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Vierzehntes Kapitel.

Es flimmert matt dort Lampenschein
In Liebchens stillem Kämmerlein.
Was wär' es, glänzt' um Mitternacht
Die Lampe dort in heller Pracht?

Alte Ballade.

 

Die Lebensweise in Osbaldistone-Hall war zu einförmig zur Beschreibung. Diana Vernon und ich genossen eines großen Theils unserer Zeit unter unseren gemeinsamen Studien; die andern Mitglieder der Familie tödteten ihre Zeit mit Vergnügungen und Ergötzlichkeiten, wie die Jahreszeit sie darbot, und an denen auch wir gelegentlich Theil nahmen. Mein Oheim hing von Gewohnheiten ab, und aus Gewohnheit wurde er mit meiner Anwesenheit und Lebensart so vertraut, daß er mir im Ganzen mehr zu- als abgeneigt war. Wahrscheinlich würde ich noch höher in seiner Gunst gestiegen sein, wenn ich mich der Kunstgriffe bedient hätte, die Rashleigh anwendete, der seines Vaters Abneigung gegen Geschäfte benutzte, und sich nach und nach die Verwaltung von dessen Vermögen angemaßt hatte. Zwar stand ich meinem Oheim bereitwillig mit meiner Feder und Rechenkunst bei, so oft er an einen Nachbar schreiben, oder mit einem Pachter sich berechnen wollte, und war ihm in sofern nützlicher, als einer seiner Söhne; allein ich fühlte mich nicht geneigt, ihn ganz der Führung seiner Angelegenheiten zu entheben, so daß der gute Ritter zwar zugab, der Vetter Frank sei ein wackerer, behender Bursche, gewöhnlich aber gleich darauf zu bemerken pflegte: er hätte nicht geglaubt, daß er Rashleigh so sehr vermissen würde.

Da es besonders unangenehm ist, in einer Familie zu leben, wenn man mit einem Theile derselben in feindlichem Vernehmen steht, gab ich mir Mühe, die Abneigung zu besiegen, welche meine Vettern gegen mich hegten. Ich vertauschte meinen Tressenhut mit einer Reitmütze, und machte einige Fortschritte in ihrer guten Meinung; die Art, wie ich ein junges Pferd zuritt, brachte mich in ihrer Gunst noch weiter. Ein paar zu gelegener Zeit gegen Richard verlorene Wetten, und eine Extra-Gesundheit, die ich Percival zutrank, setzte mich endlich auf einen guten, vertraulichen Fuß mit Allen, Thorncliff allein ausgenommen.

Ich habe bereits erwähnt, wie wenig mich dieser junge Mensch leiden konnte, der etwas mehr Verstand, aber auch einen weit schlimmeren Charakter hatte, als seine Brüder. Mürrisch, tückisch und zänkisch, hielt er meinen Aufenthalt im Schlosse für etwas Aufgedrungenes, und sah mit neidischen, eifersüchtigen Blicken meine Freundschaft mit Diana Vernon, welche nach einer gewissen Familien-Uebereinkunft zu seiner Braut bestimmt war. Daß er sie liebte, läßt sich kaum behaupten, wenigstens nicht, ohne diesen Begriff sehr unrichtig anzuwenden; allein er betrachtete sie als etwas ihm Angehörendes, und ärgerte sich innerlich, daß man ihm in den Weg trat, ohne zu wissen, wie er es verhüten oder verhindern könnte. Ich versuchte mehrmals einen versöhnenden Ton gegen ihn, doch er erwiderte mein Entgegenkommen so freundlich, wie ein knurriger Schäferhund, den ein Fremder liebkosen will. Ich überließ ihn daher seiner üblen Laune, und gab mir seinetwegen keine Mühe weiter.

Auf diesem Fuß stand ich mit der Familie in Osbaldistone-Hall; doch muß ich noch eines andern Bewohners erwähnen, mit welchem ich mich gelegentlich unterhielt. Dieß war Andrew Fairservice, der Gärtner, welcher (seit er entdeckt hatte, daß ich Protestant war) mich selten vorübergehen ließ, ohne mir seine schottische Dose zu einer freundlichen Prise zu bieten. Diese Höflichkeit war für ihn von mehreren Vortheilen begleitet. Erstlich kostete sie nichts, weil ich nie schnupfte, und zweitens gewährte sie dem Gärtner, der kein besonderer Freund von schwerer Arbeit war, einen vortrefflichen Vorwand, seinen Spaten einige Minuten auf die Seite zu legen. Vor Allem aber fand Andrew in diesen kurzen Unterredungen eine Gelegenheit, gesammelte Neuigkeiten mitzutheilen, oder den spöttischen Bemerkungen seiner scharfen schottischen Laune Luft zu machen.

»Sir, ich war,« sagte er mir eines Abends mit offenbar überladenem Verstande, »heute unten auf dem Trinlayhügel.«

»Gut, Andrew, und Ihr habt wahrscheinlich im Bierhause etwas Neues gehört?«

»Nein, Sir; in's Bierhaus geh' ich nie – das heißt, – es müßte mich denn ein Nachbar mit einer Pinte oder dergleichen traktiren; aber auf eigne Kosten dahin zu gehen, halte ich für Verschwendung der köstlichen Zeit und des sauer erworbenen Geldes. – Ich war im Dorfe, wie ich gesagt habe, wegen eines besondern Geschäftchens mit Mattie Simpson, die einen oder'n paar Birnbäume braucht, welche im Herrenhause nie vermißt werden, und als wir im vollen Handel waren, wer kommt da herein – Pate Macready, der reisende Kaufmann.«

»Hausirer, meint Ihr vermuthlich?«

»Wie Ew. Gnaden ihn zu nennen belieben; aber es ist ein ehrlicher Beruf, und lange bei unserm Volke gebräuchlich gewesen. Pate ist ein weitläufiger Vetter von mir, und wir waren erfreut, einander zu sehen.«

»Und Ihr gingt und trankt einen Krug Bier zusammen, Andrew? – Um des Himmels willen, macht Eure Geschichte kurz!«

»Geduld, Geduld! Ihr Südländer habt's immer so eilig, und dieß ist Etwas, das Euch selbst angeht, und Ihr müßt Euch Geduld nehmen, es anzuhören. – Bier? – nicht einen Tropfen hat mir Pate angeboten; aber Mattie gab uns einen Tropfen abgeschöpfte Milch und einen von ihren dicken Haferkuchen, der war so zäh und hart, wie eine Schuhsohle. O, da lob' ich mir die schmucken Röstkuchen in Schottland! – Und wir setzten uns nieder, und nahmen unsere Messer heraus.«

»Ich wünschte, die nähmet Ihr eben jetzt auch heraus. Ich bitte Euch, sagt mir Eure Neuigkeiten, wenn sie der Mühe werth sind; denn ich kann nicht die ganze Nacht hier zubringen.«

»Nun, wenn Ihr's wissen müßt; die Leute in London machen einen großen Lärm über das Stückchen hier.«

»Was für ein Stückchen? – Was heißt das?«

»Je nun, – den lust'gen Streich – die Ausgelassenheit – der Teufel über Jack Wobster.«

»Aber was hat das Alles zu bedeuten? Und was habe ich mit dem Teufel oder Jack Wobster zu thun?«

»Hm,« sagte Andrew, indem er sich das Ansehen gab, als wüßte er gewaltig viel; – »'s ist nur das Geschwätz über jenes Menschen Mantelsack.«

»Was für ein Mantelsack? Und wen meint Ihr?«

»Eben den Mann Morris, der ihn dort verloren haben will. Aber wenn's Euer Gnaden Sache nicht ist, so geht sie mich eben so wenig an, und ich darf diesen schönen Abend nicht verlieren.«

Und wie von einem plötzlichen Anfalle des Fleißes ergriffen, fing er emsig an zu arbeiten.

Meine Neugier war nun, wie der listige Schelm vorhergesehen hatte, erregt, und da ich doch auch nicht geneigt war, durch ausdrückliche Fragen einen besondern Antheil an der Sache zu verrathen, so verweilte ich, in der Erwartung, daß der Geist der Gesprächigkeit ihn antreiben werde, seine Geschichte von Neuem vorzunehmen. Andrew grub rüstig fort, und sprach zuweilen, aber nichts von Macready's Nachrichten, und ich stand und lauschte, ihn im Herzen verwünschend, und zugleich begierig, zu sehen, wie lange seine Laune des Widerspruches das Verlangen bezwingen würde, von einem Gegenstande zu reden, der offenbar seine Gedanken erfüllte. Nach mancherlei Geschwätz äußerte er den Vorsatz, Feierabend zu machen.

Demgemäß ergriff er den Spaten mit beiden Händen, und stieß ihn in den Graben, welchen er gemacht hatte, und mich mit einem Blicke der Ueberlegenheit ansehend, als sei er sich bewußt, etwas Wichtiges mittheilen zu können, zog er die Hemdärmel herab, und schritt langsam der Gartenbank zu, auf der sein Rock sorgsam zusammengefaltet lag.

Ich muß dafür büßen, den langweiligen Schelm unterbrochen zu haben, und die Mittheilung auf seine eigenen Bedingungen annehmen, dachte ich, und wendete mich zu ihm: »Und was für Neuigkeiten aus London hat Euch denn Euer Vetter, der reisende Kaufmann, erzählt, Andrew?«

»Der Hausirer, meint Ihr?« erwiderte er, »aber nennt ihn wie Ihr wollt, diese Leute sind doch eine große Bequemlichkeit in einem Landstriche, wo's so wenig Städte gibt, als in Northumberland. Das ist jetzt in Schottland nicht der Fall; da reihen sich die Marktflecken an einander mit ihren Landstraßen und Häusern von Stein und Kalk« –

»Gewiß ist das. Alles recht schön und gut – aber Ihr spracht vorher von den Nachrichten aus London.«

»Ja, aber ich dachte, es läge Euch nichts daran,« erwiderte er, und fuhr schmunzelnd fort – »indessen Macready sagt, daß sie sehr unwillig gewesen sind im Parlament über den an Morris, oder wie sie ihn nennen, verübten Raubmord.«

»Im Parlament? Wie kam man denn darauf, es dort zu erwähnen?«

»Ja, das sagte ich dem Vetter auch. – Patrick, sagte ich, was haben die Lords und Herren in London mit dem Kerl und seinem Mantelsacke zu schaffen? Wenn wir ein schottisches Parlament hätten, machte es Gesetze für Stadt und Land, und bekümmerte sich nicht um Dinge, die vor einen gewöhnlichen Richter gehören; aber ich glaube, wenn hier ein altes Weib einer Nachbarin einen Napf wegnähme, so würden sie im Londoner Parlament davon sprechen. Es ist eben so toll, sagt' ich, wie hier mit unserm alten Herrn und seinen Söhnen, Jägern und Hunden, die Tage lang einer erbärmlichen Bestie nachjagen, die nicht sechs Pfund schwer ist, wenn sie sie fangen.«

»Vortrefflich geurtheilt, Andrew,« sagte ich, um ihn aufzumuntern, in seinem Berichte fortzufahren; »und was sagte Macready?«

»O, sagte er, was könnte man von dem englischen Pudding-Volke Besseres erwarten? Doch um wieder auf den Raub zu kommen. – Nachdem sich vermuthlich die Whigs und Tories gestritten und geschimpft hatten, wie die ungehängten Schelme, stand Einer unter ihnen auf und sagte, daß in Nord-England lauter Erz-Jakobiten wären – worin er auch wohl nicht ganz Unrecht hat – und sie hätten einen offenen Krieg angefangen, und einen königlichen Boten auf der Landstraße angehalten und beraubt, und die vornehmsten Edelleute in Northumberland wären dabei gewesen, und man hätte ihm vieles Geld und mehrere wichtige Papiere abgenommen. Der beraubte Mann hätte kein Recht erhalten können; denn bei dem ersten Friedensrichter, zu dem er gegangen wäre, hätte er die beiden Bursche, welche die That verübt, schmausend angetroffen, und der Richter hätte ihnen das Wort geredet, so daß der ehrliche Mann, der um sein Geld kam, aus Furcht vor schlimmen Folgen, das Land verließ.«

»Kann dieß wirklich wahr sein?« fragte ich.

»Pate schwört, es wäre so wahr, als die Elle ein Yard lang ist (und 's fehlt auch nur gerade ein Zoll an dem englischen Maaß). Und als dieser Mann das Schlimmste gesagt hatte, entstand ein gewaltiges Geschrei von Namen, und man nannte diesen Mann, Morris, und Euren Oheim, und Squire Inglewood, und noch andere Leute,« – setzte Andrew mit einem schlauen Blicke auf mich hinzu. – »Und dann erhob sich Jemand von der andern Seite, und sagte, man sollte nicht die besten Edelleute im Lande auf den Eid einer feigen Memme anklagen, denn dieser Morris wäre von der Armee in Flandern davongelaufen, und die Geschichte wäre wahrscheinlich zwischen ihm und dem Minister abgemacht gewesen, ehe er London verließ, und wenn man Haussuchung thun wollte, würde man das Geld nicht weit vom königlichen Schlosse finden. – Während dessen brachten sie Morris vor die Schranken, um zu hören, was er zu der Sache sagen könnte; aber die Leute, die gegen ihn waren, machten ein so arges Gerede von seinem Davonlaufen und von allem Bösen, was er vorher in seinem Leben gesagt und gethan hatte, daß er, wie Pate erzählt, mehr todt als lebendig aussah, und sie konnten kein vernünftiges Wort aus ihm herausbringen, wegen der Furcht über ihr Schreien und Lärmen. – Er muß einen Kopf haben, wie'ne erfrorne Rübe! – Das sollte mich nicht aus dem Zuge bringen.«

»Und was war das Ende von Allem? Hat Euer Freund das zufällig erfahren?«

»Ei ja; denn Pate schob seine Reise hierher etwa eine Woche lang auf, weil er glaubte, daß es seinen Kunden angenehm sein würde, die Neuigkeit zu hören. Der Mensch, der zuerst gesprochen hatte, zog die Hörner ein, und sagte, er glaubte wohl, daß der Mann beraubt worden sei, aber er könnte sich in den einzelnen Umständen geirrt haben. Und dann trat der Andere auf, und äußerte, es sei ihm einerlei, ob man Morris beraubt hätte, oder nicht, wenn nur keines braven Mannes Ehre und Ruf dadurch befleckt würde, besonders in Nord-England; denn er komme selbst daher, und wisse wohl, wie es dort aussehe. Nachdem nun im Unterhause über Morris und seine Beraubung gesprochen und gestritten worden war, bis man es satt hatte, kam es zu den Lords, und die griffen die Sache so eifrig an, als ob sie ganz nagelneu wäre. Nebenbei sprach man auch von einem gewissen Campbell, der mehr oder weniger bei dem Raube im Spiele gewesen sein sollte, und der ein gutes Zeugniß vom Herzog von Argyle gehabt hatte. Das setzte den Herzog in Flammen, wie er auch Grund dazu haben mochte, und er fuhr auf, und hätte es ihnen recht in den Hals hineinstoßen mögen, daß jeder Campbell immer klug und tapfer und redlich gewesen wäre, wie der alte Sir John, der Gräme. Wenn Ihr nun gewiß seid, keinen Blutstropfen vom Geschlecht eines Campbell zu haben, wie ich keinen habe, so weit ich meinen Stamm kenne, will ich Euch meine Meinung von der Sache sagen.«

»Ihr könnt versichert sein, daß ich mit Keinem dieses Namens auf irgend eine Weise verwandt bin.«

»Nun, dann können wir es ruhig unter uns besprechen. Es ist Gutes und Böses von den Campbells zu sagen, wie von andern Namen. Aber dieser Mac Callum More erregt jetzt viel Aufsehen und Lärmen unter den vornehmen Leuten in London; denn man kann nicht bestimmt sagen, zu welcher Partei er gehört, und Mancher möchte mit ihm streiten. Morris' Geschichte wurde also für eine böswillige Verleumdung erklärt, und wenn er nicht Bürgschaft geleistet hätte, wäre er vielleicht deßhalb an den Pranger gekommen.«

Mit diesen Worten nahm der wackere Andrew Hacke, Spaten und Rechen zusammen, und warf sie in den Schubkarren, jedoch gemächlich genug, um mir Zeit zu weiteren Fragen zu lassen, ehe er sie fortschaffte. Ich hielt es für das Beste, Alles auf einmal zu sagen, damit der zudringliche Bursche meinem Schweigen nicht wichtigere Ursachen unterlege, als wirklich stattfanden.

»Ich wünschte Euern Vetter zu sehen,« sagte ich daher, »und von ihm selbst seine Neuigkeiten zu erfahren. Ihr habt wahrscheinlich gehört, daß die abgeschmackte Thorheit dieses Morris mir einige Unannehmlichkeiten verursachte« – Andrew verzog sein Gesicht zu einem bedeutungsvollen Lächeln – »und ich möchte Euern Vetter, den Kaufmann, sehen, um ihn genau wegen des Vorganges in London zu befragen, wenn es ohne besondere Mühe geschehen kann.«

»Nichts ist leichter,« erwiderte der Gärtner; »ich darf meinem Vetter nur einen Wink geben, daß Ihr einige Paar Strümpfe nöthig habt, so wird er schnell hier sein.«

»O ja; sagt ihm, daß er etwas bei mir loswerden kann, und da die Nacht schön und heiter ist, will ich in dem Garten spazieren gehen, bis er kommt; der Mond wird bald aufgehen. Ihr könnt ihn durch die kleine Hinterpforte führen, und ich werde indessen die Sträuche und Immergrünhecken im Glanz des herbstlichen Mondlichtes betrachten.«

»Ganz recht, ganz recht, das ist's, was ich oft sage: Kohlblätter und Blumenkohl glänzen so hübsch im Mondschein, wie eine Lady in ihren Diamanten.«

Mit diesen Worten entfernte sich Andrew. Er hatte einen Weg von zwei Meilen, eine Mühe, die er mit dem größten Vergnügen übernahm, um seinem Vetter einigen Absatz zu verschaffen, obgleich er schwerlich sechs Pence zu einer Pinte Bier für ihn ausgegeben haben würde. Die Freundschaft eines Engländers würde sich gerade auf eine entgegengesetzte Weise zeigen, dachte ich, indem ich auf den weichen, kurzverschnittenen Rasengängen, die mit hohen Hecken von Taxus und Stechpalmen eingefaßt waren, in dem alten Schloßgarten auf- und abging. Ich richtete meine Augen auf die Fenster der Bibliothek, die sich, klein, aber zahlreich, längs des zweiten Stockwerkes der mir jetzt gegenüberliegenden Seite des Hauses hinzogen. Sie waren erleuchtet. Das überraschte mich nicht, denn ich wußte, daß Diana oft des Abends darin verweilte, obgleich ich es mir aus Zartgefühl untersagt hatte, sie zu einer Zeit dort aufzusuchen, während welcher ich wußte, daß die übrigen Mitglieder der Familie beisammensaßen, so daß unsere Zusammenkunft ganz ungestört gewesen sein würde. In den Morgenstunden lasen wir gewöhnlich in diesem Zimmer zusammen; doch es traf sich dann oft, daß einer oder der andere unserer Vettern hereinkam, um ein Pergamentbändchen zu suchen, das trotz seiner Vergoldungen und Malereien zu einem Angelkästchen benutzt werden konnte, oder uns von einem kühnen Jagdstücke zu erzählen, oder auch blos aus Mangel an einem anderen Zeitvertreibe. Kurz, des Morgens war die Bibliothek eine Art von gemeinschaftlichem Ort, an dem Jeder den Andern treffen konnte. In den Abendstunden aber war es anders, und in einem Lande erzogen, wo man, wenigstens damals, sehr auf den Anstand hielt, dachte ich für Diana Vernon an die Regeln der Schicklichkeit, die sie wegen ihres Mangels an Erfahrung vergaß. Ich machte ihr daher, so zart ich es vermochte, begreiflich, daß, so oft wir des Abends lesen wollten, die Gegenwart eines Dritten schicklich sei.

Anfangs lachte Diana, dann erröthete sie, und wollte unwillig werden; plötzlich aber faßte sie sich und antwortete: »Ich glaube, Ihr habt recht, und wenn ich Lust habe, eine recht fleißige Schülerin zu werden, so will ich die alte Martha mit einer Tasse Thee bestechen, bei mir zu sitzen, und mir zum Schutz zu dienen.«

Martha, die alte Haushälterin, theilte den Geschmack der Familie im Schlosse. Ein tüchtiger Becher würde ihr wohl lieber gewesen sein, als aller Thee aus ganz China. Da aber dieses Getränk damals nur unter den höheren Ständen gebräuchlich war, so schmeichelte es ihrer Eitelkeit, daran Theil zu nehmen, und durch eine reichliche Dosis Zucker, eine Menge kaum minder süßer Worte, und einen Ueberfluß von geröstetem Brode und Butter, ließ sie sich zuweilen bewegen, uns Gesellschaft zu leisten. Gewöhnlich vermieden fast alle Dienstboten nach Anbruch der Nacht dieses Zimmer, weil es auf der Seite des Hauses lag, wo es nach ihrer thörichten Meinung nicht geheuer war. Die Furchtsamen wollten dort Erscheinungen gesehen und Töne gehört haben, wenn alle Hausgenossen zur Ruhe waren, und selbst meine jungen Vettern hatten keine Lust, sich nach angebrochener Dunkelheit ohne Noth jenem furchtbaren Bezirke zu nahen. Daß der Büchersaal einige Zeit Rashleighs Lieblingsaufenthalt gewesen war, und eine besondere Thüre aus demselben in das abgelegene Gemach führte, welches er für sich gewählt hatte, diente eher dazu, das Grauen der Dienerschaft vor diesem furchtbaren Saale zu erhöhen, als es zu vermindern. Seine ausgebreitete Kunde von Allem, was in der Welt vorging, seine tiefen Kenntnisse in den Wissenschaften, einige physikalische Experimente, die er gelegentlich gemacht hatte, waren für die unwissenden und abergläubischen Bewohner des Schlosses hinreichende Gründe, ihm Gewalt über die Geisterwelt zuzuschreiben. Er verstand Griechisch, Lateinisch und Hebräisch, und brauchte daher, wie sein Bruder Wilfred fürchtete und sagte, weder vor Geistern, noch Gespenstern, noch Kobolden oder Teufeln sich zu fürchten. Ja, die Diener behaupteten, sie hätten ihn im Büchersaale Gespräche halten hören, wenn jeder sterbliche Mensch zur Ruhe gewesen wäre, und er hätte die Nacht für die Gespenster durchwacht, und den Morgen verschlafen, statt die Hunde herauszuführen.

Alle diese albernen Sagen hatte ich in halben Winken und abgebrochenen Aeußerungen vernommen, die ich mir selbst zusammensetzen mußte, und die ich natürlicher Weise verlachte. Die große Einsamkeit aber, in welcher dieses übelberüchtigte Zimmer nach der Abendglocke sich befand, war ein Grund mehr, es nicht zu besuchen, wenn Diana den Abend dort allein verweilte.

Ich war daher nicht verwundert, die Fenster der Bibliothek erhellt zu sehen, fühlte mich aber ein wenig betroffen, als ich deutlich den Schatten von zwei Gestalten bemerkte, der sich vor dem ersten Fenster bewegte, und es einen Augenblick verdunkelte. »Es muß die alte Martha sein, welche den Abend mit dort zubringen soll,« dachte ich, »oder ich muß mich geirrt, und Diana's eigenen Schatten für den einer zweiten Gestalt genommen haben. Nein, beim Himmel! sie zeigen sich auch am zweiten Fenster! Ganz deutlich zwei Gestalten! Nun verlieren sie sich – jetzt sind sie am dritten – am vierten Fenster! – Wen kann Diana bei sich haben?« – Die Bewegung der Schatten zwischen dem Lichte und den Fenstern wiederholte sich zweimal, als ob ich mich hätte überzeugen sollen, daß meine Beobachtung richtig sei; dann wurden die Lichter ausgelöscht, und die Schatten verschwanden.

So unbedeutend dieser Umstand war, beschäftigte er meine Seele doch eine geraume Zeit. Ich erlaubte mir keinen Gedanken daran zu setzen, daß meine Freundschaft für Miß Vernon irgend eine selbstsüchtige Absicht habe; aber ich empfand einen unbeschreiblichen Unmuth bei dem, daß sie einem Andern Zusammenkünfte gestattete, und das zu einer Zeit und an einem Orte, wo ich es für unschicklich hielt, sie zu besuchen, was ich ihr auch um ihrer selbst willen gezeigt hatte.

»Thörichtes, leichtsinniges, unachtsames Mädchen!« sagte ich zu mir selbst, »bei dem jeder gute Rath weggeworfen, alles Zartgefühl verschwunden ist. Ich habe mich durch die Einfalt ihres Betragens hintergehen lassen, und sie kann dieß eben so leicht annehmen, wie einen Strohhut, der Mode ist, blos um sich auszuzeichnen. Ungeachtet ihres seltenen Verstandes würde ihr, glaube ich, eine Partie Whist mit einigen Landjunkern mehr Vergnügen machen, als wenn Ariosto selbst von den Todten auferstehen sollte.«

Dieser Gedanke erfüllte mich um so lebhafter, da ich den Muth gefaßt hatte, ihr meine Uebersetzung der ersten Gesänge des Ariost zu zeigen, und sie zugleich gebeten, Martha auf diesen Abend zum Thee in der Bibliothek einzuladen, was sie unter einem Vorwande, der mir nichtig vorkam, ablehnte. Ich hatte mich nicht lange mit diesem unangenehmen Gegenstande beschäftigt, als die Hinterthür des Gartens aufging, und Andrew und sein Landsmann, mit seinem Waarenbündel beladen, im Mondschein herbeikamen, und meine Aufmerksamkeit auf andere Weise beschäftigten.

Ich fand in Macready, wie ich es erwartet hatte, einen rauhen, verschmitzten, dickköpfigen Schotten, der aus Wahl und Beruf Neuigkeitskrämer war. Er konnte mir bestimmte Auskunft über Alles geben, was im Ober- und Unterhause wegen Morris' Angelegenheit vorging, die, wie es schien, von beiden Seiten als Prüfstein gebraucht wurde, um die Stimmung des Parlaments zu erforschen. Das Ministerium war zu schwach gewesen, eine Sache zu behaupten, in welche angesehene und wichtige Männer verwickelt waren, und die auf der Aussage eines Menschen von so unbedeutendem Rufe, als Morris, beruhte, der überdieß verworren und widersprechend in seinen Angaben war. Macready konnte mir sogar eine gedruckte Nachricht der Verhandlungen, die man selten außer der Hauptstadt fand, und die ebenfalls gedruckte Rede des Herzogs von Argyle mittheilen. Die erste war eine dürftige Darstellung, voller Blanketts und Sternchen, die wenig oder nichts zu den Berichten des Schotten hinzufügte, und des Herzogs Rede, obwohl geistreich und gewandt, enthielt namentlich das Lob seines Landes, seiner Familie und seines Clans, nebst einigen, vielleicht eben so aufrichtigen, wenn auch weniger feurigen Schmeicheleien, die er bei dieser günstigen Gelegenheit sich selbst machte. Ich konnte nicht erfahren, ob mein Ruf gerade dabei im Spiele war, doch fand ich, daß man die Ehre der Familie meines Oheims angetastet, und daß Morris behauptet hatte, Campbell wäre unter den beiden Angreifenden der thätigste Räuber gewesen, und hätte durch sein Erscheinen bei dem nachsichtigen Friedensrichter einem Osbaldistone die Freiheit verschafft. In diesem Punkte stimmte Morris' Angabe mit dem Verdachte überein, den ich selbst gegen Campbell hegte, sobald ich ihn bei dem Friedensrichter sah. Bestürzt und voll Unmuth über die seltsame Geschichte, entließ ich die beiden Schotten, nachdem ich Macready etwas abgekauft hatte, und eilte dann auf mein Zimmer, um zu erwägen, was bei dem öffentlichen Angriffe auf meine Ehre zu thun sei.


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