Hieroglyphen der Wappenkunde verborgen liegen, für mich so unverständlich sind, wie die egyptischen Pyramiden.«

»Wie! ist's möglich? – Selbst mein Oheim liest zuweilen an Winterabenden im Wappenbuche. Die Figuren der Heraldik nicht zu kennen! Woran hat Euer Vater gedacht?«

»An die Figuren der Arithmetik,« antwortete ich, »deren unbedeutendste Verbindung er höher achtet, als den ganzen Wappenschmuck des Ritterthumes. Aber so unaussprechlich unwissend ich in diesem Falle bin, habe ich doch Kenntniß und Geschmack genug, um dieß herrliche Bild zu bewundern, in dem ich Familienähnlichkeit mit Euch zu erkennen glaube. Welche Ruhe und Würde in der Haltung – welcher Reichthum der Farben, welche Tiefe des Schattens!«

»Ist es wirklich ein schönes Bild?« fragte sie.

»Ich habe viele Gemälde dieses berühmten Künstlers gesehen,« erwiderte ich, »aber keines hat mir so gefallen.«

»Wohl; ich verstehe so wenig von Gemälden, als Ihr von der Heraldik,« antwortete Diana; »dennoch habe ich den Vorzug vor Euch, daß ich das Bild schon immer bewundert habe, ohne seinen Werth zu kennen.«

»Obwohl ich mich nicht um die Trommeln und Pfeifen, und alle die wunderlichen Gebilde der Ritterwürde bekümmerte, weiß ich doch, daß sie im Felde des Ruhmes glänzten. Aber Ihr werdet zugeben, daß ihr äußeres Ansehen für den unkundigen Beschauer nicht so anziehend ist, als ein schönes Gemälde. – Wer ist dieß?«

»Mein Großvater – er theilte Karls I. Mißgeschick, und leider die Ausschweifungen von dessen Sohne. Das Erbtheil unseres Geschlechts wurde durch seine Verschwendung sehr verringert, und ging unter seinem Nachfolger, meinem unglücklichen Vater, gänzlich verloren. Aber Friede sei mit Denen, die es gewannen – es ward für die Sache der Treue verloren.«

»Euer Vater litt vermuthlich durch die politischen Zwistigkeiten jener Zeit?«

»In der That; er verlor Alles. Darum ist sein Kind eine abhängige Waise, das Brod von Fremden essend, ihren Launen unterworfen, und genöthigt, ihre Neigungen zu erspähen. Aber ich bin stolzer darauf, einen solchen Vater gehabt zu haben, als wenn er durch ein vorsichtigeres, aber weniger aufrichtiges Betragen mich im Besitze aller der schönen Herrschaften gelassen hätte, die einst Eigenthum seiner Familie waren.«

Indem sie diese Worte sprach, traten die Diener mit dem Essen herein, und unser Gespräch beschränkte sich blos auf allgemeine Gegenstände.

Als wir schnell unsere Mahlzeit beendet hatten, und der Wein auf den Tisch gesetzt war, berichtete uns der Diener, daß Sir Rashleigh zu erfahren gewünscht habe, wann wir abgespeist hätten.

»Sagt ihm,« erwiderte Miß Vernon, »wir würden uns glücklich schätzen, ihn zu sehen, wenn er hierher kommen wollte – setzt noch ein Weinglas und einen Stuhl her, und verlaßt das Zimmer. – Ihr müßt mit ihm fortgehen, wenn er sich entfernt,« sagte sie hierauf zu mir; »selbst bei aller Freigebigkeit kann ich nicht mehr als acht Stunden von den vier und zwanzig an einen Herrn verwenden; und ich glaube, wir sind wenigstens so lange zusammen gewesen.«

»Der alte Sensenmann hat sich so schnell bewegt,« antwortete ich, »daß ich seine Schritte nicht zählen konnte.«

»Still! da kommt Rashleigh,« rief Miß Vernon, und rückte ihren Stuhl ab, welchem ich den meinigen zu sehr genähert hatte.

Ein bescheidenes Klopfen an der Thüre, ein leises Oeffnen bei dem Rufe: »Herein!«, eine angenommene Milde und Demuth in Gang und Haltung zeigten, daß Rashleighs Erziehung in der Lehranstalt zu St. Omer sehr gut mit der Vorstellung übereinstimmte, die ich von dem Betragen eines vollendeten Jesuiten unterhielt. Ich brauche nicht hinzuzusetzen, daß bei mir, als einem entschiedenen Protestanten, diese Vorstellungen nicht die günstigsten waren. »Wozu die Förmlichkeit des Anklopfens, da Ihr wißt, daß ich nicht allein bin?« sagte Miß Vernon.

Sie sprach dieß mit einem Ausbruch von Ungeduld, als ob sie fühle, daß Rashleighs Vorsicht und Zurückhaltung einen beleidigenden Argwohn verberge. »Ihr habt mich so vollkommen unterrichtet, wie ich an diese Thüre klopfen muß, schöne Cousine,« antwortete Rashleigh, ohne Stimme oder Benehmen zu ändern, »daß die Gewohnheit zur andern Natur geworden ist.«

»Ich schätze Aufrichtigkeit höher, als Höflichkeit, und das wißt Ihr,« war Miß Vernons Antwort.

»Höflichkeit ist fein und zierlich, nach Namen und Gewerbe ein Höfling, und paßt daher am besten für ein Frauengemach.«

»Aber Aufrichtigkeit ist die ächte Rittertugend, und daher weit willkommener, Vetter,« entgegnete Miß Vernon. »Doch um unsern Streit zu enden, der für Euern Verwandten nicht sehr ergötzlich sein kann, setzt Euch, Rashleigh, und thut Mr. Osbaldistone Bescheid bei seiner Flasche.«

Rashleigh setzte sich, und füllte sein Glas, während er sein Auge von Diana auf mich mit einer Verlegenheit wandte, die er mit aller Anstrengung nicht ganz verbergen konnte. Es schien mir, als ob er ungewiß sei, in wieweit Diana Vertrauen in mich gesetzt habe, und ich eilte, dem Gespräche eine Richtung zu geben, die den Argwohn entfernen sollte, daß Diana mir irgend etwas von den Geheimnissen vertraut, die unter ihnen stattfanden. »Miß Vernon,« sagte ich, »hat mir empfohlen, Euch meinen Dank für die schnelle Befreiung von jener lächerlichen Anklage zu sagen. Mit Unrecht fürchtete sie, meine Dankbarkeit würde nicht warm genug sein, mich an diese Pflicht zu erinnern; sie erregte daher auch meine Neugier, indem sie mich wegen einer Erklärung der Ereignisse dieses Tages an Euch verwies.«

»In der That?« erwiderte Rashleigh, und setzte mit einem scharfen Blicke auf Miß Vernon hinzu; »ich hätte geglaubt, die Lady würde selbst den Dolmetscher machen.« – Und sein Auge wandte sich von ihr ab, und suchte das meine, als wollte er im Ausdruck meiner Züge erforschen, ob Diana's Mittheilungen so beschränkt gewesen wären, wie meine Worte andeuteten. Diana erwiderte seinen forschenden Blick mit einem Blicke der Verachtung, während ich, unentschlossen, ob ich seinen offenbaren Argwohn entschuldigen oder rügen sollte, antwortete: »Wenn es Euch gefällt, Mr. Rashleigh, mich wie Miß Vernon in Ungewißheit zu lassen, so muß ich mich nothwendig darein ergeben, aber ich bitte, mir Eure Mittheilung nicht deßhalb vorzuenthalten, weil Ihr glaubt, daß ich über diesen Gegenstand bereits etwas erfahren habe. Ich versichere Euch als Mann von Ehre, ich weiß so wenig, als jenes Bild von den Ereignissen dieses Tages, außer daß ich von Miß Vernon Eure freundliche Verwendung für mich erfuhr.«

»Miß Vernon hat meine bescheidenen Bemühungen überschätzt,« sagte Rashleigh, »obgleich ich, hinsichtlich des Eifers, vollen Anspruch habe. Der wahre Verlauf der Sache ist dieser: Ich sprengte zurück, um Jemand von meinen Verwandten zu treffen, der mit mir die Bürgschaft für Euch übernehmen könnte, das gewöhnlichste, oder, ich kann sagen, das einzige Mittel, Euch zu dienen, das sich meiner Beschränktheit darbot. Da begegnete ich dem Cawmil – Colville – Campbell, oder wie sie ihn nennen. Wie ich von Morris gehört hatte, war er bei der Beraubung zugegen gewesen, und es gelang mir – mit einiger Mühe, muß ich bekennen, – ihn zu bewegen, das Zeugniß für Euch abzulegen, durch das Ihr vermuthlich aus Eurer unangenehmen Lage befreit worden seid.«

»Wirklich? – Ich bin Euch sehr verbunden, mir einen so willkommenen Zeugen verschafft zu haben. Aber da er ein Unglücksgefährte dieses Morris war, sehe ich nicht ein, weßhalb es so viel Mühe gekostet haben sollte, ihn zur Ablegung seines Zeugnisses zu bewegen, sei es, den wahren Thäter zu überführen, oder einen Unschuldigen zu befreien.«

»Ihr kennt den Geist der Landsleute dieses Mannes nicht,« antwortete Rashleigh. »Verschwiegenheit, Klugheit und Vorsicht sind ihre Haupteigenschaften; diese werden nur durch eine engherzige, aber glühende Vaterlandsliebe motivirt, welche gleichsam das äußerste der Bollwerke bildet, womit ein Schotte sich gegen alle Angriffe eines edeln, menschenfreundlichen Gefühls vertheidigt. Habt Ihr diesen Wall erstiegen, so findet Ihr eine innere und noch theurere Schanze – die Liebe für seine Provinz, sein Dorf, oder auch für seinen Clan; erstürmt dieses zweite Hinderniß und Ihr habt ein drittes – die Anhänglichkeit an seine Familie, Vater, Mutter, Söhne, Töchter, Oheime, Tanten und Vettern, bis zum neunten Grade. Innerhalb dieser Gränzen breiten die geselligen Neigungen eines Schotten sich aus, und erreichen nie, was außerhalb derselben liegt, bis alle Mittel, sie in den innern Kreisen zu befriedigen, erschöpft sind. In diesen Kreisen schlägt sein Herz; immer schwächer und schwächer wird jeder Pulsschlag, bis er an der äußersten Gränze fast unfühlbar ist. Aber was das Schlimmste ist, wenn Ihr alle diese Außenwerke überwinden könntet, so fändet Ihr eine innere Veste, höher und stärker als die andern – die Liebe eines Schottländers gegen sich selbst.«

»Das ist Alles recht beredt und bilderreich, Rashleigh,« sagte Diana, die mit unverhehlter Ungeduld zugehört hatte; »es lassen sich nur zwei Einwendungen dagegen machen: es ist nicht wahr, und wenn es auch wahr wäre, so gehört es nicht zur Sache.«

»Es ist wahr, meine schöne Cousine,« entgegnete Rashleigh; »und überdieß gehört es gerade zur Sache. Es ist wahr, da Ihr nicht läugnen könnt, daß ich Land und Volk genau kenne, und meine Schilderung die Folge einer genauen und scharfen Beobachtung ist; und es gehört zur Sache, denn es beantwortet meines Vetters Frage, und zeigt, warum eben dieser vorsichtige Schotte, da unser Verwandter weder sein Landsmann, noch ein Campbell ist, noch zu einer der unendlichen Verbindungen gehört, zu denen sie ihre Geschlechtsregister ausdehnen, und da er selbst, vor Allem, keinen persönlichen Vortheil dabei sah, sondern im Gegentheil, viel Verlust an Zeit und Verhinderung in seinen Geschäften zu befürchten hatte« –

»Und andere Unannehmlichkeiten, vielleicht von noch furchtbarerer Art,« unterbrach ihn Diana.

»Deren es, ohne Zweifel, viele geben kann,« fuhr Rashleigh in demselben Tone fort. – »Kurz, meine Angabe zeigt, warum dieser Mann, da er keinen Vortheil zu hoffen, wohl aber Unannehmlichkeiten zu fürchten hatte, nur durch Ueberredung bestimmt werden konnte, für unsern Vetter zu zeugen.«

»Nach einem Blicke, den ich auf Morris' Aussage warf,« bemerkte ich, »scheint es auffallend, darin nirgends erwähnt zu finden, daß Campbell bei ihm gewesen ist, als er von den Räubern angefallen wurde.«

»Wie ich von Campbell hörte, hatte er sich von Morris feierlich versprechen lassen, dieses Umstandes nicht zu erwähnen,« erwiderte Rashleigh. »Den Grund, warum er ein solches Versprechen begehrte, könnt Ihr aus meinen Winken abnehmen. Er wünschte in seine Heimath zurückzukehren, ohne durch gerichtliche Untersuchungen aufgehalten und beunruhigt zu werden, welchen er ausgesetzt gewesen sein würde, wenn die Thatsache, daß er bei der Beraubung gegenwärtig gewesen ist, bekannt wurde, so lange er sich noch diesseits der Gränze befand. Aber laßt ihn nur erst an dem Forth sein, so wird Morris gewiß Alles bekannt machen, was er von ihm weiß, und es kann noch viel mehr betreffen. Ueberdieß treibt Campbell einen bedeutenden Viehhandel, und schickt oft große Heerden nach Northumberland, so daß er bei einem solchen Verkehr ein großer Thor sein würde, wenn er es mit den Dieben dieses Landes, die zu den rachsüchtigsten Menschen gehören, verderben wollte.«

»Das will ich beschwören,« sagte Miß Vernon mit einem Tone, der etwas mehr als bloße Beistimmung ausdrückte.

»Aber,« fuhr ich fort, »wenn ich auch zugebe, daß Campbell wichtige Gründe gehabt haben kann, von Morris Stillschweigen zu verlangen, so kann ich doch nicht einsehen, wie er so viel Einfluß auf den Mann gewinnen konnte, um ihn zur Unterdrückung eines wichtigen Zeugnisses zu bewegen, auf die augenscheinliche Gefahr hin, Mißtrauen gegen seine Angabe zu erwecken.«

Rashleigh stimmte mir bei, daß das sehr seltsam sei, und schien zu bedauern, den Schotten nicht genau nach diesem Umstande gefragt zu haben, den er selbst sehr auffallend fand. »Aber,« setzte er sogleich hinzu, »seid Ihr denn auch völlig überzeugt, daß Morris in seiner Aussage nichts von Campbells Begleitung gesagt hat?«

»Ich überlas das Papier nur flüchtig,« erwiderte ich; »aber es blieb mir der lebhafte Eindruck, daß keines solchen Umstandes gedacht ward; wenigstens müßte er so flüchtig berührt worden sein, daß er meiner Aufmerksamkeit entgangen wäre.«

»Richtig, richtig,« antwortete Rashleigh, seine eigene Folgerung machend, indem er meine Worte aufnahm; »ich bin geneigt, mit Euch zu glauben, daß dieser Umstand wirklich erwähnt worden sei, aber so flüchtig, daß er Eurer Aufmerksamkeit entging. Und, was Campbells Einfluß auf Morris betrifft, so möchte ich vermuthen, daß er sich auf dessen Furchtsamkeit gründe. Dieser hasenherzige Morris reist, wie ich höre, nach Schottland, um irgend ein kleines Amt der Regierung zu erhalten, und da er den Muth einer zornigen Taube, oder einer tapfern Maus besitzt, so mag er sich gefürchtet haben, den Unwillen eines solchen Eisenfressers, wie Campbell, zu erwecken, dessen bloßer Anblick hinreichend sein würde, ihn vor Furcht um sein bischen Verstand zu bringen. Ihr werdet bemerkt haben, daß Campbell zuweilen ein heftiges, aufgeregtes Wesen hat – etwas Kriegerisches in Ton und Benehmen.«

»Ich gestehe,« erwiderte ich, »daß mir sein Ausdruck zuweilen wild und rauh vorkam, und nicht sehr passend zu seinen friedlichen Aeußerungen. Hat er in der Armee gedient?«

»Ja – nein – nicht eigentlich gedient; aber ich glaube, er ist, wie die meisten seiner Landsleute, zu den Waffen erzogen. In den Gebirgen führen sie dieselben wirklich von der Wiege bis zum Grabe. Wenn Ihr daher Euern Reisegefährten nur etwas kennt, so werdet Ihr leicht einsehen, daß er, in ein solches Land reisend, allen Streit mit einem der Eingeborenen, wo möglich, zu vermeiden sucht. Aber wie ich sehe, trinkt Ihr nicht, und ich bin auch ein ausgearteter Osbaldistone, was das Leeren der Flasche betrifft. Wenn Ihr mit auf mein Zimmer gehen wollt, so können wir Piquet spielen.«

Wir standen auf, um Diana zu verlassen, die von Zeit zu Zeit mit sichtlicher Mühe der Versuchung widerstanden hatte, Rashleigh zu unterbrechen. Als wir uns entfernen wollten, trat das verhaltene Feuer hervor.

»Mr. Osbaldistone,« sagte sie zu mir, »Eure eigene Beobachtung wird Euch in den Stand setzen, zu beurtheilen, ob das, was Rashleigh über Campbell und Morris geäußert hat, richtig oder falsch ist. Wenn er aber Schottland lästert, so hat er falsches Zeugniß gegen ein ganzes Land abgelegt, und ich bitte Euch, auf seine Aussagen keinen Werth zu legen.«

»Ich kann es vielleicht etwas schwer finden, Eurer Aufforderung zu gehorchen, Miß; denn ich muß bekennen, mit keiner sehr günstigen Vorstellung von unsern nördlichen Nachbarn erzogen worden zu sein.«

»Mißtraut diesem Theile Eurer Erziehung,« erwiderte sie, »und laßt die Tochter einer Schottin Euch bitten, das Vaterland ihrer Mutter zu achten, bis eigene Beobachtung Euch gezeigt hat, daß es Eure gute Meinung nicht verdient. Sparet Euren Haß und Eure Verachtung der Verstellung, Falschheit und Bosheit auf, wo Ihr sie findet. Ihr werdet genug davon antreffen, ohne England zu verlassen. – Lebt wohl, Ihr Herren, ich wünsche Euch einen vergnügten Abend.«

Und sie deutete auf die Thüre, mit dem Wesen einer Fürstin, die ihr Gefolge entläßt.

Wir gingen nach Rashleighs Zimmer, wohin ein Diener uns Kaffee und Karten brachte. Ich hatte beschlossen, wegen der Vorfälle dieses Tages nicht weiter in Rashleigh zu dringen. Ein Geheimniß, und wie ich glaubte, von keiner vortheilhaften Art, schien sein Betragen zu umhüllen; doch um zu erfahren, ob mein Argwohn gegründet sei, war es nöthig, ihn sicher zu machen. Wir gaben die Karten, und waren bald eifrig mit unserem Spiele beschäftigt. Selbst in diesem geringen Zeitvertreibe – denn der von Rashleigh vorgeschlagene Satz war nur eine Kleinigkeit – glaubte ich Züge eines heftigen, ehrgeizigen Charakters zu erkennen. Er schien das angenehme Spiel sehr gut zu verstehen, aber wie aus Grundsatz zog er kühne und gewaltige Schläge den gewöhnlichen Regeln des Spieles vor, und die geringeren und besser erwogenen Zufälle vernachlässigend, wagte er Alles, um einen Sechziger und Neunziger zu erhalten, oder seinen Gegner einen Stich zu machen? Sobald indeß die Abwechselung einiger Spiele, wie die Musik zwischen den Aufzügen eines Drama's, unser voriges Gespräch ganz unterbrochen hatte, schien Rashleigh des Zeitvertreibes müde zu sein, und die Karten wurden weggelegt, um ein Gespräch anzuknüpfen, in welchem er das Wort führte.

Mehr gelehrt, als eigentlich weise, – besser bekannt mit dem menschlichen Gemüthe, als mit den sittlichen Grundsätzen, durch die es geregelt werden sollte, besaß er dennoch eine Gabe der Unterhaltung, die ich selten erreicht, nie übertroffen sah. Sein Betragen verrieth, daß er dieß wußte; wenigstens schien es mir, als ob er sich viel Mühe gegeben hätte, die natürlichen Vortheile einer wohltönenden Stimme, eines fließenden, glücklichen Ausdruckes und einer feurigen Einbildungskraft zu erhöhen. Er war nie laut, nie anmaßend, nie so sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, daß er die Geduld oder die Fassungsgabe der mit ihm Sprechenden ermüdete. Seine Gedanken folgten aufeinander, wie sanfte, aber ununterbrochene Ergüsse einer milden, reichlichen Quelle, während die Worte Anderer, die nach Auszeichnung in der Unterhaltung streben, wie der Strom aus der Schleuse eines Mühlenteiches hervorstürzen, so rauschend und so bald erschöpft. Erst spät in der Nacht konnte ich mich von einem so bezaubernden Gesellschafter trennen, und als ich auf mein Zimmer kam, kostete es mich Mühe, mich wieder an die Schilderung zu erinnern, die mir früher von Rashleighs Charakter gemacht worden war.

So sehr, mein theurer Tresham, vermindert der Reiz des Vergnügens und der Unterhaltung unsere Fähigkeit, fremde Eigenthümlichkeiten aufzufassen und zu unterscheiden, daß ich dieß nur mit dem Geschmacke gewisser Früchte vergleichen kann, die zugleich süß und scharf sind, und unsern Gaumen durchaus unfähig machen, die Speisen, die uns später geboten werden, irgend einem Urtheile zu unterwerfen.


 << zurück weiter >>