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Fünftes Kapitel.

Wie schmilzt mein klopfend Herz, wenn ich es sehe,
Wie lieblich schöne Nymphen, des Landes Stolz und Zier,
Ein stattlich Roß regieren, das munter fliegt
Durch Thal und Wald, nicht scheut den steilen Hügel,
Nicht strauchelt in der sumpf'gen Schlucht.

Die Jagd.

 

Ich nahete mich meinem nordischen Geburtslande, denn als solches betrachtete ich es, mit jenem Enthusiasmus, welchen romantisch-wilde Gegenden bei dem Liebhaber der Natur erwecken. Nicht mehr durch das Geplapper meines Gefährten gestört, konnte ich jetzt den Unterschied des Landes gegen das, durch welches ich früher reiste, erkennen. Die Ströme verdienten jetzt diesen Namen besser, denn statt eines trägen Stehens zwischen Schilf und Weiden, tobten sie unter den Schatten der Gebüsche vorwärts, stürzten jetzt Höhen herab, rieselten jetzt langsamer, aber doch noch immer in thätiger Bewegung, durch kleine, einsame Thäler, welche sich von Zeit zu Zeit gegen die Straße öffneten, und den Reisenden zu ihrer nähern Untersuchung einzuladen schienen. Die Cheviots stiegen vor mir in majestätischer Größe auf, in der That nicht in jener erhabenen Mannigfaltigkeit von Fels und Klippen der [Hochgebirge], doch schwer, mit runden Gipfeln, mit einem dunklen, röthlichen Gewande bekleidet; und durch ihre Ausdehnung, ihr Aussehen der Oede, gewannen sie, als eine Gegend von eigenthümlichem Charakter, einen Einfluß auf die Einbildungskraft.

Der Wohnsitz meiner Väter, dem ich mich jetzt näherte, lag in einer Schlucht oder einem engen Thale, das sich zwischen diesen Bergen hinzog. Ausgedehnte Besitzungen, die einst dem Hause Osbaldistone gehörten, waren durch das Unglück oder die Schuld meiner Vorfahren längst verloren gegangen, aber noch gehörte zu dem Familiensitze genug, um meinem Oheim den Titel eines Mannes von großem Vermögen zu geben. Dieß benutzte er (wie mir auf einige Fragen, die ich während des Weges that, zu verstehen gegeben wurde,) die Gastfreiheit eines nordischen Grundherrn jener Zeit aufrecht zu halten, die er als wesentlich für seine Familienwürde betrachtete.

Von dem Gipfel eines Hügels hatte ich bereits eine ferne Ansicht von Osbaldistone-Hall gehabt, einem großen, alterthümlichen Gebäude, welches aus einer Druiden-Gruppe alter Eichen hervorblickte; und ich richtete meinen Lauf meinem Ziele so grade und so schnell zu, als die vielfachen Windungen des Weges gestatteten, als mein ermüdetes Pferd plötzlich bei den belebenden Tönen einer Meute von Hunden, begleitet von dem Schmettern des Jagdhornes, die Ohren spitzte. Ich zweifelte nicht, daß die Meute meinem Oheim gehöre, und hielt mein Pferd mit dem Vorsatze an, die Jäger unbeachtet vorbei zu lassen, denn ich sah ein, daß das Jagdfeld kein passender Ort sei, mich einem leidenschaftlichen Jäger vorzustellen. Wenn sie vorbei waren, wollte ich in meinem bisherigen Schritt nach dem Herrenhause reiten, und dort die Rückkehr des Eigenthümers von der Jagd erwarten. Ich machte deßhalb auf einer kleinen Anhöhe Halt, und nicht ohne ein Gefühl der Theilnahme, welche diese Art von Waldlustbarkeiten einzuflößen berechnet ist (obgleich mein Gemüth in dem Augenblicke für Eindrücke der Art nicht sehr empfänglich war), erwartete ich mit weniger Ungeduld das Erscheinen der Jäger.

Der hart gejagte und beinahe erschöpfte Fuchs zeigte sich zuerst, aus dem dichten Gebüsch hervorkommend, welches die rechte Seite des Thales bekleidete. Sein hängender Schweif, sein schmutziges Aussehen und sein schwerfälliger Trab verkündeten sein nahendes Geschick, und die Krähe, welche über ihm umherkreiste, betrachtete den armen Reineke schon als ihre baldige Beute. Er durchschwamm den Strom, welcher das kleine Thal theilte, und schleppte sich den Hügel an dem entgegengesetzten wilden Ufer hinauf, als die Leithunde, gefolgt von der ganzen lauten Meute, aus dem Gehölz hervorbrachen, hinter ihnen her die Jäger und drei oder vier Reiter. Mit untrüglichem Instinkt folgten die Hunde der Spur des Reineke, und die Jäger wieder folgten mit unverminderter Eile, auf den unebenen, schwierigen Boden nicht achtend. Sie waren große, kräftige, junge Männer, und grün und roth gekleidet, in die Uniform eines Jagdvereines, der sich unter den Auspicien des alten Sir Hildebrand Osbaldistone gebildet hatte. Meine Vettern! – dachte ich, als sie an mir vorüberjagten. Der nächste Gedanke war: Wie wird mein Empfang unter diesen würdigen Nachfolgern Nimrods sein? Und wie unwahrscheinlich ist es, daß ich, der ich wenig oder nichts von ländlichen Vergnügungen weiß, mich in meines Oheims Familie behaglich oder gar glücklich fühlen werde? Eine Vision, die an mir vorüberzog, unterbrach diese Betrachtungen.

Es war ein junges Mädchen; die Lieblichkeit ihrer Züge wurde durch die Aufregung der Jagd und die Anstrengung der Bewegung noch erhöht; sie ritt ein schönes Pferd, kohlschwarz, ausgenommen da, wo es durch den Schaum vom Gebiß weiß gefleckt war. Sie trug, was damals ziemlich ungewöhnlich war, einen Rock und Hut, welche denen eines Mannes glichen, und welche die Mode seitdem einen Reitanzug genannt hat. Die Mode war eingeführt worden, während ich mich in Frankreich befand, und mir vollkommen neu. Ihr langes, schwarzes Haar flatterte im Winde, denn es war in der Hitze der Jagd dem Bande entglitten, das es hielt. Die Unebenheiten des Bodens, durch die sie ihr Pferd mit der größten Geschicklichkeit und Geistesgegenwart lenkte, hemmten ihren Lauf etwas, und brachten sie mir näher, als irgend einen der Reiter. Ich hatte daher den vollen Anblick ihrer ungemein schönen Züge und Gestalt, welchen durch den wilden Zauber der Umgebung, so wie durch das Romantische ihrer sonderbaren Kleidung und unerwarteten Erscheinung ein eigenthümlicher Reiz verliehen wurde. Als sie an mir vorüberkam, machte ihr Pferd in seinem Ungestüme eine unregelmäßige Bewegung, grade als sie es, wieder ebenen Boden erreichend, zu verdoppelter Eile antrieb. Dieß diente mir als Entschuldigung, dicht zu ihr heranzureiten. Es war indeß kein Grund zur Besorgniß vorhanden; es war kein Straucheln, kein falscher Tritt gewesen, und wenn auch, so besaß die schöne Amazone doch zu viel Geistesgegenwart, um sich dadurch irre machen zu lassen. Sie dankte mir indeß für meine gute Absicht durch ein Lächeln, und ich fühlte mich dadurch ermuthigt, mein Pferd zu gleichem Schritte anzutreiben, um in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu bleiben. Das Jagdgeschrei: »Ho he! Todt! Todt!« und das Schmettern des Jagdhorns verkündeten uns bald, daß die Jagd geschlossen, und Eile nicht mehr nöthig sei. Einer der jungen Männer, die ich gesehen hatte, näherte sich uns, und schwang die Ruthe des Fuchses, als wollte er meine schöne Gefährtin damit necken.

»Ich sehe es, ich sehe es,« sagte sie, »aber macht deßhalb keinen Lärm; wäre Phoebe,« und dabei streichelte sie den Hals des wunderschönen Thieres, das sie ritt, »nicht zwischen die Klippen gekommen, so würdet Ihr wenig Ursache haben, Euch Eures Triumphes zu rühmen.«

Während sie so sprachen, kamen sie zusammen, und ich bemerkte, wie sie Beide auf mich sahen, und dabei leise mit einander flüsterten; die junge Dame drang augenscheinlich in den Jäger, Etwas zu thun, was er ablehnte, und zwar scheu, mit einer Art von schafsköpfiger Unzufriedenheit. Sie wendete sogleich ihr Pferd gegen mich und sagte: »Gut, gut, Thornie, wenn Ihr nicht wollt, so muß ich es. Sir,« fuhr sie, zu mir gewendet, fort, »ich habe versucht, diesen gebildeten, jungen Herrn zu überreden, Euch zu fragen, ob Ihr bei Eurer Reise durch diese Gegend nicht zufällig Etwas von einem unsrer Freunde gehört habt, einem Mr. Frank Osbaldistone, der seit einigen Tagen in Osbaldistone-Hall erwartet wird?«

Ich war zu glücklich, mich als den Erwarteten anzugeben, und meinen Dank für die freundlichen Erkundigungen der schönen Fragenden auszusprechen.

»In diesem Falle, Sir,« entgegnete sie, »und da meines Vetters Artigkeit noch immer zu schlummern scheint, müßt Ihr mir gestatten (obgleich ich dies für sehr unpassend halte), als Ceremonienmeisterin zu handeln, und Euch den jungen Thorncliff Osbaldistone, Euren Vetter, vorzustellen, und Die Vernon, welche ebenfalls die Ehre hat, Eures vollkommenen Vetters Cousine zu sein.«

Es lag eine Mischung von Kühnheit, Satyre und Einfachheit in der Art, mit welcher Miß Vernon diese Worte aussprach. Meine Weltkenntniß war hinreichend, um mich in den Stand zu setzen, einen entsprechenden Ton anzunehmen, als ich meine Dankbarkeit für ihre Herablassung und mein Vergnügen darüber aussprach, mit ihnen zusammengetroffen zu sein. Die Wahrheit zu sagen, sprach ich dieß Compliment auf solche Weise aus, daß die Lady sich leicht den größern Theil davon aneignen konnte, denn Thorncliff schien ein linkischer, blöder, etwas tückischer Landjunker zu sein. Er schüttelte mir indeß die Hände, und erklärte dann seine Absicht, mich zu verlassen, und den Jägern und seinen Brüdern zu helfen, die Hunde zu kuppeln, ein Vorsatz, den er mehr als Mittheilung gegen Miß Vernon, wie als eine Entschuldigung gegen mich aussprach.

»Da geht er hin,« sagte die junge Dame, indem sie ihm mit Blicken folgte, in denen sich Geringschätzung wunderbar aussprach, »der Prinz der Stallknechte und der Pferderennen. Aber nicht Einer von ihnen wird den Andern bessern. Habt Ihr Merkham gelesen?« fragte Miß Vernon.

»Wen, Miß? – Ich erinnere mich nicht einmal, den Namen des Autors je gehört zu haben.«

»O Himmel, an was für einem Strande habt Ihr Schiffbruch gelitten!« entgegnete die junge Dame. »Ein armer, verlorener und unwissender Fremder, unbekannt mit dem Alkoran des wilden Stammes, unter dem zu wohnen Ihr gekommen seid. – Nie von Merkham, dem berühmtesten Autor der Roßarzneikunde, gehört zu haben! Dann fürchte ich, daß Ihr mit den neueren Namen Gidson und Barlett gleich unbekannt sein werdet?«

»Das bin ich in der That, Miß Vernon.«

»Und Ihr erröthet nicht, das zu gestehen?« sagte Miß Vernon. »Ei, wir müssen Eure Bekanntschaft verläugnen. So könnt Ihr, wie ich vermuthe, auch weder eine Pille eingeben, noch Maischfutter bereiten, noch zur Ader lassen?«

»Ich gestehe, daß ich alle diese Dinge meinem Stall- oder Reitknecht überlasse.«

»Unglaubliche Sorglosigkeit! – Und könnt Ihr auch nicht ein Pferd beschlagen, ihm Schwanz und Mähne verschneiden, einem Hunde den Wurm nehmen, ihm die Ohren stutzen, ihm die Nägel verschneiden; oder einen Falken abrichten; oder ihm die Diät vorschreiben, wenn er verstopft ist, oder –«

»Meine Unbedeutendheit in ein Wort zu fassen,« erwiderte ich – »ich bin in allen diesen Dingen vollkommen unwissend.«

»Um des Himmels willen, Mr. Frank Osbaldistone, was könnt Ihr denn?«

»Sehr Wenig, Miß Vernon; Etwas aber kann ich doch. – Wenn mein Reitknecht mein Pferd gesattelt hat, kann ich es reiten, und wenn mein Falke im Freien ist, kann ich ihn fliegen lassen.«

»Könnt Ihr das?« sagte die junge Dame, und trieb ihr Pferd zu einigen Sätzen an.

Vor uns war eine Art von rohen Barrieren mit einem Thore, das aus zwei Stücken unbehauenen Holzes, wie es aus dem Walde kömmt, gezimmert war; ich wollte eben vorwärts reiten, um zu öffnen, als Miß Vernon über das Hinderniß hinwegflog. Ich war dadurch gezwungen, ihr zu folgen, und befand mich im nächsten Augenblick an ihrer Seite.

»Es ist noch einige Hoffnung für Euch,« sagte sie. »Ich fürchtete, Ihr wäret ein ganz ausgearteter Osbaldistone. Aber was auf der Erde bringt Euch nach Cub-Castle? Denn so haben die Nachbarn unsere Jagdhalle getauft. Ich denke, Ihr wäret weggeblieben, wenn Ihr gekonnt hättet?«

Ich fühlte, daß ich schon auf einem sehr vertrauten Fuße mit meiner reizenden Erscheinung stand, und antwortete deßhalb in vertraulichem Geflüster: »In der That, meine theure Miß Vernon, würde ich es als ein Opfer betrachten, für einige Zeit in Osbaldistone-Hall zu bleiben, da die Bewohner so sind, wie Ihr sie beschreibt; aber ich bin überzeugt, daß eine Ausnahme für alle andern Mängel entschädigen wird.«

»O, Ihr meint Rashleigh?« fragte Miß Vernon.

»Das thue ich in der That nicht; ich dachte – verzeiht mir – an eine Person, die mir viel näher ist.«

»Ich glaube, es würde passend sein, Eure Artigkeit nicht zu verstehen – aber das ist nicht mein Weg. – Ich mache keinen Knix dafür, weil ich zu Pferde sitze. Aber ernsthaft, ich verdiene Eure Ausnahme, denn ich bin die einzige Person in der Halle, mit der man sprechen kann, ausgenommen den alten Priester und Rashleigh.«

»Und wer ist Rashleigh, um des Himmels Willen?«

»Rashleigh ist ein Mensch, der gern möchte, daß Jedermann ihn seiner selbst willen liebte. – Er ist Sir Hildebrands jüngster Sohn – ungefähr von Eurem Alter – aber nicht so – kurz, er sieht nicht so gut aus. Aber die Natur hat ihm einen Mund voll gesunden Verstandes gegeben, und der Priester hat einen Mund voll Gelehrsamkeit hinzugefügt. Er ist, was wir einen tüchtigen Mann nennen, in diesem Lande, wo die tüchtigen Männer selten sind. Für die Kirche erzogen, doch ohne Eile, sich ordiniren zu lassen.«

»Für die katholische Kirche?«

»Die katholische Kirche? Und welche Kirche sonst?« sagte die junge Dame. »Doch ich vergaß, daß man mir sagte, Ihr wäret ein Ketzer. Ist das wahr, Mr. Osbaldistone?«

»Ich darf die Beschuldigung nicht abläugnen.«

»Und doch seid Ihr im Auslande gewesen, und in katholischen Ländern?«

»Beinahe vier Jahre.«

»Ihr habt Klöster gesehen?«

»Oft; aber in ihnen nicht viel, was die katholische Religion empfiehlt.«

»Sind die Bewohner nicht glücklich?«

»Ohne Zweifel sind dieß Einige, die entweder durch ein tiefes Gefühl der Frömmigkeit, oder durch Erfahrung der Verfolgungen und Mißgeschicke der Welt, oder durch eine natürliche Trägheit des Gemüthes, in die Zurückgezogenheit geführt wurden. Die, welche das Leben der Abgeschlossenheit aus plötzlichem und überströmendem Enthusiasmus wählten, oder aus übereiltem Unwillen über irgend eine Täuschung oder Kränkung, sind sehr elend. Bald kehrt das Gefühl zurück, und gleich den wilderen Thieren in einer Menagerie, sind sie ruhelos in ihrer Haft, während andere in Zellen von eben so geringer Ausdehnung schnarchen und fett werden.«

»Und was,« fuhr Miß Vernon fort, »wird aus den Opfern, die durch den Willen Anderer zu dem Kloster verdammt werden? Womit lassen sie sich vergleichen, und besonders, wenn sie dazu geboren sind, sich des Lebens zu freuen, und seine Segnungen zu fühlen?«

»Sie gleichen eingesperrten Singvögeln, dazu verurtheilt, in der Haft ein Leben hinzuschleppen, welches sie dadurch auszufüllen streben, daß sie Eigenschaften vervollkommnen, durch welche sie die Gesellschaft geschmückt hätten, wären sie frei geblieben.«

»Ich werde,« entgegnete Miß Vernon – »das heißt,« sagte sie, sich selbst verbessernd – »ich würde dem wilden Falken gleichen, der, wenn der freie Schwung seiner Fittiche durch die Lüfte ihm versagt ist, sich selbst an den Stäben seines Käfigs zerschmettert. Aber um auf Rashleigh zurückzukommen,« sagte sie mit heitererm Tone, »so werdet Ihr ihn für den angenehmsten Menschen halten, den Ihr in Eurem Leben sahet, Mr. Osbaldistone, d. h. für eine Woche wenigstens. Könnte er eine blinde Geliebte finden, wäre nie ein Mann seiner Eroberung so sicher, wie er; aber das Auge bricht den Zauber, der das Ohr fesselt. Doch hier sind wir auf dem Hofe der alten Halle, die eben so wild als altmodisch aussieht, wie irgend einer ihrer Bewohner. Ihr müßt wissen, daß in Osbaldistone-Hall auf den Anzug nicht viel gegeben wird; aber ich muß diese Geschichten abnehmen, sie sind so unangenehm warm, und der Hut zerreibt mir die Stirn;« damit nahm das liebliche Mädchen ihn ab, und schüttelte eine Fülle schwarzer Locken herunter, die sie, halb lachend, halb erröthend, mit ihren zarten, weißen Fingern theilte, um ihre reizende Stirn und ihre funkelnden, braunen Augen davon frei zu machen. Lag in ihrem Thun irgend eine Coquetterie, so wurde sie durch die sorglose Gleichgültigkeit ihres Benehmens wohl versteckt.

Ich konnte mich nicht enthalten, zu sagen, daß ich nach dem, was ich von der Familie sah, die Toilette für eine sehr überflüssige Mühe hielte.

»Sehr klug gesagt, obgleich ich vielleicht nicht verstehen sollte, in welchem Sinne es gemeint ist,« entgegnete Miß Vernon; »aber Ihr werdet eine bessere Entschuldigung für einige Nachlässigkeit finden, wenn Ihr die Orsons seht, unter denen Ihr leben sollt, und deren Gestalten durch keine Toilette verbessert werden können. Aber die alte Eßglocke wird in wenigen Minuten klingen, oder vielmehr klappern – sie sprang von selbst am Tage der Landung des Königs Willie, und mein Oheim, der ihr prophetisches Talent ehrt, würde nie zugeben, daß sie ausgebessert würde. Haltet daher meinen Zelter, wie ein getreuer Ritter, bis ich einen demüthigeren Diener sende, Euch von der Pflicht zu erlösen.«

Sie warf mir die Zügel zu, als wären wir seit unsrer Kindheit mit einander bekannt, sprang aus dem Sattel, trippelte über den Hof, und ließ mich zurück, voll Bewunderung ihrer Schönheit, und staunend über die Freimüthigkeit ihres Benehmens, welche um so ungewöhnlicher in einer Zeit schien, in welcher die Vorschriften der Höflichkeit, von dem Hofe des großen Ludwigs XIV. ausgehend, dem schönen Geschlechte eine ungewöhnliche Strenge des Dekorums zur Pflicht machten. Ich wurde ziemlich lächerlich mitten auf dem Hofe der alten Halle zurückgelassen, auf einem Pferde reitend und ein anderes an der Hand haltend.

Das Gebäude bot wenig, was einen Fremden interessiren konnte, wäre ich auch geneigt gewesen, es aufmerksam zu betrachten; die Seiten des Vierecks waren von verschiedenartiger Architektur, und mit den steinernen, vergitterten Fenstern, den vorspringenden Thürmchen, den schwerfälligen Bogenthüren, glich die innere Seite einem Kloster, oder einem der ältern und weniger prachtvollen Kollegien von Oxford. Ich rief nach einem Diener, aber einige Zeit ganz unbeachtet, was mir um so ärgerlicher war, da ich bemerken konnte, daß ich ein Gegenstand der Neugier für mehrere Bediente, männliche wie weibliche, sei, die in mehreren Theilen des Gebäudes ihre Köpfe vorsteckten und zurückzogen, wie Kaninchen in einem Gehege, ehe ich irgend einen Einzelnen zu rufen vermochte. Die Rückkehr der Jäger und Hunde befreite mich aus meiner Verlegenheit, und mit einiger Schwierigkeit bewog ich einen Tölpel, mir die Pferde abzunehmen, und einen zweiten dummen Bauernburschen, mich zu Sir Hildebrand zu führen. Diesen Dienst erfüllte er mit so viel Freundlichkeit und gutem Willen, wie ein Bauer, der gezwungen wird, eine feindliche Patrouille zu führen; und auf die gleiche Weise mußte ich mich davor hüten, daß er mir in dem Labyrinthe der niedern, gewölbten Gänge desertirte, die zu der Halle führten, wo ich meinem gnädigen Herrn Oheim vorgestellt werden sollte.

Wir erreichten indeß endlich ein langes, gewölbtes Gemach, mit Steinen ausgelegt, in welchem eine Reihe eichener Tische, zu schwer und zu gewichtig, um je von der Stelle bewegt zu werden, schon zum Essen gedeckt standen. Dieses ehrwürdige Zimmer, welches die Feste mancher Generation der Familie Osbaldistone gesehen hatte, enthielt auch die Zeugnisse für ihre Siege in Jagden. Schwere Hirschgeweihe, welche vielleicht Trophäen der Jagd von Chevy waren, hingen rings an den Wänden umher, und dazwischen die Häute von Ottern, Dachsen, Mardern und andern jagdbaren Thieren. Unter einigen Ueberbleibseln von Rüstungen, welche vielleicht gegen die Schotten gedient hatten, hingen die geschätzteren Waffen des Waldkrieges, Armbrüste, Gewehre verschiedener Gattung, Netze, Angelruthen, Otterspeere, Jagdpfähle, nebst vielen anderen merkwürdigen Geräthschaften zum Fang oder zur Erlegung des Wildes. Einige alte Gemälde, vom Rauch geschwärzt, hingen an den Wänden, Ritter und Damen darstellend, die ohne Zweifel in ihren Tagen hoch geehrt waren; Jene blitzten furchtbar unter schweren Büschen von Perücke und Bart hervor, Diese blickten entzückt auf die Rosen, die sie in ihren Händen hielten.

Ich hatte eben genug Zeit, diesen Dingen einen Blick zu widmen, als gegen zwölf blaugekleidete Diener mit viel Lärmen und Geschwätz in die Halle brachen, Jeder mehr damit beschäftigt, seine Kameraden anzuweisen, als seine eigene Pflicht zu thun. Einige warfen Blöcke und Scheite auf das Feuer, welches, halb rauchend, halb flammend, in die weite Oeffnung aufstieg, die groß genug war, unter ihrer Wölbung für einen steinernen Sitz Raum zu gewähren, und die zum Kaminsimse ein schwerfälliges, architektonisches Stück trug, auf dem die Ungeheuer der Heraldik, von der Kunst irgend eines northumberländischen Meißels verkörpert, in rothem Ziegelstein grinsten und sprangen, jetzt durch den Rauch der Jahrhunderte gebräunt. Andere dieser altmodischen Bedienten trugen schwere, dampfende Schüsseln, mit kräftigen Speisen bedeckt; wieder Andere brachten Becher, Flaschen, Krüge mit Getränken. Alle trappsten, drängten, stießen, schubsten sich, und thaten mit so viel Lärmen, als man sich denken konnte, so wenig Dienste, als möglich. Endlich, als nach verschiedenen Bemühungen das Mittagsmahl auf den Tischen geordnet war, verkündeten das Geräusch von vielen Menschen und Hunden, das Knallen von Peitschen zur Einschüchterung der letzteren, laute, kreischende Stimmen und der schwerfällige Tritt der hochhackigen Stiefeln jener Zeit, die Ankunft Derer, zu deren Nutzen alle diese Anstalten getroffen worden waren. Das Gewirre unter diesen Dienern stieg eher bei dieser Krisis, als daß es fiel; – Einige riefen laut, sich zu beeilen, – Andere, sich Zeit zu lassen, – Einige ermahnten, für Sir Hildebrand und die jungen Squires Platz zu machen, – Andere, dicht um den Tisch und in den Weg zu treten; Einige schrieen, eine Flügelthür zu öffnen, Andere, zu schließen, die aus der Halle in eine Art von Gallerie führte, welche, wie ich später erfuhr, schwarz getäfelt war.

Endlich wurden die Thüren geöffnet, und herein stürmten Thiere und Menschen: – Acht Hunde, der Hauskaplan, der Dorfchirurg, meine sechs Vettern und mein Oheim.


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